Ulrich Becks These der Individualisierung sozialer Ungleichheit und das SINUS-Milieumodell

Herausforderungen an eine Sozialstrukturanalyse fortgeschrittener Gesellschaften


Hausarbeit, 2000

32 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Literatur

1. Zur Einleitung: Rekurs zu den Herausforderungen an eine Sozialstrukturanalyse fortgeschrittener Gesellschaften
1.1 Kompensation der Individualisierungsprozesse durch Reintegration?
1.2 Forschungsfrage und methodische Vorgehensweise

2. Theorien » sozialer Ungleichheit «: Eine Begriffsexplikation
2.1 Die Klassentheorie von Karl Marx
2.1.1 Nichtmarxistisches Klassenkonzept sozialer Ungleichheit: Max Webers Klassen und Stände
2.1.2 Das Lebensstil-Theorem im theoriegeschichtlichen Rückblick
2.2 Die Stellung des Individuums in der reflexiven Moderne
2.2.1 Ulrich Becks Individualisierungsthese
2.2.2 Positiver und negativer Fahrstuhleffekt

3. Der Milieuansatz: Bündelung objektiver Lebensbedingungen und subjektiver Einstellungen
3.1 Das SINUS-Milieumodell: Ein Beispiel kommerzieller Lebensweltforschung und seine methodische Generierung
3.1.2 Die soziale Schicht- und Grundorientierung der SINUS-Milieus im neuen Jahrtausend
3.2 Forschungserträge und Anwendungsbeispiele des SINUS-Milieumodell
3.2.1 Pierre Bourdieu: Das Konzept des sozialen Raumes

4. Zusammenfassung: Erträge der These von der Individualisierung sozialer Ungleichheit und des SINUS-Milieuansatz zur Kenntlichmachung der Differenzierungsdynamik moderner Gesellschaften

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Das Klassenkonzept von Marx

Abbildung 2: Klassen, Stände und Parteien bei Max Weber

Abbildung 3: Modell der Grundprinzipien der Moderne - Kontinuität und Bruch zwischen industrieller und reflexiver Moderne

Abbildung 4: Positionierungsmodell (Westdeutschland) nach SINUS-Sociovision 1999

Abbildung 5: Positionierung (West & Ost) nach SINUS-Sociovision 2000

Abbildung 6: Standort der „Neuen Mitte“ 1995

Abbildung 7: Entwicklung der Milieustrukturen

Nur der Michel,

nur der Deutsche samt jenen Professoren der Sozialwissenschaft, die ihm einreden,

es gebe in der spätkapitalistischen Massengesellschaft keine sozialen,

keine prinzipiellen Spannungen,

keine politische Freiheit und Alternativen mehr,

ja die Personen selber seien nichts mehr als » Bestandteile der Maschinerie « (Adorno) - nur der Deutsche sieht nicht,

daß dieser Traum zum Alptraum wird.

Rolf Hochhuth: Der Klassenkampf ist nicht zu Ende 1965

1. Zur Einleitung: Rekurs zu den Herausforderungen an eine Sozialstrukturanalyse fortgeschrittener Gesellschaften

Ob man nun aus der Position1 des klassischen2, oder des subjektbezogenen sozialstrukturellen Paradigma an die Thematik herantritt, muss konstatiert werden, dass von Karl Marx bis in das neue Jahrtausend modernisierungstheoretisch von der einfachen Industrialisierung und der von ihr bedingten gesellschaftlichen Mobilität vom Land in die Stadt, vom Bauernhof in die Manufakturen und Fabriken, bis hin zum digitalen Non- Territorial-Office der »Wissensgesellschaft« (Stehr, 1994) letztendlich ein Prozeß enormer gesellschaftlicher Dynamisierung stattfand. Von Ulrich Beck wird dieser Weg drastisch mit dem aktuellen Zustand einer Gesellschaft der aufgelösten Klassenidentitäten und einem parallel - evolutionär - eingeleiteten "Prozeß der Individualisierung und Diversifizierung von Lebenslagen und Lebensstilen" (Beck 1986: 122; Hervorh. i. O.) umschrieben. Diese Prozesse müssen im Modernediskurs sowie im Zusammenhang konflikt- und differenzierungstheoretischer Überlegungen - wie sie bereits von Georg Simmel und Emile Durkheim angestellt wurden (Geißler 1996a: 321) - wiederum an den Terminus der sozialen Ungleichheit heranführen. Als einer der zentralen Begriffe in den modernen Gesellschaftstheorien ist mit der sozialen Ungleichheit der Hinweis auf die Möglichkeit zu verstehen, dass "die durch die Dynamik der Gesellschaft freigesetzten Kräfte sich in destruk- tiven Auseinandersetzungen mit einer Tendenz zur wechselseitigen Vernichtung entfalten und damit den Bestand der Gesellschaft insgesamt gefährden könnten." (Giegel 1998: 9)

Was kann nun aber im allgemeinen unter dem Begriff Sozialstruktur verstanden werden? Unter diesem Begriff kann nach Wolfgang Zapf, gemäß zweier von mindestens drei Deskriptionen, die er anführt, die Untersuchung der demographischen Grundgliederung der Bevölkerung und die Verteilung soziodemographischer Merkmale (als Ressourcen: Bildung, Beruf und Einkommen) sowie die Zusammenfassung der Bevölkerung in soziale Klassen und Schichten bzw. ihre Zusammenführung in "flüssigere", fließende Lebensstile und Sozialmilieus unter Einbeziehung von Mentalitäten und Wertvorstellungen verstanden werden (Zapf 1995: 187).

Rainer Geißler hingegen hält die aus diesen »flüssigeren« Konzepten entstandene und seit Anfang der 80'er Jahre explizit von der (west-)deutschen Sozialstrukturanalyse geführte Individualisierungs- und Pluralisierungsdiskussion für eine Diskussion des Mainstreams - mit negativer Konnotation (Geißler 1996a: 324). Darüber hinaus sieht er darin den Versuch einer wissenschaftstheoretischen Paradigma-Revolution3 im Kuhn'schen Sinn (zu Kuhn in: Schnell/Hill/Esser 1995: 109f.). Die in dieser Revolution postulierten modernebedingten Auflösungsprozesse vertikaler Dimensionen führe demnach anstelle der Schicht-, und Klassengesellschaftskonzepte nicht zu neuen Erkenntnissen, sondern auffällig zu neuen Einseitigkeiten (Geißler 1996a: 319). Jene Einseitigkeiten finden nach Geißler in Konzepten wie z.B. dem der »pluraldifferenzierten Wohlstandsgesellschaft« von Karl Martin Bolte (Bolte, 1990), oder der »Nachklassengesellschaft« - und in Folge »Bürgergesellschaft« von Ulrich Beck (Beck 1986 sowie 2000) ihren Widerhall. Nach Geißlers Ansicht stellt sich hier die kritische Frage, ob "aber (...) die zunehmende Vielfalt [der Soziallagen und objektiven Lebensstile] die vertikalen Strukturen wirklich aufgelöst und bis zur Unkenntlichkeit verdünnt" (Geißler 1996a: 321) haben?

1.1 Kompensation der Individualisierungsprozesse durch Reintegration?

Mit dem Ausbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates werden eben nicht nur die Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums »Jenseits von Stand und Klasse?« (Beck, 1994) freigesetzt; es steigt auch der Bedarf an sozialen Steuerungsmechanismen zur Kompensation der freigesetzten gesellschaftlichen Risiken der Moderne. Hierzu sagt Richard Münch in einem Aufsatz zur sozialen Integration als einem dynamischen Prozeß mit dem Ziel der Sicherung des Solidaritätsgefüges, dass "der Integrationsbedarf moderner Gesellschaften bei weitem die Solidaritätsgrenzen gewachsener Gemeinschaften [übersteigt], weil moderne nationale Gesellschaften eine Vielzahl gewachsener Gemeinschaften einschließen, die in ein größeres Ganzes integriert werden müssen, und weil das Gruppengefüge der Gesellschaft durch Migration und Mobilität immer rascheren Änderungen unterworfen wird. Die Modernisierung macht die Menschen mobiler und ihre Gruppenmitgliedschaften vielfältiger. Dadurch werden sie individueller, ihre Bindung an eine bestimmte Herkunftsgruppe lockert sich. Damit wächst zwar ihre Fähigkeit sich beliebigen anderen Vereinigungen anzuschließen und mit beliebigen anderen Individuen geregelte Beziehungen aufzunehmen, aber mit der Individualisierung und Pluralisierung der Gruppenmitgliedschaften ist bei weitem noch nicht der Integrationsbedarf moderner Gesellschaften befriedigt." (Münch 1998: 192)

Um diese ersten Überlegungen zu den Herausforderungen an eine Sozialstrukturanalyse fortgeschrittener Gesellschaften abzuschließen, möchte ich noch kurz auf Wolfgang Zapf verweisen. Dieser führt Stefan Hradil mit dem Hinweis auf das Gewicht der Bedeutung der horizontalen Ebene der Sozialstruktur an, in der die soziale Ungleichheit im Ausdruck neuer Ungleichheiten in modernen Gesellschaften selbstverständlich identifizierbar bleibt, und diese "sowohl die 'alten' Klassen- und Einkommensunterschiede in neuen Formen als auch die Folgen sehr neuartiger sozialstruktureller Veränderungen" (Zapf 1995: 190) - z.B. als Fragen der Differenzierung des Lebensverlaufs und Pluralisierung der Lebensstile - widerspiegelt. Darauf basierend möchte ich ein erstes Ergebnis der hier vorliegenden Arbeit vorwegnehmen welches besagt, dass trotz des inkrementierten Subjektivismus der neueren Ansätze der Sozialstrukturanalyse zwingend keine Entsensibilisierung gegenüber einer objektiven Problematik sozialer Ungleichheiten in Gesellschaften mit postfordistischen4 (somit postindustriellen) Arbeitsregimes gefördert werden muss, wie es von Rainer Geißler indirekt mit seiner Kritik in Kein Abschied von Klasse und Stand (1996a: a.a.0.) ausgedrückt wird.

1.2 Forschungsfrage und methodische Vorgehensweise

Orientiert man sich in der Betrachtung sozialstruktureller Entwicklungsprozesse und eventueller Systematiken zur Frage der Entstehung von sozialer Ungleichheit an neueren klassentheoretischen Standpunkten und Konzepten, so wird man in der - explizit deutschen5

- Literatur auf eine Fülle widerlegender und modifizierender Ansätze und Modelle stoßen. Da sich die Analyse sozialer Ungleichheiten regulär auf die eigene momentane Gesellschaft bezieht, und die daraus formulierten Theorien sozialer Ungleichheit einen vorangestellten, jedoch zumeist nicht systematisch berücksichtigten Raum- und Zeitbezug implizieren, sollte m.E. in die Analyse immer auch die jeweilige Deutungs- und Wahrnehmungsfähigkeit dessen mit einbezogen werden, was die Gesellschaftswissenschaften zumeist nur hinreichend empirisch und wenigstens plausibel über die Gesellschaft realiter wahrnehmen können (vgl. hierzu Dangschat, 1998).

So möchte ich nun im folgenden der Frage nachgehen, ob mit der These der Individualisie- rung sozialer Ungleichheit von Ulrich Beck sowie mit dem SINUS-Milieumodell (den Milieus als gemeinsames Produkt des Konstitutionsprozesses subjektiver Motive und Zielsetzungen sowie objektiver Voraussetzungen und Handlungsfolgen, Hradil 1987: 166) ertragreiche theoretische Ansätze zur Beschreibung der Differenzierungsdynamik moderner Gesellschaften vorliegen. Mit der Beschreibung sozialer Milieuzusammenhänge, in Umkehrung der typischen sozialstrukturellen Forschungsweise6, sind alltagsweltliche7 Aggregate unterscheidbar, deren Ausgangspunkt zwar im individuellen Bewußtseinsmoment für die Lebensweise liegt, die aber so dann wieder in verschiedene Makromilieus zusammengefasst werden können. So besteht m.E. darin kein Gegensatz, für die Begründung einer Darstellung der Vorgehensweise des SINUS-Ansatzes vergleichend den Individualisierungstheoretiker Beck anzuführen, der Individualisierung eben auch als einen "historisch widersprüchlichen Prozeßder Vergesellschaftung" (Beck/Beck-Gernsheim 1994: 45), demnach nicht nur als neueres Produkt einer lediglich subjektiv gefühlten Vergemeinschaftung (Weber 1984: 69-72) auffasst, und ergänzend sogar von der "Kollektivität 8 und Standardisierung der entstehenden individualisierten Existenzlagen" (Beck/Beck-Gernsheim 1994: 45) spricht. Diese Denkrichtung der Individualisierungsthese negiert den makrosoziologischen Verweis keineswegs; dennoch erhalten wir mit der sozialen Milieubildung eher die Möglichkeit, Formen aggregierter Individuallagen - und daraus resultierend die "größere Vielfalt von 'objektiven' Lebensumständen und 'subjektiven' Lebensstilen und Lebensformen" (Geißler 1996: 77) - empirisch zu operationalisieren (Schäfers 1995).

Im weiteren Fortgang werde ich, beginnend mit einer allgemeineren und hinführenden Begriffsexplikation zur Thematik der sozialen Ungleichheit, mit Marx und Weber zwei klassische Ansätze der Theorie über die Ursachen sozialer Ungleichheit darstellen. Nach einem theoriegeschichtlichen Rückblick auf das Lebensstil-Theorem komme ich nach einer Betrachtung der Stellung des Individuums in der reflexiven Moderne zur Individualisierungsthese von Beck, und möchte daraufhin die Entwicklung und Erträge eines Makromilieuansatzes - speziell die des SINUS-Milieumodell - aufzeigen. Den Anwendungsbezug des SINUS-Modells sehen wir uns an einem Beispiel der Arbeit von Michael Vester (agis) an, zudem ich Pierre Bourdieus Konzept des sozialen Raum darstelle. Abschließend soll unter Zuhilfenahme der Berechnung aktueller Milieustrukturveränderungen die Frage geklärt werden, inwiefern sich die Ansätze von Ulrich Beck und des SINUS-Instituts trotz ihrer unterschiedlichen Herangehensweise zur Beschreibung der Differenzierungsdynamik moderner Gesellschaften eignen.

2. Theorien » sozialer Ungleichheit «: Eine Begriffsexplikation

Die Analyse sozialer Strukturen ist als solche keine Erfindung der Soziologie. Die Denker der Antike betrieben bereits sozialstrukturelle Differenzierungen auf vertikaler Ebene des Oben und Unten, der Freien und Unfreien, der Besser- und Schlechtergestellten: somit in Dimensionscharakteristika, die gewöhnlicherweise in Status zuschreibungen ihren Ausdruck finden (Hradil 1999: 29, kursiv von mir). Die Ungleichheitsproblematik erhielt sodann als eigenständige Disziplin zu Beginn der universitären Verfasstheit der Soziologie und der Industrialisierung eine besondere akademische Stellung. (Hradil 1987: 14). Auf Stefan Hradil gestützt möchte ich drei Elemente zur Beschreibung sozialer Ungleichheit des klassischen Paradigmas der Sozialstrukturanalyse anführen:

"1. Der Begriff "soziale Ungleichheit" bezieht sich auf Lebensumstände, die begehrt sind, da sie die Chancen für ein gemeinhin als "gut" beurteiltes Leben erhöhen.

1. Der Begriff "soziale Ungleichheit" bezieht sich nur auf diejenigen unter den begehrten Lebensumständen, die knapp sind, da sie bestimmten Gesellschaftsmitgliedern mehr, anderen weniger zur Verfügung stehen.

3. Der Begriff "soziale Ungleichheit" impliziert, daß die Verteilung solcher begehrten und knappen

Lebensumstände durch das menschliche Zusammenleben, d.h. gesellschaftlich, zustandekommt und gesellschaftlich geregelt ist." (Hradil 1987: 15)

Ferner schließt Hradil durch diese drei Explikationselemente für die Analyse sozialer Ungleichheit Lebensumstände aus, die gesamtgesellschaftlich irrelevant wären, oder solche, die biochemisch und physikalisch auf natürliche Weise bereits vordeterminiert sind. Es geht darüber hinaus auch nicht um die vom Sozialen entkoppelten Lebensumstände, wie z.B. latente Risikosituationen durch erhöhte Flut- oder Erdbebengefahr sowie nicht- institutionalisierungsfähige Vor- und Nachteile mit spontaner oder individueller Schicksalsabhängigkeit, wie z.B. Lotto- und Quizshowgewinne. (Hradil 1987: 15)

Zusammenfassend bietet Hradil in der neueren Literatur eine Definition an die besagt, dass "soziale Ungleichheit dann vor [liegt], wenn Menschen aufgrund ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen von den "wertvollen Gütern" einer Gesellschaft regelm äß ig mehr als andere erhalten." (Hradil 1999: 26, kursiv im Original) Um es plastischer zu machen, führt Hradil für wertvolle Güter soziale und unter Knappheitsbedingungen9 verteilbare, gesellschaftlich relevante Lebensrisiken- und Chancen in Form von Macht, Gehorsam, Ansehen, Bildung, Eigentumsrechten, Konsumgütern etc. an, die wir neben den Lebensverhältnissen - als Beispiel für eine Dimension sozialer Ungleichheit - mit dem Begriff Ressourcen identifizieren können (Hradil 1987: 15-17). Bevor ich in den nächsten Abschnitten auf Theoriemodelle sozialer Ungleichheit eingehe, möchte ich festhalten, dass sich im Zusammenhang immer auch die Frage nach der Legitimität10 sozialer Ungleichheit stellen ließe, und danach, wie sich sodann Erscheinungen sozialer Ungleichheit in dem aufeinanderbezogenen Spannungsfeld subjektiver bzw. objektiver Beurteilungsdimensionen verorten lassen können. Theorien sozialer Ungleichheit stellen uns mögliche Antworten bereit, mit denen uns ein Instrument zur Bestimmung der Ursachenzusammenhänge und Umstände für die Entstehung gesellschaftlich prädominierter Vor- und Nachteilssituationen in die Hand gegeben wird. (Hradil 1999: 95) Ich stelle im folgenden zusammengefasst die Grundgedanken der für die Fragestellung wichtigsten Theorien sozialer Ungleichheit zusammen, und möchte mit den Klassikern Marx und Weber beginnend einen Teilbereich des Diskussionsstands skizzieren.

2.1 Die Klassentheorie von Karl Marx

Es muss vorangestellt werden, dass die Erkenntnisabsicht von Marx (und Engels) nicht darin bestand, zeitgenössische Einzelerklärungen für die Ursachen sozialer Ungleichheit zu liefern oder mittels philosophischer Abstraktionen, logischer Kategorien und Methoden mit absolutem Anspruch gesellschaftliche Entwicklungsprozesse erklären und beschreiben zu wollen. Ganz im Gegenteil wurde die Erkenntnisabsicht von der Vorstellung geleitet, aufgrund exakter empirischer Untersuchungen die grundsätzlichen Mechanismen zu ermitteln, die zur Entstehung von sozialer Ungleichheit in liberalistisch-kapitalistischen11

Gesellschaftsformationen führen, Anhand einer an der Wirklichkeit orientierten Analyse historischer Fakten sollen die Gesetzmäßigkeiten der geschichtlichen Entwicklungen herausgearbeitet werden (Hradil 1999: 104 - Fußnote 16). Mit einem Blick in den dritten Band von "Das Kapital" (MEW12 1973, Bd. 25: 892) bestätigt sich diese Aussage dahingehend, dass wir trotz der Überschrift des zweiundfünfzigsten Kapitels »Die Klassen« nicht mit einem systematisch gefassten Erklärungsansatz konfrontiert werden (das Manuskript bricht abrupt ab); und den Klassenbegriff daher nur als einen solchen, der in eine generelle Gesellschaftstheorie eingebettet ist, verstehen dürfen. Wir stoßen auf den Begriff vielmehr z.B. in der Kritik der politischen Ö konomie im Zusammenhang mit der Untersuchung der Lebensbedingungen der drei großen Klassen13, in die nach Marx' Ansicht die moderne Gesellschaft zerfallen wird (MEW 1974, Bd.13: 7). Desweiteren finden wir den Klassenbegriff in den Ö konomischen Manuskripten im Kontext der Materialisierung des Surplusproduktes, das "die materielle Existenzbasis aller Klassen, die außer den arbeitenden Klassen leben, des ganzen Überbaus der Gesellschaft [darstellt]" (MEW 1990, Bd. 43: 180). Grundsätzlich wollen wir festhalten, dass unter Klassen erstens gesellschaftliche Großgruppen mit konträren Interessendispositionen zu verstehen sind, deren Gegensätzlichkeiten zweitens aus den unterschiedlichen Machtstellungen und Lebensbedingungen resultieren, die sich wiederum im Allgemeinen gemäß der divergierenden Position gegenüber den Produktionsmitteln- und prozessen manifestieren (Hradil 1987: 60). Wir gehen hierbei nicht von einer starren Konstellation14 der gesellschaftlichen Großgruppen aus, nehmen aber getreu der Methode des historischen Materialismus15 erstens eine prozessuale Entwicklungs-tendenz innerhalb kapitalistischer Gesellschaften an sowie zweitens die generelle Historizität und konkrete Abbildbarkeit dieses Entwicklungsablaufes (Hradil 1987: 60 sowie Kuhn 1973: 95f.).

Abbildung 1: Das Klassenkonzept von Marx

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Abbildung aus: Hradil, Stefan, 1987: Sozialstrukturanalyse in einer fortgeschrittenen Gesellschaft, S. 61)

Der Abbildung zum Klassenkonzept von Marx können wir entnehmen, dass über den Ausdruck kollektiver sozio-ökonomischer, sozio-kultureller und sozio-politischer Aktionsformen das bewußte Resultat der sozialen Lebensform als Klasse für sich nicht alleine in Verbindung mit den wirtschaftlichen Kernstrukturen und Lebenswelten verantwortlich für den substantiellen Antagonismus (= Situation entgegengesetzter Interessen) Besitzender und Nichtbesitzender zeichnet. Man muss parallel die einzelnen historischen Stationen der entwicklungsgesetzlichen Erklärung16 (die soziale Ungleichheit logischerweise implizierend) evolutionstheoretisch mitdenken, um den Vertikalismus des Ausprägungsprozess von der Klasse an sich zur Klasse für sich als revolutionäre Triebkraft zu verstehen, an dessen Ende die soziale Ungleichheit eben durch die höchste Form kollektiver politischer Aktion aufgehoben werden wird (Hradil 1987: 61 sowie 1999: 103f.). Gemäß der dogmatischen marxistischen Gesellschaftsanalyse (und daher überholten Analyse; da in den fortgeschrittenen Gesellschaften diese entwicklungsgesetzlichen Erklärungen eben nicht strikt eintraten) werden also - um es verständlicher auszudrücken - soziale Ungleichheitsverhältnisse "als Folge von Produktionsverhältnissen und -weisen einerseits und von Klassenkämpfen andererseits formuliert" (Dangschat 1998: 66).

Mit dem Klassenkonzept von Karl Marx liegt uns unbestritten keine dezidiert soziologische, sondern eine im ökonomischen Feld begründete Erklärung für die Entstehung sozialer Un- gleichheit vor. Max Weber wird sich ein halbes Jahrhundert nach Marx zur Begründung der Klassengenese ebenfalls am ökonomischen Bereich orientieren (Hradil 1987: 61 sowie 1999: 105); Marxens Modell aber ergänzen, und dadurch den Tenor der empirischen Kritik vorge- ben (Berger 1998a: 29).

2.1.1 Nichtmarxistisches Klassenkonzept sozialer Ungleichheit: Max Webers Klassen und Stände

Mit Weber findet durch die Beschreibung der horizontalen Achse der gesellschaftlichen Zusammensetzung zwar eine eng an Marx' ökonomisch angelehnte Sicht ihre Entsprechung. Weber spaltet den Klassenbegriff aber in der Unterscheidung von Besitz- und Erwerbsklassen in puncto des sozialstrukturellen Querschnitts im Unterschied zu Marx in eine größere Zahl von Klassenlagen auf. Er machte diese Differenzierung, innerhalb der Gruppen Besitzender und Nichtbesitzender, von der "Art des zum Erwerb verwertbaren Besitzes einerseits, [und] der auf dem Markt anzubietenden Leistungen andererseits" (Weber in: Hradil 1987: 63) abhängig. Dieser Schritt von Marx zum "extrem differenzierten Sozial- strukturmodell" (Hradil 1987: 63) scheint aber Weber selbst zu weit zu gehen. Er bündelt das so erzeugte Universum möglicher Klassenlagen nämlich wieder in den sozialen Klassen, die sich dadurch auszeichnen, dass zwischen ihnen erstens persönlich und zweitens in der Generationenfolge Mobilitätschancen bestehen, und dass diese - drittens - typischerweise auch genutzt werden. (Hradil 1987: 63) Erhalten die Klassen, hier identisch mit Marx, ihr Bewusstsein aufgrund ökonomischer Bezugspunkte, so werden diese durch Lebenslagen gekennzeichneten Klassen aber neben den Machtverhältnissen nun ergänzend durch Marktmechanismen - z.B. über anzubietende Leistungen außerhalb des Verkaufs der Arbeitskraft - definiert (Hradil 1999: 106).

Mit weitaus mehr Inhalt als Marx belegt Weber den Begriff des Standes, der in der Literatur sodann originär als Ausgangspunkt für den späteren Schichtbegriff angeführt wird. Im Zusammenhang mit dem Begriff der Partei17 wird der Stand von Weber in der Argumentation gegen den "ökonomischen Reduktionismus" von Marx und den - quasi - Ökonomismus an sich verwendet. Unter Stand versteht Weber "jede typische Komponente des Lebensschicksals von Menschen, welche durch eine spezifische, positive oder negative, soziale Einschätzung der 'Ehre' bedingt ist, die sich an irgendeine gemeinsame Eigenschaft vieler knüpft" (Weber in Hradil 1987: 74). In der folgenden Übersicht des Weber'schen Konzeptes soll die eigenständige Position der Stände, und insbesondere die der Lebensführungsstände im Gegensatz zum Marx'schen Klassenkonzept veranschaulicht werden.

Abbildung 2: Klassen, Stände und Parteien bei Max Weber

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Aus: Hradil 1987: 62)

Mit den Lebensführungsständen gelangen wir von der anderen Seite - der subjektiv verorteten - zu einer interessanten Anschlußstelle an die Frage der Individualisierung sozialer Ungleichheit. Mit der obigen Definition der Stände wird die Gemeinsamkeit der Einschätzung eines Lebensstils, und somit ein qualitativ interpretierbares Prestigemodell sozialstruktureller Schichtung18, eingeführt (Hradil 1987: 74f.). Die typischen Komponenten des Lebensschicksals finden ihre Anerkennung in der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand; und die einem Stand zugehörigen Individuen erfahren ihre gemeinsame Definition "durch ihre Lebensführung, d.h. durch gemeinsame stilistische Merkmale, die sie von anderen abgrenzen sollen" (Flaig u.a. 1997: 37). Wir haben nun unmerklich das Lebensstil- Theorem erreicht, als dessen Gründerväter neben Max Weber auch Thorsten Veblen und Georg Simmel angegeben werden (Flaig u.a. 1997: 36).

2.1.2 Das Lebensstil-Theorem im theoriegeschichtlichen Rückblick

Mit der Gegenfrage "Wenn Lebensstil die Antwort ist, was ist die Frage?" (Müller 1992: 369), gibt Hans-Peter Müller in seinem Buch Sozialstruktur und Lebensstile dem marxistischen Klassentheoretiker Erik Olin Wright eine möglich Antwort auf die Suche nach einer adäquaten Strategie zur Klassen-, Schichten- und Mobilitätsforschung im Kontext sozialer Ungleichheit. Müller möchte die Lebensstilanalyse jedoch nicht als Ersatz für die Sozial- strukturanalyse verstehen, sondern als eine "notwendige Ergänzung und Verfeinerung" (Müller 1992: 369) derselben. Aus der allgemeinen Erwägung, dass aus der Ermittlung eines Strukturbildes durch die herkömmliche Sozialstrukturanalyse ein Lagerungs-, System- und Mentalitätsbild der Gesellschaft gewonnen werden, kann folgert er, dass sich die Forschung in besagter Ergänzung und Verfeinerung an dem funktionalen Stellenwert der Lebensstile ausrichten solle. Eine generelle Theorie sozialer Ungleichheit kann nach Müller nicht ohne weiteres zur Bestimmung historischer Schichtverhältnisse benutzt werden. Es muss eine historische Respezifizierung derselben erfolgen. Die Anschlußfähigkeit zur historischen Respezifizierung kann insbesondere durch die Lebensstilforschung hergestellt werden, da sie "distributive und relationale Ungleichheitsverhältnisse mit der Grammatik einer historischen Lebensform und dem kulturellen Sinn der Bedeutung individueller Lebensführung zu verknüpfen erlaubt." (Müller 1992: 370)

Webers Begriff der Lebensführungsstände (siehe Abschnitt 2.1.1) kehrte in der Retranslation des Wortes Life Style aus der amerikanischen Soziologie als dort inhaltlich erweiterter Begriff des Lebensstils in die deutschsprachigen Sozialwissenschaften zurück. Er wurde zwar von Weber selbst nicht z.B. über die Idee der Gemeinsamkeit der Einschätzung eines Lebensstils der Stände mit dem Stellenwert einer soziologischen Grundkategorie versehen, der Begriff drückt dennoch das Anliegen aus, die zu Webers Zeiten (zumindest) manifestierenden Prinzipien des okzidentalen Rationalismus und des Kapitalismus in den "Konturen moderner Lebensführung aufzuspüren (...), ferner aber - und soziologisch wesentlich bedeutsamer - sucht er die Prinzipien von Lebensführungsweisen schlechthin und analytisch erschöpfend aufzuweisen - allerdings, so können wir hinzufügen, nur für die religiös geprägten, vormodernen oder traditionellen Lebensformen." (Müller 1992: 371) Im Gesamtzusammenhang, so Müller, folgte die sozialwissenschaftliche Tradition Weber aber nur in der Begriffswahl und Verwendung dreier Explikationsmomente. Erstens im Niederschlag von Ehre und Prestige in der Standesbildung, zweitens in der elementaren Rolle der geistigen Bildung für die Entwicklung eines auserlesenen Lebensstils, und drittens in der Erfüllung dreier Funktionen für die innere Verfasstheit einer Standes- bzw. Statusgruppe: Vermittlung von Identität und Zugehörigkeit, die Abgrenzung zu anderen Lebensstilen sowie die Entwicklung von Strategien der sozialen Schließung19. (Müller 1992: 372) In der soziologischen Lebensstilforschung werden mit dem Weberschen Begriff in kleiner Abweichung einmal die spezifische Lebensweise von Gruppen20 jeglicher Art, in der Marketing- und Konsumforschung des SINUS-Instituts andererseits die spezifische Lebensweise von Aggregaten im technischen Sinn verstanden (Müller 1992: 374). Es können nach Müller fünf formale Eigenheiten des Lebensstilansatzes festgehalten werden, die ich abschließend zum Verständnis angeben möchte:

"(1) Ganzheitlichkeit: Das holistische Moment, das schon in dem emphatischen Begriff »Leben« und in der Nähe zur Lebensphilosophie zum Ausdruck kommt, soll die Differentia specifica und mithin die »Gestalt« einer Person (Adler), Gruppe (Weber) oder Epoche (Simmel) erfassen.
(2) Freiwilligkeit: das voluntaristische Moment, das im Prozeß der »Stilisierung« zum Ausdruck kommt, verweist auf die Wahlmöglichkeiten (...)
(3) Charakter: das Moment der »Eigenart« oder des »Stils« verweist auf die typische Ausformung eines Musters, das dem Lebensstil sein unverwechselbares und identifizierbares Gepräge gibt.
(4) Verteilung der Stilisierungschancen: das Ausmaß der Stilisierungschancen in einer Gesellschaft ist ganz allgemein abhängig vom Wert- und Normsystem und dem materiellen Wohlstand einer Gesellschaft. Je stärker gesellschaftliche, institutionelle und milieuspezifische Regelungen in Umfang und Intensität zurückgehen, desto eher treten an die Stelle von traditionellen Rollenmustern und ritualisierten Statuspassagen autonome Lebensstilwahlen. (...)
(5) Verteilung von Stilisierungsneigung: So wie es allgemein eine Verteilung von Stilisierung- schancen gibt, so existiert auch eine spezifische Verteilung der Stilisierungsneigung, je nachdem, ob man die gesellschaftliche oder individuelle Ebene betrachtet. (...)" (Müller 1992: 374ff.)

2.2 Die Stellung des Individuums in der reflexiven Moderne

Zur Veranschaulichung der Stellung des Individuums in der reflexiven Moderne und dem gedanklichen Fundament der Individualisierungsthese von Ulrich Beck möchte ich auf folgendes Modell der Grundprinzipien des Modernisierungsprozesses verweisen. Voranstellen möchte ich noch, dass es sich bei der hinter den Grundprinzipien des Modernisierungsprozesses stehenden Theorie reflexiver Modernisierung auch um ein grundbegrifflich eigenständiges Forschungsprogramm handelt, das sich weder auf die Handlungstheorie noch auf die Systemtheorie noch auf den Sozialkonstruktivismus zurückführen läßt, obwohl es Argumente aus all diesen Kontexten aufzunehmen und zu bündeln versucht.

Abbildung 3: Modell der Grundprinzipien der Moderne - Kontinuität und Bruch zwischen industrieller und reflexiver Moderne

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eigenes Modell nach Ulrich Beck in: Beck /Giddens/Lash 1996: 45f. sowie Beck 1986: 158f.

Unabhängig von der Logik der Risikoverteilung in Teil I in seiner Programmschrift Risikogesellschaft - Auf dem Weg in eine andere Moderne, sind von Beck in Teil II zum Individualisierungstheorem Prozesse der Individualisierung als eine der Argumentations- stränge zur Darstellung des Gesamttheoriemodells reflexiver Modernisierung angeführt. Der "Individualisierungsprozess wird theoretisch als [eines der] Produkt[e] der Reflexivität gedacht, in der der wohlfahrtsstaatlich abgesicherte Modernisierungsprozeß die in die Industriegesellschaft eingebauten Lebensformen enttraditionalisiert." (Beck 1986: 251, kursiv im Original) Die Industriegesellschaft stellt somit die erste Moderne, also das Resultat der Modernisierung der traditionellen, vormodernen Gesellschaft der Ancient Regimes dar. Die zweite, reflexive Moderne als Übergang in die Risikogesellschaft ist das Ergebnis einer latenten Weitermodernisierung der ersten Moderne. Nach Beck verlangen die Nebenfolgen und Modernerisiken im Ergebnis der ersten Modernisierung nach einer Selbstthematisierung- und Problematisierung, wobei es sich dabei um einen selbstkonfrontativen und eigendynamischen Prozeß handelt, der nicht als gezieltes Programm zur Überwindung der ersten Moderne zu verstehen ist. (Volkmann 2000: 24) Es kommt, wie wir in der Modelldarstellung sehen, aufgrund der Selbstanwendung der Grundprinzipien der ersten Moderne zu einem Bruch zwischen den beiden Modernetypen. Durch diese Selbstanwendung kommt es aber auch zu einer Weiterführung der Moderne an sich, woraus sodann die Aufhebung der Grundlagen der ersten Moderne resultieren (Beck/Giddens/Lash 1996: 45).

2.2.1 Ulrich Becks Individualisierungsthese

Ein gesellschaftlicher Individualisierungsschub zeigt sich nach Beck in Entwicklungen, durch die die Menschen "aus traditionellen Klassenbedingungen und Versorgungsbezügen der Familie herausgelöst und auf sich selbst und ihr individuelles Arbeitsmarktschicksal mit allen Risiken, Chancen und Widersprüchen verwiesen [werden]" (Beck 1986: 116). Auf diese Weise entstehen individualisierte Lebensformen, in denen der einzelne nicht nur die Chance zur Selbstverwirklichung eigener Lebensansprüche hat, sondern - allein schon um des materiellen Überlebenswillen - dazu gezwungen wird, seinen Lebensweg aus eigenem Antrieb heraus zu planen und zu gestalten. Das Scheitern der erfolgreichen Lebensplanung - z.B. bei Arbeitslosigkeit - wird entsprechend kaum mehr als gesamtgesellschaftliches Problem wahrgenommen, sondern erscheint als individuell verantwortetes persönliches Problem ("Wer arbeiten will, findet auch Arbeit!" - wie der Volksmund sagt).

Individualisierungstendenzen und ihre Konsequenzen zeigen sich aber nicht nur im beruflichen Zusammenhang: auch das Privatleben, Beziehungen und Familie werden durch die Individualisierung der Lebenslagen determiniert und von der reflexiven Moderne in "riskante Freiheiten" (Beck/Beck-Gernsheim 1994: 11) transformiert. Gemäß dem aus Becks Darstellung entwickelten Grundmodell der Moderne ist zusammenzufassen, dass durch die Auflösung kultureller Voraussetzungen sozialer Klassen eine Individualisierung sozialer Ungleichheit erfolgt, und dass mit dem "Verschwimmen der sozialen (Wahrnehmungs-) Klassen (...) vielmehr" (Beck/Giddens/Lash 1996: 46) eine generelle "Verschärfung" von sozialer Ungleichheit einhergeht.

Diesen Logikschluß erklärt Beck mit den "immanenten Widersprüche [n] im Individualisierungsprozeß" (Beck 1986: 211, kursiv im Original), woraus ich folgere, dass die so entstehenden neuen individualisierten Lebenslagen keineswegs mit einem anything goes gleichzusetzen sind, da die Unabhängigkeit von Klasse und Stand nun wiederum zu neuen Verbindlichkeiten führt. Beispielhaft stellen (Arbeits-)Markt, Bildung, Recht, Konsum und Moden nicht nur Wegweiser und Indikatoren für die Bereiche dar, in den die individualisierten Lebenslagen zur Wirkung kommen, sondern sie schaffen neue Abhängigkeiten, denen sich das Individuum kaum - bisweilen gar nicht widersetzen kann. Insofern kann man gemäß Beck im Zeitalter der Individualisierung zwar nicht mehr von schicht- und klassenabhängigen, aber - so räumt er ein - stattdessen nun von institutionenabhängigen Individuallagen sprechen. Auf diese Weise lassen sich die beschriebenen Individualisierungstendenzen als ambivalent - und m.E. ambivalent im Sinne von Geißlers Kritik an der Verwässerung vertikaler Ungleichheitsdimensionen - beurteilen, da sie letztendlich wieder zu Institutionalisierung, einer neuen Kollektivität, Standardisierung und politischen Gestaltbarkeit von Lebenslagen führen (Beck 1986: 211ff.).

Für weitere, empirisch geführte, Kritiken an der Individualisierungsthese aus der schier unerschöpflichen Literatur zum Thema möchte ich exemplarisch auf Walter Müller21 (Müller, 1997) und Max Koch22 (Koch, 1998) verweisen.

2.2.2 Positiver und negativer Fahrstuhleffekt

Der Fahrstuhleffekt besagt, dass im Verlauf des letzten Jahrhunderts modernebedingt die durchschnittliche Lebenszeit der Menschen um mehrere Jahre stieg, und dass im Gegenzug die Erwerbsarbeitszeit um durchschnittlich mehr als ein Viertel sank. Die gesellschaftliche Umgebung dieses Vorgangs sei in der Relation für alle Gesellschaftsmitglieder gleich Ungleich geblieben. Verkürzt gesagt gab es also für alle ein bißchen mehr Freizeit bei gleichzeitiger Senkung der Wochenarbeitszeit, jedoch unter Aufrechterhaltung des konstanten Abstandes zwischen den vertikalen gesellschaftlichen Stellungen (Beck 1986: 124). Man kann diese Entwicklung unter dem Stichwort positiver Fahrstuhleffekt subsumieren. Nun sagt Beck weiter, dass die Überschneidungszonen, in denen sich freizeitbedingt die Massenkonsumenten unterschiedlicher vertikaler Herkunftsweise treffen, wachsen. Die früher klassenkulturell segregierten gesellschaftlichen Reproduktionsstätten werden für alle in gleichem Umfang verfügbar; die ehemals zwischen ihnen existierenden sozialen Grenzen sind in ihrer alten Wirkung aufgehoben. Um aber - und hier möchte ich auf Bourdieu verweisen - die feinen Distinktionsunterschiede aufrecht zu erhalten, treten an die Stelle der ehemals segregierten Räume gemäß Beck "ungleiche Konsumstile" (Beck 1986: 125), die seiner Ansicht nach aber - trotz herausgestellter Unterschiedlichkeit - ihre "klassenkulturellen Attribute abgelegt haben" (Beck a.a.O.). Den Kritikern entgegnet Beck nun, dass ihr Fehler - trotz der bekannten Statistiken23, die eine Vergrößerung des Ab- standes zwischen Viel- und Wenigverdienenden, Besitzenden und Nichtbesitzenden bestätigen - darin läge, dass sie weiterhin in "unterstellten" Großgruppen, d.h. zumindest in Schichtkategorien denken; mit der These der Individualisierung sozialer Ungleichheit soll aber gerade zwischen der Beobachtung der Größe der Abstände zwischen den - von den Kritikern - unterstellten "Großgruppen", und der Grundfrage nach dem Charakter der Sozialstruktur in der Existenz von Klassen- und Schichtzusammenhängen differenziert werden. So ist es anhand dieser immunisierungsthesenartigen Aussage m.E. nicht verwunderlich, wenn Beck von einem Fehlschluß und einer Fehlinterpretation spricht, insofern hinterfragt wird, ob bei Beständigkeit des relationalen Abstands in der Ungleichheitsdimension nicht ein Beweis für die Konsistenz großgruppentypischer Unterschiede vorliegt?

Nun gibt Beck an, dass eine Auflösung des gesellschaftlichen Vertikalismus unter negativen Rahmenbedingungen wie etwa Massenarbeitslosigkeit durchaus mit einer Verschärfung sozialer Ungleichheit einhergehen kann. In diesem Zusammenhang räumt Beck die Existenz eines negativen, oder Fahrstuhls nach unten durchaus ein. Den negativen Fahrstuhleffekt bei einhergehender Verschärfung sozialer Ungleichheit verwendet er aber als ein Gegenbeispiel, ja für die Bekräftigung der Evidenz seines Arguments eines konstanten Abstands zwischen oben und unten bei individualisierungsbedingter Auflösung und Enttraditionalisierung der sozialen Klassen (Beck 1986: 142f).

3. Der Milieuansatz: Bündelung objektiver Lebensbedingungen und subjektiver Einstellungen

Wie wir im vorherigen Abschnitt gesehen haben, treten an die Stelle der ehemals segregierten sozialen Räume gemäß Beck nun ungleiche Konsumstile. In den Sozialwissenschaften lässt sich der Gegensatz zwischen Objektivismus und Subjektivismus damit darstellen, dass in erstem die Definition der gesellschaftlichen Großgruppen aufgrund ihrer objektiven Verfügungsmöglichkeit über die unter Knappheit stehenden Ressourcen erfolgt, und dass in letzterem die Bestimmung gesellschaftlicher Großgruppen unter subjektiven Werteinschätzungen gesellschaftlicher Akteure, die eine Prestigehierarchie bilden, verstanden werden kann.24 Anders ausgedrückt wird - ebenfalls gemäß dem klassischen Paradigma - einerseits davon ausgegangen, dass Klassenbewußtsein oder schichtspezifisches Verhalten und Denken als subjektive Komponenten in der Klassen- oder Schichtdefinition impliziert sind, oder dass schicht- bzw. klassenspezifische Handlungs- und Denkschemata durch die objektiven Realitäten (Realitäten in Anführungsstrichen, d. Verf.) determiniert werden. Gemäß dem neuen Paradigma wird in der Lebensstil- sowie Milieuforschung angenommen, dass objektive Lebensbedingungen unter Umständen - aber nicht zwingend - auf die subjektiven Lebensweisen der Individuen einwirken. Um aber zu untersuchen, ob und in welchem Ausmaß diese Einwirkung stattfindet, müssen die objektiven Lebensweisen in ihrer Gruppenspezifik und die subjektiven Lebensweisen in ihrer Gruppentypik gesondert über die soziale Milieu-, oder Lebensstilforschung analysiert werden (Hradil 1999: 41).

Aber auch in der Milieuforschung treten unterschiedliche Ansätze auf - die allesamt synthetisch sind -, wie z.B. der sozialpsychologische Ansatz von Gerhard Schulze, der die Herstellung von Milieuzugehörigkeit über offenbare Alltagsästhetik und die Markierung der Milieugrenzen durch Versendung distinktiver Botschaften erklärt. Das SINUS-Institut verfährt im Gegensatz zu Schulze in der Art, dass es den horizontalen Charakter der Alltagsästhetik mit nicht mit einer Schwerpunktsetzung auf eine mögliche Entvertikalisierung der Großgruppenverhältnisse betont, sondern im Gegenteil den Fortbestand sozialhierarchischer Strukturen einbezieht, ohne aber auf die gesamte Klassenanalytik von Bourdieu zurückzugreifen (Flaig/Meyer/Ueltzhöffer 1997: 49)

Unter sozialen Milieus sollen nun aber definitorisch generell "Gruppen Gleichgesinnter [verstanden] werden, die gemeinsame Werthaltungen und Mentalitäten aufweisen und auch die Art gemeinsam haben, ihre Beziehungen zu Mitmenschen einzurichten und ihre Umwelt inähnlicher Weise zu sehen und zu gestalten." (Hradil 1999: 41)

3.1 Das SINUS-Milieumodell: Ein Beispiel kommerzieller Lebens- weltforschung und seine methodische Generierung

Seit 1983 verwendet das SINUS-Institut im Rahmen der Lebensweltforschung25 systematischer Alltagsästhetik26 und Stilpräferenzen eine gesamtgesellschaftliche Strukturierung der sozialen Makromilieus durch die Verortung objektiver und subjektiver Lebensweltbedingungen (Flaig/Meyer/Ueltzhoeffer 1997: 75 sowie Hradil 1987: 127). Im Jahr 197927 beginnend, wurden anhand unstandardisierter Leitfadeninterviews auf der Grundlage von ca. 1.400 Lebenswelt-Explorationen acht verschiedene Milieus ausgearbeitet, die mit jeweils charakteristischen Lebensorientierungen, Statuslagen und Einstellungen kategorisierbar sind. Die quantitative Validierung und Überprüfung der so entstandenen Milieutypologie fand sodann ab 1981 anhand einer standardisierten 41-teiligen Statementbatterie auf der Basis von mehr als 50.000 Fallzahlen statt. Die Nutzung der so ermittelten Ergebnisse erfolgte aber durchaus nicht alleine von Seiten kommerzieller Marketingabteilungen mit dem Ziel der Evaluierung und Spezifizierung ziel- gruppengerichteter Konsumgüterwerbung, sondern auch von öffentlichen Stellen, z.B. für die Untersuchung neuerer Jugendbewegungen, oder etwa von der SPD mit dem Ziel der programmatischen Berücksichtigung cleavage-bedingter28 Bevölkerungsverteilungen (Hradil 1987: 127). Soziodemographische Merkmale, insbesondere Statusmerkmale sowie die Wertorientierungen, welche für die jeweiligen Lebensstrategien- und stile grundlegend sind, und ferner die alltagsprägenden Einstellungen dienen dem SINUS-Institut als Definitionskriterien zur Milieuaggregierung (Hradil 1987: 128). Anhand folgender drei Kriterien, wovon der soziale Status Ausdruck vertikaler Merkmale ist, können nach SINUS nun die Milieuzugehörigkeiten entwickelt werden:

"1. Wertorientierungen: Lebensziele; Materielle Werte; Postmaterielle Werte; Vorstellungen vom Glück
2. Alltagsbewußtsein: Arbeits- und Freizeitmotive; Einstellungen zu Familie und Partnerschaft; Zukunftsvorstellungen; Lebensstile
3. Sozialer Status: Schulbildung; Beruf; Einkommen" (Hradil 1987: 128)

Die Erhebung dieser Kriterien für das darauf folgende Design der Statementbatterien erfolgte in narrativen Interviews, deren Themenleitfäden die Bereiche Arbeit, Familie, Freizeitverhalten, soziale Kontakte, Konsum, Zukunftsperspektiven, politische Grundüber- zeugungen und Tagträume abdeckten. Da auf der Basis großer Fallzahlen gearbeitet werden konnte, wurde die Ziehung repräsentativer Stichproben im Quotaverfahren, eine computergestützte Auswertung der Interviewerprotokolle sowie die Anlage einer Datenbank ermöglicht. Mit Hilfe der Cluster-Analyse - die zu Ähnlichkeitsmessungen verwendet wird - konnten nun somit bis Ende 1990 acht Milieus definiert werden, denen man bestimmte Merkmalsausprägungen anhand der obigen Definitionskriterien zuordnete. (Hradil 1987: 129)

3.1.2 Die soziale Schicht- und Grundorientierung der SINUS- Milieus im neuen Jahrtausend

Während bis Ende 1990 acht soziale SINUS-Milieus charakterisiert werden konnten, das Konservativ gehobene, Kleinbürgerliche, Traditionelles und Traditionsloses Arbeitermilieu, Aufstiegsorientiertes, Technokratisch-liberales, Hedonistisches und Alternatives Milieu, entstand etwa Mitte der 80'er Jahre aufgrund der zunehmenden arbeitsweltlichen Tertiarisierung der Gesellschaft zusätzlich das Neue Arbeitnehmermilieu. (Flaig/Meyer/Ueltzhöffer 1997:59). Ab 1999 entwickelte sich das Konservativ gehobene zum Konservativ-technokratischen Milieu, das Technokratisch-liberale wurde zum Liberal-intellektuellen Milieu, und das Neue Arbeitnehmermilieu floß zusammen mit dem Alternativen Milieu in das Moderne Arbeitnehmermilieu. Aus dem Hedonistischen Milieu heraus entwickelte sich zusätzlich noch das wertewandelbedingte Postmoderne Milieu. Wir erhalten somit nachfolgende Abbildung, deren Milieus sich in den Raum zwischen vertikalen sozialen Lagen, und horizontalen Grundorientierungen einordnen lassen.

Abbildung 4: Positionierungsmodell (Westdeutschland) nach SINUS-Sociovision 1999

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: SINUS-Sociovision 1999

Aus Abbildung 3 ist ersichtlich, dass es sich nicht um genau abgegrenzte Domänen handelt, sondern um Schnittmengen, die von SINUS als "Unschärfenrelation der Alltagswirklichkeit" Flaig/Meyer/Ueltzhöffer 1997: 58) bezeichnet werden. In dem neuesten gesamtdeutschen Positionierungsmodell, welches seit Anfang 2000 vorliegt, haben sich die einzelnen Milieus teilweise geändert. Das aktuelle Modell ist in Abbildung 4 dargestellt, mit dem ich die Milieus nun auch näher erläutern werde.

Abbildung 5: Positionierung (West & Ost) nach SINUS-Sociovision 2000

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: SINUS Sociovision 2000

Wie wir sehen können, entwickelte sich aus dem Konservativ-technokratischen Milieu das Etablierte Milieu, aus dem Liberal-intellektuellen das Intellektuelle Milieu, aus dem Modernen Arbeitermilieu das Adaptive Milieu, aus dem Aufstiegsorientierten das Statusorientierte Milieu, aus dem Kleinbürgerlichen Milieu das Traditionelle Bürgerliche, und aus dem Traditionslosen das Konsummaterialistische Milieu.

Mit Hilfe der vertikalen und horizontalen Sozialstrukturdimensionen können nun folgende Milieumerkmale angegeben werden:

"Gesellschaftliche Leitmilieus

Etabliertes Milieu (9%): Die erfolgreiche Konsum-Elite unserer Gesellschaft mit ausgeprägten Exklusivitätsansprüchen - vorher konservativ-technokratisches Milieu

Intellektuelles Milieu (11%): Die aufgeklärte, postmateriell orientierte Werte-Avantgarde unserer Gesellschaft - vorher Liberal-intellektuelles Milieu

Postmodernes Milieu (6%): Die individualistische, 'multi-optionale' Life Style-Avantgarde

dazwischen als Ostspezifische Milieus

Bürgerlich-humanistisches Milieu (1%): Konservatives Bilungsbürgertum, das noch die alten protestantischen Tugenden hochhält (Entspricht dem früheren westdeutschen Konservativen gehobenen Milieu) - in Ostdeutschland alleine 7%

DDR-verwurzeltes Milieu (2%): Ehemals staatstragendes Milieu der abgewickelten Führungskader in Partei, Verwaltung, Wirtschaft und Kultur (Bis heute keine Angleichung an westdeutsche Lebenswelten)

- in Ostdeutschland alleine 8%

Traditioneller Mainstream

Traditionelles bürgerliches Milieu (16%): Die Sicherheits- und Status quo-orientierte Kriegsgeneration, die an den traditionellen Werten wie Pflicht und Ordnung festhält - vorher Kleinbürgerliches Milieu

Traditionelles Arbeitermilieu (6%): Die an Notwendigkeiten des Lebens ausgerichtete traditionelle Arbeiterkultur der Eckkneipen, Kleintierzüchter und Schützenvereine

Modernes Mainstream

Adaptives Milieu (12%): Der gut ausgebildete, mobile und pragmatische Mainstream der jungen modernen Mitte - vorher Modernes Arbeitnehmermilieu

Statusorientientiertes Milieu (14%): Die beruflich und soziale aufstrebende untere Mitte - die Erfolgsinsignien unserer Konsumgesellschaft im Blick - vorher Aufstiegsorientiertes Milieu

Modernes bürgerliches Milieu (9%): Die konventionelle neue Mitte, die nach einem harmonischen, behüteten Leben in gesicherten Verhältnissen strebt

Moderne Unterschicht

Konsum-materialistisches Milieu (9%): Die stark materialistisch geprägte Unterschicht, die Anschluß halten will an die Konsum-Standards der breiten Mitte - vorher Traditionsloses Arbeitermilieu

Hedonistisches Milieu (6%): Die unangepasste junge Unterschicht, die Spaß haben will und sich den Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft verweigert" (Geißler 2000: 58)

3.2 Forschungserträge und Anwendungsbeispiele des SINUS- Milieumodell

Mit der Statementbatterie zur Validierung und Überprüfung der Lebenswelt-Exploration, die von Flaig, Meyer und Ueltzhöffer als "Milieu-Indikator" (a.a.O.: 69) bezeichnet wird, können nicht nur die Entwicklungen der milieutypischen Wertorientierungsmuster nachgezeichnet werden, das Instrument produziert - wie wir anhand der Generierung neuer Milieutypen über die letzten Jahre gerade sahen - auch ein Bild von der Veränderungsdynamik der bundesdeutschen Gesellschaft (Flaig/Meyer/Ueltzhöffer 1997: 71). Verfolgt man die Entwicklung der Milieustrukturen ausschnitthaft von 1982 bis 1990 als Phase, in der sich z.B. die Partei DIE GRÜNEN als konfliktlinientypisches Abbild des gesellschaftlichen Wertewandels etablierte, so lassen sich weitere folgenreiche Konstellationsveränderungen feststellen. Im genannten Zeitrum verbuchten die modernen Mainstreammilieus, das Aufstiegsorientierte und das Hedonistische Milieu, zusammen mit dem Traditionslosen Arbeitermilieu ein Wachstum von insgesamt 12,7 %29, die Milieus des traditionellen Mainstreams (Kleinbürgerliches, Traditionelles Arbeitermilieu) sowie das Alternative Milieu gingen in diesen acht Jahren um zusammen 10,9 %. zurück (Fleig/Meyer/Ueltzhöffer 1997: 72). Mit der Herausbildung des Neuen Arbeitnehmermilieus aufgrund einer zunehmenden Subdifferenzierung innerhalb des Hedonistischen und Aufstiegsorientierten Milieus konnte eine neues lebensweltliches Milieu aggregiert werden. Für den Beginn der 90'er Jahre charakterisieren die Autoren somit eine typisch gegenläufige Entwicklungstendenz, die sich in drei Bewegungsformen ausdrücken läßt.

- Erstens in Modernisierung, "im Sinne einer Öffnung des sozialen Raumes durch höhere Bildungsqualifikationen, wachsende Kommunikationsbereitschaft und - damit verbunden - erweiterte Entfaltungsspielräume, versinnbildlicht in der Herausbildung des Neuen Arbeitnehmermilieus".
- Zweitens in Regression, "durch die Zunahme anomischer Prozesse (wachsende Deklassierung, Orientierungslosigkeit, Sinn- und Werteverlust) und daraus resultierender autoritärer und aggressiver Neigungen: Das Traditionslose Arbeitermilieu und das Hedonistische Milieu dehnen sich aus".
- Drittens in Segregation, "d.h. Auseinanderdriften der Lebens- und Wertewelten, zunehmende Abschottung der Sozialen Milieus gegeneinander und Radikalisierung milieuspezifischer Einstellungs- und Verhaltensmuster." (Fleig/Meyer/Ueltzhöffer 1997:73)

Wir können demnach anhand der qualitativen SINUS-Analyse gesamtgesellschaftliche Entwicklungstendenzen empirisch operationalisieren, und aus den gewonnenen quantitativen Werten für die prozentualen Milieuzusammensetzungen die sozialstrukturelle Differenzierungsdynamik (als Alternativ-formulierung für subjektive/objektive soziale Ungleichheit) vertikal als auch horizontal darstellen.

Eine Sozialstrukturanalyse die nicht alleine auf die Untersuchung sozialer Gruppenstandards wie Bildung, Einkommen, Beruf etc. ausgerichtet ist, sollte auch soziale Bindungen und Mentalitäten einbeziehen, wie es im relationalen Mehrebenenkonzept des sozialen Raums von Bourdieu gewährleistet wird. (Geiling 2000: 4) Um einen weiteren Anwendungsbezug des Ansatzes von SINUS darzustellen, möchte ich hier auf eine Verbindung von SINUS mit der Konzeption des sozialen Raumes von Bourdieu durch die Arbeitsgemeinschaft interdisziplinärer Sozialstrukturforschung (agis) an der Universität Hannover eingehen. Ich halte diese Verbindung für die Untersuchung modernebedingter gesellschaftlicher Dynamisierungsprozesse äußerst fruchtbar, und möchte hierzu genanntes Konzept von Bourdieu skizzieren.

3.2.1 Pierre Bourdieu: Das Konzept des sozialen Raumes

"Der soziale Raum, ein abstrakter Raum, der aus einem Ensemble von Subräumen oder Feldern besteht (wirtschaftliches, intellektuelles, künstlerisches, universitäres Feld und so weiter), deren Struktur auf die ungleiche Verteilung einer besonderen Art von Kapital zurückgeht, kann erfaßt werden in Form der Verteilungsstruktur der verschiedenen Arten von Kapital, die zugleich Kampf- mittel und als -einsätze innerhalb der verschiedenen Felder fungieren (was in den Feinen Unter- schieden als Gesamtumfang und Struktur des Kapitals bezeichnet wird)." (Bourdieu 1991: 28, Klammern im Original)

Als Kapitalformen, die als Ressourcen ungleich verteilt sind, existieren das ökonomische Kapital, das Bildungskapital und das soziale Kapital - letzteres in Form von gesellschaftlichen Beziehungen. Der soziale Raum konstituiert sich nun entlang einer vertikalen und horizontalen Achse nach den Kriterien:

- Kapitalvolumen, worin der Umfang der Kapitalformen angegeben wird;
- der Kapitalstruktu r, hierin wird das relative Verhältnis der Kapitalarten zueinander bestimmt,
- und der sozialen Laufbahn, mit der Auf- und Abstiegsmöglichkeiten bzw. Stagnationssituationen sozialer Klassen- und Klassenfraktionen dargestellt werden können.

Die Relationalität des Mehrebenenkonzepts des sozialen Raums drückt sich in der Konstruktion einer ersten Ebene des Raums sozialer Positionen aus. Zu identifizieren sind darin die sich wechselseitig definierenden Positionen der Akteure und ihre relative Nähe zu- einander. Mit dem Begriff »relationales Denken« wird ein Beziehungsdenken ausgedrückt, wie es dem französischen strukturalistischen30 Paradigma entspricht. Der mittels der drei Einflußkriterien konstruierte Raum erlaubt nun eine empirische Bestimmung sozialer Positio- nen und ihrer Ausdrucksmerkmale (Schwingel 1995: 101-108). Epochales Beispiel für eine gesamtgesellschaftliche Analyse ist das zu Lebzeiten bereits als Klassiker zu bezeichnende Buch Die feinen Unterschiede von Bourdieu (Bourdieu, 1982). Für die Charakteristik sowie Überwindung des Gegensatzes von Klassen- und Schichtungstheorien differenziert Bourdieu nun in einen weiteren eigenständigen Subraum: den Raum der Lebensstile. Fand mit dem Raum der sozialen Position die objektivistische Seite ihren Ausdruck, so wird mit dem Lebensstilraum - in Anlehnung an Max Weber und die symbolischen Merkmale der Lebensführung - eine Verbindung zum subjektivistischen Lebensstil hergestellt (Schwingel 1995: 109). Nach der Grundhypothese von Bourdieu können Wechselbeziehungen zwischen beiden Räumen stattfinden, die es erlauben, den korrespondierenden sozialen Positionen analoge Praktiken und Objekte der symbolischen Lebensführung zuzuordnen (Schwengel 1995: 110). Die Methodologie von Bourdieu bezieht nun Michael Vester (agis), in seine Arbeiten einer gesamtgesellschaftlichen Strukturierung der Makromilieus durch die Verbindung von formalen, objektiven Kriterien wie z.B. Berufsgruppenzugehörigkeit und subjektiven Kriterien der Sozialstruktur ein. Im Resultat wird eine Vervollständigung des sozialen Raums anhand der repräsentativ ermittelten Milieus der alltäglichen Lebensführung (bzw. der lebensweltlichen Milieus analog zum SINUS-Institut) erreicht. Unterscheidungen können durch die Mentalitätstypen, also der Art des Geschmacks, der Lebensführung und der Alltagskultur getroffen werden, die sich auf der vertikalen Ebene durch ihre unterschiedlichen Berufspositionen, Bildungsgrade und materiellen Ausstattungen auszeichnen (Geiling 2000: 7).

Abbildung 6: Standort der „Neuen Mitte“ 1995

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: www.agis.uni-hannover.de 26

Auf die Nutzung der Arbeiten von SINUS durch öffentliche Einrichtungen und z.B. Parteien wie der SPD in den 80'er Jahren hatte ich bereits in Abschnitt 3.1 hingewiesen. Wir sehen in Abbildung 5 nun eine typische Form der Kombination sozialer SINUS-Milieus mit dem klassenspezifischen und kultursyste-matischen Sozialstrukturansatz von Pierre Bourdieu. Michael Vester stellt hierfür in einem Aufsatz einen Vergleich der neuen Mobilisierung durch die sozialdemokratische Partei von 1998 mit früheren Konzepten großer sozialer Bündnisse an, und stellt in Orientierung am bundesrepublikanischen Integrationsmodell des westdeutschen regulierten Kapitalismus die für 1995 ermittelte Position der sogenannten "Neuen Mitte" - in der Abbildung rot - dar (Vester, 1999). Im Gegensatz dazu, dass Vester in seinem Aufsatz die Dominanz der "Neuen Mitte" als ausschlaggebendes Wählerklientel anhand der quantitativen Messung der in Frage kommenden sozialen Milieus mit knapp 17% widerlegt, steht hiermit ein geeignetes Instrument zur Ausrichtung programmatischer Inhalte der Parteien als Artikulationsadressen an den so ermittelten gesamtgesellschaftlichen Strukturdaten zur Verfügung.

4. Zusammenfassung: Erträge der These von der Individualisierung sozialer Ungleichheit und des SINUSMilieuansatz zur Kenntlichmachung der Differenzierungsdynamik moderner Gesellschaften

An den Grundlagen einer Theorie reflexiver Modernisierung wird seit etwa fünfzehn Jahren gearbeitet, und wie Ulrich Beck neulich in der Reihe Teleakademie des Südwestdeutschen Rundfunks sinngemäß erklärte, sei die gesellschaftstheoretische Kernthese, wonach zwischen Risikovergesellschaftung und Individualisierung ein mehr als nur zufälliger Zusammenhang bestehe auf diese Weise bisher kaum diskutiert worden. Ich bin nun von diesem Zusammenhang in der Beschreibung der Stellung des Individuums in der reflexiven Moderne in Abschnitt 2.2 automatisch ausgegangen, weil sich die modernebedingte Verschärfung sozialer Ungleichheit aufgrund der theoretisch unterstellten Auflösung kultureller Voraussetzungen sozialer Klassen tautologisch am Individuum manifestieren muss, und die so entstehenden standardisierten Kollektivformen individualisierter Existenzlagen (vgl. Beck/Beck-Gernsheim 1994: 45) mit dem Ansatz von SINUS theoretisch analysieren lassen müssten. Wie wir wissen strukturiert das SINUS-Milieumodell auf der Grundlage der in den Milieuindikatoren verwendeten Definitions- und Einstellungskriterien die Wertorientierungen, das Alltagsbewußtsein und den Sozialen Status des Individuums in aggregierte Milieus.

Wagen wir den Versuch. Flaig, Meyer und Ueltzhöffer charakterisieren als Entwicklungstendenz der Milieustrukturen für den Beginn der 90'er Jahre die drei Bewegungsformen Modernisierung, Regression und Segregation (Flaig/Meyer/Ueltzhöffer 1997: 72). Verstehen wir Modernisierung im Beck'schen Sinn als Herauslösungsprozess der Individuen aus den "traditionellen Klassenbedingungen und Versorgungsbezügen (...)" (Beck 1986:116) die sich im Zuge der ersten Modernisierung entwickelten, so müßte dieser Prozeß nicht nur mit einem Wandel der Wertorientierungen einhergehen, sondern auch im Alltagsbewußtsein und re-objektivisiert in den neuen Formen institutionalisierten Individualismus (das setze ich somit Analog zu den sozialen Milieus) zu erkennen sein. Vergessen wir hierbei aber nicht, dass Regression, zunahmebedingt durch wachsende Deklassierung, die These der Individualisierung sozialer Ungleichheit im Verschärfungsmoment bestätigen würde, die Segregationskomponente von SINUS als zunehmende Abschottung der sozialen Milieus aber eine radikalere Aussage im Gegensatz zu Becks Thesenaspekt der alternativ entstehenden ungleichen Konsumstile darstellt.

Flaig u.a. geben folgende Prozentwerte für die bundesrepublikanischen Milieus 1990 an, die ich nun mit den Werten von SINUS für 1997 und SINUS-Sociovision 2000 vergleichen werde.

Abbildung 7: Entwicklung der Milieustrukturen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Zahlen 1990: Flaig/Meyer/Ueltzhöffer 1997: 72, Zahlen 1997 und 2000: http://www.sociovision.com Blau = gesellschaftliche Leitmilieus, rot = traditioneller Mainstream, grün = modernes Mainstream, grau = moderne Unterschicht

Diese Ergebnisse können nun so interpretiert werden, dass mit einer prozentualen Zunahme der Milieus des Modernen Mainstream (Adaptives und Modernes bürgerliches Milieu) sowie der gesellschaftlichen Leitmilieus (Etabliertes, Intellektuelles und Postmodernes Milieu) - mit den Merkmalen: exklusiv, postmateriell-aufgeklärt, individualistisch multi-optional und jugendlich mobil-pragmatisch - tatsächlich ein Prozeß der institutionalisierten Individualisierung bei gleichzeitigem prozentualen Rückgang der "klassenbewussteren" und materialistischeren Milieus der Konsum-Materialisten, Status-orientierten, traditionell bürgerlichen und traditionellen Arbeitern stattgefunden hat. Die Ergebnisse sprechen aber auch für eine Kontinuität der Segregation der Lebens- und Wertewelten an Stelle der von Beck angebotenen Kompensierung der ehemals klassen- und schichtspezifisch bedingten segregierten Sozialräume durch die ungleiche Konsumstile der Individuen. Wir können insgesamt festgehalten, das die Milieus des Wertewandels (also die des modernen Mainstreams) in Abnahme der Traditionsverhaftung kontinuierlich in Folge der Prozesse einer Weitermodernisierung im Sinn der Theorie reflexiver Modernisierung zugenommen haben.

Mit diesem anwendungsbezogenen Vergleich der explizit gesellschaftstheoretisch formulierten Aussagen von Ulrich Beck mit dem qualitativ, aber statistisch repräsentativ ermittelten Milieugefüges des SINUS-Instituts denke ich gezeigt zu haben, dass beide Ansätze zumindest dann ertragreich zur Untersuchung der Dynamisierungsprozesse moderner Gesellschaften herangezogen werden können, insofern man ihre theoretische Verbindung zulässt. Orientiert man sich stärker am SINUS-Institut, dass m.E. für eine greifbare und plastische Sozialstrukturanalyse mehr leistet, so betont man eher die gesellschaftliche Verfasstheit in Großgruppen, die sich auch weiterhin vertikal in eine obere, mittlere und untere Mittelschicht sowie Unterschicht einteilen lassen können. Außer mit der neuen Kollektivisierung und Standardisierung institutionalisierten Individualismus, der sich aus der Widersprüchlichkeit der Moderne ergibt, macht Beck hierzu keine nähere Aussage. Was Beck uns liefert ist eine Beschreibung möglicher, sich keineswegs ausschließender gesellschaftlicher Entwicklungsvarianten, die wiederum fruchtbar für weitere Forschungen herangezogen werden können, mit deren Zitat ich diese Schrift beenden möchte.

"1. Das Ende der traditionalen Klassengesellschaft ist der Anfang der Emanzipation der Klassen aus regionalen und partikularen Beschränkungen. Es beginnt ein neues Kapitel der Klassengeschichte, das erst noch geschrieben und entziffert werden müßte. Der Enttraditionalisierung der Klassen im wohlfahrtsstaatlichen Kapitalismus könnte eine Modernisierung der Klassenbildung entsprechen, die das erfolgte Niveau der Individualisierung aufgreift und neu sozial und politisch zusammenfasst.
2. Im Zuge der aufgezeigten Entwicklung verlieren Betrieb und Arbeitsplatz als Ort der Konflikt- und Identitätsbildung an Bedeutung, und es bildet sich ein neuer Ort der Entstehung sozialer Bindungen und Konflikte heraus: die Verfügung und Gestaltung der privaten Sonderbeziehungen, Lebens- und Arbeitsformen; entsprechend kommt es zur Ausprägung neuer sozialer Netzwerke , Identitäten und Bewegungen.
3. Es kommt immer stärker zu einer Abspaltung eines Vollbeschäftigungs- von einem System der flexiblen, pluralen, individualisierten Unterbeschäftigung. Die sich verschärfenden Ungleichheiten verbleiben in der Grauzone. Der Lebensschwerpunkt verlagert sich vom Arbeitsplatz und Betrieb in die Gestaltung und Erprobung neuer Lebensformen und Lebensstile. Die im Aufbrechen der Familienform entstehenden Gegensätze zwischen Männern und Frauen treten in den Vordergrund." (Beck 1986:152)

5. Literatur

-Beck, Ulrich, 1986: Risikogesellschaft - Auf dem Weg in eine andere Moderne. S. 121 ff.. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
-Beck, Ulrich, 1994: Jenseits von Stand und Klasse. S. 43-60, in: Ulrich Beck, Elisabeth Beck-Gernsheim (Hg.): Riskante Freiheiten. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
-Beck, Ulrich/Giddens, Anthony/Lash, Scott, 1996: Reflexive Modernisierung - Eine Kontroverse. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
-Beck, Ulrich, 2000: Die Zukunft von Arbeit und Demokratie. S. 416-446. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
-Berger, Johannes, 1998a: Was behauptet die Marxsche Klassentheorie - und was ist davon haltbar? S. 29- 60, in: Hans-Joachim Giegel (Hg.): Konflikt in modernen Gesellschaften. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
-Berger, Peter A./Vester, Michael, (Hg), 1998: Alte Ungleichheiten - Neue Spaltungen. Opladen: Leske + Budrich
-Berger, Peter L./Luckmann, Thomas,1977: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit - Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt a. M.: S. Fischer
-Bolte, Karl Martin, 1990: Ungleichheit in der Bundesrepublik Deutschland im historischen Vergleich. S. 27-50, in: Peter A. Berger, Stefan Hradil (Hg.): Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile (Soziale Welt, Sonderband 2). Göttingen
-Bourdieu, Pierre, 1982: Die feinen Unterschiede - Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
-Bourdieu, Pierre, 1991: Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum. S. 25-34, in: Martin Wentz (Hg.): Die kompakte Stadt. Frankfurt/New York: Campus
-Brock, Dietmar, 1998: Individualisierung und die Zugänglichkeit von Ressourcen, in: Peter A. Berger/Michael Vester (Hg.): Alte Ungleichheiten - Neue Spaltungen. Opladen: Leske + Budrich
-Dangschat, Jens S., 1998: Klassenstrukturen im Nach-Fordismus. S. 49-87, in: Peter A. Berger, Michael Vester (Hg.): Alte Ungleichheiten - Neue Spaltungen. Opladen: Leske + Budrich
-Flaig, Berthold. B./Meyer, Thomas/Ueltzhöffer, Jörg,1997: Alltagsästhetik und politische Kultur - Zur ästhetischen Dimension politischer Bildung und politischer Kommunikation. Bonn: J.H.W. Dietz Nachf.
-Geiling, Heiko, 2000: Zum Verhältnis von Gesellschaft, Milieu und Raum - Ein Untersuchungsansatz zu Segregation und Kohäsion in der Stadt. Universität Hannover: agis
-Geißler, Rainer, 1996: Die Sozialstruktur Deutschlands. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung
-Geißler, Rainer, 1996a: Kein Abschied von Klasse und Schicht - Ideologische Gefahren der deutschen Sozialstrukturanalyse, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 48, Heft 2, 1996, S. 319-338
-Geißler, Rainer, 2000: Facetten der modernen Sozialstruktur - Modelle und Kontroversen, S.56-62, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.); Informationen zur politischen Bildung: Sozialer Wandel in Deutschland. Bonn
-Giegel, Hans-Joachim, 1998: Gesellschaftstheorie und Konfliktsoziologie. S. 9-28, in: Hans-Joachim Giegel (Hg.): Konflikt in modernen Gesellschaften. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
-Hradil, Stefan, 1987: Sozialstrukturanalyse in einer fortgeschrittenen Gesellschaft. Opladen: Leske + Budrich
-Hradil, Stefan, 1999: Soziale Ungleichheit in Deutschland. Opladen: Leske + Budrich
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-Koch, Max, 1998: Vom Strukturwandel einer Klassengesellschaft - Theoretische Diskussion und empirische Analyse. Münster: Westfälisches Dampfboot
-Kuhn, Axel, 1973: Das faschistische Herrschaftssystem und die moderne Gesellschaft. Hamburg: Hoffmann und Campe
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-Marx, Karl/Engels, Friedrich, (MEW), 1974: Band 13; Januar 1859 bis Februar 1860. Berlin: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED; Dietz Verlag
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[...]


1 Mit "fortgeschrittener Gesellschaft" meine ich die Gesellschaften der technologisch-industriell fortgeschrittenen Länder der Triade sowie - stark eingeschränkt - die Transitionsstaaten des ehemaligen RGW.

2 Das klassische Paradigma stelle ich anhand der drei Elemente zur Beschreibung von sozialer Ungleichheit in Abschnitt 2 dar.

3 Geißler beschreibt in seinem Aufsatz "Kein Abschied von Klasse und Schicht" drei Phasen der »Paradigmenrevolution« innerhalb der letzen drei Jahrzehnte: In Phase 1 von Mitte der 60er bis Mitte der 70er konkurrieren nichtmarxistische Schichtforschung mit neomarxistischer Klassentheorie. Bis Mitte der 80er Jahre ebbt diese Kontroverse in Phase 2 durch den Einbezug der horizontalen bzw. neuen Sozialstrukturkomponente in der nun sogenannten Ungleichheitsforschung ab; nach Geißler durchaus eine fruchtbare Erweiterung des Forschungshorizonts. In der anschließenden Phase 3 erlebt die Paradigmarevolution durch die Auffassung ihren Erfolg, dass sich Schichten und Klassen modernisierungsbedingt in Auflösung befinden, oder sich aufgelöst haben. Die Begriffe »soziale Lage«, »soziales Milieus« und »Lebensstile« (hier nicht das habitusbezogene Lebensstilkonzept von Pierre Bourdieu!) kompensieren quasi die vertikale Sozialstrukturforschung. Den radikalsten horizontalen Ansatz vertritt nach Geißler hierbei Ulrich Beck mit seiner Individualisierungsthese. (Geißler 1996a: 320f.)

4 Postfordistisch ganz im Sinne der Regulationstheorien, nach denen das Scheitern des Fordismus "durch Massenarbeitslosigkeit, öffentliche Verschuldung, ökologische Zerstörung, wachsende Armut und die Verelendung der Dritten Welt" (Hradil 1999: 116) gekennzeichnet ist.

5 Man muss sich nur einmal die unterschiedlichen Homepages britischer, aber auch etlicher amerikanischer Universitäten zur Thematik ansehen und wird eine Dominanz neomarxistischer Klassenkonzepte feststellen.

6 Regulär werden zuerst die objektiven Soziallagen untersucht, und dann die Frage nach den damit verknüpften Verhaltensweisen, Einstellungen und Mentalitäten, die sich in Milieus zusammenfassen lassen. (Geißler 1996: 79)

7 Ein Begriff aus der Wissenssoziologie (Berger, Peter L./Luckmann, Thomas, 1977), als auch in Verbindung mit dem Begriff der Alltagsästhetik durch das Heidelberger SINUS-Institut (Flaig, Berthold. B./Meyer, Thomas/Ueltzhöffer, Jörg, 1997)

8 Hervorhebung von mir. 6

9 Näher zur Frage der Zwänge marktlicher Existenz: Brock, Dietmar 1998: Individualisierung und die Zugänglichkeit von Ressourcen, in: Peter A. Berger/Michael Vester: Alte Ungleichheiten - Neue Spaltungen. S. 89-107.

10 Das Wort "Legitim" ist natürlich normativ besetzt. Wenn Ulrich Beck, wie wir an fortgeschrittener Stelle sehen werden, von einer "Verschärfung" sozialer Ungleichheit aufgrund der zunehmenden Individualisierung im gesellschaftlichen Modernisierungsprozess spricht, so erhält man einen ähnlichen Eindruck.

11 Gemäß der Darstellung von Stefan Hradil ist eine liberalistisch-kapitalistische Gesellschaft "dadurch gekennzeichnet, daß sich in ihr bestimmte Freiheitsrechte (Gewerbefreiheit, Freizügigkeit, Vertragsfreiheit,unternehmerische Entscheidungsfreiheit, Wettbewerbsfreiheit) mit weitgehendem Privateigentum an Produktionsmitteln und dessen profitorientiertem Einsatz verbinden." (Hradil 1999: 100)

12 MEW = Marx-Engels-Werke

13 In der "Kritik der politischen Ökonomie", als auch in "Das Kapital, Band 3" spricht Marx von drei antagonistischen großen Klassen der modernen Gesellschaft: den Lohnarbeitern, Kapitalisten und Grundeigentümern (MEW: a.a.O). Gemäß der Verelendungstheorie polarisiert sich der Gegensatz von Kapital und Arbeit aber letztendlich im Konflikt zwischen Proletariat und Bourgeoisie (Berger 1998a: 55)

14 Hierzu Dahrendorf: "For Marx the theory of class was not a theory of cross section of society arrested in time, in particular not a theory of social stratification, but a tool for the explanation of changes in total societies" (Fußnote 31 in Berger 1998a: 54)

15 Im Kern des historischen Materialismus steht die historische Methode, mit der die generalisierende Untersuchung der chronologischen Geschichtsforschung durch eine individualisierende Betrachtung gesellschaftlich-historischer Prozesse ersetzt wird. Die historische Analyse erlaubt sodann die Suche nach empirischen Gesetzmäßigkeiten der Geschichte. (Siehe hierzu methodisch: Kuhn, Axel, 1973: Das faschistische Herrschaftssystem und die moderne Gesellschaft. S. 95f. Hamburg: Hoffmann und Campe)

16 Die entwicklungsgesetzliche Erklärung schließt ein, dass über dynamische Bewusstwerdungs-prozesse der Klassen, wie z.B. durch die zunehmende Verelendung der Arbeiterklasse, der Entfremdungsprozesse, der Konzentration des Proletariats in den Zentren und einer daraus resultierenden höheren Aggitationsfähigkeit erst Verteilungsgerechtigkeit hergestellt werden kann, und dadurch die soziale Ungleichheit (in erster Wirkung für die zahlenmäßig größte Klasse) aufgrund der erzeugten gesellschaftlichen Instabilität aufgehoben wird. (Hradil 1999: 103f. sowie Berger 1998a: 49)

17 Unter Parteien versteht Weber Gruppen "von Menschen, die darauf abzielen, Entscheidungs-prozesse innerhalb eines bestimmten Rahmens menschlichen Zusammenlebens (z.B. einer Stadt oder eines Staates) zu beeinflussen" (Hradil 1999: 107)

18 Die Definition sozialer Klassen aufgrund ihrer objektiven Stellung im Produktionsprozeß und die Bestimmung sozialer Schichten unter Einschluß subjektiver Wertschätzungen gesellschaftlicher Akteure die eine Prestigehierarchie bilden, kann als Ausprägung des Gegensatzes von Objektivismus und Subjektivismus verstanden werden, der die Sozialwissenschaften durchzieht. (Schwingel 1995: 104)

19 Es können nach Weber von Mitgliedern der besitzlosen Erwerbsklassen unterschiedliche Interessen verfolgt werden, indem höher, oder anders qualifizierte sich z.B. gegen Konkurrenten abschließen, um somit ihre eigene Position und Stellung zu anderen Besitzlosen zu verbessern. (Hradil 1999: 106)

20 "Ganze Gesellschaften, Kulturen oder Lebensformen wie in Simmels modernem 'Stil des Lebens'; Klassen und Schichten wie in der Stratifikationsforschung; Status- und Berufsgruppen wie in der Weberschen Tradition; Familien/Haushalte wie in der konventionellen Lebensstilbetrachtung; Kommunen und Wohngemeinschaften wie in der alternativen Lebensstilforschung." (Müller 1992: 374)

21 Walter Müller diskutiert den Versuch von Rainer Schnell und Ulrich Kohler, anhand eines Nachweises der abnehmenden Erklärungskraft soziodemographischer Variablen zur Vorhersage von Wahlabsichten, dass eine modernisierungsbedingte Zunahme der Zugehörigkeit zu verschiedenartigen sozialen Kategorien keine allgemeine Abnahme der Einflussstärke sozio-demographischer Variablen mit sich brächte.

22 Max Koch zeigt sich wenig überzeugt von den in der Sozialstrukturanalyse gängigen Thesen des subjektivistischen Paradigmas eines neuen Vergesellschaftungstypus der die Klassengesellschaft aufgelöst habe. Er entwickelte seinerseits eine differenzierte klassentheoretisch fundierte Konzeption, deren besondere Stärke in der Einbeziehung umfangreichen empirischen Materials liegt.

23 "Betrachtet man zunächst alle [bundesrepublikanischen] Haushalte, so zeigt sich, dass die unteren drei Fünftel 1998 über weniger Vermögen verfügen als 1993, während der Vermögensbestand des vierten Fünftels leicht (um 3%) und der des obersten Fünftels deutlich (um 9%) angewachsen ist. Dies bedeutet, dass die Polarisierung zugenommen hat und die Verteilung insgesamt ungleichmäßiger geworden ist. (...) Insgesamt hat (...) das reichste Fünftel in den meisten Gruppen am stärksten von einem Vermögenszuwachs profitiert." Aus: Lebenslagen in Deutschland - Daten und Fakten Materialband zum ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung S. 88, April 2001.

24 In Anlehnung an Schwingel 1995: 104

25 "Lebenswelt meint - in Anlehnung an Husserl und Schütz - das Insgesamt subjektiver Wirklichkeit eines Individuums, also alle bedeutsamen Erlebnisbereiche des Alltags (Arbeit, Familie, Freizeit, Konsum usw.), die bestimmend sind für die Entwicklung und Veränderung von Einstellungen, Werthaltungen und Verhaltensmustern; aber auch Wünsche , Ängste, Sehnsüchte, Träume usw. zählen dazu." (Flaig/Meyer/Ueltzhöffer 1997: 51)

26 "Alltagsästhetik existiert (...) in den Köpfen in aller Regel nicht als konkrete Vorstellung ästhetischer Prinzipien (...), sondern als Bedürfnis - zum Beispiel das Bedürfnis nach Repräsentation (...) -, das sich sozusagen ästhetisch 'niederschlägt". (Flaig/Meyer/Ueltzhöffer 1997: 88)

27 Für die Formulierung des absolut ersten Milieumodells des SINUS-Instituts fand 1977 im Rahmen der Politikforschung eine Untersuchung zum politischen Bewußtsein von Studenten statt (Flaig/Meyer/Ueltzhöffer 1997: 53)

28 Cleavages = gesellschaftliche Konfliktlinien, die sich über die Artikulation in politischen Parteien

widerspiegeln. Hierzu die wahlsoziologischen Arbeiten von Lipset/Rokkan sowie die Wertewandeldiskussion anhand der Arbeiten von Ronald Inglehardt.

29 Die Werte gehen nicht aus den Abbildungen 3 und 4 hervor, sondern aus Fleig/Meyer/Ueltzhöffer, S.72, ich stelle sie aber im letzten Abschnitt noch dar.

30 Zum Strukturalismus: Dosse, François, 1999: Geschichte des Strukturalismus, Frankfurt: S. Fischer

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Ulrich Becks These der Individualisierung sozialer Ungleichheit und das SINUS-Milieumodell
Untertitel
Herausforderungen an eine Sozialstrukturanalyse fortgeschrittener Gesellschaften
Hochschule
Universität Stuttgart
Veranstaltung
Risikogesellschaft
Note
1,7
Autor
Jahr
2000
Seiten
32
Katalognummer
V102418
ISBN (eBook)
9783640008018
ISBN (Buch)
9783656770145
Dateigröße
1034 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ulrich, Becks, These, Individualisierung, Ungleichheit, SINUS-Milieumodell, Vergleich, Hinblick, Herausforderungen, Sozialstrukturanalyse, Gesellschaften, Risikogesellschaft
Arbeit zitieren
Max Eifler (Autor:in), 2000, Ulrich Becks These der Individualisierung sozialer Ungleichheit und das SINUS-Milieumodell, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102418

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