Die Krise der Regierung Bucaram


Hausarbeit, 1998

22 Seiten, Note: 1


Leseprobe


EINLEITUNG

DAS POLITISCHE SYSTEM ECUADORS

Militärdiktatur

Transition

Machtposition des Militärs nach der Transition Der Präsident

Die Verfasstheit der Parteien und das Wahlsystem Politische Kultur in Ecuador

Der Kongress

DIE REGIERUNG BUCARAM

Wahlkampf und politischer Stil Die Regierung und ihre Projekte Der Machtwechsel

Die Akteure und ihre Motivationen

Die FUT und das Volk

Rosalía Arteaga

Fabián Alarcon und der Kongress Das Militär

Die USA

SCHLUSS

LITERATUR

QUELLEN IM INTERNET

ABKÜRZUNGEN

Einleitung

Am 10. August 1996 wurde Abdalá Bucaram als der sechste Präsident nach der Rückkehr zur Demokratie 1979 vereidigt. Anfänglich von den Massen gefeiert, zeigte sich bald, dass er die schlimmsten Eigenschaften der ,,Oligarquía", der er eigentlich den Kampf angesagt hatte, in sich vereinigte: Nepotismus, Korruption, Unentschlossenheit, Reformstau, Autoritärer Führungsstil lauteten die Vorwürfe, die letztendlich zu seiner Entmachtung nach nur 6 Monaten Amtszeit führten.

Der Vorgang der Amtsenthebung Bucarams und der anschließenden Wahl des bis dato als Kongresspräsident amtierenden Fabián Alarcón, ein bisher einmaliger Vorgang in der nun 20 Jahre seit der (Re-) Demokratisierung, wirft in der Analyse einige Probleme auf: Zwar war die Entmachtung mit Sicherheit von der großen Mehrheit der Bevölkerung und auch der einflussreichen Gruppen der Militärs, der Bank- und Handelschefs sowie den Gewerkschaften und anderer Verbände getragen und somit im Sinne einer pluralistischen Demokratie legitimiert. Andererseits gelang der Regierungswechsel nur durch eine Verletzung der Verfassung, die es dem Kongress eigentlich nicht gestattet, den Präsidenten abzuwählen. Weiterhin waren die Rolle, die das Militär während des Machtwechsels spielte, und der außenpolitische Druck, der von den USA ausging, von entscheidender Bedeutung. Das Problem stellt sich unter dem Gesichtspunkt demokratischer Konsolidierung daher folgendermaßen: einerseits stellt die Beachtung institutioneller Regeln und demokratischer Verhaltensweisen einen zentralen Punkt aller Theorien der demokratischen Konsolidierung dar - um mit Przeworsky zu sprechen: ,,Democracy is a system in which parties lose elections."1Und sie akzeptieren die gewählte Regierung wenigstens bis zur nächsten verfassungsmässig vorgesehenen Wahl.

Nach O´Donnel müsste man die Demokratie in Ecuador als noch immer nicht konsolidiert einstufen, widerspricht doch die Amtsenthebung der Bedingung, dass ,,elected officials should not be arbitrarily terminated before the end of their constitutionally mandated terms."2. Der Einfluss, den Militär und USA in Form ihres Botschafters nahmen, scheint ein Präzedenzfall für die Nichterfüllung des Kriteriums, dass ,,the elected authorities should not be subject to severe constraints, vetoes, or exclusion from certain policy domains by other, nonelected actors, especially the armed forces"3.

Dieser Aufsatz will zeigen, dass diese Kriterien nur formale Gültigkeit haben und im Einzelfall tatsächlich sich ins Gegenteil verkehren können.

So wurde die Regierung Bucaram zwar demokratisch gewählt, handelte jedoch in der Regierungspraxis autoritär und an den Bedürfnissen der Gesellschaft vorbei. Die Abwahl unter Inkaufnahme der Verletzung des institutionellen Rahmens stellt daher eher eine Rückkehr zum Normalzustand der Demokratie dar als einen gegen die demokratischen Institutionen gerichteten Akt.

Um diese Annahme zu begründen, sollen insbesondere die Motive der einzelnen Akteure im Hinblick darauf untersucht werden, inwiefern sie sich von demokratischen Normen und institutionellen Vorgaben leiten ließen.

Der Aufsatz versucht nicht, Urteil über den tatsächlichen Status der Demokratie in Ecuador abzugeben; zu viele Faktoren müssten dabei berücksichtigt werden, die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden. Zwar erfüllt das politische System Ecuadors alle von Dahl für eine ,,Polyarchy" vorgegebenen Kriterien4, jedoch die Zivilgesellschaft, die Repräsentation von Minderheiten, das Parteiensystem und die Kontrolle der Exekutive lassen einiges zu wünschen übrig.

Im nachfolgenden wird nun das politische System Ecuadors kurz dargestellt, in einem zweiten Schritt soll die Wahl Abdalá Bucarams und die kaum ein halbes Jahr später folgende Regierungskrise, die zur Abwahl des Präsidenten führte, detaillierter dargestellt werden. Dabei werden zuerst die Ursachen der Krise untersucht, sowohl die strukturellen als auch die von der Regierung selbst hervorgerufenen. Danach werden die Motive der einzelnen Akteure einer Analyse unterzogen.

Das politische System Ecuadors Die nun folgenden Ausführungen über die Militärdiktatur und die Transition zur Demokratie stützen sich im wesentlichen auf Anita Isaacs ,,Military Rule and Transition in Ecuador" Militärdiktatur Unter dem General Rodriguez Lara ab 1972, dann unter einem Triumvirat von 1976-78, war die politische Führung Ecuadors in den Händen des Militärs, das sich angesichts des dringenden Reformbedarfs in der Gesellschaft und der offensichtlichen Unfähigkeit Präsident Velasquo Ibarras dazu berufen fühlte, die Modernisierung des Staates voranzutreiben. Die drei Hauptziele waren dabei die Garantie der nationalen Souveränität, Wirtschaftswachstum und die Minderung der Klassenunterschiede. Gestützt durch Einnahmen aus der zeitgleich mit dem Regime beginnenden Ölförderung wurden zahlreiche Reformen in Angriff genommen, die sicherstellen sollten, dass der neue Reichtum nicht nur den oberen Klassen zugute kommen werde. Während die sozialen Reformen nur wenig Auswirkungen zeigten und weit hinter den hoch gesteckten Zielen zurückblieben, gelang es dem Militär, eine Periode des Wirtschaftswachstums zu schaffen und die Ölförderung staatlicher Kontrolle zu unterwerfen5.

Similarly, however critical one is of the military´s performance during the 1970s, the fact remains that the years of military rule were characterised by rapid economic expansion and partial reformism. The armed forces intervened on the eve of an oil boom and withdrew to the barracks before the economic crisis of the 1980 struck. (Isaacs, S. 64)

Auch Zensur und Festnahmen politischer Gegner, sonst Begleiterscheinungen diktatorischer Regime, war in Ecuador weitgehend unbekannt. Die herrschenden Generäle versuchten im Gegenteil, auf Kritik und Anregungen vor allem aus den wirtschaftlichen Eliten einzugehen und diese in den politischen Prozess zu integrieren, betrieben allerdings keinerlei Anstrengungen, eine organisierte Arbeiterschaft zu schaffen oder Vertreter der unteren Volksschichten an der Politik zu beteiligen.

Die Stabilität, der wirtschaftliche Erfolg und die, verglichen mit anderen Militärdiktaturen in Südamerika, relativ milde Herrschaftsform der Militärs führten dazu, dass heute die Diktatur in den Augen breiter Schichten immer noch durchaus als alternative Regierungsform akzeptiert wird und ein grundsätzliches Bekenntnis zur Demokratie weite Bevölkerungskreise bis jetzt nicht erfasst hat.

Transition

Zwei Faktoren lösten schließlich einen Übergang zur Demokratie aus: auf der einen Seite der wachsende Unmut in der Bevölkerung und in den wirtschaftlichen Eliten, die ihre eigenen Interessen immer weniger durch General Rodriguez Lara vertreten sahen, und der nur mäßige Erfolg der sozialen und wirtschaftlichen Reformen. Auf der anderen Seite erwuchs Widerstand im Militär selber, da sich der Präsident zunehmend den anderen einflussreichen Offizieren entfremdete und, im Bestreben die Macht nicht zu teilen, sein Kabinett nach und nach von allen ihm nicht genehmen hochrangigen Offizieren säuberte. Dies führte zur Fraktionierung und Politisierung in den Streitkräften, die nach einem misslungenen Putschversuch 1975 ihre eigene Regierungsfähigkeit anzweifelten, schließlich im Konsens die Absetzung Laras beschlossen und den Übergang zur Demokratie einleiteten. Die Transition erfolgte also vor allem auch aus den Selbstzweifeln der militärischen Führer; eine stabile Demokratie sollte errichtet werden, die die begonnenen Reformen weiter fortführen sollte. Die Ausarbeitung einer neuen Verfassung wurde einzelnen Kommissionen übergeben, die

1. eine neue Verfassung ausarbeiten sollten

2. Die Verfassung von 1945 überarbeiten sollten und

3. die Regeln und Prozeduren definieren sollten, nach denen Parteiorganisation und Wahlen im zukünftigen Staat funktionieren sollten.

Am Prozess der Verfassungsgebung wurden so gut wie alle organisierten gesellschaftlichen und politischen Kräfte beteiligt. Von den zwei Verfassungen wurde die neuere schließlich per Volksentscheid angenommen, 1978 bzw. 1979 fanden die erste und zweite Runde der Präsidentschaftswahl statt, aus denen Jaime Roldos als Sieger hervorging. Der Übergang zur Demokratie vollzog sich weitgehend reibungslos, Probleme mit Menschenrechtsverletzungen einzelner Offiziere, wie sie aus anderen Diktaturen bekannt sind, spielten keine Rolle, und der Wille des Militärs, die Macht abzugeben, war offenkundig und akzeptiert.

Overall, therefore, the Ecuadorian experience fits the model prescribed for successful transitions from authoritarian to democratic rule. The process was gradual, negotiated though controlled by the military leadership, and focused on establishing the basis for rule and institutional agreement. (Isaacs, S. 123)

Machtposition des Militärs nach der Transition Während diese durch Pakte und Verhandlungen gekennzeichnete Zeit der Demokratie eine einigermaßen sichere Zukunft versprach, behielt sich das Militär jedoch einige Rechte vor, um seine Unabhängigkeit und bleibenden politischen Einfluss zu sichern. Zwar wurden im aktiven Dienst befindliche Angehörige der Streitkräfte von jedem politischen Amt ausgeschlossen, jedoch schreibt Art. 128, der in anderer Form auch in der neuen Verfassung von 1996 fortbesteht, der Armee eine Mitverantwortung bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes sowie bei allen Fragen der nationalen Sicherheit zu6. Die ungenaue Definition der nationalen Sicherheit bietet hier

- zumindest theoretisch - alle Möglichkeiten für politische Einflussnahme. Weiterhin wurde die Stellung des Verteidigungsministers für den ranghöchsten Offizier der Streitkräfte reserviert.

Tatsächlich wurde die immer noch sehr eigenständige Rolle des Militärs zum Beispiel während der Amtszeit von Febres Cordero (1984-88) offensichtlich, der nach zwei erfolglosen Aufständen von Seiten des Militärs schließlich für einen Tag gefangengenommen wurde und danach politisch erledigt war. In der darauffolgenden Präsidentschaftswahl gewann die bis dahin oppositionelleIzquierda Democrática(ID) das Präsidentenamt.

Der Präsident Der Präsident wird direkt und mit Mehrheit vom Volk gewählt. Wenn keiner der Kandidaten eine Mehrheit erreicht, erfolgt eine Stichwahl, was bis jetzt bei jeder Wahl seit der Einführung der Demokratie 1979 nötig war. Der Präsident kann nicht wiedergewählt werden. Die zweite Runde sollte die Legitimation des Präsidenten erhöhen und eigentlich die Bildung von Koalitionen zwischen den Parteien erzwingen.

Der Präsident hat weitgehende Vollmachten, so zum Beispiel die Möglichkeit, in Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung per Dekret Gesetze zu erlassen7, Freiheit bei der Zusammenstellung seines Kabinetts und - zumindest theoretisch - die oberste Befehlsgewalt über das Militär. Ihm unterliegt die Ausführung und - falls nötig - die Interpretation der vom Kongress beschlossenen Gesetze. Weiterhin ernennt der Präsident die Gouverneure der einzelnen Provinzen.

Der Präsident ist nicht abwählbar, es sei denn aufgrund von körperlicher oder geistiger Unfähigkeit, sein Amt auszufüllen oder wegen Verbrechen, die als Landesverrat eingestuft werden können8, was den Kongress zur Absetzung ermächtigt.

Die Verfasstheit der Parteien und das Wahlsystem Das Einsetzen der Kommission zur Ausarbeitung eines neuen Parteien- und Wahlgesetzes durch die militärischen Machthaber sollte zu einer stärkeren Integration der Parteien in den politischen Entscheidungsprozess führen und ihre Rolle als Koordinations- und Diskussionsforen bestärken.

Die Zulassung von Parteien erfolgt durch dasTribunal Supremo Electoral(TSE). Parteien, die auf nationaler Ebene Kandidaten aufstellen wollen, müssen

1. mindestens 0.5 % der Wählerschaft in 10 Provinzen als Mitglieder repräsentieren

2. ihre ideologischen Leitlinien sowie eine Liste der Parteiführer beim TSE einreichen

3. um an zukünftigen Wahlen teilzunehmen, in zwei aufeinenderfolgenden Kongresswahlen mehr als 5 % der Stimmen erhalten.

Kandidaten müssen, um zugelassen zu werden, einer vom TSE anerkannten Partei angehören, womit man sicherstellen wollte, dass gewählte Präsidenten oder Abgeordnete eine wenigstens einen das Mindestmass erfüllenden Rückhalt im Kongress besitzen und dass Präsidentschaftskandidaturen von populistischen ,,Unabhängigen" unmöglich würden. Trotz dieser relativ hohen Hürden, die ursprünglich dazu dienen sollten, die Fragmentierung des Parteiensystems zu überwinden und damit Koalitionen zu erleichtern, hat sich in der Praxis ein Multi-Parteien-System herausgebildet. Im augenblicklich amtierenden Kongress sitzen Abgeordnete von zwölf Parteien, in keinem Kongress seit der (Wieder-) Einführung der Demokratie betrug die Zahl der Parteien weniger als 10.

Ursache für diese Fragmentierung sind einerseits die politische Kultur in Ecuador und andererseits bestimmte Nebeneffekte, die von den - eigentlich auf Konzentration ausgerichteten - Parteien- und Wahlgesetzen ausgehen.

Politische Kultur in Ecuador Zwei Faktoren haben maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten der politischen Akteure: die Schwäche des Parteiensystems und die andauernden wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes.

Nach Conaghan ist das ecuadorianische Parteiensystem nach 1978 durch drei Faktoren besonders beeinflusst, und zwar durch

1. ,,an extreme multiparty system, ... [that] profoundly affects elite behavior and political strategies."

2. Fluktuation sowohl im Wahlverhalten der Bevölkerung als auch im Bekenntnis einzelner Politiker zu bestimmten Parteien, d. h. durchgängig sehr schwache Parteibindungen.

3. eine Verlagerung der tatsächlichen Regierungstätigkeit von den (Regierungs-) parteien weg in die Hände des Präsidenten und seiner ,,unabhängigen" ökonomischen Berater.9

Die Schwäche des Parteiensystems ist ein wesentliches Strukturmerkmal der politischen Kultur Ecuadors. Die häufigen Abspaltungen und Neugründungen von Parteien10rühren in ihrer großen Mehrzahl nicht von programmatischen Differenzen innerhalb der Parteiführung her, sondern sind Ausdruck von Führungsrivalitäten. Nicht nur, aber vor allem die ,,populistischen" Parteien wie die CFP oder die PRE bauen dabei auf charismatische Führungspersonen, bieten allerdings programmatisch kaum mehr als Kritik an der herrschenden Regierung.

Die hohe Fluktuation der Wählerschaft erklärt sich teilweise aus eben diesem Fehlen von programmatischen Unterschieden, teilweise auch daher, dass so gut wie keine der Parteien ,,developed strong ties to corporate groups in civil society (labor, peasants, indigenous peoples)"11. Viele Gruppen, vor allem die Ureinwohner, fühlen sich von der politischen Klasse einfach nicht repräsentiert12. Andererseits ist der häufig vorkommende Parteiwechsel politischer Akteure eine anderes Indiz dafür, dass Parteien hauptsächlich als Zweckverbände betrachtet werden, die die eigene politische Karriere fördern, ohne dass ihnen eine aktive Rolle bei der Gestaltung der Tagespolitik zukommt.

Diese geringe Bedeutung der Parteien bei der Regierungstätigkeit spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der Regierungskabinette wieder, in denen vor allem Fachleute, d. h. einflussreiche Wirtschaftsführer oder Bankchefs oder dem Präsidenten nahestehende Technokraten, zu finden sind. Der Einfluss der Parteien auf die tatsächliche Regierungstätigkeit bleibt äußerst gering, da kaum Möglichkeiten der parlamentarischen Kontrolle der Regierung bestehen. ,,Presidents and their advisors have been far more attuned to pressures from the international environment than from their fellow party leaders or citizens."13

Die andauernden wirtschaftlichen und sozialen Probleme haben den Trend zum ,,Protestwähler" verstärkt. Gewählt wird meist weniger für eine Partei als gegen die Regierung, die für die Krise verantwortlich gemacht wird. Diese Stimmung schlägt sich auf das Verhalten der politischen Akteure nieder:

Politicians of every stripe seek to distance themselves from government policy, even when that policy closely approximates many of their own views. This heightened ,,oppositional atmosphere" is fertile ground for populist parties and breeds a highly aggressive political style among politicians in all parties. (Conaghan, S. 435)

Es dürfte klar sein, dass in einer solchermaßen aufgeladenen Atmosphäre Kompromisse zwischen Regierung und Opposition eher zu den Ausnahmen gehören.

Der Kongress Der Kongress besteht aus 77 Abgeordneten, von denen 12 für vier Jahre landesweit gewählt werden. Die übrigen Abgeordneten werden nur auf eine Zeit von 2 Jahren gewählt, und zwar eine bestimmte Anzahl pro Provinz. Gewählt wird ausschließlich über Listen, die die Parteien vorlegen.

Zwar ist der Kongress die formale Legislative, jedoch hat der Präsident, wie bereits erwähnt, die Freiheit der Kabinettsbildung und kann weitreichende wirtschaftliche Entscheidungen am Parlament vorbei treffen. Tatsächlich offenbarten sich in der jungen Geschichte der Republik einige der Schwachpunkte, die Juan Linz14präsidentiellen Systemen attestiert hatte: dass Problem der doppelten Legitimität: Die gegenseitige Unabhängigkeit von Kongress und Präsident führte zeitweise zum Stillstand aller Reformen, so zum Beispiel unter Febres Cordero (1984-88), der den von der ID beherrschten Kongress durch Dekrete zu umgehen versuchte, sich aber damit in den Augen der Öffentlichkeit ins Abseits manövrierte, oder unter dem ersten Präsidenten nach der Demokratisierung, Jaime Roldós, der sich bald nach seiner Wahl von seiner eigenen Partei, derConcentración de Fuerzas Populares(CFP), zu distanzieren begann und darauf die Unterstützung weiter Kreise der - im Kongress die Mehrheit stellenden - Partei verlor.

Die Regierung Bucaram Abdalá Bucaram is the latest expression of Ecuadorian populism. He has had a strong presence in the most recent phases of electoral politics, and his image has been a catalyst for the generation of collective identities. His political career has been a convoluted one. In 1983 he split from the CFP and founded his own party, the Partido Roldosista Ecuatoriano (Ecuadorian Roldosista Party - PRE), named for the deceased president Jaime Roldós. In 1984 he was elected mayor of Guayaquil. Despite a series of political scandals, charges of embezzlement, and a brief incarceration for alleged drug trafficking in Panama, he has presented strong challenges as a presidential candidate in two elections.

(de la Torre, S. 15) Wahlkampf und politischer Stil Am 5. Juli wurde Abdalá Bucaram mit einer denkbar knappen Mehrheit von 20.000 Stimmen zum neuen Präsidenten Ecuadors gewählt. Sein Wahlkampf war vor allem durch das Bestreben gekennzeichnet gewesen, sich als ,,Mann des Volkes" darzustellen. Er war mit nacktem Oberkörper und Bier trinkend in Küstenstädten anzutreffen, im Anzug in der Hauptstadt bei Treffen mit Geschäftsleuten, bei eher Volksfesten ähnelnden Wahlkampfveranstaltungen, auf denen er selber sang, tanzend mit den Indios im Regenwald, In populistischer Manier setzte er nicht auf Programmatik oder inhaltliche Auseinandersetzungen mit seinem Gegner, sondern auf Selbstdarstellung und die Bereitschaft vor allem der Masse der Armen15, einem ,,Erlöser" zu folgen.

Carlos de la Torre schrieb über Bucaram (allerdings noch vor der Präsidentschaftswahl):

People see him as one of them and as someone who is proud to share their manners and to express himself in a popular style.

At the same time, Abdalá seeks to make clear that even though he is of the people he is much more than the people he shows in detail that his humble social origins as a child of Lebanese immigrants have not prevented him from becoming a successful lawyer, politician, and businessman and that, instead of feeling content with his personal achievements, he has chosen a life of risks and personal discomforts on behalf of the Ecuadorian poor Those who consider themselves ,,civilized and cultured" abhor Abdalá´s words and political style; the excluded masses identify whith his challenge to the symbols of their exclusion. (de la Torre, S. 17-18) Bucaram vertraut in der politischen Auseinandersetzung auf Charisma und seine Fähigkeit, sich den verschiedensten Gruppen innerhalb der Gesellschaft zu nähern und sie davon zu überzeugen, er sei einer der ihren; er will kein Programm oder von ihm vertretene Standpunkte gewählt wissen, sondern die Bestätigung seiner Persönlichkeit, der das Volk das Vertrauen aussprechen soll.

In der Zeit als Präsident sollte sich dieser Anspruch auf Legitimität als Person als einer der Faktoren erweisen, die Bucaram dem wachsenden Unwillen der Bevölkerung und der Abgeordneten gegenüber blind zu machen schienen. Einen Abgeordneten, der darum bat, den kritischen Stimmen im ganzen Land doch Aufmerksamkeit zu schenken, fragte Bucaram: ,,Bis wohin hast du es in deiner Karriere gebracht?" - ,,Ich bin Abgeordneter" - ,,Und ich bin Präsident". Daraufhin hielt Bucaram einen Vortrag über den Unterschied zwischen der (in den Medien) veröffentlichten Meinung und der öffentlichen Meinung.16

Dieser Vorfall ist exemplarisch für den ganzen Führungsstil Bucarams. Sich der eigenen Macht und Legitimität völlig sicher, werden kritische Stimmen ignoriert, in der Logik des Populisten hat die Diskussion und der Kompromiss keinen Platz. Zwar umgab sich der Präsident mit Beratern, aber die Entscheidungsfindung verlief meist nach folgendem Muster: Bucaram hörte sich die Vorschläge an, und entschied dann ohne jede weitere Diskussion, was getan werden sollte.

dass der Präsident weniger an aktueller Politik interessiert war als an seiner eigenen Popularität, machte er durch zahlreiche medienwirksame Aktionen deutlich, z. B. ließ er sich öffentlich den Schnurrbart abnehmen und diesen dann für wohltätige Zwecke versteigern oder er nahm eine CD mit dem Titel ,,El loco que ama" (Der Verrückte, der liebt) auf und trat dann mit diesem Lied auf als wäre er ein Popstar.

Die Regierung und ihre Projekte Das Kabinett, das Bucaram am 17. August vorstellte, bestand neben der Vizepräsidentin Rosalía Arteaga aus Verwandten des Präsidenten, Freunden und Sponsoren, die den Wahlkampf finanziert hatten.

In den ersten 20 Tagen Regierungszeit erließ Bucaram 60 Dekrete, darunter die Streichung der - im Wahlkampf garantierten - Subventionen für Gas, die aber nicht sofort in Kraft treten sollte, und die Übernahme des Zolls durch das Militär.

Abgesehen von jenem frühen Aktionismus und der Besetzung einflussreicher Posten in der Verwaltung durch Getreue des Präsidenten, so zum Beispiel von Spielern der Fußballmannschaften Barcelona und Emelec wurde kaum eines der Projekte in Angriff genommen, die bei der Wahl versprochen worden waren. Bis die Regierung ihr wirtschaftliches Konzept vorstellte, vergingen vier Monate, in denen die Subventionen für Gas wieder und wieder zur Diskussion standen und dadurch Preisschwankungen von bis zu 500% durch Spekulanten hervorriefen.

Als die Schulzeit am 7. Oktober wieder begann, waren noch keine der Reformen, die Bucaram im Wahlkampf versprochen hatte, auf dem Weg. Von den Vorhaben des Schulfrühstücks, der Einrichtung mobiler medizinischer Beratungsstellen in den Schulen, der Reform der Lehrpläne und -inhalte und der Ausstattung der Schüler mit subventionierten Schulmitteln wurde lediglich das letztere während der Amtszeit Bucarams noch verwirklicht, ab dem 20. Dezember, und auch dieses nur mit mäßigem Erfolg, da die ,,mochilas", die ausgegebenen Schultornister, bei einem Preis von $18 für die Masse der Armen immer noch weitaus zu teuer waren. Dieser Fall soll nur exemplarisch für das Verhalten der Regierung und ihre Handlungsunfähigkeit stehen.

Das Wirtschaftskonzept, das schließlich am 2. Dezember vorgestellt wurde, rief im Kongress die Ablehnung aller wichtigen Oppositionsparteien hervor, die sonst so zerstrittenen Parteien zeigten sich dieses Mal einmütig. Das Wirtschaftsprogramm lief auf einen harten neoliberalen Kurs hinaus, es schloss die Privatisierung der staatlichen Strom- und Erdölkonzerne, Streichung der Subventionen für Gas, neue Luxussteuern, Erhöhung der Tarife für Telekommunikation und Strom ein. Weiterhin sollte die Währung Ecuadors, der Sucre, zu einem festen Kurs an den US-Dollar angebunden werden, daneben, eigentlich kein wirtschaftliches Thema, die Amtszeit des Präsidenten auf 5 Jahre verlängert und eine Wiederwahl ermöglicht werden.

Die geschlossene Opposition im Parlament bewog die Regierung, das Reformpaket, dass in insgesamt 71 Gesetzesänderungen bestand, am 5. Dezember wieder zurückzuziehen und zu überarbeiten. Teile der Reformen, so z. B. die Luxussteuer und der Subventionsabbau, wurden später durchgesetzt, trugen allerdings zur sinkenden Popularität Bucarams bei.

Die Vorwürfe der Korruption kamen ab Mitte Oktober auf, als 3 Angestellte des Finanzministeriums verhaftet wurden. Obwohl die Dokumente, auf denen die Anklagen beruhten, sich später als gefälscht herausstellten, wurde von jetzt ab öffentlich effizientes Vorgehen der Regierung gefordert, um die - von der vorherigen Regierung ererbte - Korrpution zu bekämpfen. Allerdings zeigte diese außer ein paar vollmundigen Kampfansagen keine Reaktion auf die Vorwürfe.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Regierung Bucaram vor allem durch Sprunghaftigkeit, Aktionismus und das Fehlen eines langfristigen Konzepts zur Behebung der sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes gekennzeichnet war. Hinzu kamen ein autoritärer Führungsstil, diverse - teilweise erfolgreiche - Versuche der Zensur und die zunehmend offensichtlich werdende Vetternwirtschaft, Korruption und die persönliche Bereicherung des Präsidenten aus der Staatskasse17. Dies alles führte zu einer am Ende durch alle gesellschaftlichen Schichten und Gruppierungen reichenden Opposition, die ab dem 8. Januar 1997 ihren Ausdruck in Demonstrationen und Streiks fanden, bis am 5. Februar ein Generalstreik, von derFrente Unitario de Trabajadores(FUT) ausgerufen und von allen maßgeblichen Gruppen, darunter auch die Handelskammern, unterstützt, das ganze Land erfasste, der dem Kongress schließlich den notwendigen Mut gab, die Regierung am 7. Februar in einem komplizierten, institutionell nicht abgesicherten Akt, auszuwechseln.

Der Machtwechsel

Vorbereitet wurde der Machtwechsel ab Mitte Februar in einigen vertraulichen Kreisen der oppositionellenPartido Social Cristiano(PSC), die das Parlament durch die größte Zahl von Abgeordneten beherrschte.

Im Laufe der zunehmenden Streiks und Demonstrationen fiel es den ,,Verschwörern" relativ leicht, eine Mehrheit der Abgeordneten zu finden, die die Abwahl befürworteten. Als konstitutionelle Hürde blieb allerdings die fehlende rechtliche Handhabe bestehen. Wie bereits erwähnt, gibt die Verfassung nur in Fällen des Landesverrats oder der körperlichen oder geistigen Unfähigkeit dem Kongress das Recht, den Präsidenten abzusetzen. Ein weiteres Problem war die Position der Streitkräfte, die laut Verfassung dem Befehl des Präsidenten unterstellt sind und ihre verfassungsmäßige Rolle nur widerstrebend und unter dem Eindruck der Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Zustands des Generalstreiks verließen, dann aber ihren Einfluss nutzten, um das weitere Vorgehen mitzubestimmen. Druck kam auch von außen: der Botschafter der Vereinigten Staaten, Leslie Alexander, hatte den Kongress und die Militärs wissen lassen, dass es ,,für seine Regierung schwierig wäre, Beziehungen zu einer aus einem rechtlich zweifelhaften Prozess hervorgegangenen Regierung aufzunehmen."18

Tatsächlich waren sich aber alle Akteure einig darin, dass Bucaram entmachtet werden sollte.

Differenzen erwuchsen vor allem über die Frage des Nachfolgers und die Vorgehensweise. Da die Verfassung keine Amtsenthebung durch den Kongress vorsah, war auch die Frage des Nachfolgers nicht mit rechtlicher Sicherheit zu beantworten. Zur Auswahl standen zunächst die Vizepräsidentin Rosalía Arteaga, deren Amt jedenfalls verfassungsmäßig darauf ausgelegt war, den Präsidenten im Notfall zu vertreten, der Präsident des ,,Corte Suprema de Justicia" Carlos Solórzano, der im Kongress mit viel Sympathie rechnen konnte, und der Präsident des Kongresses Fabián Alarcón.

Nachdem sich Solórzano selber aus dem Rennen geworfen hatte, indem er die ihm angetragene Wahl gegenüber dem Militär als illegal bezeichnete, entstand am 7. Februar eine paradoxe Situation: es gab drei Präsidenten im Land. Bucaram, der zwar politisch keine Rolle mehr spielte und auch die Unterstützung der Armee verloren hatte, aber immer noch der einzig wirklich legale Präsident war, Rosalía Arteaga, die zwar das Misstrauensvotum des Parlaments anerkannte, jedoch nicht die Wahl Alarcóns und damit sich selber als legitime Nachfolgerin Bucarams sah, und Alarcón, der am vorhergehenden Abend vom Kongress als Interimspräsident nominiert worden war.

Als Kompromisslösung wurde schließlich die Anregung der Armee von allen Beteiligten akzeptiert, Alarcón als Interimspräsident einzusetzen, Arteaga in ihrem Amt als Vizepräsidentin zu belassen und diese Entscheidung mit einem baldmöglichst stattfindenden Referendum abzusichern. Auf diese Weise wurde der Regierung durch die Anwesenheit der Vizepräsidentin eine gewisse personale Kontinuität gesichert und durch die Volksbefragung die Legitimation Bucarams als Präsident aufgehoben19.

Strukturelle Ursache der Krise ist das präsidentielle System selber, dass keine Abwahl des amtierenden Präsidenten erlaubt. Geradezu exemplarisch lässt sich am Beispiel der Regierung Bucaram nachvollziehen, was Linz inThe perils of presidentialismals Nachteile präsidentieller Systeme aufzählt: ein Konflikt zwischen Präsident und Parlament kann unter dem Aspekt der Legitimität nicht entschieden werden, diese Unabhängige Legitimierung führt auch dazu, dass es unmöglich ist, die Regierung zu ersetzen, sollte sie sich als unfähig erweisen. Solche Versuche enden in präsidentiellen Systemen leicht in einer Systemkrise oder, im Falle Bucarams, in einer erst nachträglich per Referendum legitimierten Verletzung der Verfassung. Die Stabilität, die eine von Partikularinteressen und Parteien nicht beeinflussbare Exekutive bringen könnte, war im hier besprochenen Fall aufgrund der Persönlichkeit des Präsidenten und des fehlenden Konzepts seiner Regierungsmannschaft nicht vorhanden.

Die Akteure und ihre Motivationen Im folgenden soll ein kurzer Überblick über die maßgeblichen Akteure und deren Intentionen gegeben werden.

Die FUT und das Volk Die Arbeitervertretung und die Studenten, die Journalisten und die Masse der Armen, die sich an den Demonstrationen gegen die Regierung beteiligten, wollten den Rücktritt Bucarams. Enttäuscht waren sie von den nicht gehaltenen Wahlversprechen, den harten Gesetzen, die die wirtschaftliche Situation gerade der Mittelklasse extrem verschlechterte, und den politischen Schlingerkurs, den die sprunghafte Regierung vorlegte. Bemerkenswert ist die Einigkeit, in der sich Gruppen mit so unterschiedlichen Interessen wie die Handelskammern, die Vertreter der Arbeitnehmerschaft, dieConfederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador (CONAIE), die Gewerkschaft der Angestellten der staatlichen Firmen und die Journalistenverbände gegen die Regierung wandten. Am 5. Februar gab es keine bedeutsame Gruppe, die nicht wenigstens in Äußerungen ihre Unterstützung für den von der FUT ausgerufenen Streik kundtat. Die Fähigkeit, die die Organisationen bei der völligen Lahmlegung des öffentlichen Lebens zeigten, aber auch der Ernst, mit denen der Kongress sich mit der FUT über die Abwahl Bucarams verständigte, lassen darauf schließen, dass sich in Ecuador langsam eine selbstbewusstere und zur Einflussnahme bereite Zivilgesellschaft herausbildet. Wenn wohl auch die Vorkommnisse des Frühjahr 1997 sich in dieser Form und in dieser Geschlossenheit der sozialen Kräfte nicht so bald wiederholen werden, schufen sie doch einen Präzedenzfall, der die politische Klasse wieder daran erinnerte, dass ihre Macht vom Volk herrührt. Letztlich waren es die Streiks und das drohende Chaos, die das Militär dazu bewogen, Bucaram die Gefolgschaft aufzukündigen.

Rosalía Arteaga Rosalía Arteaga ist das einzige Mitglied der Regierung Bucaram, dass die Amtsenthebung relativ unbeschadet überstanden hat. Ihr konnte auch keine Verbindung zu den Korruptionsfällen nachgesagt werden. Während sie es in ihrer Amtszeit unter Bucaram relativ schwer hatte, da die übrigen Mitglieder des Kabinetts sie teilweise offen angriffen, hatte sie mit den Streiks und dem Beschluss des Kongress die Möglichkeit, in eine aktivere Rolle zu wechseln. Ihr Interesse lag darin, Bucaram zu entmachten und sich selber eine aktive Rolle in der zukünftigen Regierung zu sichern. Nicht ganz uneigennützig berief sie sich dabei auf ihre demokratische Legitimation20und die für die Vizepräsidentin verfassungsmäßig vorgesehene Rolle des ,,Präsidenten-Ersatzes".

Sie zeigte dabei aber anders als Bucaram, der jeglichen Kompromiss ablehnte, durchaus die Fähigkeit, mit Alarcón und dem Militär zu kooperieren. Arteaga ist zu einer der prominentesten Persönlichkeiten in der immer noch Männern beherrschten politischen Klasse Ecuadors aufgestiegen, ihren Willen, bei der nächsten Wahl wieder anzutreten, hat sie bereits kundgetan.

Fabián Alarcon und der Kongress Der Kongress war von Anfang an negativ gegen Bucaram eingestellt. Zu direkt war sein selbstherrlicher politischer Stil, zu ausgeprägt seine Neigung, andere Meinungen zu ignorieren und Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Durch die Streiks ermutigt, sahen die Abgeordneten die Chance, den ungeliebten Präsidenten durch den allseits bekannten Alarcón zu ersetzen. Dieser nahm die Kandidatur allerdings erst an, als er sich der Zustimmung des Militärs und der einflussreichen Politiker in der PSC versichert hatte. Institutionelle Bedenken gab es innerhalb des Parlaments kaum, die Frage war weniger, ob eine Verletzung der Verfassung illegal wäre, sondern eher ob sie gesellschaftlich und international akzeptiert werden würde. Wie wichtig dabei die Rolle des Militärs war, geht aus den zahlreichen Treffen hervor, die die Fraktionsführer und Alarcón fast täglich mit den Kommandanten der Streitkräfte zusammenbrachten und ihnen die weitere Unterstützung sicherte. dass in der Erklärung zur Abwahl Bucarams letztendlich der Passus ,,auf Wunsch des Volkes" auftaucht, erklärt sich aus dem Legitimationsproblem, das der Kongress theoretisch auch erkannte, über das er sich aber als ebenso wie der Präsident legitimiertes Verfassungsorgan hinwegsetzte.

Das Militär

Paradoxerweise waren es die Generäle, die auf einer demokratischen Legitimierung Alarcóns bestanden, wie sie auch möglichst lange versucht hatten, Bucaram die Treue zu halten und damit ihren Verfassungsauftrag zu erfüllen. Letztlich ausschlaggebend für die Abkehr von Bucaram waren die Streiks und die Einsicht, dass die Regierung das Vertrauen der Bevölkerung verspielt hatte.

Allerdings drängten die Militärs nicht nur aufgrund demokratischer Überzeugungen darauf, den Verfassungsbruch wenigstens nachträglich zu legitimieren. Eine ganz wesentliche Rolle spielte die Sorge um die Anerkennung der neuen Regierung im Ausland. Von der Anerkennung hingen zum Beispiel die Beziehungen mit Peru ab, mit dem Ecuador nach jahrzehntelanger Pause (und nach teilweise bewaffneten Grenzkonflikten) unter Bucaram wieder Kontakt aufgenommen hatte. Auch die USA gaben ihr Placet zur Abwahl Bucarams, der Botschafter informierte sogar die Generäle in einem privaten Treffen über das Ausmaß der Korruption, dass ihm tagtäglich von kleineren und mittleren Unternehmen angezeigt wurde. Frühere Treffen mit Bucaram hatten keinen Erfolg gezeigt. Gleichzeitig machte der Botschafter aber deutlich, dass die USA eine demokratische ,,Absicherung" der neuen Regierung und keine Quasi-Diktatur auf einer zweifelhaften legalen Basis wünsche. Es fällt schwer zu beurteilen, inwiefern nun das Drängen auf demokratische Legitimierung nur einen Ausdruck der Sorge um internationales Ansehen darstellt oder aus Überzeugung für die Gültigkeit demokratischer Normen entstand. Der Realität am nächsten dürfte eine Mischung aus beiden Intentionen kommen, verbunden mit dem Gedanken, dass ein Volksentscheid der Regierung mehr öffentliche Zustimmung bringen und damit die chaotische Situation des ,,paro", des absoluten Stillstands, entschärfen würde. Die USA Die USA sind der wichtigste Handelspartner Ecuadors. Als Vertreter handfester wirtschaftlicher Interessen konnte Leslie Alexander, neu bestellter Botschafter in Quito, die Klagen der amerikanischen Firmen über das Ausmaß der Korruption nicht vernachlässigen. Im November traf er sich mit Bucaram und dessen Vertrauten, Miguel Salem. Die Gespräche verliefen positiv, allein die konkreten Maßnahmen, die der Botschafter gefordert und die Bucaram eingewilligt hatte in Gang zu setzen, blieben aus. Nach zwei weiteren fruchtlosen Treffen beschloss der Botschafter, an die Öffentlichkeit zu gehen und brandmarkte Ende Januar die Tatenlosigkeit der Regierung gegenüber der Korruption und forderte effiziente Maßnahmen.

Die USA wollten Bucaram vor allem aus wirtschaftlichen Interessen entmachten. Auch ihnen missfielen die ständigen Kurswechsel der Regierung. Ende Januar 1998 begann dann Alexander in nicht-öffentlichen Treffen mit den Militärs die Präferenzen seiner Regierung für eine Abwahl Bucarams zu verdeutlichen.

Schluss

Bei genauerer Untersuchung der Motive der einzelnen Akteure wird deutlich, dass die Krise der Regierung Bucaram zu keiner Zeit eine für die Demokratie gefährliche Systemkrise dargestellt hat. Alle Akteure waren sich darin einig, dass es keine Alternative zur Demokratie gab, Probleme gab es allerdings, als sich herausstellte, dass ein Regierungswechsel ohne Verletzung der Verfassung nicht möglich war.

Unter der Fragestellung, ob die Vorgänge um die Absetzung des Präsidenten ein Zeichen für die Konsolidierung der Ecuadorianischen Demokratie darstellen, gibt es nun mehrere mögliche Antworten.

Von einem willkürlich herbeigeführten Ende der Regierung kann keine Rede sein21, die Akteure achteten darauf, sich untereinander abzustimmen und auch ein zukunftsträchtiges Konzept für die Ablösung Bucarams zu entwickeln. Die Tatsache, dass alle politischen Akteure die Unterstützung des Militärs einholten, ehe sie eigene Schritte wagten, ist nach O´Donnel ein Zeichen für eine nicht konsolidierte Demokratie. Andererseits handelte gerade das Militär in der Krise mit höchstem Respekt für die Verfassung und war der treibende Akteur, der auf eine schnelle, aber durch die zivilen Verantwortungsträger herbeigeführte Beseitigung des Machtvakuums drängte, das nach Bucarams politischem Ende bestand. Die Gefahr eines Militärputsches bestand zu keiner Zeit. Es bleibt zweifelhaft, ob ein Kriterium wie das von O´Donnel aufgeführte Sinn macht, wenn das Militär selber demokratischen Normen sich verpflichtet fühlt.

Wenn man vom Verhalten und den Intentionen der Akteure ausgeht, so hat das System ein autoritäres und undemokratisches Regime gegen ein der Demokratie verpflichtetes ausgewechselt, also im Sinne einer wehrhaften Demokratie seine Grundsätze verteidigt. dass dabei geltendes Recht gebrochen wurde, wiegt nicht so schwer, als alle beteiligten Akteure sich auf den Rechtsbruch verständigten und damit das Gesetz praktisch bedeutungslos wurde (Was ist schon ein Gesetz, wenn niemand daran glaubt). Mit dem anschließenden Referendum wurden außerdem Neuwahlen angeboten, d. h. dem Volk die Wahl überlassen, ob es die Handlungen des Kongresses billige oder nicht.

Die schwierigen und langwierigen Verhandlungen, die der endgültigen Entscheidung für Alarcón vorausgegangen waren und die hier nur kurz angerissen werden konnten22, zeigen, dass der Respekt für die Verfassung und die Institution des Präsidentenamtes allerorts sehr hoch war und dass die Entmachtung Bucarams als Ausnahme von der Regel gesehen wurde, keinesfalls als Präzedenzfall für zukünftige Regierungswechsel.

Weiterhin macht die Mobilisierung der Massen und ihr tatsächlicher Erfolg Hoffnung auf ein Erstarken der Zivilgesellschaft, die in Ecuador traditionell an Einfluss hinter den Unternehmern und Politikern weit zurücksteht.

Literatur

- Conaghan I - Conaghan, Catherine M.:Politicans against parties - Discord and

disconnection in Ecuador´s party system, in: Mainwaring, Scott u. Scully, Timothy R.

(Hrsg.):Building democratic institutions - Party systems in Latin America, Stanford 1995, S. 434-474

- Conaghan II - Conaghan, Catherine M.:A deficit of democratic authenticity: Political linkage and the public in andean polities, in: Studies in Comparative International Development, Fall 1996, Vol. 31, No. 3, 32-55

- Isaacs, Anita:Military Rule and Transition in Ecuador, 1972-92, University of Pittsburgh Press, 1993

- Linz, Juan J. u. Stepan, Alfred:Toward consolidated democracies, in: Journal of Democracy Vol. 7, Nr. 2, April 1996, S. 15-33

- Linz, Juan J.:The perils of presidentialism, in: Journal of Democracy 1. Jg. (1990). H. 1, S. 51-69

- O´Donnel, Guillermo:Illusions about consolidation, Journal of Democracy Vol. 7, Nr. 2, April 1996, S. 34-51

- Przeworski, Adam:Democracy and the market. Political and economic reforms in eastern europe and latin america,Cambridge 1991

- de la Torre, Carlos:Populism and democracy - political discourses in contemporary Ecuador, in: Latin American Perspectives, Issue 94, Vol. 24 Nr. 3, May 1997, S. 12-24

Quellen im Internet

- Codificación de la constitución política de la república del Ecuador, 1984,

http://www.georgetown.edu/LatAmerPolitical/Constitutions/Ecuador/ecuador84.html

- Constitución política de la república del Ecuador, 1996,

http://www.georgetown.edu/LatAmerPolitical/Constitutions/Ecuador/ecuador96.html · Elections around the world, http://www.agora.stm.it/elections/election.htm · Political Database of the Americas, http://www.georgetown.edu/LatAmerPolitical/ · Tribunal Supremo Electoral, http://www.contacto.com/~tse/

- The world factbook page on Ecuador,

http://www.odci.gov/cia/publications/nsolo/factbook/ec.htm

- Cronología de los errores de Bucaram - Eine Chronologie der Regierungszeit:

http://www.elcomercio.com/elcomercio/html/cronica/cronica2103.html

- La crisis política - Eine detailreiche Schilderung der Amtsenthebung:

http://www.elcomercio.com/elcomercio/cronica.htm

- El Bucaramato - Eine Analyse des Regierungsstils Bucarams:

http://www.elcomercio.com/elcomercio/bucaramato.htm

- Eine Sammlung ausgewählter Artikels der ecuadorianischen IllustriertenVistazo: http://www4.vistazo.com.ec/

Abkürzungen:

CONAIE Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador (Zusammenschluss der eingeborenen Völker Ecuadors)

FUT Frente Unitario de Trabajadores (Arbeitnehmervertretung) ID Izquierda democrática (Demokratische Linke) TSE Tribunal Supremo Elecoral

CFP Concentración de Fuerzas Populares

PRE Partido Roldósista Ecuatoriano (nach dem ersten Präsidenten nach 1978, Jaime Roldós, benannt)

[...]


1 Przeworski, S. 10

2 Guillermo O´Donnel, S. 35

3 Guillermo O´Donnel, S. 35

4 Nach Robert Dahl sind eine Demokratie charakterisierenden Kriterien 1. elected officials 2. free and fair elections 3. inclusive suffrage 4. the right to run for office 5. freedom of expression 6. alternative information 7. associational autonomy Robert Dahl, Democracy and its Critics, New Haven 1989, zitiert nach O´Donnel, S. 35

5 Vgl. Isaacs, Kap. 3: ,,Development and reform under military rule"

6 ,,Art. 128. La Fuerza Pública está destinada a la conservación de la soberanía nacional, a la defensa de la integridad e independencia del Estado y a la garantía de su ordenamiento jurídico. Sin menoscabo de su misión fundamental, la ley determina la colaboración que la Fuerza Pública debe prestar para el desarrollo social y económico del país y en los demás aspectos concernientes a la seguridad nacional." Aufgabe der öffentlichen Kräfte [Armee und Polizei] ist die Bewahrung der nationalen Souveränität, die Verteidigung der Einheit und der Unabhängigkeit des Staates und die Garantie der gesetzlichen Ordnung. Ohne Verminderung seiner grundlegenden Aufgaben sieht das Gesetz vor, dass die öffentlichen Kräfte ihren Beitrag zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung und ausserdem in Fragen, die die nationale Sicherheit betreffen, leisten. (Constitución Política de la Republica del Ecuador, 1984)

7 ,,Art. 88.- ...Si un proyecto de Ley en materia económica fuere presentado por el Presidente de la República y calificado por él de urgente, el Congreso Nacional,..., deberá aprobarlo, reformarlo o negarlo de un término de quince días. Si no lo hiciere, el Presidente de la República podrá promulgarlo como Decreto Ley en el Registro Oficial y entrará en vigencia hasta que el Congreso Nacional lo reforme o derogue." Wenn ein Gesetzesantrag bezogen auf wirtschaftliche Zusammenhänge vom Präsidenten der Republik eingebracht und von im als dringend eingestuft wird, muss der Nationalkongress,..., es in einer Frist von 15 Tagen bestätigen, einen Gegenvorschlag erbringen oder es ablehnen. Wenn das nicht passiert, kann der Präsident der Republik es [den Gesetzesantrag] als Dekret ins öffentliche Register eintragen und es tritt in Kraft bis der Nationalkongress es umwandelt oder aufhebt. (Constitución Política de la Republica del Ecuador, 1996) Besonders intensiv nutzte diese Möglichkeit Präsident Febres Cordero, der von 1984-85 insgesamt 26 solcher Dekrete zur Durchsetzung eines neoliberalen Wirtschaftsprogramms benutzte.

8 Constitución Política de la Republica del Ecuador, 1996, Art. 82 g und Art. 100

9Conaghan I, S. 434/435

10 zwischen 1978 und 1992 erreichten 23 politische Parteien die Zulassung zu Wahlen

11 Conaghan I, S. 435

12 Besonders deutlich wurde dies anlässlich der Unruhen im Juni 1990, als verschiedene Verbände von Ureinwohnern in Streiks, Sitzblockaden, Hausbesetzungen und Demonstrationen ihre Unzufriedenheit über die andauernde wirtschaftliche und soziale Benachteiligung und den praktischen Ausschluss aus dem politischen Tagesgeschäft kundtaten. Die CONAIE stellte daraufhin einen Forderungskatalog zusammen, der aber bis heute keinen Eingang in die Wahlprogramme der Parteien gefunden hat.

13 Conaghan I, S. 435

14 Linz, Juan:The perils of presidentialism

15 nach konservativen Schätzungen leben mindestens 60% der Ecuadorianer unterhalb der Armutsgrenze.

16 Zitiert aus: El Bucaramato, Kap. 1

17 Bucaram unternahm z. B. auf Staatskosten Reisen nach Miami, wo er seinen Sohn bei einer Abmagerungskur unterstützte.

18 Für Details sieheLa crisis política

19 Das Referendum bestand im Grundsatz aus zwei Fragen: Ob das Volk die Absetzung Präsident Bucarams durch den Kongress billige und ob es mit der Wahl Alarcóns als Interimspräsidenten bis 1998 einverstanden wäre oder Neuwahlen bevorzugte. Beide Fragen wurden mit großer Mehrheit im Sinne des Kongresses beantwortet.

20 In Ecuador wird ein Duo aus Präsident und Vizepräsident gewählt, d. h. neben Bucaram war Arteaga das einzige direkt vom Volk gewählte Regierungsmitglied.

21 in Anlehnung an das in der Einleitung gebrauchte Kriterium O´Donnels: ,,elected officials should not be arbitrarily terminated before the end of their constitutionally mandated terms."

22 Genauer in La crisis política

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Krise der Regierung Bucaram
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1
Autor
Jahr
1998
Seiten
22
Katalognummer
V102516
ISBN (eBook)
9783640008988
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigt sich - vor dem Hintergrund theoretischer Ansätze zur Demokratisierung und demokratischen Konsolidierung - mit der Absetzung des ecuadorianischen Präsidenten Bucaram.
Schlagworte
Krise, Regierung, Bucaram
Arbeit zitieren
Christian Holthaus (Autor:in), 1998, Die Krise der Regierung Bucaram, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102516

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Krise der Regierung Bucaram



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden