Der Zusammenbruch der SED-Herrschaft im Herbst 1989


Presentation / Essay (Pre-University), 1999

10 Pages, Grade: 1


Excerpt


Autor: Liane Wehder

Herbst 1989

1. Zur Geschichte der DDR

Die DDR wurde am 07.Oktober 1949 gegründet. Sie definierte sich als antifaschistischer, demokratischer deutscher Staat und hatte das Ziel des Aufbaus des Sozialismus unter der Führung einer ,,Einheitspartei" nach sowjetischem Vorbild. Die Anfänge der DDR waren sehr schwer, da sie im Gegensatz zur BRD keine Hilfe aus dem Marshall- Plan bekamen und die meisten Reparationszahlungen an die Sowjetunion zahlen mußten. Nach und nach wurde der größte Teil der Industrie-, Handwerks-, Handels- und Landwirtschaftsbetriebe verstaatlicht. Es gab fast keinen Privateigentum an Produktionsmitteln. Es herrschte Planwirtschaft. Die Bevölkerung wurde unzufriedener, da trotz der Normerhöhung die Versorgungslage schlecht blieb, die Innenstädte zusehens verfielen und die Infrastruktur katastrophal war. Die DDR entwickelte sich zu einem totalem Überwachungsstaat. Der Geheimdienst MfS war Staat im Staate und überall präsent. Es wurde belauscht, bespitzelt und überwacht. Schon am

17.06.1953 kam es zum Volksaufstand. Arbeiter forderten politische Freiheit, freie und geheime Wahlen und den Abzug der Roten Armee. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen. Ende der 50er Jahre entwickelte sich die Fluchtbewegung aus der DDR zu einer Massenabwanderung von Bauern, Akademikern und jüngeren Facharbeitern. Deshalb ließ die SED- Führung mit sowjetischer Rückendeckung am Morgen des 13. August 1961 die Demarkationslinie zwischen dem östlichen und den westlichen Stadtteilen Berlins mit Stacheldraht versperren. Eine zunächst provisorische und dann rasch ausgebaute Mauer quer durch Berlin wurde errichtet; die gesamte Grenzlinie von der Ostsee bis Bayern wurde durch ein vielfältiges Sicherheitssystem undurchdringlich gemacht. Die Grenztruppen bekamen Anweisungen, auf Flüchtlinge gezielt zu schießen. Die Bevölkerung war sozial abgesichert, es gab keine Arbeitslosen, die Mieten waren niedrig anderseits herrschte Mangelwirtschaft, eingeschränkte Reisefreiheit und Politische Bevormundung.

2. Der Zusammenbruch der SED- Herrschaft 1989

In den 28 Jahren von 1961 bis 1988 hatten 616 066 Bewohner der DDR ihren Staat in Richtung Bundesrepublik Deutschland verlassen. 382 481 von ihnen kamen ,,legal", das heißt mit Genehmigung der DDR-Behörden, als ,,Übersiedler". 163 815 flüchteten über andere Länder. 40 100 überwanden die Sperranlagen, der größte Teil in den Jahren unmittelbar nach dem Mauerbau, als die spätere Perfektion der Grenzsperren noch nicht erreicht war. Eine besondere, international wohl einmalige Kategorie bildeten die 29 670 ,,freigekauften Häftlinge", die sich die DDR in harten DM bezahlen ließ. Für die Partei- und Staatsführung war dies ein zum Teil gewollter Aderlaß; er verminderte das Protest- und Oppositionspotential. Die Gründe für die Flucht sind vielfältig: Unzufriedenheit über mangelnde Reisemöglichkeiten, eingeschränkte Rechte bei der Meinungsäußerung, Mangel an politischer Freiheit, die Verlogenheit der Medien, die im Vergleich zu Westdeutschland schlechtere Versorgungslage, der Verfall zahlreicher Städte und Betriebe. Dies alles hat Verdruß erzeugt - und Entschlossenheit. Die Lage änderte sich 1989. Der angestaute Unmut brach sich Bahn. Im Mai hatte es wieder die üblichen ,,Wahlen" nach Einheitsliste und ohne Benutzung der Wahlkabinen gegeben. Dazu kamen massive Wahlfälschungen aller Art, die diesmal erstmalig auf öffentliche Proteste stießen. Vielen DDR-Bewohnern stand jetzt das Vorbild von Perestrojka und Glasnost in der UdSSR und der Demokratisierungsbewegungen in Polen und Ungarn vor Augen. Die DDR-Führung ging jedoch zu diesen Entwicklungen auf Distanz, verbot sowjetische Filme und Zeitschriften und begrüßte dafür demonstrativ die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung in China Im Sommer 1989 flüchtete eine zunehmende Zahl von DDR-Bewohnern, vor allem Familien mit kleinen Kindern, in die Botschaften der Bundesrepublik Deutschland in Budapest, Prag und Warschau. Bald waren es Tausende. Deren Hoffnungen richteten sich vor allem auf Ungarn. Dieses Land hatte begonnen, seine Grenzbefestigungen zu beseitigen. Demonstrativ hatten der österreichische und der ungarische Außenminister den Stacheldraht am ,,Eisernen Vorhang" zerschnitten. Eine symbolische Geste, die noch vor kurzem niemand für möglich gehalten hätte. Aber die DDR drängte auf Rückführung ihrer Bürger und pochte auf Vertragsregelungen aus den 60er Jahren. Wie sollte ein solcher Rücktransport von Zehntausenden aussehen? Die ungarische Regierung berief sich auf internationale Vereinbarungen über Menschenrechte im Rahmen der UN-Charta und der KSZE-Schlußakte von Helsinki und öffnete im September 1989 ihre Grenzen. In Zügen, die über die DDR geleitet wurden, folgten die ,,Botschaftsflüchtlinge" aus Prag und Warschau. Bis Ende Oktober 1989 wurden rund 50 000 dieser Flüchtlinge gezählt, die die Bundesrepublik Deutschland erreicht hatten, hinzu kamen rund 60 000 legale Übersiedler. Da sich bildende Oppositionsgruppen als ,,staatsfeindlich" galten und sich nicht öffentlich äußern konnten, wurde die Evangelische Kirche zum Sprecher der unzufriedenen Bevölkerung.

3. Oktober 1989

3.1. 7. Oktober Die DDR wird an diesem Tag 40 Jahre alt. Der von Krankheit und Alter gekennzeichnete Honecker feiert noch einmal die DDR als vorbildlichen Staat. Der Morgen beginnt in Ostberlin mit Aufräumarbeiten. Straßenkehrmaschinen beseitigen die Überreste des propagandistischen Fackelzuges der Freien Deutschen Jugend (FDJ). 100 000 Jugendliche waren am Vorabend an Staats- und Parteichef Erich Honecker vorbeigezogen. Um 10.00 Uhr beginnt auf der Karl- Marx- Alle eine große Militärparade, gegen die die westlichen Alliierten protestieren. Am Nachmittag gibt es Volksfeste in allen Stadtbezirken. Gegen 17.00 Uhr finden sich einige hundert Jugendliche auf dem Ostberliner Alexanderplatz zusammen, um ,,auf die Wahlen zu pfeifen". Mit einem Konzert aus Trillerpfeifen protestieren sie gegen die Manipulation der jüngsten Kommunalwahlen. Mit den Umstehenden wird diskutiert, dann werden die ersten Sprechchöre laut. Im Gegensatz zu früheren Kundgebungen, bei denen zu hören war ,,Wir wollen raus!", heißt es diesmal trotzig "Wir bleiben hier!". Damit soll signalisiert werden, daß sich die angestauten Probleme nicht einfach abschieben lassen, sondern im Lande selbst geklärt werden müssen. Die Gruppe macht sich auf den Weg in Richtung Palast der Republik, wo zu dieser Zeit die Partei- und Staatsführung mit ihren Gästen, darunter auch der sowjetische Reformpolitiker Michail Gorbatschow, offiziell Geburtstag feiert. Die inzwischen auf 200 - 300 Personen angewachsene Menge skandiert immer wieder ,,Gorbi, hilf uns" und ,,Wir sind das Volk". Doch der Demonstrationszug wird von der Polizei abgedrängt und zieht daraufhin in Richtung des nördlichen Stadtbezirkes Prenzlauer Berg. Hier findet seit einer Woche in der Gethsemanekirche eine Mahnwache für politische Gefangene statt. Als die Demonstranten an der staatlichen Nachrichtenagentur ADN vorbeikommen, rufen sie ,,Lügner, Lügner" und ,,Pressefreiheit - Meinungsfreiheit". Die ersten Mannschaftswagen fahren heran. Polizisten sperren die Seitenstraßen ab. Es kommt zu Handgreiflichkeiten, zu Verhaftungen und zum Einsatz von Gummiknüppeln. ,,Keine Gewalt!" ruft die Menge und strebt weiter vorwärts. Anderthalbtausend Menschen erreichen schließlich die Gethsemanekirche an der Schönhauser Allee. Spezialeinheiten der Polizei und der Staatssicherheit riegeln das Gebiet hermetisch ab. Gegen Mitternacht kommt der Befehl zum Losschlagen. Obwohl kein Friedensgebet in Leipzig stattfindet, versammeln sich rund 10 000 Demonstranten in der Nähe der Nikolaikirche. Die Polizei löst die Ansammlung unter Einsatz von Wasserwerfern auf. Jugendliche rufen in Großolbersdorf ,,Freiheit, Freiheit" und singen das Deutschlandlied. In Treuen stecken Jugendliche am Platz der Deutsch - Sowjetischen Freundschaft eine rote Arbeiterfahne in Brand und hissen die Deutschlandfahne. In Neustadt in der St.- Jacobi- Kirche verlangt der Super Intendent in seiner Predigt den Rücktritt Honeckers.

In Dresden hält der Super Intendent Christof Ziemer in der Kreuzkirche eine Predigt, ruft zur Gewaltfreiheit auf. Die abendliche Demonstration auf der Prager Straße wird erneut brutal aufgelöst. Am gleichen Abend findet in dem kleinen Ort Schwante nördlich von Berlin die Gründung einer Sozialdemokratischen Partei (SDP) für die DDR statt. Sie fordert eine ökologisch orientierte soziale Marktwirtschaft mit demokratischer Kontrolle ökonomischer Macht, freie Gewerkschaften nebst Streikrecht, Reisefreiheit und Auswanderungsrecht sowie Anerkennung der Zweistaatlichkeit Deutschlands.

3.2. 9.Oktober In Leipzig spitzt sich die Lage der allwöchentlichen Montagsdemonstration oppositioneller Kräfte gefährlich zu. Es wird bekannt, daß medizinisches Personal für die Spät- und Nachtschicht zwangsverpflichtet wurde, ganze Krankenhausstationen geräumt sind und zusätzliche Blutkonserven bereitstehen. Für den Abend wird Schlimmstes befürchtet. Das Syndrom des ,,himmlischen Friedens" geht um, gewaltsame Lösungen wie in China, mit vielen Verletzten und womöglich auch Toten, werden nicht mehr ausgeschlossen. In dieser Situation finden sich prominente Künstler, darunter der Chefdirigent des Gewandhauses Kurt Masur, ein Pfarrer und drei Sekretäre der Bezirksleitung der SED zusammen, um eine Initiative zur Deeskalation zu starten. Über den Stadtrundfunk wird am Nachmittag ihre gemeinsame Erklärung verbreitet: ,,Wir sind von der Entwicklung in unsrer Stadt betroffen und suchen nach einer Lösung. Wir alle brauchen freien Meinungsaustausch über die Weiterführung des Sozialismus in unsrem Land. (...) Wir bitten Sie dringend um Besonnenheit, damit der friedliche Dialog möglich wird." Nach dem traditionellen Friedensgebet in der Nikolaikirche erlebte Leipzig die größte Protestdemonstration der DDR seit dem 17.Juni 1953.70 000 Menschen ziehen durch die Innenstadt, der Georgi- Ring ist menschenübersät. Die Polizei hat sich fast vollständig zurückgezogen, greift nur noch verkehrsregelnd ein. Angehörige der Kampfgruppe werden umringt und in Diskussionen verstrickt. Immer wieder erschallen die alles bestimmenden Rufe: " Gorbi, hilf uns", ,, Wir sind keine Rowdies" und ,, Wir sind das Volk".

3.3. 18.Oktober Am Morgen beklagt der bekannte Dresdner Wissenschaftler Manfred von Ardenne, er habe den Eindruck, daß der Ernst der Situation bis zur Stunde von der SED- Führung noch nicht erkannt sei. Es fehlten ,, wesentliche Taten und Veränderungen". Damit artikuliert er den Eindruck der Mehrheit der Bevölkerung. Am Nachmittag kommt dann die Sensationsmeldung des Tages: Erich Honecker ist zurückgetreten. Zum neuen Generalsekretär des SED- Zentralkomitee wurde auf seinen Vorschlag Egon Krenz gewählt. Wie es in der Mitteilung über die ZK- Tagung weiter heißt, wurden auch die Politbüromitglieder und ZK- Sekretäre Günter Mittag (Wirtschaft) und Joachim Herrmann (Agigation) aus ihren Funktionen abberufen. Zum ersten mal erfolgte ein Führungswechsel, den die Bevölkerung erzwungen hatte. Damit war das eigentliche Machtzentrum um Erich Honecker zerschlagen, eine ganze Epoche in der Geschichte der DDR beendet. Diese drei Männer hatten sich im Laufe der Jahre eine Befehlsgewalt angeeignet, die an klassischen Absolutismus grenzte. Honeckers engster Vertrauter Günter Mittag dirigierte und überwachte

22 Wirtschaftsministerien, 224 Kombinate und 3 526 Industriebetriebe. Über ein ähnliches Imperium verfügte Joachim Herrmann. Ihm unterstanden nicht nur sämtliche SED- eigenen und - nahestehenden Medien, sondern über die Schaltstelle Presseamt beim Ministerrat auch die Nachrichtenagentur, Rundfunk, Fernsehen sowie alle übrigen Zeitungen und Zeitschriften. Per Telefon wies er allabendlich an, wie die Zeitungen des nächsten Tages auszusehen hätten, welche Größe das Honecker- Foto auf Seite eins haben sollte und wo eine unliebsame Meldung, die sich nicht verhindern ließ, im Innenteil zu verstecken war. Am Abend zeigt das DDR- Fernsehen die erste öffentliche Erklärung von Egon Krenz in seiner neuen Funktion. Der frühere Chef des zentralen Jugendverbandes FDJ, der zuletzt im SED- Zentralkomitee für Sicherheits- und Kaderfragen zuständig war, läßt dabei wenig Gespür für die Erwartungen der Bevölkerung erkennen, gesteht aber erstmals Fehler in der politischen Führung ein: ,, Fest steht, wir haben in den vergangenen Monaten die gesellschaftliche Entwicklung in unserem Lande in ihrem Wesen nicht real genug eingeschätzt und nicht rechtzeitig die richtigen Schlußfolgerungen gezogen." Nebulös spricht er davon, daß er in der DDR eine ,, Wende" einleiten wolle. Krenz wurde von der Mehrheit der Bevölkerung nicht als glaubwürdiger Vertreter eines Reformkurses akzeptiert und konnte sich nur einige Wochen halten.

4. 4.November 1989

Schon seit dem frühen Morgen ist die gesamte Ostberliner Innenstadt mit Demonstranten gefüllt. Der Verkehr ruht vollständig. Schauspieler mit grün- gelben Schärpen und der Aufschrift ,, Keine Gewalt" wirken als Ordner und werden von allen wohlwollend akzeptiert. Mit der Volkspolizei ist eine Sicherheitspartnerschaft verabredet. Uniformierte sind fast nirgends zu sehen, nicht einmal vor der Volkskammer und dem Staatsgebäude, wo fünf Stunden lang Hunderttausende vorbeiziehen, um Presse- und Versammlungsfreiheit zu fordern, radikale Reformen einzuklagen. Nach offiziellen Schätzungen sind mehr als eine halbe Millionen Menschen beteiligt. Es ist die größte Protestdemonstration in der Geschichte der DDR. Zum Abschluß findet auf dem Alexanderplatz eine Kundgebung statt, zu deren Eröffnung der Schauspieler Ulrich Mühe soviel gemeinschaftliche Entschlossenheit, spontanen Einfallsreichtum und bei aller Radikalität auch Besonnenheit erlebt. Die Schriftstellerin Christa Wolf verweist darauf, daß die revolutionäre Bewegung auch die Sprache befreit habe. ,, Was bisher so schwer auszusprechen war, geht uns auf einmal frei von den Lippen. Wir staunen, was wir offenbar schon lange gedacht haben und was wir uns jetzt zurufen: ,,Demokratie- jetzt oder nie!", und wir meinen Volksherrschaft".

Auch wenn die schwierigste Phase der Umgestaltung noch bevorsteht, sind sich an diesem Tag doch alle darin einig: In den letzten vier Wochen hat sich in der DDR mehr verändert, als in vier Jahrzehnten zuvor. Der 4. November wird zum Markstein. Von nun an kann die SEDFührung an den Forderungen der Massen nicht mehr vorbei, geht es nicht mehr zu alten Herrschaftspraktiken zurück.

5. Transparente machen Geschichte Wir sind das Volk

,,Wir sind das Volk"- dieser schlichte Satz hat Weltgeschichte gemacht. Er bündelte unterschiedliche Interessen zu gemeinsamen Aufbegehren, er diente als Sprengkraft und als Programm. Seine Signalwirkung rührt aus vier Jahrzehnten Propaganda her, in denen eine sich immer mehr vom Volk entfernende Führung, immer lauter behauptete alles für das Volk zu tun, ganz in seinem Sinne zu handeln. Dem setzten Hundert- tausende ein klares Zeichen entgegen. Sie sprachen der Führung mit diesem einen Satz jede Legitimität ab, denn nur aus der Behauptung, Sachwalter der Volksinteressen zu sein, leitete sich ihr Herrschaftsanspruch ab, der durch keine ehrlichen Wahlen untermauert war. Das Volk nahm seine Entmündigung nicht länger hin. Während sich ringsum Veränderungen vollzogen, versuchte Erich Honecker die verkrusteten Strukturen weiter zu zementieren. Doch weder die Manipulationen bei den Kommunalwahlen im Frühjahr 1989, noch die eingeschränkten Reisemöglichkeiten konnten das überlebte System retten. Im Gegenteil: Zehntausende verließen über Ungarn und die CSSR das Land in Richtung Westen. Im Inneren formierten sich neue Oppositionskräfte. Prominente Künstler und Schriftsteller engagierten sich für die Bewegung. Bald gingen die ersten Menschen auf die Straße, wo sie mit Gummiknüppeln, Wasserwerfern und Hundestaffeln empfangen wurden. Doch ihnen folgten trotz allem Tausende und Abertausende nach. Sie machten deutlich: "Wir sind das Volk". Und dieses Volk ließ sich weder abwählen noch auswechseln. Entschlossen und besonnen meldete es seine Forderungen an, verlangte nicht nur gehört zu werden, sondern endlich selbst entscheiden zu können. ,,Wir sind das Volk." Damit wird den Herrschenden das Recht abgesprochen, weiter im Namen des Volkes zu agieren. Der Ruf geht zugleich an die Grundfeste der oft beschworenen Einheit von Partei und Volk, die als Legitimation für die Vorherrschaft der SED diente. In ihm bündelt sich der Wille zu einer radikalen Umgestaltung.

Das Volk will selbst wählen ! Egon - Nein Danke! Erich Honecker wurde von Egon Krenz abgelöst. Zum neuen Generalsekretär des SED-Zentralkomitee wurde auf Erich Honeckers Vorschlag Egon Krenz gewählt. Somit war klar, daß sich nichts ändern wird. Das Volk wollte aber selbst die Regierung wählen, doch man hat es nicht gelassen.. Man will Egon Krenz nicht als Nachfolger von Erich Honecker, da es dann so weiter gehen würde, wie bisher. Für ein offenes Land mit freien Menschen Die Menschen wollten sich ein eigenes Bild von der Welt machen und selbst hinter den ,,Eisernen Vorhang" schauen. Die Bespitzelung und Denunziation durch Staatssicherheit, die allgegenwärtige Bevormundung sollten ein Ende haben.

Sinnvoller Zivildienst Wenn man die Waffe verweigerte und somit den Zivildienst antreten wollte, dann wurde man zum ,,Bausoldat". Man mußte Gebäude, Flugplätze, Grenzanlagen oder ähnliches bauen. Somit waren alle Männer Soldaten, nur manche verweigerten die Waffe. Um das zu ändern forderte man einen sinnvollen Zivildienst.

Wir fordern freie Wahlen Man wollte selbst entscheiden und ganz offen die Regierung wählen. Man forderte geheime und freie Wahlen, doch dies war zu DDR-Zeiten nicht möglich. Bei einer Wahl wurden Kandidaten vorgestellt und man konnte nur den Zettel falten und in die Wahlurne werfen. Das bedeutete eine Ja- Stimme. Wenn man die Wahlkabine benutzte um den Stimmzettel durchzustreichen, ,,Nein" darauf zuschreiben oder wenn man sich an der Wahl nicht beteiligte, bekam man das meist irgendwann zu spüren. Man würde sich somit seinem Staat verweigern. Dies konnte negative Folgen im Berufsleben ( z.B. Verweigerung von Aufstiegsmöglichkeiten) oder im privaten Bereich (z.B. Nichtberücksichtigung bei Wohnungsvergabe, Urlaubsplatz, Visum usw.) haben. Weitere Transparente - Wahlbetrüger vor Gericht ! - Reden ist Silber! Arbeiten ist Gold! - Reisegesetz ohne Einschränkung - Visafrei bis Hawaii - Die führende Rolle dem Volk - Gegen das SED-Monopol! Für Chancengleichheit aller Parteien! - Lieber nackt studieren als in Uniform krepieren - Unabhängige Studentenschaft Greifswald - Freiheit !!!

6. 9. November 1989- Mauerfall Das SED- Zentralkomitee setzt seine Plenartagung fort.

Doch schon nach einem Tag zeigt sich die Fragwürdig- keit der Auswahl der neuen Führungskader: 24 Stunden nach ihrer Wiederwahl ins Politbüro setzt die Bezirks- basis die 1. Sekretäre Hans- Joachim Böhme in Halle, Werner Walde in Cottbus und Johannes Chemnitzer in Neubrandenburg wieder ab. Auch die langjährige Frauenbeauftragte des SED- Politbüros Inge Lange tritt von ihrem Posten zurück. Es herrscht allgemeine Konfusion. Das neu formierte Politbüro einigt sich in einer Mittagspause darauf, mit einem Beschluß des Minister- rates kurzfristig eine neue Regelung für Westreisen in Kraft setzten zu lassen, um den anhaltenden Ausreise- strom über die CSSR künftig über die eigenen Grenzübergangsstellen abzuwickeln. Die Modalitäten dazu sollen am nächsten Tag von der Regierung bekanntgegeben werden. Auf einem Hinterhof im Bezirk Prenzlauer Berg in Ost- Berlin findet die erste zugelassene Presse- konferenz des ,,Neuen Forum" statt 17.00 Uhr beginnt die Live- Übertragung der Pressekonferenz mit Politbüromitglied Günter Schabowski. Am Abend informiert er über die Ergebnisse des ZK- Plenums. Er teilt mit, daß für Mitte Dezember eine Parteikonferenz einberufen worden sei. Auf die Frage, warum man sich für keinen Sonderparteitag entschieden habe, bei dem doch die gesamte Führung hätte erneuert werden können, meint er, dies hätte laut Statut zwei Monate Vorbereitungszeit gekostet, was für die gegenwärtige Situation zu viel wäre. Kurz vor Ende der Pressekonferenz, um circa 19.00 Uhr, wird er von einem italienischen Journalisten zum fehlerhaften Reisegesetzentwurf vom 6. November befragt. Daraufhin verkündete Schabowski, daß heute eine neue Entscheidung zur Regelung der ständigen Ausreise getroffen worden sei. Er verliest dann die eigentlich für den nächsten Tag bestimmte Pressemitteilung, wonach künftig Privatreisen auch ohne besondere Voraussetzungen bei der Polizei beantragt werden können. Auf die Frage ,,Wann tritt das in Kraft?" antwortet Schabowski: ,,Nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich." Wenig später verkünden die Nachrichtenagenturen AP und dpa, die DDR habe ihre Grenzen geöffnet. Die Meldung wird zum Aufmacher der Hauptnachrichtensendungen am Abend. Tausende Ostberliner strömten daraufhin zu den Grenzübergängen, um sich von dem Unglaublichen vor Ort zu überzeugen. Doch dort ist alles verschlossen, denn die Offiziere haben bisher keinerlei Weisungen zur Öffnung erhalten. Es spielen sich tumultartige Szenen ab. Tausende drängen von hinten nach, vorn am Schlagbaum wird es immer bedrohlicher. Keiner weiß genau, ob es sich um ein Gerücht, einen Versprecher oder tatsächlich um eine gültige Entscheidung handelt. Auch die Grenzsoldaten sind nicht aussagefähig und völlig überfordert. Eine halbe Stunde vor Mitternacht entschließen sich einzelne Grenz- kommandanten, die Tore einfach zu öffnen. Die Meldung an die Zentrale lautet: ,,Wir fluten jetzt." Viele waren schon dabei ins Bett zu gehen, als sie aus Radio oder Fernsehen von der Grenz- eröffnung erfuhren. Unter dem Motto: ,, Wer jetzt noch schläft, der ist tot!" machten sich über 70 000 Menschen in der Nacht vom 9. zum 10. November auf den Weg, um die neue Reisefreiheit zu testen. Niemand hatte daran geglaubt, daß die Mauer so schnell verschwinden würde, und nur wenige können in dieser ersten Nacht in Worte fassen, was sie fühlen. In dieser historischen Stunde, fallen sich wildfremde Menschen unter Freudentränen in die Arme und trinken ,, Rotkäppchen"- Sekt miteinander auf die neue Freiheit. Die Wachtürme ringsherum sind sinnlos geworden: ,, So ein Tag, so wunderschön wie heute ..." Das deutsch- deutsche Wort der Stunde: ,, Wahnsinn" Tausende aus Ost und West versammeln sich auf geschichtsträchtigem Boden, feiern zwischen Reichstag und Brandenburger Tor. Durch dieses deutsche Symbol wollen alle flanieren. West- Berliner klettern auf die Mauer und Ost- Soldaten schauen zu. Die DDR- Grenzer können die Westler erst am Morgen des 10. Novembers von ihrem Staatsgebiet vertreiben. 28 Jahre, zwei Monate und 27 Tage hatte die DDR ihre Bürger mit dem ,, Bollwerk gegen westliche Militaristen, Revanchisten und Monopolkapitalisten" gefangen gehalten. Auf 150 Kilometern gab es 302 Wachtürme, 295 Hundelaufanlagen und 20 Erdbunker. Bei dem Versuch, über diese ,, moderne Friedensgrenze" zu fliehen, wurden 255 Menschen getötet. Der letzte im Februar 1989. ,, Es ist keine schöne Lösung, aber eine Mauer ist verdammt noch mal besser, als ein Krieg!" So hatte damals US- Präsident John F. Kennedy 1961 den Bau kommentiert. Jetzt schlagen West- Berliner mit Spitzhacken und schweren Hämmern auf das Bollwerk ein. Der Spuk soll schnell ein Ende haben. Die Brocken nehmen sie als Trophäen mit nach Hause. Ausgesuchte große Stücke werden offiziell weltweit verkauft, manche landen in Museen.

6. Die Tage nach der Grenzeröffnung

,, Ost- Berlin macht blau, West- Berlin macht Überstunden"- in den Tagen nach der Grenzeröffnung strömen Hunderttausende Ossis in den Westen, vorbei an Grenzposten, die die Welt nicht mehr verstehen. Drüben dirigiert Daniel Barenboim die Philharmoniker exklusiv für DDR- Bürger, in Discos haben sie freien Eintritt, die staatlichen Bühnen und das Renaissance- Theater verteilen Freikarten, und in der Deutschlandhalle geben am 12. Oktober 20 Rockmusiker und -bands das ,, Konzert für Berlin" Willy Brand ist einer der ersten Politiker, die nach der Grenzeröffnung an der Mauer stehen. Sein politisches Leben ist wie kein anderes mit dem Monument der Teilung verbunden: Als der Osten sich 1961 ab- riegelte, war er regierender Bürgermeister von Berlin, und seine Ost- politik als Bundeskanzler war es, die der Wende den Weg ebnete. Am Freitag, dem 10. November, geht der Lebenstraum des Sozialdemo- kraten in Erfüllung: ,,Es wächst zusammen, was zusammen gehört." Am Wochenende nach der Grenzeröffnung rollt eine blau qualmende, im Zweitakt ratternde Lawine aus Blech und Plaste über die deutsch- deutsche Grenze. Drei Millionen DDR- Bürger stehen im Stau. Sie wollen in grenznahen Städten wie Hof oder Lübeck den Westen kennenlernen. Ihre 100 Mark Begrüßungsgeld setzten sie in lang vermißte Waren wie Kaffee, Bananen und Radios um.

7. Heute

Ich selbst habe meine frühe Kindheit in der DDR verbracht, wurde dort geboren und habe dort gelebt. Doch an die politischen Geschehnisse kann ich mich nicht mehr erinnern. Damals habe ich nichts anderes gekannt. Es hat mir so gefallen wie es war. Von Erzählungen her lernte ich ,,das wahre Gesicht" der DDR kennen und weiß, wie viele Menschen unzufrieden waren ( Versorgungslage, Reisefreiheit, Meinungsfreiheit ). Südfrüchte, Kaffee usw. sind heute nichts besonderes mehr, eine Fahrt nach Berlin oder Dresden keine ,,Weltreise" und ein Urlaub im Ausland nichts Unvorstellbares. Wer heute berufstätig ist und ein festes Einkommen hat, dem stehen viele Wege offen. Doch auch heute sind viele Menschen mit der Politik unzufrieden. Manche wünschen sich sogar die DDR zurück. Die Arbeitslosenquote ist gerade im Osten Deutschlands sehr hoch. Menschen ohne Arbeit haben zwar sehr viel Zeit diese neuen Möglichkeiten zu genießen, können es aber aus finanziellen Gründen nicht. Es gibt auch einige, die nicht damit klarkommen, daß man sich um viele Dinge selbst kümmern muß. In der DDR war von Kindesbeinen an der Weg vorgezeichnet. Kinderkrippe, Kindergarten, Schule, Lehre, Beruf. Eigentlich ein bequemes Leben. Für die, welche vom ,,Sozialistischen Staat DDR" überzeugt waren, die der DDR-Propaganda glaubten, die BRD und deren NATO-Verbündete wollten der ,,friedliebenden DDR" an den Kragen, brach mit der Wende eine Welt zusammen. Sie resignieren und reden nur vom Guten in der DDR. Ich denke es wird immer irgendwelche Unzufriedenheit geben und man kann auch nie allen alles recht machen. Es wird nie so sein, daß alle Menschen glücklich und zufrieden sind.

Excerpt out of 10 pages

Details

Title
Der Zusammenbruch der SED-Herrschaft im Herbst 1989
Grade
1
Author
Year
1999
Pages
10
Catalog Number
V102522
ISBN (eBook)
9783640009046
File size
408 KB
Language
German
Keywords
Herbst
Quote paper
Liane Wehder (Author), 1999, Der Zusammenbruch der SED-Herrschaft im Herbst 1989, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102522

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