Menschliche und unmenschliche Körper in David Cronenbergs "Crash"


Seminararbeit, 1999

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. J.G. Ballards Crash - ein pornographischer Roman?

3. Menschliche und unmenschliche Körper in CRASH
3.1. Der prothesentragende Körper
3.2. Der "Star-Körper"
3.3. Die Amputation der Prothese

4. CRASH - gelesen als Genre-Film

5. David Cronenbergs CRASH - ein sozialkritischer Film?

6. Bibliographie

7. Filmographie

8. Anmerkungen

1. Einleitung

Seit seiner Uraufführung (und der Auszeichnung mit dem Spezialpreis der Jury) im Rahmen der Filmfestspiele von Cannes hat David Cronenbergs CRASH die Kritiker polarisiert: Die einen sprechen von einem "absoluten Meisterwerk", während andere den Film als "langweilige Pornografie" abqualifizieren[1]. Einige werfen dem Film vor, es mangele ihm an "Kraft" ("endless Traffic Jam"[2]), andere wiederum äußern sich besorgt über dessen potentiell verstörende Wirkung[3]. Das Kinopublikum folgt den Ansichten der Kritiker und nimmt den Film sehr unterschiedlich auf - die einen zeigen sich erschüttert, während andere völlig unbeeindruckt bleiben. Der kanadische Verleih kapitulierte angesichts dieser Reaktionen und richtete seine Anzeigenkampagne entsprechend aus: "Love it, hate it, see it."[4].

In Frankreich versuchte man das Publikum (erfolgreich) mit mehr oder minder treffenden Schlagwörtern über die Qualität des Filmes anzulocken[5]. Ähnlich vage Assoziationen-weckend wurde CRASH in Deutschland vermarktet: "Leben auf der Überholspur..."[6] lautete der Untertitel.

Ob der Film als Meisterwerk oder Pornographie einzuordnen ist, sehe ich mich nicht in der Lage, zu entscheiden - ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob sich beide Urteile zwingend widersprechen - doch möchte ich versuchen, eine mögliche Lesart von CRASH und somit eine Genre-Zuweisung zu erstellen. Welche "Aussage" hat der Film, welche Deutung bietet sich dem ratlosen Zuschauer an?

Zu diesem Zweck scheint es mir sinnvoll zu sein, die Darstellung des menschlichen Körpers im Film und dessen Entwicklung zu analysieren. In welcher Beziehung steht die Romanvorlage von J.G. Ballard zu Cronenbergs Verfilmung? Und fällt CRASH ein Urteil über gegenwärtige, kulturelle Problematiken, und wenn, wie sieht dies aus?

2. J.G. Ballards Crash - ein pornographischer Roman

Der Film CRASH basiert auf dem 1973 erschienenen Science-fiction Roman gleichen Namens des englischen Autors James Graham Ballard.[7] Wie der Film erzählt das Buch von einer Gruppe von Menschen, die sexuelle Befriedigung nur unter Einbeziehung der sie umgebenen Technologie, insbesondere des Automobils, erlangen können, "außerhalb dieses Kontextes verliert er [der Körper] seine Anziehungskraft"[8]. Die Figuren im Buch bewegen sich in einer von Technologie beherrschten Welt, in einer "postindustriellen Landschaft", geprägt von "Schnellstraßen und Autos, Wolkenkratzern und Flughäfen, Fernsehern und Reklametafeln"[9].

In dem Vorwort zu seinem Roman schreibt Ballard, daß es sich bei CRASH um einen "pornographischen Roman [...] der auf Technologie basiert "[10] handelt. Ballard weiter:

"In gewissem Sinne ist die Pornographie die politischste Form von Literatur, denn sie befaßt sich damit, wie wir uns gegenseitig auf die ruchloseste und schonungsloseste Art und Weise ausbeuten und benützen." [11]

CRASH ist somit offenbar nicht nur pornographisch, sondern auch moralisch. Im Kontext dieser Worte erlangt CRASH einen kulturoder zivilisationskritischen Anspruch: Doch wogegen genau richtet sich Ballards Kritik?

Wie bereits angedeutet steht in CRASH zum einen die moderne Technologie und unser Umgehen damit zur Diskussion - ein Thema, das Ballard kontinuierlich beschäftigt. Klaus W. Pietrek bemerkt in Hinblick auf immer wiederkehrende Motive in Ballards OE uvre :

"Die vorgeblich befriedigende Existenz in einer technisierten, die Natur scheinbar beherrschenden Welt entpuppt sich als inhuman und den eigentlichen Bedürfnissen unangemessen."

Ballards Protagonisten sprengen daher durchaus willig die nur oberflächliche Kruste einer fehlgeleiteten Kultur und stürzen sich in die Traumtiefen eines kreatürlichen Vegetierens. Sie entziehen sich den deformierenden Anforderungen eines naturabgewandten Lebens in letzter Konsequenz durch Auflösung ihrer ursprünglichen Lebensform [...], sie verschwinden gleichsam im Organischen bzw. gewinnen eine neue, autochthone Existenzform." [12] Ballard selbst bringt sein Mißtrauen gegenüber dieses "naturabgewandten Lebens" in seinem Vorwort zu CRASH zum Ausdruck. Er schreibt:

"Die Verbindung von Vernunft und Alptraum, die das zwanzigste Jahrhundert beherrscht, hat eine in zunehmendem Masse unüberschaubare Welt hervorgebracht. Die Gespenster unheimlicher Technologien und für Geld käuflicher Träume huschen über die Kommunikationslandschaft." [13]

Ballards Roman trägt dem Umstand Rechung, das wir in einer" zunehmend unüberschaubaren Welt" leben, die bizarrerweise gleichzeitig Platz für "Thermonukleare Waffensysteme und Werbesendungen für alkoholfreie Getränke"[14] bietet - eine "fast infantile[n] Welt", in der "beinahe jede Forderung [...] augenblicklich erfüllt werden kann"[15].

Die Gefahren dieser übertechnisierten Welt liegen also in der Verfügbarkeit über das eigene Potential begründet: Alles ist möglich, dem Menschen wird in seiner Entfaltung keine Grenze mehr gesetzt.

Die Bedeutung, die dies für die Gesellschaft hat, beschreiben Marshall McLuhan (der in Ballards Vorwort Erwähnung findet) und Quentin Fiores: "Solch eine Umwelt ist an sich ein Phänomen der Selbstamputation. Jede weitere technologische Neuerung ist eine buchstäbliche Amputation unserer selbst zu dem Zweck, es für soziale Macht und soziales Handeln zu erweitern und zu manipulieren."[16]

Diese "technologischen Neuerungen" mit ihren reichhaltigen Möglichkeiten haben sich nicht als Segen für das Individuum erwiesen, sondern als dessen Bedrohung. Nach der vollzogenen "Amputation" und dem Ersetzen durch seriell gefertigter Technik, bleibt ein "Mensch" übrig, der seine Einzigartigkeit verliert und berechenbar wird. Bukatman sieht in CRASH eine Satire auf diesen Sachverhalt:

"Ballard mocks the functionalist understanding of the human as a single component in a rational system" [17]

Ballards völlig emotions- und mitleidslose Protagonisten[18] sind die Produkte dieses "rationalen Systems".

Auf einen weiteren, bemerkenswerten Punkt, welcher in Ballards Roman diskutiert wird, macht Dery aufmerksam:

Dery: (Siehe oben): "Crash stellt McLuhans monströse Ménage à Trois - Sex, Technologie und Tod - im Zerrspiegel der Konsumkultur dar, mit ihrer alles nivellierenden Wirkung, dem Abfeiern von Berühmtheiten, der besessenen Dokumentation jedes gelebten Augenblicks und der aberwitzigen Vermengung von subjektiver Erfahrung und filmischer Fiktion." [19]

Das Ein- und Durchdringen von "filmischer Fiktion" in die Wahrnehmung der ballardschen Figuren ist ein auffälliger Aspekt in CRASH. Filmstars - namentlich Elizabeth Taylor, James Dean, Jayne Mansfield - oder anderen Medienpersönlichkeiten - namentlich John F. Kennedy, Albert Camus - werden als Fetischobjekte gehandelt; "Normalsterbliche" werden in Ballards Roman beinahe ausschließlich durch ihre Berufe gekennzeichnet und erfahren somit eine eigentümliche Überhöhung mit "Starqualitäten". Figuren wie "sadistische Krankenschwestern", "lesbische Geschäftsführerinnen von Supermärkten" und "stoische Feuerwehrmänner"[20] erscheinen als Teil einer bizarren "Menagerie" und besitzen dank ihrer Attribute ausschließlich Fetischcharakter. Einer Nebenfigur in Ballards Roman - Seagrave - ist es sogar wichtig, in die Rolle einer Schauspielerin zu schlüpfen. Für den Autor hat das Motiv des Schauspielens eine besondere Bedeutung:

„Ich glaube nicht, daß organischer Sex - Körper an Körper, Haut an Haut - länger möglich sein wird", sagte Ballard 1970 in einem Interview, "einfach weil alles, was irgendwie Bedeutung für uns haben soll, im Werte- und Erfahrungsbereich der Medienlandschaft angesiedelt sein muß". [21]

Die Figuren des Romans werden zu Darstellern in einer Performance; ein Schauspiel, daß die die Realität verleugnet und sich an deren Stelle setzt.

3. Menschliche und unmenschliche Körper in CRASH

Was für Ballards Roman gilt, ist ebenso anwendbar auf Cronenbergs Verfilmung. Die beiden im vorherigen Kapitel angeführten Motive des Buches

- das Motiv des "prothesentragenden Körpers" und das Motiv des "Star- Körpers" werden in Cronenbergs Verfilmung ebenfalls verhandelt. Diese Motive stehen in enger Verbindungen zueinander. Im Folgenden werde ich diese Motive - oder Charakteristiken der Körper - näher beschreiben. Die Charakteristiken dieser Körper spielen eine große Rolle in dem Prozeß des Wiederaufladens des Körpers mit sexueller Begierde, den CRASH beschreibt und sind somit ein Schlüssel für eine Bedeutungsproduktion des Films.

3.1. Der prothesentragende Körper

In einem Gespräch mit Chris Rodley äußert sich David Cronenberg über das Automobil folgerndermaßen:

"[...] es [das Auto] hat uns betroffen und uns mehr verändert, als irgendetwas anderes in den letzten hundert Jahren. Wir haben es verinnerlicht." [22]

Und:

"Das Auto ist zu dem menschlichen Anhängsel überhaupt geworden. Ich glaube nicht, daß wir es einfach loswerden können."[23]

Diese an Marshall McLuhan erinnernden Worte finden in Cronenbergs Film eine deutliche Umsetzung. Die Umgebung, in der sich die Protagonisten bewegen, scheint ausschließlich auf die Bedürfnisse von Autofahrern und ihrer Automobile zugeschnitten zu sein. Beinahe alle Schauplätze des Filmes stehen unter dem Zeichen des Automobils:

Der Film spielt in Autosalons, Flugzeughangars, Autowerkstätten, Garagen, Verkehrsforschungslaboratorien, Parkhäusern und Schrottplätzen. Auch ein Ort wie z.B. das Flughafenhospital ist in einen solchen Kontext eingebunden, werden hier doch nur Opfer von Flugzeugkatastrophen oder Autounfällen behandelt. Sogar in dem Filmstudio, in dem Ballard arbeitet, sehen wir das Set für einen Autowerbespot (//00:04:26//)[24]. Die Bildkomposition sorgt dafür, das auffällig oft unablässig strömender Straßenverkehr zu sehen ist[25]. Den allgemeinen Eindruck, den Schauplätze wie der Flugzeughangar mit seinen glatten, glänzenden Flugzeugen, der Autosalon oder sogar James' und Cathrines Appartment hinterlassen, ist der von Sterilität, Stillstand, Ordnung und Langeweile. In den Körpern, die durch diese Welt (schlaf-)wandeln, spiegelt sich dieser Zustand wieder: James' und Catherines Blicke sind seltsam leer, sie starren in die Ferne und schauen sich gegenseitig kaum an. In CRASH wird auf dieser formalen Ebene Mensch und Maschine untrennbar gekoppelt, beides ist für sich buchstäblich nicht denkbar.

Das Ergebnis dieser Fusion könnte man als "Cyborg" bezeichnen[26], oder wie es Silvia Bovenschen in Anlehnung an Sigmund Freud nennt, "Prothesengott"[27].

3.2. Der "Star-Körper"

Auch das Motiv des "Star-Körpers" - gemeint ist ein "performativer" Körper, der eine aufmerksame Zuschauerschaft einfordert – zieht sich durch CRASH wie ein roter Faden.

Der Film beginnt mit einer Einstellung in einem Flugzeughangar, in dem Catherine Ballard Sex mit einem Namenlosen (und einem Flugzeug) hat (//00:02:41// bis //00:04:37//). Später wird sie mit ihrem Ehemann James darüber sprechen und äußern, daß während des Aktes jederzeit jemand hätte hereinkommen und sie hätte überraschen können (//00:05:42//).

James selber wird tatsächlich von einem Dritten beim Geschlechtsakt mit seiner Kameraassistentin ertappt (//00:05:09//); ein offensichtlich kalkuliertes Risiko, das dazu dient, die Stimmung "anzuheizen".

Die ersten Minuten von CRASH vermitteln uns bereits ein Bild von dem Ehepaar Ballard und ihrem Verständnis von Sexualität. Deutlich ist, daß für beide der Geschlechtsakt allein nicht ausreichend ist, um befriedigend zu sein. Ein drittes Element wird herbeigesehnt - etwas, das dem Sexualakt seinen "Wert" zurückgibt, indem es als Voyeur fungiert und somit den Sexualakt bezeugen kann[28]. Wenn man an J.G. Ballards Worte denkt, scheinen sich James und Catherine danach zu sehnen, selbst "im Werte- und Erfahrungsbereich der Medienlandschaft angesiedelt [zu] sein" (siehe Seite

6) - also, vereinfacht ausgedrückt, selbst "Stars" zu sein.

Die Rolle des "Dritten", des Voyeurs nehmen James und Helen Remmington und einige weitere Personen ein, als Vaughan und Seagrave den "James- Dean-Crash" nachstellen (//00:24:40// bis //00:32:08//) und auf diese Weise ihr Verständnis von Sexualität, welches auch das von James und Catherine ist, präsentieren. In dieser Sequenz bündelt sich das "Starkörper"- Motiv (und wird später seine Verdoppelung in einer anderen Schlüsselsequenz erfahren:

Seagraves Inszenierung des "Jayne-Mansfield-Crashs").

Vaughan und Seagrave inszenieren sich für das Publikum als Objekte der Begierde, indem sie in die Rollen von James Dean und dessen Beifahrer schlüpfen und das Ereignis nachstellen, das dem Filmstar das Leben kostete und ihn gleichzeitig "unsterblich" und zu einer Ikone machte. Hier erhält das Anbeten von Stars und Berühmtheiten eine interessante Konnotation, und zwar den des Totenkultes. Denn für Vaughan und Seagrave kommen als "role-model" nur jene in Frage, die als Autounfallopfer endeten, so wie Jayne Mansfield, John F. Kennedy oder eben James Dean.

Vaughan und Seagrave haben sich bereits erfolgreich in die "Medienlandschaft" eingefügt und sind "medial erfahrbar" geworden. Ihre Entwicklung zum "Star" werden beide jedoch erst abgeschlossen haben, wenn beide bei einem spektakuären Autounfall ihr Leben verlieren und Ruhm erlangen werden. Die Figur des Vaughan erhält in diesem Kontext eine besondere Gewichtung. Als äußerst exzentrische und charismatische Person besitzt er jene Charakteristiken, die einen echten Star ausmachen.

Er fungiert als Showmaster, Art Director und Nebendarsteller der Inszenierung des "James-Dean-Crashs". Dem Publikum, auf Tribünen sitzend und seine Rolle als Voyeur - also als außenstehendes Drittes - verkörpernd, versichert er das "Äußerste [...] an Authentizität" (//00:28:30//).

Spätestens nach dem "James-Dean-Crash" erhält die Figur des Vaughan seine "Starqualität" für James Ballard. Sichtlich fasziniert von dem merkwürdigen Guru folgt Ballard Vaughan wie ein ergebener "Groupie". Vaughan dient James als Vorbild und Lehrer[29], er dominiert im folgenden die Handlung, buchstäblich alle Schritte in James' Entwicklung werden auf seine Anregung hin vollzogen.

Von Vaughan geht also eine "Disziplinierung" aus, mit dem Ziel, die Körper seiner Anhänger zu "Star-Körpern" zu transformieren. Wenn man James als Anfangs- und Vaughan als Endpunkt eines solchen "Transformationsprozesses" versteht, fällt einem auf, das dieser Prozess mit einer gewissen Verwahrlosung und Primitivisierung (also eigentlich Ent disziplinierung) Hand in Hand geht. James ist – genau wie Helen und Catherine - addrett gekleidet und fährt einen langweiligen Mittelklasse- Wagen[30]. Vaughan hingehen macht einen sehr ungepflegten Eindruck, ist oft ölverschmiert und außerdem von oben bis unten mit Narben übersäht[31]. Beinahe scheint es, als würde sich Vaughans Körper zurückentwickeln. Und es ist Vaughans Ungepflegtheit - und seine generell wenig zivilisierte Art - die auf Catherine und auch James sexuell erregend wirkt[32].

3.3. Die Amputation der Prothese

Wenn man die beiden konzeptionellen Körper - den prothesentragenden Körper und den "Star-Körper" - einander gegenüberstellt, wird deutlich, daß diese in einem harten Konflikt stehen. Während der "Star-Körper" (zunächst personifiziert durch Vaughan, Seagrave und auch durch Gabrielle) sexuell aufgeladen ist, ist der prothesentragende Körper beinahe asexuell. Die "geschlechtlichen Bemühungen" der Prothesenträger, ausführlich in der Exposition des Filmes dargestellt, sind unbefriedigend und somit vergeblich.

Vaughan benennt diese Situation, als er sein "Projekt" darlegt: "Es handelt sich um etwas, woran wir alle persönlich beteiligt sind: Die Umformung des menschlichen Körpers durch die moderne Technologie" (//0038:40//). Einige Filmminuten später wird Vaughan diese Beschreibung des "Projekts" widerrufen und eingestehen, das es sich dabei nur um ein "primitives Science-Fiction-Konzept" handelt, "um die Widerstandsfähigkeit [seiner] potentiellen Partner in der Psychopathologie zu testen" (//00:51:30//). Tatsächlich ist sein "Projekt" ein anderes:

"Sie fangen an zu erkennen, daß uns zum ersten Mal eine wohlwollende Psychopathologie möglich wird. Zum Beispiel ein Crash ist eher ein befruchtendes als ein destruktives Ereigniss. Eine Freisetzung sexueller Energie, die die Sexualität derjenigen, die gestorben sind, mit einer Intensität vermittelt, die auf andere Art unmöglich zu erreichen ist. Das zu

spüren, das zu durchleben, darin... darin... besteht mein Projekt." (//00:51:15//)

Mit diesen Worten Vaughans wird klar, das für ihn ein Darsein als "Prothesenträger" nicht in Frage kommt. Sein Projekt ist auf "die Freisetzung einer sexuellen Energie" gerichtet, die untrennbar mit dem Tod gekoppelt ist. Um einem reizlosen, unbefriedigenden Leben in einer sterilen, kalten und durch und durch unmenschlichen Welt zu entgehen, bleibt als einziger Ausweg, als einzige Flucht, ein spektakulärer Selbstmord, der einem Superstar wie James Dean zur Ehre gereichen würde. An der Figur des Vaughan beschreibt der Film CRASH die Amputation der Prothese, den Fall des Prothesengottes[33]. Bei dem Abtrennungsprozess des Körpers von dem Auto wird ersteres vernichtet, während die Prothese jedoch vererbt wird: Und zwar an James und Catherine, die Vaughans Lehre weiterführen und versuchen, sie auszuleben - in der Hoffnung, endlich sexuelle Erfüllung zu finden, durch die endgültige Abtrennung ihrer Prothese und durch die Zurückeroberung des eigenen, entfremdeten Körpers. In der letzten Einstellung des Filmes äußert James seiner Frau gegenüber die Hoffnung, daß dies "[...] vielleicht beim nächsten Mal [...]" geschehen werde (//01:31:15//). Am Beispiel von Vaughan und Seagrave wissen wir, das auf James und Catherine nur der Unfalltod wartet und das nur auf diese Weise die Prothese entfernt werden kann.

[...]


[1] aus: Seeßlen, Georg (1996): Crash. In: epd Film, Jg. ???, Nr. 11/96, S. 42

[2] wörtlich: "...CRASH lacks impact." aus: Corliss, Richard (1997): Slow-Moving Violation. In: The Times, Jg. 149, Nr. 12/97

[3] wörtlich: "...off putting [...]." aus: McCarthy, Todd: 'Crash' Re-Defines Auto-Erotic. In: http://zappa.users.netlink.co.uk/crash_r1.html

[4] aus: Wardle, Paul (1997): Cronenberg's Crash. In: Cinefantastique, Jg. 28, Nr. 10, S. 26

[5] wörtlich: "Erotique, Pervers, Troublant, Fascinant, Scandaleux, Provoquant, Explosif, Obscene, Violent, Cruel" aus: Gilbey, Ryan (1996): King of Comedy. In: Premiere – UK Edition, Jg. 4, Nr. 10, S. 69

[6] als Anzeige in: steadycam, Jg. 18, Nr. 32, S. 21

[7] Ballard, J.G. (1973): Crash. München: Wilhelm Goldmann Verlag 1996

[8] aus: Dery, Mark (1996): Cyber. Die Kultur der Zukunft. Berlin: Verlag Volk & Welt 1996, S. 218

[9] aus: Bukatman, Scott (1993): Terminal Identity. the virtual subject in postmodern science fiction. Durham/London: Duke University Press 1998, S. 292

[10] aus: Ballard, S. 13

[11] ebd., S. 13

[12] Pietrek, Klaus W. (1991): Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern. Kulturpessimismus und Dekandenz in den Romanen J.G. Ballards. In : Ballard, J.G.(1962/1964/1966): Zeit endet oder Die Elemente. Hrsg. v. Wolfgang Jeschke. München: Wilhelm Heyne Verlag 1991, Seite 601

[13] aus: Ballard, S. 5

[14] ebd., S. 5

[15] ebd., S. 10

[16] McLuhan, Marshall/Fiore, Quentin (1968): Krieg und Frieden im globalen Dorf. Düsseldorf/Wien: Econ Verlag 1971, S. 83

[17] aus: Bukatman, S. 292

[18] So ergeht sich der Protagonist und Erzähler des Romans in seitenlangen Beschreibungen von Autounfallszenarien, die lediglich als sexuelle Stimulanz dienen, und ihm nicht abschreckend oder furchtbar erscheinen (siehe z.B. : Ballard, S. 23-25).

[19] aus: Dery, S. 219

[20] aus: Ballard, S. 24/25

[21] aus: Dery, S. 219

[22] aus: Rodley, Chris/von Berg, Ulrich (1996): Car - Crash - Cronenberg. In: steadycam, Jg. 18, Nr. 32, S. 62

[23] ebd., S. 65

[24] Die folgenden Zeitangaben (//Stunden:Minuten:Sekunden//) beziehen sich auf die deutsche Videofassung von Crash.

[25] Siehe z.B.: //00:05:43//, //00:06:38//, //00:14:49// bis //00:16:30// usw.

[26] Dery ordnet Ballards Romanvorlage als "Proto-Cyberpunk-Roman" ein (aus: Dery, S. 217).

[27] aus: Angerer, Marie-Luise: Machine Sex oder Von der Natur der menschlichen Sexualität und dem Drama ihrer Leere. In: http://scifi.aec.at/Machinesex.html

[28] Auf die Frage, weshalb in CRASH "Sex selten von Angesicht zu Angesicht stattfindet", sondern "von hinten oder anal" antwortet Cronenberg:"[...] Mir gefiel wie das aussah. [...] Es unterstützt dieses Gefühl des "Getrennt-seins". Es ist [...] "Wie hat man Sex, wenn man ihn nicht miteinander hat?" (aus: Rodley/von Berg, Seite 62). Diese Worte machen deutlich, das das Spannungsfeld nicht zwischen den Partnern liegt, sondern außerhalb gesucht wird.

[29] Dieses Lehrer-Schüler-Verhältnis wird mehrmals deutlich: Nach Vaughans Erwähnung des "Projektes" ist dieser für James der (Ansprech-)Partner in Sachen "wohlwollende Psychopathologie" (//00:50:50//). Ballard zeigt im Angesicht seines Lehrers kaum Innitiative; die Sequenz mit der Prostituierten (//00:52:04// bis //00:54:48//), die "Waschstraßen-Sequenz" (//01:02:18// bis //01:06:50//) oder die "Tätowierungs-Sequenz" (//01:14:10// bis //01:15:14//) geschehen auf Vaughans Drängen. Auffällig ist, daß Vaughan (bis zu seiner homosexuellen Begegnung mit James) derjenige ist, der den Sex mit jemanden (resp. der Prostituierten und James Frau) vollziehen darf, während James nur zugucken darf. In der Beziehung beharrt Vaughan zunächst auf seinen Star-Status.

[30] wörtlich: " - a boring American four-door Sedan -" aus: Cronenberg, David (1996): Crash. London/Boston: faber & faber 1996, S. 7

[31] Eine "Primitivisierung" beobachtet Cronenberg belustigt in seiner näheren Umgebung: In dem Interview mit Chris Rodley bemerkt er über "stink-normale Mittelklasse-Leute mit Augenbrauenringen und so' nem Zeug": "Ich denke, die wären peinlich berührt, wenn Du ihnen sagen würdest, daß das Selbstverstümmelung sei oder primitiv ohne die dazu gehörenden rituellen Stammeskulturen, die das ganze rechtfertigen Das ist eine riesige, gar nicht so weit entfernte Untergrundbewegung. Hinzu kommen die Tätowierungen. Deshalb ließ ich zum Ende des Filmes das Abbild eines Lincoln Lenkrades auf Vaughans Brust tätowieren." (aus: Rodley/von Berg, Seite 62)

[32] Während Catherine und James miteinander Sex haben, spekuliert sie permanent über Vaughans Körpermerkmale, -flüssigkeiten und -geruch (//00:41:57// bis //00:45:07//).

[33] Auf die Frage nach der Figur des Vaughan antwortet Cronenberg in einem Interview mit dem Deutschen Entertainment Magazin: "James G. Ballard bezeichnet ihn als abtrünnigen Wissenschaftler, als Rüpel und als Kriminellen. Für mich ist Vaughan auch eine Art mutierter Wissenschaftler, da er Forscher, Arzt und Bekehrer in einem ist. Vaughan erforscht die menschliche Natur, er versucht die menschliche Sexualität zu verstehen. Er sucht Menschen auf, die, genau wie er selbst, einen Autounfall überlebten, wohl wissend, daß sie nach einer solchen Erfahrung leicht beeinflußbar sind. Aber er hilft ihnen auch zu verstehen und das Erlebte zu verarbeiten. Man könnte fast sagen, daß die Personen des Films durch ihren Unfall aus einer schlafwandlerischen Existenz gerissen werden und Vaughan ist zur Stelle und sorgt dafür, daß sie wach bleiben." Cronenberg macht deutlich, daß Vaughan in dem Film die Rolle des "Diskursleiters" zukommt. Diese Figur ist "wach" und ist somit in der Lage, die Wünsche der Protagonisten zu artikulieren und diese "anzuführen".

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Menschliche und unmenschliche Körper in David Cronenbergs "Crash"
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Veranstaltung
Digitale Medien und Körperbilder
Note
2,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
21
Katalognummer
V102609
ISBN (eBook)
9783640009893
Dateigröße
390 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit ist nicht wirklich gut,... aber ok für `nen Zweitsemesterstudi, dem seine Nebenfächer Probleme bereiten...:)
Schlagworte
Menschliche, Körper, David, Cronenbergs, Crash, Digitale, Medien, Körperbilder
Arbeit zitieren
Alexander Buchholz (Autor:in), 1999, Menschliche und unmenschliche Körper in David Cronenbergs "Crash", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102609

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