Trakl, Georg - An die Verstummten


Referat / Aufsatz (Schule), 2001

4 Seiten, Note: 13 Punkte


Leseprobe


17.05.2001 Seite 1 von 1

Georg Trakl: „An die Verstummten“:

O, der Wahnsinn der großen Stadt, da am Abend

An schwarzer Mauer verkrüppelte Bäume starren

Aus silberner Maske der Geist des Bösen schaut;

Licht mit magnetischer Geißel die steinerne Nacht verdrängt. O, das versunkene Läuten der Abendglocken.

Hure, die in eisigen Schauern ein totes Kindlein gebärt. Rasend peitscht Gottes Zorn die Stirne des Besessenen, Purpurne Seuche, Hunger, der grüne Augen zerbricht. O, das gräßliche Lachen des Golds.

Aber stille blutet in dunkler Höhle stummere Menschheit, Fügt aus harten Metallen das erlösende Haupt.

Gedichtinterpretation

Georg Trakl, einer der Hauptvertreter des Expressionismus (1910-1925) in Deutschland versuchte mit seinen Gedichten das Empfinden und die Phantasie seiner Leser anzuregen, indem er kroteske Figuren verwendete und scheinbar disparate Inhalte zusammenfügte. Auch das mir vorliegende Gedicht enthält solch typische Merkmale.

Das Gedicht besteht aus drei Strophen mit abnehmender Verszahl.

Die erste Strophe enthält fünf Verse, die zweite vier und die letzte nur noch zwei.

Das Thema des Gedichts „An die Verstummten“ von Georg Trakl ist die arstellung der als unmenschlich und kalt empfundenen Stadt. Das Gedicht ist eine Botschaft „an die Verstummten“ mit stark appellativen Charakter. Wer diese Personen sind, erfährt man zunächst nicht: die Verstummten sind eine Gruppe von Menschen, die in der Anonymität der Stadt untergegangen sind und keine Chance haben sich zu artikulieren.

Gleich die erste Zeile des Gedichts gleicht einer Klage des Erzählers, der an dieser Kälte leidet: „O, der Wahnsinn der großen Stadt, da am Abend / an schwarzen Mauern verkrüppelte Bäume starren“. Das Wort „Wahnsinn lässt die Abscheu und Enttäuschung des Erzählers scheint „am Abend “ durch die Großstadt zu laufen, dabei sieht er im Dunklen mystische, ja bedrohliche Gestalten. Trakl gibt diese erfahrenen Eindrücke durch den für den Expressionismus typischen Reihungsstil wieder. Man bekommt den Eindruck, dass der Erzähler es nicht schafft die zahlreichen Impressionen an den Leser zu vermitteln und es entsteht ein Gefühl von Hektik und Verzweiflung, was durch das unregelmäßige Metrum und das aufgelöste Reimschema noch verstärkt wird. Die „schwarzen Mauern“ erinnern an verschmutzte Häusermauern, wie sie noch heute noch in Städten im Ruhrgebiet in denen Kohle abgebaut wurde zu sehen ist. Hinter diesen Mauern schirmen sich Menschen von anderen ab und schaffen so Anonymität und Gefühlskälte. Die Symbolik der Farbe Schwarz forciert dabei noch diese negativen Eindrücke. Vor den Mauern stehen „verkrüppelte Bäume“, Bäume, die eigentlich das Stadtbild verschönern sollen und normalerweise bei dem Leser Assoziationen wie Geborgenheit und Schutz wecken.

Aber diese Bäume „starren“, eine eindeutige Personifikation, wirken dadurch auf den Leser bedrohlich und entsprechen damit nicht dem typischen Ideal eines Baumes, denn sie sind verkrüppelt und so werden die üblichen Erwartungen enttäuscht.

Dazu schaut auch noch „Aus silberner Maske der Geist des Bösen“ auf den Menschen. Die „silberne Maske“ könnten die großen Hochhäuser, wie Bürogebäude oder Bankgebäude sein, die mit ihren silbern erscheinenden Fassaden der Stadt ihre Pracht verleihen. Doch diese Fassaden sind wie eine „Maske“, sie verdecken das Eigentliche den „Geist des Bösen“, der dem Betrachter verborgen bleiben soll. Der „Geist des Bösen“ könnte ein Symbol für den Materialismus sein oder sogar ein Zeichen für die Ausbeuterbetriebe in der Zeit, die Menschen als billige Arbeitskraft aus nutzten.

Das Licht, das mit „magnetischer Geißel die steinerne Nacht verdrängt“ sind die Straßenlaternen und zahlreichen Lichter der Großstadt, die eine „magnetische“ Anziehungskraft auf die Menschen, die in die Vergnügungsviertel einer Großstadt strömen, ausübt.

Die Finsternis, die „Nacht“ wird durch diese technische Errungenschaft „verdrängt“. Sie ist „steinern“ und hinterlässt dadurch ein Gefühl von Kälte und belastet die Menschen.

Daraus folgt der Ruf nach dem „versunkenen Läuten der Abendglocken“, wie es damals in ländlichen Gebieten nach Feierabend zu hören war. Damit steht es in Kontrast zu dem Leben in der Stadt, welches in der vorangegangenen Zeile beschrieben wurde. Die Menschen kommen nach Feierabend nicht zu Ruhe, sondern machen sprichwörtlich die Nacht zum Tag. Das „Läuten der Abendglocken“ geht in der Stadt in der Hektik und dem Lärm unter, es versinkt.

In der zweiten Strophe beschreibt der Erzähler weitere negative Impressionen, die er Impressionen, die er von der Stadt bekommen hat. So wird das Bild einer „Hure, die in eisigen Schauern ein totes Kindlein gebärt“ gezeigt. Dies erinnert sofort an ein religiöses Ereignis: die Geburt Jesus, der Erlöser der Menschheit, der aber in Geborgenheit und in Schutz der Mutter und des Vaters in einer Grippe zu Welt kam. Trakl zeigt den krassen Gegensatz dazu. Die Jungfrau Maria ist eine „Hure“, ein Zeichen für die Oberflächigkeit der Menschheit, und anstatt im Schutz der Grippe gebärt sie in „eisigen Schauern“. Dies könnte ein Symbol für die Gefühlskälte der Menschen untereinandersein, die nicht mehr bereit sind anderen zu helfen, sondern sich nur noch um ihre eigenen Probleme kümmern. Das „Kindlein“ ist eine Totgeburt, alle Hoffnungen der Frau auf ein neues Leben sterben mit dem Kind. Es gibt in dieser Welt keinen Erlöser mehr. Darauf folgt in der nächsten Zeile der „Zorn“ Gottes auf das Fehlverhalten des „Besessenen“, den Mensch, der von oberflächigen Werten, wie zum Beispiel Geld, geleitet ist. Diese Wut Gottes wird durch den Zischlaut in dem Wort „peitscht“ lautmalerisch zur Geltung gebracht.

Die „Purpurne Seuche“, Krankheiten wie zum Beispiel Syphilis, die um die Jahrhundertwende und auch noch in den Städten weit verbreitet waren, sowie der „Hunger“ haben „grüne Augen“ zerbrechen lassen. Grün ist die Farbe der Hoffnung. Die Menschen, die mit „grünen Augen“, also mit Hoffnung auf ein besseres Leben in die Stadt gekommen waren, werden durch Krankheiten und Hunger in ihren Erwartungen enttäuscht. Die Hoffnung auf Besserung zerbricht. Das „Gold“, repräsentativ für den Materialismus und Kapitalismus, scheint diese Menschen, wie in der folgenden Zeile beschrieben auf spöttische Weise auszulachen. Durch den Ausruf „O“ kommt die Hilflosigkeit des Erzählers gegenüber der scheinbaren Übermacht des Goldes zum Ausdruck.

Die letzte Strophe beginnt mit einer Antithese verdeutlicht durch die Konjunktion „Aber“: „Aber stille blutet in dunkler Höhle stummere Menschheit“. Man stolpert beim Lesen dieser Zeile über den Komparativ „stummere“, da normalerweise eine Steigerung des Adjektivs stumm wenig Sinn macht.

Die „stummere Menschheit“ ist die Gruppe von Menschen an die das Gedicht appelliert. Durch die Übersteigerung „stummere“ und das Adverb „stille“ wird deutlich gemacht wie wenig Einfluss diese Menschen haben. Sie halten sich abgeschirmt von anderen in einer „dunklen Höhle“ auf. Die erinnert an die Situation der ersten Christen im alten Rom. Diese konnten sich aufgrund von Unterdrückung und Verfolgungen oft nur an geheimen Orten, wie den Höhlen ähnlichen römischen Katakomben treffen. Diese Menschheit „blutet“, sie ist schon angeschlagen, verletzt und schwach, aber trotzdem „Fügt“ sie „aus harten Metallen das erlösende Haupt“. Dieses „erlösende Haupt“ könnte der Leib Christi sein, der in vielen Kirchen aus Metall am Kreuz hängt. Diese Gruppe von Menschen erhält ihren Glauben. Doch dies ist eine schwere Aufgabe, da es sich um harte Metalle handelt. Sie lassen sich nicht so leicht verarbeiten wie das Gold. Der christliche Glaube ist viel schwerer zu erhalten, als eine oberflächige Wertvorstellung. Auch durch die abnehmende Verszahl pro Strophe zeigt, dass diese gläubige Menschheit gegenüber den anderen in die Minderheit geraten ist.

Obwohl man beim erstmaligen Lesen des Gedichts durch die scheinbar disparaten und oft krotesken Bilder wenig versteht und leicht in Versuchung 17.05.2001 Seite 4 von 4 gerät das Gedicht als bloßen Irrsinn abzustempeln, ist am Ende einer detaillierten Untersuchung überrascht wie Georg Trakl es geschafft hat in den wenigen Zeilen eines Gedichtes, so viele Informationen und Impressionen einer Großstadt und ihrer zahlreichen sozialen Probleme wiederzugeben.

Ende der Leseprobe aus 4 Seiten

Details

Titel
Trakl, Georg - An die Verstummten
Note
13 Punkte
Autor
Jahr
2001
Seiten
4
Katalognummer
V102507
ISBN (eBook)
9783640008896
Dateigröße
331 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Georg Trakl, "An die Verstummten", Gedichtsinterpretation, Expressionismus, Großstadtmotiv
Arbeit zitieren
Julian Riedasch (Autor:in), 2001, Trakl, Georg - An die Verstummten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102507

Kommentare

  • Gast am 12.4.2007

    danke.

    suuperr du hast meine hausaufgabe gerettet!!! vielen dank

  • Gast am 5.9.2002

    Danke!.

    danke ohne dich hätt ichs die dämliche interpretation bzw. den gedichtvergleich net geschafft!

  • Gast am 17.12.2001

    Nicht schlecht....

    Hab heute meine letzte Deutschklausur geschrieben da ich Deutsch nicht im Abi hab und deshalb in 13.2 Deutsch nur mündlich belegen muss. JUHU!!! Tja, das Thema war eine Analyse von "An die Verstummten" und noch ein Vergleich zwischen diesem Gedicht und "Der Gott der Stadt" von Heym.
    Da wollte ich mal im Internet nachgucken, wie andere dieses Gedicht interpretieren... und was seh ich? Eine Interpretation, die in einigen Bereichen mit meiner Übereinstimmt! JUHU!!! Ich muss aber doch noch einiges kritisieren: 1.ES geht doch HAUPTSÄCHLICH um die sozialen Gegensätze in der industrialisierten Stadt am Anfang des 20.Jahrhunderts.
    Trakl stellt doch besonders in Strophe zwei Symbole für Reichtum und Armut abwechselnd gegenüber. Hure=arm, Besessener=reich, Hunger/grüne Augen=arm (hier meint er meiner Meinung nach den grünen Starr, der eine Folge von Unterernährung und Vitaminmangel ist - deine Interpretation ist aber auch ziemlich plausibel), purpurne Seuche=reich (ich denke, damit ist die teure Kleidung gemeint).
    2.Du beziehst zu viele Aspekte auf die Religion (bist wohl auf einem kath./evang. Gymnasium). Trakl will doch nur die Missstände(drei s?) in der Gesellschaft aufzeigen.
    Loben muss ich Dich für die Interpretation von dem "erlösendem Haupt". Meine Fresse, wie bist Du dadrauf gekommen? Heute haben ganze zwei Deutschkurse (ca.50 Leute) die gleiche Klausur geschrieben und keiner hatte ne Ahnung was der gute Schosch uns mit dem letzten Vers mitteilen wollte, RESPEKT.
    Ansonsten ziemlich gut gelungen.
    cu auf www.staberg2002.de

  • Gast am 12.12.2001

    sehr gut.

    eine recht gute und hilfreiche Interpretation des Traklgedichts "an die Verstummten"! Es fehlt jedoch eine genauere Behandlung des formalen Aufbaus des Gedichts. Die inhaltliche Deutung ist sehr ausfürlich und i.d.R. richtig.

  • Gast am 21.10.2001

    Wui....

    Wui... das is ja ma ne richtig wissentschaftlich fundierte Interpretation die hier "Hausarbeiten.de" abliefert. Mein herzlichen Glückwunsch an den Autor, und sende ruhig weiter solche Beiträge ein. Du hilfst einem armen Abiturienten ungemein weiter!
    cya Bratmaxe

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Titel: Trakl, Georg - An die Verstummten



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