Von Armut bedroht sein: Das System der Sozialhilfe.


Referat (Ausarbeitung), 2001

10 Seiten, Note: 1


Leseprobe


1. Einleitung

In meinem Referat werde ich auf die Vorschläge zur Reform der Sozialhilfe seitens der Bündnisgrünen eingehen. Die Bündnisgrünen legten 1996 ihre Eckpunkte der Bündnisgrünen Grundsicherung vor. Diese Umwandlung der Sozialhilfe in eine Grundsicherung werde ich näher betrachten.

Was ist neu? Was hat sich grundlegend verändert? Welchen Zweck verfolgen die Bündnisgrünen mit ihren Änderungen und Neuheiten?

Die Bündnisgrünen wollen vor allem die versteckte Armut und Bedürftigkeit beseitigen. Schon allein die Beseitigung des Begriffs Sozialhilfe ist ein erster Schritt. Die Bündnisgrünen sprechen hier nämlich von einer Grundsicherung die jedem Bürger Deutschlands zusteht Das Stigma, welches dem Begriff Sozialhilfe anheftet soll beseitigt werden. Der Grundsicherungsempfänger erhält mehr Mündigkeit und Selbstbestimmung, als bei der Sozialhilfe. Da die Grünen eine Vereinfachung und Pauscha lierung der Leistungen vornehmen wollen, entfallen weitgehend entwürdigende Einzelnachweise in Form von kompletter Offenlegung der finanziellen, familiären und sozialen Situation. Da zwar ein generelles Recht auf Sozialhilfe vorliegt, aber es im jeweiligem Ermessen des Leistungsträgers liegt in welcher Form und Höhe die Leistungen anerkannt und gezahlt werden herrscht Verwirrung bei den Antragsstellern darüber welche Leistungen einem genau zustehen und wie sie geltend gemacht werden können. Die Bündnisgrünen wollen durch ihre Pauschalisierung der Leistungen einen sehr leichten Zugang zu den berechtigten Leistungen gewähren durch Vermeidung von verwirrender Bürokratie, negativer Stigmata und entwürdigende Offenlegen jeglicher Intimitäten vor allem in familiärer Hinsicht. Die familiären Beziehungen sind ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt der Bündnisgrünen. Durch das Prinzip der Nachrangigkeit, welches u.a. beinhaltet Unterhaltsansprüche erst bei Verwandten ersten Grades geltend zu machen, stört die familiäre Beziehungen natürlich erheblich. Einige ältere Menschen haben Angst vor dem Gang zum Sozialamt aus Scham ihre Kinder müssten nun für sie aufkommen oder aus Bescheidenheit. Die Bündnisgrünen schränken diese Unterhaltspflichten stark ein, nämlich nur auf Lebensabschnittsgefährten und Eltern gegenüber ihren nicht volljährigen Kindern. Durch die Pauschalierung der Leistungen werden nach Meinung der Bündnisgrünen sehr viele Kapazitäten für mehr individuelle sozial- therapeutische Maßnahmen freigesetzt werden, die somit eine bessere Eingliederung in das Berufs- und selbständige soziale Leben ermöglichen sollen. Der Grundsicherungsempfänger soll möglicht bald und sicher auf eigenen Beinen mit selbst erwirtschafteten Einkommen stehen. Nun zu den genaueren Einzelheiten des Reformvorschlags.

2. Welche Personengruppen haben Anspruch auf die Grundsicherung?

Bündnisgrüne Grundsicherung erhalten alle Personen die über kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen verfügen, um ihren soziokulturellen Mindestbedarf sicherzustellen und ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Wenn bei Pflegebedürftigkeit, Behinderung oder bei anderen besonderen sozialen Schwierigkeiten ein Mehrbedarf zu decken ist, der durch die Grundsicherung allein nicht beglichen werden kann, wird auch weiterhin eine Hilfe in besonderen Lebenslagen angeboten wie dies beim BSHG üblich ist.

Es liegt eine Rechtssicherheit beim konkreten Anspruch auf Leistungen vor. Desweiteren wird eine Pauschalierung vorgenommen und der entwürdigende Einzelnachweis entfällt somit. Die Pauschalierung führt zu einer Vereinfachung der Verwaltung. Die Grundsicherung besteht aus einer Pauschale für den Lebensunterhalt, sowie einer Wohnkostenpauschale. Die Beiträge für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung werden übernommen. Mehrbedarfszuschläge sind auf wenige Situationen beschränkt.

3. Leistungen der Grundsicherung

1996 betrug das Sozialhilfeniveau, nach dem Regelsatz für Alleinstehende als Haushaltsvorstand dazu zusätzlich die auf einen Monat umgelegte einmalige Beihilfe sowie die Heizkosten, 664 DM. Die Bündnisgrünen halten diesen Betrag für zu niedrig angesetzt und wollen ihn auf 750 DM erhöhen. Jede weitere Person in einem Haushalt erhält 450 DM. Die Höhe der Wohnkostenpauschale legen die Bündnisgrüne im Durchschnitt für Westdeutschland für Alleinstehende im Januar 1996 pauschaliert auf 450 DM fest. Für Ostdeutschland wird 250 DM zur Verfügung gestellt. Jede weitere Person die im Haushalt lebt erhält 60% der Wohnkostenpauschale für Alleinstehende.

Die Höhe des Mehrbedarfszuschlag für erwerbsunfähige und ältere Personen wird ab dem Januar 1996 auf 80 DM im Monat festgesetzt.

Im gültigen BSHG werden diverse Mehrbedarfszuschläge angeboten und eine Staffelung der Regelsätze für Kinder nach Lebensalter vorgenommen. Jede weitere Erwachsene Person erhält somit 80 % des Eckregelsatzes der im Juli 1999 in Hessen 548 DM betrug. Ein Kind von 7 bis unter 14 Jahren erhält 65 % des Regelsatzes ein Kind von 14 bis unter 18 Jahren dagegen 90 %1. Die Staffelung der Leistungshöhe nach dem Lebensalter, die nach Meinung der Bündnisgrünen fachlich nicht zu begründen ist, entfällt. Für jedes weitere Haushaltsmitglied gibt es unabhängig nach Lebensalter den gleichen Zuschlag.

Die allgemeine Pauschale deckt den gesamten notwend igen Lebensunterhalt, einschließlich vorhersehbarer Anschaffungen mit Ausnahme von kalten Kosten der Unterkunft und Kranken- und Pflegeversicherung. Jede zusätzliche Person im Haushalt, unabhängig vom Alter führt zu einer Erhöhung der allgemeinen Pauschale eines Alleinstehenden um 60%2. Eine Unterscheidung in Haushaltsvorstand und andere volljährige Haushaltsmitglieder entfällt. Alle Haushaltsmitglieder auch Kinder erhalten die gleichen Leistungsansprüche. Denn am meisten sind alleinerziehende Frauen mit Kindern unter 18 Jahren von der Sozialhilfe betroffen, nämlich in 28,2 % aller Haushalte dieses Typus3. In diesem Kontext wird immer wieder der Kinderlastenausgleich bemängelt.

Eine Pauschalierung der Wohnkosten soll vorgenommen werden. Dies stärkt die Mündigkeit und Eigenverantwortung des Leistungsbezieher, desweiteren wird verhindert, dass durch die Garantie auf volle Mietkostenübernahme einer angemessenen Unterkunft, Wohnungseigentümer die Miete in die Höhe treiben können. Denn im gültigen BSHG werden die tatsächlichen Miet-, Neben- und Heizkosten übernommen Bei den Bündnisgrünen kommt die Wohnkostenpauschale und der Wohnkostenzuschlag für die kalte Kosten der Unterkunft auf. Die Wohnkostenpauschale wird regional festgelegt. Die Wohnkostenpauschale erhalten Mieter und Nutzer eigenen Wohnraums, den Wohnkostenzuschlag erhalten nur Mieter. Die Wohnkostenpauschale für Alleinstehende wird die auf volle DM gerundete regionale durchschnittliche Bruttokaltmiete von alleinstehenden Empfänger der Bündnisgrünen Grundsicherung. Jede weitere Person erhält zusätzlich 60% der oben berechneten Pauschale. Übersteigt die Bruttokaltmiete die Wohnkostenpauschale, so wird vom übersteigenden Betrag die Hälfte des Wohnkostenzuschlage gezahlt. Personen die hingegen dauerhaft in Nicht-Sozialhilfe-Einrichtungen untergebracht sind, z.B. Altersheime und Asylbewerberheime bekommen die tatsächlichen Wohnkosten erstattet. Vorraussetzung ist aber ein Versorgungsvertrag der mit dem Grundsicherungsamt abgeschlossen wurde. Beiträge für gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung werden übernommen. Die Höhe der Beiträge zur Krankenversicherung werden auf Basis der geringsten Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung festgelegt.

Alte und erwerbsunfähige Personen die endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind bekommen einen erhöhten Grundsicherungs-Betrag. Für sie besteht nicht die Möglichkeit, nach einiger Zeit des Grundsicherungsbezug, durch Eigenleistung die aufgeschobenen Konsumbedürfnisse zu befriedigen Einmalige Hilfen fallen weg, denn den Grundsicherungsempfängern wird die Kompetenz zugestanden für größere Anschaffung durch erhöhte Leistungen das Geld selbst anzusparen, um nötige Anschaffung bei Bedarf nach eigenem Ermessen zu tätigen. Allerdings wird ein Hilfsangebot in Form eines zinslosen Darlehens eingeräumt.

Im bestehenden BSHG müssen diese einmaligen Leistungen gesondert beantragt werden. Im Falle bei den oben erwähnten größeren Anschaffungen, z.B. bei Erwerb von Kleidung, Instandsetzung von Hausrat, nötiger Renovierung, bei Haushaltsgegenständen mit längerem Gebrauchswert und höheren Anschaffungswert, besondere Lernmittel und besonderen Anlässen in Form von Taufe, Kommunion, Konfirmation, Weihnachtsbeihilfe, Heirat usw.4. Für jede dieser möglichen einmaligen Leistungen muss wie gesagt ein gesonderter Antrag gestellt und bearbeitet werden. Dies führt zu einem enormen bürokratischen Aufwand. Ist sich der Hilfesuchende nicht über diese möglichen zusätzlichen Leistungen bewusst und der Sachbearbeiter weißt ihn nicht daraufhin, entfallen ihm diese berechtigten zusätzlichen Hilfen.

4. Verfahren zur Festlegung der Leistungen

Die Bündnisgrünen machen klar und unmissverständlich deutlich, dass die Höhe des Betrags politisch gesetzt ist. Das BSHG zog bis 1990 noch das alte Warenkorb-Modell in dem normativ festgelegt wurde welche Produkte zum sozio-kulturellen Mindestbedarf von Nöten sind heran. Abgelöst wurde dieses Modell durch eine statistisch/empirische Untersuchung bei Familien unterer Einkommensschichten. Hier wurden die Einnahmen und Ausgaben ermittelt und ein Betrag aufgrund dieser Untersuchungen und Werte festgesetzt. Diese Prüfung wurde alle fünf Jahre vollzogen. Bereits 1993 wurde es aber wieder außer Kraft gesetzt. Seit dieser Zeit wird der Eckregelsatz pauschal festgelegt. Es wird sich dabei stark an der Entwicklung der durchschnittlichen Nettolohn- und -gehaltsentwicklung der Beschäftigten orientiert5. Nach Meinung der Bündnisgrünen aber gibt es keine „objektiven“ wissenschaftlichen Kriterien für das sozio-kulturelle Existenzminimum. Man steckt immer in einem Dilemma der Abwägung zwischen Mindestbedarf der Armut vermeidet und der Legitimation der Höhe für Personen die ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft bestreiten. Denn diese Mensche n messen ja schließlich ihr Einkommen an diesem Maßstab.

Bislang war die Bezugsgröße des Eckregelsatz der Verbrauch der Menschen mit niedrigen Einkommen. Somit werden die folgen einer Ausweitung von Niedriglohnbeschäftigung und Reallohnverluste im unteren Bereich auf Sozialhilfebezieher übertragen. Die Bündnisgrünen schlagen deswegen vor sich nach den Verbrauchsausgaben in den mittleren Einkommensbereichen zu beziehen.

Hierbei wird die Entwicklung des personenbezogenen privaten Verbrauchs ohne Einbezug der Wohnungsmieten herangezogen. Dabei werden wie gesagt nur die mittleren 20 % der Einkommensschichtung berücksichtigt. Die Wohnkostenpauschalen werden mit der Entwicklung der durchschnittlichen Bruttokaltmieten von alleinstehenden Empfängern fortgeschrieben. Als Korrekturgröße wird in regelmäßigen Abständen von einer Expertenkommission ein Armutsbericht erstellt.

5. Familiensubsidiarität und Unterstützungspflicht in der Grundsicherung

Die familiären Unterstützungspflichten werden bei der Grundsicherung stark eingeschränkt. Das Bild der traditionellen Großfamilie ist nach der Ansicht der Bündnisgrünen nicht mehr zeitgemäß. Unterhaltspflichtig sind noch eheliche und nichteheliche Lebensgemeinschaften sowie Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern. Die Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber volljährigen Kindern in Erstausbildung entfällt mit der Einführung einer elternunabhängigen Ausbildungsförderung. Leben in einem Haushalt mehr als eine Kernfamilie bzw. mehrere nicht miteinander verwandte Personen so wird der Bedarf einzelnen berechnet. Wohnkostenpauschale und Wohnkostenzuschlag ergeben sich somit nach der Anzahl der Bewohner und in welchen Verhältnis sie zueinander stehen6.

6. Bedürftigkeitsprüfung in der Grundsicherung

Durch die Einschränkung der Unterhaltspflichten wird die Abschreckung und Diskriminierung der heutigen Sozialhilfe vermieden. Die Scham, daß die Verwandten oder Kinder für einen Aufkommen müssen entfällt somit, man traut sich eher Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Verdeckte“ Armut soll so entschärft werden. Nach neueren Untersuchungen sollen auf zwei Hilfeempfänger nochmals ein bis zwei Berechtigte kommen, die ihre Rechte nicht geltend machen. Diesen Berechnungen zufolge leben in der BRD bis zu 5,8 Mio. Menschen mit einem Einkommen unter oder auf dem Sozialhilfeniveau7.

Die Angst vor Schädigung der Familienbeziehungen bei Regreßforderung des Sozialamtes gegenüber Angehörigen ist also weitverbreitet. Die unzureichende Kenntnis, wann einem welche Ansprüche zustehen, ist ein weiteres Problem. Natürlich muß man sich auch die verwirrende Bürokratie und die Scham die empfunden wird, wenn man dem zuständigen Beamten seine ganze finanzielle und familiäre Situation offenlegen muß, betrachten. Die Inanspruchnahme der Sozialhilfe schätzt man liegt heute bei 70% der Berechtigten.

Im BSHG gilt der Grundsatz der Nachrangigkeit. Eltern und Kinder müssen wechselseitig für den Unterhalt aufkommen. Alle jeweiligen Vermögen und Einkommen müssen zuerst aufgebraucht werden. Es gibt nur einen bestimmten Vermögens freibetrag der nicht anrechenbar ist oder ein selbstgenutztes Haus mit entsprechenden Umfang, welches unberücksichtigt bleibt. Eine entsprechende Bedürftigkeitsprüfung ist die Voraussetzung der Hilfe. Zwar besteht grundsätzlich ein Rechtsanspruch auf Sozia lhilfe, Form und Ausmaß liegt aber beim jeweiligen Ermessen der Sozialhilfeträger.

7. Einkommensanrechnung

Bei den Bündnisgrünen wird das gesamte Einkommen (Nettoeinnahmen) und bestehende Leistungsansprüche angerechnet. Unberücksichtigt bleiben die auf das Einkommen entrichtete Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und Werbungskosten8.

Nicht angerechnet werden die gesetzliche Unterhaltsansprüche (im Gegensatz zu tatsächlichen Unterhaltsleistungen) gegen Verwandte mit Ausnahme derjenigen von Ehegatten untereinander, Unterhaltsansprüche von minderjährigen unverheirateten Kindern sowie von Kindern in Erstausbildung gegenüber ihren Eltern, Leistungen der Hilfe in besonderen Lebenslagen der Sozialhilfe, Staatliches Mutterschaftsgeld nach der Geburt sowie freiwillige Sachzuwendungen der freien Wohlfahrtspflege im geringem Umfang. Beim BSHG dagegen wird nicht angerechnet das Pflegegeld aus der Pflegeversicherung, Leistungen der Stiftung „Mutter und Kind“ die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz, ein „angemessenes“ Hausgrundstück, welches selber bewohnt wird in Abhängigkeit von Wohnbedarf, Größe und Wert des Grundstücks, kleinere Barvermögen bis zu einem Betrag von 2500 DM bei Alleinstehenden und 3700 DM bei Ehepaaren9. Die Bündnisgrünen räumen einen Freibetrag entsprechend dem Freibetrag der Arbeitslosenhilfe von 8000 DM ein. Für größere Bedarfsgemeinschaft erhöht sich dieser Betrag entsprechend den Proportionen der Bedarfsbemessung. Bei einem 3-Personen Haushalt wären dies 17600 DM. Ein angemessenes selbstve rwaltetes Hausgrundstück oder eine Eigentumswohnung bleibt bei den Bündnisgrünen ebenfalls anrechnungsfrei, soweit es nicht weiter beleiht werden kann.

Die Bündnisgrünen mittelfristig die Einkommensgrenzen für das Erziehungsgeld anheben und dynamisieren. Auf die Wohnkostenpauschale wird darüber hinaus auch der Mietwert einer unentgeltlich genutzten Wohnmöglichkeit angerechnet Das anrechenbare Einkommen mit Ausnahme von Erwerbseinkommen, darauf gehe ich später genauer ein, wird vollständig auf den Gesamtbedarf angerechnet

8. Arbeit und Grundsicherung

Grundsicherungsempfänger müssen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, lehnen sie eine zumutbare Beschäftigung ab, wird eine Leistungskürzung durchgeführt. Die Höhe der Kürzung muß allerdings gering sein und eher symbolischen Wert haben. Im BSHG muss auch eine Arbeit aufgenommen werden, die mit einem gravierenden sozialen Abstieg verbunden ist.

Bei einer Fortbildung oder Umschulung erhalten Leistungsempfängerinnen anstatt eines Unterhaltsgeld weiterhin Bündnisgrünen Grundsicherung vom Grundsicherungsamt, das diesem von der Bundesanstalt für Arbeit erstattet wird. Für Grundsicherungsempfänger die beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet sind, entrichten die Grundsicherungsträger Beiträge zur Arbeitslosenversicherung Jeder der Grundsicherung erhalten will muß sich vorher arbeitslos melden. Ausnahmen sind Personen die jünger als 15 Jahre oder älter als 65 Jahre sind. Desweiteren Personen in schulischer oder beruflicher Erstausbildung, ein Elternteil eines Säuglings, Ausländer ohne Arbeitserlaubnis oder während der Zeit des Mutterschutz.

Die Zumutbarkeit einer Beschäftigung wird analog den Regelungen des Arbeitsförderungsrechts festgelegt. Arbeitsverweigerungsrecht bei nicht zumutbaren Arbeitsplätze, aufgrund von gesundheitlichen, ökologischen und ethischen Gründen. Desweiteren werden auch Personen die bisher von Arbeitslosengeld und -hilfe ausgeschlossen worden sind berücksichtigt. Hierzu gehört etwa die Möglichkeit der Kindererziehung und Pflege. Wird eine zumutbare Beschäftigung ohne wichtigen Grund beendet, so wird in Höhe eines Mehrbedarfszuschlags (im Januar 1996 wären das 80 DM monatlich gewesen) gekürzt.

Im jetzigem BSHG können als erwerbsfähige geltende Bezieher unter Androhung von Minderung, 25% des gültigen Regelsatz (1999 durchschnittlich 539 DM in den alten Bundesländern für eine Person, 25 %: 134,75), oder sogar der Streichung zur Arbeitsaufnahme gezwungen werden. Die Bündnisgrünen lehnen dies ab, weil ihrer Meinung nach eine Sanktionierung durch Not mit dem Prinzip eines Sozialsystem, daß das sozio- kulturelle Minimum sichern soll nicht vereinbar ist und eher in symbolischer Form stattfinden sollte.

Die Verpflichtung zur Teilnahme an Maßnahmen der Hilfe zur Arbeit der Sozialhilfe wird aufgehoben und auf freiwilliger Basis, als rehabilitatives Instrument fortgeführt. Im gültigen BSHG können die Bezieher im Rahmen kommunaler Arbeitsverpflichtungen im Bereich gemeinnütziger Tätigkeiten gezwungen werden. Ihre Leistungen werden mit einer „Mehraufwandsentschädigung“ vo n ca. 3 DM pro Stunde entlohnt, zusätzlich zur Sozialhilfe. Bei den Bündnisgrünen entfällt dieser Zwang gänzlich und dient wie bereits gesagt in etwas anderer Form ausdrücklich nur als rehabilitatives Instrument.

Die heutigen Bezieher von Arbeitslosenhilfe werden in die Grundsicherung überführt. Der Vorteil, sie müssen sich nur noch einer Bedürftigkeitsprüfung unterziehen und somit werden Kosten gespart.

9. Anrechnung von Erwerbseinkommen

Durch den sehr hohen Anrechnungssatz soll verhindert werden, daß die Grundsicherung zur Subventionierung nicht-existenzsichernder Beschäftigungsverhältnisse wird und somit das Tarifgefüge ins Rutschen gerät. Ein niedriger Anrechnungssatz würde den Kreis der Anspruchsberechtigten zu stark ausdehnen. Eine Absenkung des Anrechnungssatzes auf 50% würde nach Berechnungen des DIW zu Mehrausgaben von jährlich 175 Milliarden DM führen. Erwerbseinkommen werden nur zu 80% auf die Grundsicherung angerechnet.

Beispiel: Alleinstehender gemessen an westdeutschen Verhältnissen durchschnittlichen Grundsicherungsbedarf in Höhe von 1200 DM monatlich dazu, daß von einem Hinzuverdienst in Höhe von 1200 DM monatlich netto 960 DM (80% des Verdienstes) angerechnet werden, so daß die Person über 1.440 DM (1200 DM + 240 DM; 1200 DM - 960 DM) monatlich verfügt. Bis zu einem Nettoerwerbseinkommen in Höhe von (1500 DM; 1500 davon 80% = 1200) monatlich können Alleinstehende in diesem Beispiel ergänzende Grundsicherungsleistungen beanspruchen10.

Im BSHG wird diese Faktenlage mit einem „Abstandsgebot“ angesprochen. Die Sozialleistungen des Staates sollen unterhalb der Einkommen unterer Lohngruppen liegen. Verschlechtert sich die Lohnsituation, sinkt natürlich auch der Einkommensdurchschnitt dieser unteren Lohngruppen und das Abstandsgebot konkurriert mit dem Mindest- „Bedarfsprinzip“, da ja ein Existenzminimum nicht unterschreiten darf. In der Fassung von 1996 besagt das Abstandsgebot, daß für 1999 der Sozialhilfesatz einer fünfköpfigen Familie mindestens 15% unterhalb des durchschnittliche n Lohns einer vergleichbaren Familie mit einem arbeitenden Elternteil liegen muß.

Beim jetzigem BSHG gibt es nämlich das Problem, daß das gesamte Einkommen oberhalb von 250 DM voll angerechnet wird. Zur Erinnerung bei den Bündnisgrünen wird der gesamte Lohn mit 80% angerechnet. Es gibt also keine gleitenden Übergangsmöglichkeiten zwischen Sozialhilfebezug und Erwerbseinkommensbezug. Beschäftigungsaufnahme wird somit nicht als Anreiz auf eine Einkommensverbesserung wahrgenommen. Will der Hilfeempfänger sein Einkommen trotzdem aufbessern wird er in die „Schwarz Arbeit“ gezwungen.

Es wird oft angemerkt, daß hohe Anrechnungssätze der Hilfeempfänger in eine „Armutsfalle“ manövrieren würden. Um dies zu entkräften wird ein Experiment von Kommunen auf freiwilliger Basis 1 Jahr durchgeführt und dann einer Auswertung unterzogen.

10. Zusammenfassung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

11. Verwaltung und Finanzierung der Grundsicherung

Durch die Verwaltungsvereinfachung, werden Kapazitäten für eine dienstleistungsorientierten Reform der Sozialverwaltung und die Bereitstellung von Beratungsangeboten und sozialtherapeutischen Hilfen frei. Sozialämter werden also zu kommunalen Grundsicherungsämter umfunktioniert, diese führen dann auch die Berechnungen durch. Die Bewilligung ist im Gegensatz zur gegenwärtigen Hilfe zum Lebensunterhalt der Sozialhilfe antragsgebunden. So kann der Anspruch auch bei einem anderen Leistungsträger und bei jeder Gemeinde geltend gemacht werden. Der Bewilligungszeitraum beträgt ein halbes Jahr. Treten langfristig keine Änderungen auf, können die Leistungen auch langfristig bewilligt werden. Treten maßgebliche Änderungen auf, so ist der Empfänger zur Anzeige verpflichtet. Die gemeinsame Finanzierungsverantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden für die Grundsicherung ist Ausdruck davon, das Armutsverhinderungspolitik als politische Gemeinschaftsaufgabe begriffen wird. Die Reform und Überführung, der durch ein „altes“ Verwaltungsdenken geprägten Sozialämter in dienstleistungsorientierte Grundsicherungsämter sowie die Vernetzung dieser Ämter mit anderen Beratungsangeboten ist unerläßlich. Die Regionalisierung der Arbeitsmarktpolitik sowie der Wohnungspolitik ist nur in konzentrierter Aktion der Gebietskörperschaften zu erreichen. Eine geteilte Finanzierungsverantwortung wird durch eine strukturelle Vorkehrung vermieden, die die Abwälzung der Verantwortung auf die jeweils anderen Ebenen erschwert. Versuche des Bundes, Kosten auf die Kommunen abzuwälzen, würden somit verhindert werden11.

Im bestehenden BSHG sind die wichtigsten Leistungsträger die Kommunen, die wichtigsten Bewilligungsstellen die Sozialämter. Die Länder wirken bei der Finanzierung mit und natürlich auch die Ersatzleistungen der Familienangehörigen, da ja eine weitreichende Unterhaltspflicht der entsprechenden Verwandten vorliegt. Deshalb versuchen die Kommunen auch ihre Belastungen abzuwälzen. Ein Beispiel: Im Rahmen einer zusätzlichen gemeinnützigen Tätigkeit, bei der Sozialversicherungsbeiträge und Tariflöhne gezahlt werden kann die Kommune nach ein oder zwei Jahren die Personen durch Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung abspeisen. Davor kamen auf die Kommune während der Maßnahme nur leichte Mehrausgaben zu. Die Bündnisgrünen wollen aber nicht, daß die Kommunen nur danach schauen wie man die „Last“ abwälzen kann und somit Sozialhilfekosten sparen kann. Alle sollen zu gleichen Teilen zur Verantwortung gezogen werden.

Für die Bündnisgrüne Grundsicherung sind beim vorgeschlagenen Leistungsniveau, und unter Berücksichtigung der Einsparungen bei den für das Jahr 1996 gegenwärtigen Ausgaben für BSHG Mindestsicherungsleistungen, Mehrausgaben von 10 Milliarden DM erforderlich12. Die Mittel sollen durch die Bündnisgrüne Reform der Vermögens- und Erbschaftssteuer sowie der Reform der Einkommensteuer aufgebracht werden.

Literaturverzeichnis

Bäcker G., Bispinck R., Hofemann K., Naegele G., 1999: Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland. 3. A., Westdeutscher Verlag, Opladen. (S. 203-243)

o.V., 1996, Die Grünen/Bündnis 90, 1996: Eckpunkte der Bündnisgrünen Grundsicherung. Manuskript

[...]


1 Vgl. Bäcker G., Bispinck R., Hofemann K., Gerhard Naegele (1999), S. 206

2 Vgl. o.V. (1996), S. 5, Tabelle 1

3 Vgl. Bäcker G., Bispinck R., Hofemann K., Gerhard Naegele (1999), S. 219

4 Vgl. Bäcker G., Bispinck R., Hofemann K., Gerhard Naegele (1999), S. 210

5 Vgl. Bäcker G., Bispinck R., Hofemann K., Gerhard Naegele (1999), S. 212

6 Vgl. o.V. (1996), S. 7

7 Vgl. Bäcker G., Bispinck R., Hofemann K., Gerhard Naegele (1999), S. 221

8 Vgl. o.V. (1996), S. 8

9 Vgl. Bäcker G., Bispinck R., Hofemann K., Gerhard Naegele (1999), S. 210 5

10 Vgl. o.V. (1996), S. 11

11 Vgl. o.V. (1996), S. 13

12 Vgl. o.V. (1996), S. 13, Tabelle 2

Ende der Leseprobe aus 10 Seiten

Details

Titel
Von Armut bedroht sein: Das System der Sozialhilfe.
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Veranstaltung
Einführung in die Gesundheits- und Sozialpolitik
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
10
Katalognummer
V102172
ISBN (eBook)
9783640005611
Dateigröße
353 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Armut, System, Sozialhilfe, Einführung, Gesundheits-, Sozialpolitik
Arbeit zitieren
Thilo Moeser (Autor:in), 2001, Von Armut bedroht sein: Das System der Sozialhilfe., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102172

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