Spiel bei Fröbel und Montessori


Skript, 2001

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. DIE PHILOSOPHISCH-ANTHROPOLOGISCHEN GRUNDLAGEN VON FRIEDRICH FRÖBEL
1.1. DREI SCHLÜSSELBEGRIFFE (LEBENSEINIGUNG, AHNUNG, SPHÄRE)
1.1.1. Die Lebenseinigung3
Lebenseinigung -> Lebens- und -Erziehungsprinzip
Formen und Erscheinungsweisen der Lebenseinigung
Der Begriff Natur bei Fröbel
Vollzug der Lebenseinigung
Zusammenfassung zum Aspekt Lebenseinigung - Streben nach Bewusstsein und Lebenseinigung
1.1.2. Die Ahnung6
Ahnung und Spiel
Ahnung als gemeinsamer Einigungspunkt von Glaube, Liebe und Hoffnung
Von der Ahnung zum Spiel (bzw. Spielgaben)
Aufgabe der Erziehung
Die Entwicklung der Ahnung und der Spielgaben
Spiel mit den Spielgaben als anschauliches Beispiel für Ahnungspflege
1.1.3. Das Gesetz der Sphäre 10
Zusammenhang zwischen Spielgaben und Sphäre
Ausführungen von Prof. Höltershinken zu dem Gesetz der Sphäre

2. DIE ENTWICKELND-ERZIEHENDEN SPIELGABEN
2.1. DIE MUTTER- UND KOSELIEDER
Zweck der Koselieder
Koselieder sind in drei Hauptteile gegliedert
Zusammenhang der Koselieder mit der Sphäre, Ahnung und Lebenseinigung
Inhaltliche Stufenfolge der Koselieder des sich steigernden Bewusstseins
2.2. DIE GEGENSTÄNDLICHEN SPIELGABEN
a.) Ball - Erste Gabe
Sinnzusammenhang zwischen dem sphärischen Prinzip und der ersten Spielgabe
b.) Zweite Gabe (Kugel, Würfel, Walze und Kegel)
Drei Sinnrichtungen der Spielgaben
Bewegungsspiele
Sinnbildlichkeit der Bewegungsspiele

5. MARIA MONTESSORI
5.1. AUFRISS DER PHILOSOPHISCH-ANTHROPOLOGISCHEN GRUNDGEDANKEN MONTESSORIS
5.1.1. Gott - Natur - Leben 19
Gott:
Natur
5.2. ANPASSUNG UND FREIHEIT ALS VORAUSSETZUNG UND ZIEL INDIVIDUELL-AKTIVEN PERSONALITÄTSAUF-BAUS
5.2.1. Anpassung = Lebensgrundlage 20
5.3. ABSORBIERENDER GEIST ALS KINDSPEZIFISCHE AKTIVITÄTSFUNKTION
Hauptfunktion des absorbierenden Geistes
5.4. BESTIMMUNGSMERKMAL DES SPIELS
Konzentration
5.5. ZEIT UND ARBEIT BEI MONTESSORI
Spiel als Moment der Wiederholung
Der besondere Charakter des Spiels und des Materialumgangs bei Montessori
Wesensmoment: Aktive Nachahmung
Praxis der Sinneserziehung und Sinnesmaterial
Funktion des Sinnesmaterials

1. Die Philosophisch-anthropologischen Grundlagen von Friedrich Fröbel

1.1. Drei Schlüsselbegriffe (Lebenseinigung, Ahnung, Sphäre)

1.1.1. Die Lebenseinigung

Die Idee der Lebenseinigung ist ein Schlüsselbegriff zum Verständnis des Erziehungsgedan- kens von Fröbel und seinen Zugang zum Geistesgeschichtlichen Hintergrund (Romantik). Lebenseinigung hat im Denken Fröbels einerseits eine heuristische1, den Menschen in sei- nem Beziehungsgeflecht aufdeckende Funktion und andererseits eine Zielfunktion in der Er- ziehungspraxis.

Der Mensch soll sich das Beziehungsganze des Lebens bewusst machen und es erkennen. Zugleich aber soll er in einer Art schöpferischer und lebensbewusstseinssteigernder Anpas- sung in Erkenntnis dieser Lebensbeziehungen und -gesetze das Leben gebrauchen und be- herrschen lernen, um dieses zu gestalten und um im Leben glücklich und zufrieden zu sein.

Im mikro-makro-kosmischen Sinne formuliert Fröbel als Zeitgenosse der Romantiker:

„In jedem Menschen, als Glied der Menschheit ... liegt und ist die ganze Menschheit, aber in jedem auf eine ganz eigene, eigentümliche, persönliche, in sich einzige Weise dargestellt und ausgeprägt, und sie soll in jedem einzelnen Menschen auf diese ganz eigentümliche, einzige We ise dargestellt werden.“

Fröbel fordert in diesem Zusammenhang von den Eltern als die ersten Erzieher:

„Jeder Mensch soll schon als Kind als notwendiges, wesentliches Glied der Menschheit erkannt, anerkannt und gepflegt werden.“

Neben dem Begriff der Lebenseinigung ist die Idee der „Einheit alles Lebens“ eine weitere Hauptverbindung zwischen Fröbel und den Romantikern. Der Einheitsgedanke bildet einen Hauptzugang zu Fröbels Denken und Einheit ist zugleich das Ziel seines Strebens, wie es das Fundament seiner Erziehungslehre ist.

Daher stellt Fröbel den Gedanken der Einheit an den Anfang seiner Menschenerziehung:

„In allem ruht, wirkt und herrscht ein ewiges Gesetz ... diesem all waltenden Gesetze liegt notwendig eine all wirkende, sich selbst klare, lebendige, sich selbst wissende, darum ewig seiende Einheit zum Grunde ... diese Einheit ist Gott ... das in jedem Dinge wirkende Göttliche ist das Wesen jedes Dinges.“2

Das Leben ist Einigung der Polarität vom Inneren (Geist) und Äußeren (Natur).

Für die Romantiker war die Polarität besonders deutlich am Mikro-Kosmos-Makro-Kosmos- Denken, ein Grundprinzip der Weltbetrachtung und Deutung. Lebenseinigung als Vermittlung der Gegensätze (s. das Prinzip der Darstellung der Sphäre) ist das In-Beziehung-Setzen von entgegengesetzt Gleichem. Das aber sind für Fröbel Natur und Geist, Inneres und Äußeres, Gehalt und Gestalt, Inhalt und Form, Gesetz und Freiheit, d.h. sich gegenseitig bedingende Phänomene.

Sehr wichtig: Fröbel, der sich als Menschheitserzieher versteht, lehnt jede „Parteierziehung“ oder eine „Erziehung zu einem bestimmten ... äußeren Zweck“ ab, denn ihm geht es um „die Erziehung des Menschen zum Menschen“

Es geht also nicht darum, dass das Kind zu einer äußeren Funktionalität hin erzogen wird, und die Anpassung an Gesellschaft ist nur sekundär, eher geht es um Selbstentfaltung und der Realisierung der inneren Eigenschaften und Fähigkeiten des Kindes.

Lebenseinigung -> Lebens- und -Erziehungsprinzip

Lebenseinigung kann nicht als ein partiell gegenstandsgebundenes Prinzip, sondern muß als umfassendes Lebens- und Erziehungsprinzip erkannt und angewandt werden. Das sich im Kinde individualisiert darstellende und offenbarende Leben muß gemäß dem Prinzip der Lebenseinigung von seinem ersten Erscheinen an entwickelt und erzogen werden: „Im Kinde vollzieht sich die Lebenseinigung dadurch, dass es das Wesen Gottes und der Natur, Natürliches und Göttliches, Irdisches und Himmlisches, Endliches und Unendliches in Übereinstimmung ... mit der Menschheit darstellt.“

Merksatz: Im Kind, als einem Glied der Menschheit vollzieht sich die Lebenseinigung individuell in der Weise, dass durch Tätigkeit [ z. B. Spiel ] es das Wesen, die Kräfte und Anlagen der gesamten Menschheit „entwickelt, ausbildet und äußerlich dar- stellt.“

Ziel der Lebenseinigung -> Bewusstsein des Lebens von sich (Lebensbewusstsein)

Ort der frühesten Lebenseinigung: Der soziale Ort der frühesten Lebenseinigung und Entwicklung des Lebensbewusstseins ist die Familie.

„Lebenseinigung = Eine bewusstseinssteigernde Totalvermittlung des Kindes mit der Totalität dessen betrachten kann, was das Kind selbst ist und was es umgibt, nach dem Vorbilde der Natur, welche dies bei dem kleinsten Samenkörnchen und ge- ringsten Pflänzchen wie bei der gesamten Erdentwicklung tut, also nach Gottes Vor- bild in der Natur.“

Nach Fröbel ist die Lebenseinigung ein den ganzen Menschen beanspruchendes Eintreten in den Schöpfungsprozess Gottes, d.h. es ist ein individueller Prozess, in dem Gefühl, Erkenntnis, Kraft, Fähigkeit und Lebens- bzw. Seinbewusstsein gesteigert werden.

Formen und Erscheinungsweisen der Lebenseinigung

- Das Spiel als sichtbare Tätigkeit im Äußeren, durch die sich das Kind mit der Natur, dem Leben und den Gesetzen beider vereinigt.
- Die unsichtbare Tätigkeit im Innern, das Wirken des Geistes [Verstand, Denken, Fühlen, Wollen, die Ahnung und die Phantasie]
- Die im Spiel gründende Vollzugsform der Lebenseinigung ist die Arbeit, durch die der Mensch inneres und äußeres einigt und so bewusst aktiv im mitwirkt.

Wichtig: Nach Fröbel einigt der Mensch durch die Arbeit Inneres und Äußeres und wirkt so aktiv im Schöpfungsprozess mit. Arbeit ist eine im Spiel gründende Vollzugsform der Lebenseinigung.

Der Begriff Natur bei Fröbel

„Aber nicht bloß mit dem menschlichen Leben und mit seinen Verhältnissen soll sich das Kind geeint fühlen, sondern auch mit der Natur.“3

Das Kind fühlt sich in der tätigen, pflegenden Begegnung mit der Natur in der Gartenarbeit „als ein Glied in dem großen Schöpfungsganzen“, mit seinem Gott verbunden und folglich soll es sich im „Einklang mit seiner Umgebung, mit der Natur und der Menschheit und im Frieden mit seinem himmlischen Vater“ entwickeln.

⇒ Zerstückelungsgedanke: „Unser eigenes Leben ist ein zerstückeltes, zerbrochenes, ver- und abgewälztes, siech- und krankhaftes Etwas“ und als einzigen Ausweg sieht Fröbel nur die Rückkehr „zu uns selbst, zur Natur, zu Gott“.4 Fröbel nennt die Natur das Lehrbuch Got- tes. Die Natur bildet nicht nur den Verstand des Menschen aus, sie entwickelt auch seine Vernunft, sie nährt, erwärmt und belebt sein Gemüt; sie erfüllt ihn mit Willens- und Tatkraft, wie überall in der Natur Wille und Tat des schaffenden Geistes ihm als ein Geeignetes entge- gen tritt, Natur ist für Fröbel - gemäß seiner romantischen Deutung etwas Einziges und Eini- ges.

Die Rückkehr zur Natur als Rückwendung zum Ursprung des Lebens, die Suche nach seinen Gesetzen und Bedingungen verbindet Fröbel mit einer Rückkehr zu sich selbst: a.) Aufforderung, das bisherige Leben des Erwachsenen kritisch zu reflektieren b.) Schwerpunkt der Reflexion liegt auf der bewussten Rückkehr zu unserer eigenen Kindheit, zu den Gesetzen der Lebensentwicklung, um die eigenen Kinder zu verstehen. c.) Als Suche nach dem reinen, unverletzten, heiligen Leben.

d.) Aufforderung zum Beseitigen von Vorurteilen und Missverständnissen.

Merke: Der Weg zur Wahrheit führt also über die direkte, unverfälschte Belehrung durch die „Tat- und Sachoffenbarung der Natur“.

Vollzug der Lebenseinigung

1. Räumlich betrachtet auf der Ebene von Erwachsenen und Kind

- Vom Erwachsenen zum Kind durch liebende, erziehende, lebens- und erkenntnisentwi- ckelnde Zuwendung zum Kinde;
- Der Erwachsene vollzieht die Lebenseinigung, da er als schaffender, arbeitender Mensch im Schöpfungsprozess involviert ist.

2. Lebenseinigung vollzieht sich genetisch - das Kind als Ausgangspunkt mit dem Erwachsenen auf das Erwachsensein als einen höheren Bewusstseinszustand des Lebens hin.

Wichtig: Wie beim Erwachsenen in der Arbeit geschieht Lebenseinigung beim Kinde in Richtung Natur und Menschheit durch das Spiel.

Anders formuliert: Das Spiel hat die Funktion, beim Kinde die Lebenseinigung zu erwirken.

Zusammenfassung zum Aspekt Lebenseinigung- Streben nachBewusstseinund Lebens- einigung

5 So strebt schon das kleine Kind dahin, mit steigendem Bewusstsein zum endlich klaren Be- wusstsein seines Lebens nach Grund, Bedingung und Ziel zu gelangen. Die höchste Form dieses Strebens erreicht das Kind in der Lebenseinigung, d.h. die personale Übereinstim- mung mit der Natur-, Lebens- und Weltentwicklung des bewusst handelnden Menschen.

Mensch = Natur- und Kulturwesen

Die anthropologische Voraussetzung dazu ist die Tatsache, dass das Kind sowohl den Na- turgesetzen der biologischen Entwicklung, als auch den historisch sozialen Gesetzen der Menschenentwicklung unterliegt. Der Mensch und das Kind müssen folglich „geschichtlich sein“ und demnach immer nach Maßgabe seiner historisch sozialen Situation erforscht, er- kannt und dementsprechend erzogen werden. Fröbel umschreibt und erklärt diesen Zusam- menhang von naturhafter, sozialer und historischer Entwicklung und Bedingtheit des Men- schen mit dem Begriff „Gesetz der Sphäre, d.h. der Einheit von Kosmos und Natur, Menschheit und Geschichte, sowie der Einheit von physischer und psychisch- geistiger und sozialer Welt.“

Fröbel sieht das Kind als ein individuelles „Gliedganzes“ der Menschheit: „In jedem Men- schen, als Glied der Menschheit, ... liegt und ist die ganze Menschheit, aber in jedem auf eine ganz eigene (Individualität), eigentümliche, persönliche, in sich einzige Weise dargestellt und ausgeprägt, und so soll in jedem einzelnen Menschen auf diese ganz eigentümliche, ein- zige Weise „das individuelle Kind begriffen und erzogen werden“. Erst unter diesen Bedin- gungen kann das Kind später sein Leben in Selbstbestimmung und Freiheit und in Überein- stimmung mit den Gesetzen der Natur und des Menschenlebens ausüben und damit zur Le- benseinigung gelangen.

Lebenseinigung ist daher ein umfassendes Lebens- und Erziehungsprinzip. Nur so kann das Kind pädagogisch verantwortlich zum Bewusstsein seines Lebens und zur Entwicklung der dazu erforderlichen Fähigkeiten für das Leben in seiner Zeit ermöglicht werden.

1.1.2. Die Ahnung

Definitionen:

Schmutzler: Ahnung steht und wirkt als ein ursprüngliches Lebensmoment zwischen Innerem und Äußerem, Mensch, Natur und Leben, d.h. Ahnung ist eine Grundbedingung und damit Voraussetzung menschlicher und sozialer, seelisch-geistiger Existenz.

Bollnow: Ahnung ist eine Fähigkeit, um im Äußeren das Innere zu erfassen und im Äußeren das Symbol des Geistigen und Göttlichen zu erkennen.

Petersens: Ahnung ist die Fähigkeit, das Einzelne in seinem Verhältnis und seinem Ruhen im Grunde des Seienden aufzufassen; das ist das im eigentlichen Sinne geistige Aufnehmen.

Hoffmann: Die Ahnung, die im weiteren Sinne eine beziehungsstiftende Fähigkeit ist, bewirkt etwas, d.h. sie ermöglicht dem Menschen, das Aneinandergereihte oder vielmehr das In-Sich- Stetige, Ununterbrochene alles Lebens zu erkennen und zu verstehen.6 (Erkennen von Zu- sammenhängen)

Ahnung und Spiel

Die Ahnung hat im Zusammenhang mit der Improvisation und dem Symbol im Spiel zwischen Mutter und Kind folgende Auswirkung:

Die pflegende, mitspielende Mutter bringt dem Kind die Dinge und Erscheinungen der Welt nicht nur in erklärender, sondern immer auch auf eine sinnbildliche und symbolische, d.h. auf größere Zusammenhänge hindeutende Weise nahe. Das Spiel und auch entsprechende Spielgaben drücken symbolisch die Realitäten des Universums aus und lassen dem Kind diese Realitäten ahnend nahe kommen. Für Fröbel liegt das Sinnbildliche und Symbolische des Spiels darin, dass das Kind im Spiel eine Form symbolischer Welterfahrung und sich spiegelnder, individuell gestaltender, symbolischer Weltdeutung erleben kann.

Ahnung als gemeinsamer Einigungspunkt von Glaube, Liebe und Hoffnung

Fröbel nimmt hier drei wichtige Aspekte der neutestamentlichen Korintherbriefschreibung auf:

Hoffnung = Blick in Gegenwart und Zukunft Liebe = Das Gefühl des innigen Einsseins alles Lebens, Leid wie Freud Glaube = Blick aus der Vergangenheit

Charakteristik der Ahnung:

Ahnung ist eine innermenschliche Kraft, die durch die oben definierten Begriffe Glaube, Liebe und Hoffnung charakterisiert ist. Die Wurzel der Ahnung ist die Kraft, die von Fröbel als trei- bendes Etwas angesehen wird, das den Menschen Sehnsucht, Hoffnung und Ahnung anstre- ben lässt.

Auswirkung der Ahnung:

Da aus der Ahnung Glaube, Liebe und Hoffnung herauswachsen, wird sie zur Quelle von Mut, Ausdauer, zum Ursprung aller Kräfte und Gefühle, die lebensnotwendig sind. Weitere Erzeugnisse der Ahnung als Kraft sind Sinn-Einheiten und Gliedganze7.

Also: Kraft -> Ahnung (Sehnsucht, Hoffnung) -> Glaube, Liebe, Hoffnung -> Mut, Au s- dauer -> Ursprung aller lebenserhaltenden und weiterführenden Kräfte und Gefühle!

Ahnung hat also die Funktion, einigend zu wirken, erkenntnisbildend und bewusstseinsbildend zwischen Mensch, Natur und Gott. Ahnung ist die Grundlage der Lebenseinigung. Eine Ah- nung, die so weit gereift ist, dass sie ein Bewusstsein über die Einheit alles Lebens erreicht hat, deren Erzeugnis ist die Lebenseinigung. Die Ahnung treibt den Menschen voran, lässt das Bewusstsein steigen, bis zu einem Klarheitszustand, der den Grund des Lebens, die Lebensbedingung und das Ziel des Lebens den Menschen erkennen lässt. Dieser Ent- wicklungsprozess soll durch die Erziehung als Pflege und Entwicklung der Ahnung ermöglicht werden.

=> Erziehung als Pflege und Entwicklung der Ahnung!!!

=> Erziehung als zielorientiertes Streben, ein klares Bewusstsein über Leben, des- sen Grundbedingung und Ziel zu erreichen.

=> Erziehung als helfende Institution, der sowieso beim Menschen vorhandenen vorwärtsstrebenden Kraft (Ahnung) mit dem Ziel der Lebenseinigung. => Erziehung ist Ahnungspflege, also Pflege der Bildbarkeit des Menschen.

Merksatz:

Die Erziehung entwickelt die Kindessahnung zur Erkenntnis, zum Bewusstsein und zur inneren Anschauung der Lebenseinheit.

Von der Ahnung zum Spiel (bzw. Spielgaben)

Fröbels Postulat: Die Entwicklung des Kindes geschieht sinnbildlich analog zur Mensch- heitsentwicklung, und zwar durch das Sinnliche (Sinneserfahrung) und das Sinnbildliche (Anstellestehende, Metaphermäßige). Das Sinnliche resultiert aus dem Geistigen, daher ist alles Sinnliche auch geistig.

Also: Unsichtbare Lebens- und kosmische Realitäten werden für den Menschen und das Kind erfahrbar und erlernbar durch den Stoff, der die selben Prinzipien zum Ausdruck bringt und nach den selben Prinzipien geschaffen ist.

-> Dieses Stoffliche, diese Materie ist m.E. ein Hinweis auf die Spielgaben, die ja ge- nau diese Bedingungen erfüllen: Sie enthalten die Prinzipien, die Fröbel im Kos- mos und im Leben sieht, und sie sind für das Kind stofflich, materiell erfahrbar. Fröbel sieht und strebt eine Kongruenz zwischen unsichtbarer kosmischer Wahr- heit und materieller, gegenständlicher Realität an.

Im Menschen gibt es ein ahnendes, geistig-körperliches Doppelwesen. Das geistige Wesen strebt eine phantasiebedingte Darstellung im Inneren an, das körperliche Wesen vollzieht Erkenntnisschritte über die sinnliche Erfahrung bzw. äußere Darstellung am stofflichen (Spielgaben). Dieser Vorgang wird von Fröbel als sinnbildliche Betrachtung8 bezeichnet. Fröbel sagt: „Durch den Sinn und das Bild, durch das Sinnbildliche als den Geist und den Stoff (Materie) vermittelnde, wird der Geist, das ewig nur Unsichtbare, vermittelst des Stoffes wahrnehmbar und erkennbar gemacht.

Ziel der sinnbildlichen Betrachtungsweise

a.) Mittel und Weg zur Erkenntnis des äußeren Lebens
b.) Dient zur Konstruktion einer inneren Ordnung und Einheit
c.) Klarheit und Durchsichtigkeit des Lebensganzen
d.) Erhellung und Erkenntnis des inneren Lebens

Diese etwas altertümliche Formulierung versuche ich nun im Folgenden nach heute moderner pädagogischer Ausdrucksweise darzulegen:

Die sinnbildliche Betrachtungsweise dient

a.) als Erkenntnismethode über die Umwelt mit allen ihren Facetten
b.) als ordnende Kraft für die inneren Emotionen und Wertvorstellungen
c.) als kognitive und emotionale Verstehensprozesse bezüglich der Realitäten des menschli- chen Lebens
d.) als Analyse und Reflexion der bewussten, unbewussten und unterbewussten Denk- und Emotionsweisen (inneres Leben)

Aufgabe der Erziehung

Wenn Pflege der Ahnung gleichgesetzt wird mit Erziehung, so führt Schmutzler aus, dass das Festhalten der verschiedenen Ahnungen und der inneren Zusammenhänge die zum einen die Verstehensleistungen des Kindes bezüglich der äußerlichen Welt und zum anderen ein meditatives Sich-Selbst-Verstehen möglich macht. Aufgabe des Kindes ist durch die Verknüpfung geistiger Gliedganzen eine Selbsterkenntnis herbei zu führen. Diese Lebens- und Selbsterkenntnis ist an die Tat (spielen mit den Spielgaben) geknüpft.

Die Entwicklung der Ahnung und der Spielgaben

Pflege und Entwicklung der Ahnung ist Pflege und Entwicklung des inneren Lebens am äuße- ren an und durch die Tätigkeit. Diese Pflege geht mit etwas um, was beim Kind sowieso na- turgegeben schon vorhanden ist: Es trägt durch seine Kraft der Ahnung die Bedingung des Bewusstseins und der Erkenntnis über sich selbst und über das Leben als ein sinnhaftes und ein kontinuierlich sich entwickelndes, gesetzmäßiges Ganzes in sich. Allmählich erkennt das Kind sein eigenes Leben als Zeitliches im Flusse des Lebens. Durch genau diese Pflege und Entwicklung der Ahnung gewinnt das Spiel, die Tätigkeit ..., das Leben überhaupt seinen Sinn, denn Leben und Spiel ohne Ahnung seines Gesetzes und seiner Einheit wirkt weder erfreu- end noch erhebend. Daher ist es sehr entscheidend, dass zwischen dem Erwachsenen und dem Kind eine auf die Ahnung beruhende, verknüpfende, äußere, gemeinsame Tätigkeit exis- tiert.

-> Die entscheidende Aufgabe des Erwachsenen ist die Freimachung des Geistes zu ermög- lichen und zu fördern. Der daher mitspielende Erwachsene unterstützt das Kind in seinem Streben, die scheinbar ungeordneten Lebenserscheinungen auf geistiger Ebene zu ver- knüpfen und mittels der Ahnung die bewusste Lebenseinheit anzustreben. Wie oben schon angedeutet, liegt im Sinnbilde eine Methodik durch die Ahnung vor, die geistigen Wirkungen des Spiels im kindlichen Geiste wahrnehmbar und verständlich zu machen.

Also: Dadurch dass das Kind mit den Spielgaben spielt, wird für außen hin die kognitive (geistige) Verknüpfungsleistung und Verstehensleistung des Kindes sichtbar.

Wichtig: Menschliche Tätigkeit heißt beim Erwachsenen Arbeit und beim Kind Spiel.

Spiel mit den Spielgaben als anschauliches Beispiel für Ahnungspflege

Das Kind erfährt Erkenntnis über Einzelheiten, indem es z.B. den Würfel zunächst zerlegt, um dort neue Eigenschaften zu entdecken und Gebrauchsmöglichkeiten zu verstehen. Die in dem Kind wohnende Ahnung und die entsprechende Kraft treibt es dazu, die Teile des Wür- fels wieder zusammen zu ordnen, um eine Einheit herzustellen. Dabei stellt es innere Bilder nach außen hin dar. Wenn nun der Erwachsene dem Kind mit wenigen Handgriffen zeigt, wie durch die Veränderung einer Einheit eine neue einheitliche Gestalt erzeugt werden kann, ent- wickelt sich beim Kind eine symbolische Sicht, d.h. Vorstellung der Kontinuität und Ununter- brochenheit jeder Entwicklung. Das Kind spürt den Zusammenhang zwischen einzelnen Er- scheinungen.

Merksatz:

Wie also der Geist der Einheit Sinn alles Lebens ist, der sich in den Spielen kundtut, so soll es nach Fröbel auch dieser einheitliche Geist sein, in dem die Spiele ausgeführt und der damit verwirklicht werden soll.

Interessant:

Bei der Ahnungspflege kommt aber noch hinzu, dass sie nach Fröbel nicht nur eine schöpfe- risch-konstruktive, zukunftsgerichtete und -bestimmende, weltaufnahmende und -gestaltende Kraft im Kinde, sondern auch im Erwachsenen wirksame rekonstruktive, schöpferische, le- benserneuernde Komponente ist. In dieser zwischen spielendem Kinde, mitspielendem Er- wachsenen und dessen eigener Kindheit sich vollziehenden dialektischen Rückkehr (Erinne- rung) erkennt er sich zunehmend selbst bewusst werdende Erwachsene die stetige Entwick- lung und den ganzheitlichen, einheitlichen Zusammenhang aller Lebenserscheinungen seines eigenen Lebens.

Modern ausgedrückt: Dadurch, dass der Erwachsene mit dem Kind spielt, erinnert er sich an seine eigene Ahnung. Dies kann heilende und therapeutische Wirkung auf ihn haben.9 So zeigt das Spiel mit dem Kinde das stetige, ununterbrochene und geordnet Ganzheitliche des inneren und äußeren Lebens.

Zusammenfassung zum Aspekt Ahnung:

Für die Entwicklung des Lebensbewusstseins bringt das Kind eine psychisch-geistige Fähig- keit mit, die Fröbel mit „Ahnung“ umschreibt. Sie ist die angeborene Fähigkeit zur Bildung des Bewusstseins und die Grundlage zur Selbst- und Welterkenntnis. Diese angeborene psychi- sche Fähigkeit ermöglicht es dem Menschen, Sinn und geistige Gehalte zu erfassen, die Er- kenntnis der Beziehung zwischen sich und der Welt zu bilden, die objektiven Gesetze der Dinge und der Beziehungen der Dinge untereinander zu verstehen und später anzuwenden. Ahnung ermöglicht aber auch die eigenen Gefühle und Wahrnehmungen als sinnhaft bzw. bedeutungsvoll zu erfassen, zu verstehen und sich zunehmend bewusst zu machen. Ahnung ist also eine Voraussetzung der eigentümlich menschlichen und sozialen seelischen und geistigen Existenz. Sie ist die lebenseinigende erkenntnis- und bewusstseinsbildende psychi- sche Kraft, die den sinnhaften Zusammenhang zwischen Mensch, Natur und Gott, und daher das Lebensbewusstsein, ermöglicht.

Prof. Höltershinken zum Aspekt Ahnung:

Das Kind ahnt laut Fröbel, dass es Zusammenhänge gibt, und diese will es suchen und finden. Wie gesagt, zielt diese ganze Kraft des Kindes auf eine Lebenseinigung hin...10

1.1.3. Das Gesetz der Sphäre

Um sich schrittweise dem Begriff der Sphäre, wie Fröbel ihn meinen könnte, zu nähern, werden zunächst Begriffsdefinitionen aus verschiedenen Lexika wiedergegeben:

Sphäre = [griech. Sphaira „Ball, Kugel“], Bereich, Umkreis, z.B. Macht-, Einflussbereich, Gesichts-, Wirkungskreis; Kugel, in der Astronomie Bezeichnung für die Himmelskugel.11

Sphärik = Geometrie von Figuren, die auf Kugeloberflächen durch größte Kreise gebildet sind (Mathematik).12

Sphärische Geometrie = Die Geometrie auf einer Kugel. Wichtigster Teil der sphärischen Geometrie ist die sphärische Trigonometrie, die sich mit der Berechnung sphärischer Dreiecke beschäftigt. Sphärisch heißt eine geometrische Figur, die auf der Oberfläche einer Kugel liegt und von Großkreisen gebildet wird; z.B. das sphärische Dreieck. Der sphärische Abstand zweier Punkte auf einer Kugel ist die Länge des kleineren Bogens auf dem Großkreis, der durch die Punkte bestimmt wird.13

Sphärenharmonie = Die in Zahlenverhältnissen ausdrückbare Entsprechung von Bewegun- gen und Entfernungen der Himmelkörper (Mond, Sonne, Planeten, Fixsterne) und von Grund- lagen des Tonsystems (Zahlenproportionen der Intervalle). Die Vorstellung von einer Entsprechung von Welt- und Tonsystem geht auf die Pythagoreer zurück, wurde von Platon und Aristoteles übernommen und ging durch Boethius in die mathematische Musiktheorie ein. Die Frage nach der Hörbarkeit der Sphärenmusik wurde mit der erneuten Beschäftigung mit Aristoteles im 13. Jahrhundert wieder aufgegriffen. Mit einer verstärkt empirischen Orientie- rung von Philosophie und Musiktheorie seit dem 14. Jahrhundert verlor die Vorstellung von der Sphärenharmonie ihre musiktheoretische Bedeutung, blieb aber als Denkform (z.B. bei J.Keppler) bis in die Barockzeit erhalten.14

Da Schmutzler die Ansicht übernimmt, dass die Formulierung des sphärischen Gesetzes von Fröbel seine Anfänge in der Studienzeit 1812 (Mineralogie und Kristallographie) zu finden ist, wird nun ein Lexikonbeitrag zum Begriff Kristallographie wiedergegeben:

Kristallographie = [griech. (Kristallkunde)] Die Wissenschaft vom strukturellen und morphologischen Aufbau von Kristallen (bzw. kristallinen Stoffen), von ihren daraus ableitbaren physikalischen und chemischen Eigenschaften sowie von ihrer Bildung. Sie bedient sich für die Aufklärung der Zusammenhänge physikalischer und chemischer Untersuchungsmethoden. Da außer den Mineralien fast sämtliche festen Stoffe in kristallisierter Form vorliegen, hat die Kristallographie außer für die Mineralogie auch große Bedeutung für die Werkstoffkunde und für die Analyse chemischer Substanzen. Die Kristallographie lässt sich in verschiedene Teildisziplinen ausgliedern; die wesentlichsten sind:

1. Kristallmathematik
2. Kristallphysik, einschließlich der Kristalloptik und
3. Kristallchemie.

Die Kristallmathematik befasst sich mit den geometrischen Gesetzmäßigkeiten und Symmet- riebeziehungen der Kristalle. Dazu wird ein den wichtigen Kanten des Kristalls im allgemei- nen paralleles Koordinatensystem eingeführt, auf das die Längenverhältnisse der Achsen und die Winkel, die diese miteinander bilden, bezogen werden. Kristallflächen, die Achsen des Koordinatensystems in bestimmte Abschnitte schneiden, lassen sich so, anhand des Ver- hältnisses dieser Achsenabschnitte, beschreiben. In der Kristallmathematik werden diese direkten Abschnitte meist noch rechnerisch umgeformt, was zu den sog. Indizes der Kristalle führt. Die Achsenabschnitte und Indizes lassen sich nach dem Rationalitätsgesetz stets durch einfache ganze Zahlen darstellen. Dieses Grundgesetz der Kristalle folgt aus der Raumgitternatur der Kristalle.15

Es gibt also ein „ Grundgesetz der Kristalle “ - Fröbel spricht in seinen philosophischen Aus- führungen zum Gesetz der Sphäre von einem „Grundgesetz der Einigung“. Fröbel gestaltete offensichtlich Realitäten, die er in seinem naturwissenschaftlichen Kristallographiestudium kennenlernte, zu seinen anthropologisch-philosophischen Grundlagen, aus denen er Spielga- ben später entwickelte.

Vergleiche:

Quelle: Kristallgittertypen aus Meyers Großes Taschenlexikon S. 207

Bild: Die fünfte Gabe ist der nach jeder Seite gleichmäßig zweimal geteilte Würfel. Quelle: Bührlen-Enderlay und Irskens: Lebendige Geschichte des Kindergartens, eine Bildungsrei- se... S. 50

Das Wiederfinden von Fröbels Gesetz der Sphäre sieht auch Schmutzler in der Kristallographie und Mathematik:

„Während seiner Assistententätigkeit in Berlin erkannte Fröbel in der Welt der Kristalle sein sphärisches Gesetz wieder. In den Steinen sah er die Tätigkeit und Wirksamkeit eines, ”sei- nes“ Gesetzes: ‘In der Mannigfaltigkeit (Vielfältigkeit) der Form und Gestaltung erkannte ich ein auf das verschiedenste modifizierte Gesetz der Entwicklung und Gestaltung wieder.’ schreibt Fröbel an den Herzog von Meiningen. Besonders anschaulich stellt Fröbel sein Ge- setz ... dar, in dem er erzählt, was er während des Ausatmens bei den Eiskristallen beobach- tete. Unter Einwirkung des warmen Atems schmolzen die Eiskristalle in ihren Einzelheiten und Mannigfaltigkeiten zu einer Kugel - seiner Sphäre und Einheit.“ Schmutzler zitiert Fröbel: „Ich sah da deutlich, wie noch nie: Das Göttliche ist nicht nur das Größte, nein, das Göttliche ist auch das Kleinste; es erscheint in ganzer Fülle und Kraft im Kleinsten. Und nun waren mir meine Erden- und Festgestalten ein Spiegel für Menschen und Menschheitsentwicklung und deren Geschichte ... Die Natur und der Mensch schienen sich mir, wenn auch auf noch so verschiedenen Stufen der Entwicklung gegenseitig zu erklären.“ Demnach waren für Fröbel nicht nur Makro-Mikrokosmos Theorie und Identität von Natur und Geist bewiesen, vielmehr war ihm auch gleichermaßen bewusst geworden, dass sich Leben und Natur „als relative Gegensätze nach wenigen und einfachen Gesetzen entwickeln“.

Fröbel zog aus der Bestätigung seines sphärischen Gesetzes weiter den Schluss, dass der Mensch nach so allgemeinen sich so durch alle Stufen der Lebensentwicklung hindurch bes- tätigenden Lebensentwicklungsgesetzen erzogen werden müsse. Desweiteren forderte Frö- bel, dass der Mensch zu solcher hohen Kenntnis und Ansicht der Natur von frühester Jugend und Kindheit an geleitet, ja für die selbe erzogen werden müsse. Da sich nach Fröbel aber jedes entwickelnde Wesen und Leben auch das des Kindes sich in und durch Tätigkeit äu- ßert, beginnt für ihn alle Erziehung nach den Gesetzen mit der richtigen Erfassung und Pflege des Lebens, des schaffenden Tätigkeitstriebes in dem Kinde in Übereinstimmung mit der Natur Lebens- und Weltentwicklung.

ACHTUNG: Es muß einen inneren Zusammenhang zwischen dem sphärischen Wesen des Menschen, dem Tätigkeitstriebe und den Phänomenen Spiel, Phantasie und Ar- beit geben.

Mit dem sphärischen Gesetz finden wir einerseits die philosophische Begründung für Lebens- Einigung und Ahnung und zugleich die Grundlage für das Verstehen von Spiel. Auch die Mut- ter- und Koselieder, die Spielgaben und Beschäftigungsmittel sowie die Bedeutung der Be- wegungsspiele enthalten im sphärischen Gesetz ihre entscheidende Erklärungs- und Ver- ständnisgrundlage.

Wie schon oben ausführlich dargelegt, ist die Sphäre ein in der Mathematik und Astronomie gebräuchlicher Ausdruck, dem Fröbel in Göttingen durch sein Kristallographiestudium einen neuen Inhalt gab: „Dort ... kam mir die große, durchgreifende, sphärische, bauische - immer in sich geeinte, gleichsam kugelige Ansicht aller Erscheinungen in der Natur wie im Men- schenleben. - Dort kam mir mathematisch klar und bestimmt der große, so alles schaffende, wie alles durchleuchtende Gedanke: Sphäre, das stetige, stets allseitig Lebendige, Schaffen-de, immer von neuem In-Sich-Selbst-Ruhen, ist das Grundgesetz im All, in der physischen wie in der psychischen Welt.“

Bildlich stellt sich Fröbel die Sphäre - wie im griechischen Sinne des Wortes - als eine Kugel mit einem Mittelpunkt vor. Das Äußere bezeichnet Fröbel mit pi, meint also damit bei der Ku- gel die Oberfläche, das Sichtbare. Wird die Kugel als Metapher auf den Menschen ange- wandt, so ist nach Fröbel im Inneren der Kugel, dem Xi, dem Mittelpunkt, das Gemüt und die Seele, der Geist und das Göttliche, das schöpferische Vermögen und das Empfinden, das Wesen der Dinge und ihrer Gesetze zu finden. Im Mittelpunkt, d.h. im Inneren, heben sich die Gegensätze durch die Vermittlung von Individuum und Menschheit, Menschheit und Univer- sum, Natur und Geist, Innerem und Äußeren auf. Der Mensch kommt zu sich selbst. Umge- kehrt geht vom Gott bezogenen Mittelpunkt alles äußerlich machen des Inneren und alles in- nerlich machen des Äußeren aus, d.h. von ihm aus vollzieht sich die „Materialisation des Inne- ren“ [z.B. das Spielen mit den Spielgaben]. Es ist der Ausgangs- und Zielpunkt der Bewe- gung, oder wie Fröbel selbst von sich sagt, dass wir entweder nur vom Inneren ausgehen, oder in dem Äußeren das Innere aufsuchen. Der Mittelpunkt selbst ist nichts Gegebenes, sondern ein durch die Vermittlung von Innerem und Äußeren Entstehendes. Das Verhältnis von innen und außen, das der Mensch durch sein Wesen als Representant des sphärischen Gesetzes in seiner Totalität als Gliedganzes verwirklicht, ist bestimmt durch Gott. Die sphäri- sche Einheit ist keine Vorgegebenheit, sondern eine Tätigkeit, eine unendliche „Tätigkeit des zur Einheit-Machens“ [Romantischer Wesenszug von Fröbel]. Der Mensch entfaltet sein Wesen durch Tätigkeit im aktiven Vollzug seiner sphärischen Natur. In der Einigung, d.h. Vermittlung der Gegensätze von Innen- und Außenwelt wird der Mensch zur Mitte der Kugel. Das ist sein Ort im Kosmos.

Die Verbindungslinien von der Sphäre zum Spiel können beim Erzeugnis des Inneren der Einheit zweifacher Natur, d.h. beim reinen Begriff und der reinen Anschauung aufgenommen werden. Weil sich nach Fröbel jedes Wesen durch die Tätigkeit äußert, diese zugleich Aus- druck seines Bestehens ist, kann sich das sphärische Wesen des Menschen auch nur in und durch Tätigkeit verwirklichen. Die Tätigkeit des Kindes aber ist sein Spiel. Die frühesten Hand- lungen des Kindes sind Ausdruck und Darstellung seiner sphärischen, d.h. erkenntnisgerich- teten Natur. „Die Einheit zweifacher Natur“ beinhaltet Erzeugnisse des Inneren, die mit dem Spiel, der äußeren eigenen Tat, korrespondieren. Das Erzeugen der Einheit im Inneren äußert sich im Spiel, in dem das Kind die im Inneren erzeugte Einheit am Äußeren auf Wahrheit, Sicherheit, Gewissheit und Anwendbarkeit in anschaulicher Weise darstellt und überprüft. Die Spielgaben dienen der Entwicklung dieses Prozesses zwischen innerer unsichtbarer und äußerlich sichtbarer Tätigkeit.

Zusammenhang zwischen Spielgaben und Sphäre

Die Spielgaben sollen das Kind auffordern und leiten, aus einer Einheit selbst und freitätig eine Vielfältigkeit (einheitlicher Würfel wird zerlegt) und eine vorhandene Vielfältigkeit auf eine Einheit zurückzubeziehen. Das Kind soll selbst und durch eigene Ansicht, ohne dass Worte ihn belehren, durch die Tat zeigen: Inneres am Äußeren und durch Äußeres darzustellen und so wiederum am Äußeren Inneres zu erkennen und zu lesen. So wie Fröbel mittels eines Gesetzes der Sphäre den Kosmos als ein in sich gegliedertes Ganzes erkennt, so will er, dass das Kind durch Spiele und Spielgaben ebenfalls als ein eigenes, in sich gegliedertes Ganzes erscheint, damit es im Spiegel der Gaben als eine Art Abbild kosmischer Gesetze die Einheit des Lebensganzen zu ahnen vermag. In den Mutter- und Koseliedern bahnt sich die zukünftige Lebensaufgabe an, die sphärische Natur zu verwirklichen, in dem Äußeres inner- lich gemacht wird und das Innere wieder nach außen hin gezeigt wird. Auf diese Weise ver- wirklicht sich nicht nur die sphärische Natur des Menschen, sondern es werden auch Spiel und Phantasie gepflegt.

Ausführungen von Prof. Höltershinken zu dem Gesetz der Sphäre

Der Naturphilosophie und dem Pantheismus der Zeit von Fröbel entsprechend versteht er den Kosmos als eine Einheit, eine sich in jedem Lebewesen spiegelnde Polarität von Natur und Geist. Für Fröbel ist allerdings diese Einheit zerbrochen. Auf der einen Seite gibt es die Natur, mit ihr den Menschen, als etwas Natürliches, und auf der anderen Seite den Geist. Letztend- lich muß das und der Einzelne sich in seinen Lebensäußerungen wieder zur organischen Einheit, also zur Einigung entwickeln. Natur und Geist müssen wieder zusammenkommen. Ziel der Erziehung ist die Einigung von Natur und Geist, also die Lebenseinigung.

Definition des Sphärengesetzes nach Prof. Höltershinken:

In allem ruht, wirkt und herrscht ein ewiges Gesetz. Es sprach und spricht sich imÄußeren in der Natur, im Inneren im Geiste des Einzelnen. Symbol dieses Gesetzes ist die Kugel.

Wichtig:

Fröbel erklärt sich die Individualentwicklung einerseits aus der Menschheitsentwicklung und andererseits aus der Natur, die den Menschen in der Entwicklung seiner Leiblichkeit individu- ell werden lässt. Danach unterliegt die Individualentwicklung des Kindes dem individualisierten kosmischen Gesetzen, d.h. den Naturgesetzen, wie z.B. der biologischen Organreifung ei- nerseits und andererseits den Entwicklungsgesetzen des Lebens, soweit es die innere bzw. psychisch-geistige und soziale Entwicklung betrieft. Fröbel schreibt: „Die Beobachtung der Selbst- und Einzelentwicklung des Menschengeschlechtes zeigt, dass in der Entwicklung des inneren Lebens des einzelnen Menschen sich die geistige Entwicklungsgeschichte des Menschengeschlechtes wiederholt ausspricht und das gesamte Menschengeschlecht in sei- ner Gesamtheit als ein Mensch angeschaut und in ihm die notwendigen Entwicklungsstufen des einzelnen Menschen nachgewiesen werden kann.

2. Die entwickelnd-erziehenden Spielgaben

2.1. Die Mutter- und Koselieder

Die Koselieder nehmen im Erziehungsprozess den chronologisch ersten Platz ein und stehen am Anfang noch vor dem Ball als der ersten Gabe. Die Koselieder dienen, so wie alle Spielgaben und Beschäftigungsmittel von Fröbel, der Pflege, der Ahnung und Lebenseinigung, der Entwicklung des Tätigkeitstriebes und des Bewusstseins, d.h. der Verwirklichung der sphärischen Natur des Menschen.

Zweck der Koselieder

1. Erfassung und Bewußtwerdung des Wesens und der Bedeutung des Kindes für alle Inter- aktionspartner.
2. Entwicklung der Selbstwahrnehmung des Kindes, der Wahrnehmung von Gegenständen und deren Verhältnisse untereinander und zur Freimachung der Sprech-, Sinnen- und Gliederwerkzeuge, also zur individuellen Entwicklungsförderung des Kindes, seiner Be- wusstseinsentwicklung und Einigung mit der Natur und dem Leben um sich herum.

Koselieder sind in drei Hauptteile gegliedert

1. Weihelieder oder Einführungslieder Sie führen anfänglich in die erste Menschheits- und Kinderpflege, wodurch die Mutter in ihrem Erzieherbewusstsein angesprochen werden soll.
2. Praktisch-pädagogische Spiellieder, Bildeinheiten und Bilderleuterungen Diese Spiellieder sind durch die Hauptbereiche Natur, Leben und Gott inhaltlich gegliedert. Die methodische Abfolge unterliegt dem Prinzip vom Nahen zum Fernen und den Entwicklungs-gesetzen. Bei diesen Liedern vollzieht sich die Lebenseinigung durch das In-Beziehung- Bringen des Kindes mit den obigen Hauptbereichen nach Maßgabe der beiden genannten methodischen Bedingungen. Bei den Spielliedern fällt der Anschauung und dem kindlichen Handeln ein besonderes Gewicht zu. Die Bedeutung eines jeden Liedes wird der Mutter ver- stärkt ins Bewusstsein gebracht, indem vor jedem Spiellied ein Sinn-Prolog, durch Korres- pondenz mit den Bilderläuterungen - nahegebracht wird. Gemäß der Idee der Sphäre werden dem Kind immer mehr Gegenstände, Erscheinungen und Handlungen zur Pflege der Ahnung und zur Entwicklung der Lebenseinigung nahegebracht. In zunehmend größeren Sphären und Abständen vom Kind, d.h. in immer höheren Abstraktionsgraden, vollzieht sich die Einigung mit dem Leben, erhält das Kind eine Ahnung, d.h. einen begrifflichen Überblick, eine Vorstel- lung vom Zusammenhang des Lebensganzen.

Zusammenhang der Koselieder mit der Sphäre, Ahnung und Lebenseinigung

- Ahnen des Inneren im Äußeren
- Ahnen des Einigen im Getrennten
- Ahnen der Einheit in der Vielfalt
- Ahnen des Allgemeinen im Besonderen
- Das Leben und seine Prinzipien im Bild und Spiegel erkennen
- Das Kind kann durch die Koselieder sich selbst im Spiegel erkennen und es lernt das äu- ßere Leben so kennen, dass es Mittel findet, sein inneres, eigenes Leben äußerlich darzu- stellen.

Inhaltliche Stufenfolge der Koselieder des sich steigerndenBewusstseins

1. Stufe:

Das Kind lebt noch in einer unbewussten Einheit von Subjekt und Objekt. Die Trennung ist zwar keimhaft angelegt und bereits wirksam, aber noch nicht ganz vollzogen.

2. Stufe:

Nun ist das Kind bereits in der Lage, zwischen sich und dem Gegenstand bewusst zu unterscheiden, d.h. es wird offener für die sachliche Begegnung mit der Welt der Steine, Pflanzen und Tiere. In dieser zweiten Stufe lernt das Kind auch durch das Familienleben den Kontakt mit sozialen Sachverhalten. Diese vielfältigen Sachverhalte werden dem Kind durch die vermittelnde Mutter sinnbildlich - anschaulich und im Spiel nahegebracht.

Wichtig:

Das Kind erzeugt im Spiel und in der Nachahmung in seinen Gedanken ein Sinnbild der ihm präsentierten Realität und Lebensbeziehungen.

3. Stufe:

Schlußendlich werden die Einzelheiten durch das Kind zur bewussten und zusammenhängenden Sinneinheiten ausgestaltet und auf einen reinen Begriff gebracht.

2.2. Die gegenständlichen Spielgaben

Die Spielgaben funktionieren zerteilend (analytisch) vom Körper zum Punkt und wieder zusammenlegend (Synthese bildend) vom Punkt zum Körper hin.

I. Spiele mit Körpern

a.) Ball - Erste Gabe

Genauer sechs Wollbälle in sechs Hauptfarben.

Der Ball, der das Symbol für Kraft und für den Punkt ist, aus dem sich alle anderen Formen und Erscheinungen entwickeln lassen, wird dem Säugling als erster Gegenstand gerreicht. Pädagogisches Ziel: Der Säugling soll die Trennung vom Ich und Nicht-Ich konkret, be - greif - bar vollziehen können. Wie schon oben dargestellt, ist es die Lebensaufgabe des Kindes und des Menschen, gemäß seiner sphärischen Natur, sich als Gliedganzes im großen Gesamt- ganzen einzufügen und in sich das Große wiederzuspiegeln. Daher sagt Fröbel: Das Kind ergreift mit dem Ball, also mit der ersten Gabe, gemäß seiner Bestimmung und seiner Le- bensaufgabe im Bilde, d.h. es greift seine sphärische Natur und seine Lebensbestimmung, sich gemäß seines sphärischen Wesens zu entwickeln, auszubilden und darzustellen.

Merksatz:

Bei den Spielgaben geht es also um die Entfaltung des sphärischen Prinzips.

Sinnzusammenhang zwischen dem sphärischen Prinzip und der ersten Spielgabe

Für Fröbel drückt der Umgang des Kindes mit dem Ball sein immer währenden Trieb „immer ein Ganzes zu besitzen, sich eines Ganzen zu erfreuen“, sowie den Trieb „in jedem Dinge alles zu schauen und aus jedem Dinge alles zu machen“. Der Ball ist hier wieder einmal das Sinnbild für das „Ganze“ so wie des „Alles“. Fröbel hebt den Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Motorik und dessen Bedeutung für die Entwicklung des Geistes hervor. Das Ballspiel des Kindes trainiert die Motorik sowie die taktile16 Wahrnehmung.

Visuelle Wahrnehmung = Der Erwachsene spielt den Ball vor den Augen des Kindes. Durch die Bewegung mit dem Ball und der Wahrnehmung des selben entwickelt sich die geistige Fähigkeit des Kindes fort. Hiermit werden schon durch Fröbel Zusammenhänge hergestellt, die für die heutige psychomotorische Förderung von Kindern höchst aktuell sind.

Folgende geistige Verstehensleistungen geschehen durch das Spiel mit dem Ball: · Eins sein und getrennt sein (mit dem Ball)

- Da sein und verschwinden
- Haben und gehabthaben

Dreieinigkeit des handelnden, fühlenden und denkenden Wesens: Bewegung, Wahrnehmung, Geistestätigkeit.

Durch die Wiederholung des Spiels mit dem Ball sollen die Eindrücke des Kindes gestärkt, gefestigt und geklärt werden. Ohne Wiederholung würden sie spurlos verschwinden. Lange vor dem Entstehen des Sprachverständnisses eines Kindes kann das Spiel mit dem Ball durch den Erwachsenen sprachlich begleitet werden. Die verbale Abstrahierung des Erlebens geschieht dadurch, dass der Erwachsene dem Kind den Begriff „des Gegenstandes“ be- wusst macht.

Merksatz:

Fröbels Ball (erste Gabe) als Spielzeug zur Anregung von Bewegung, Wahrnehmung und Geistestätigkeit. Durch Fröbels Spielgaben sind die Erziehenden stets aufgefor- dert, sich um die Förderung ihrer Kinder zu bemühen, sich ihnen zuzuwenden.

b.) Zweite Gabe (Kugel, Würfel, Walze und Kegel)

Das sphärische Prinzip entfaltet sich weiterhin in der zweiten Gabe. Die harte Kugel ist für das Kind ein entgegengesetzt Gleiches. Fröbel beschreibt sie als den „verhärteten, mehr dichten und deshalb schwereren Ball“. Kugel und Würfel sind wieder so groß, dass sie von einer Kinderhand gefaßt werden können.

Erinnerung an das sphärische Gesetz:

Die innere Einheit ist ein Erzeugnis des Inneren und ein Resultat der Tätigkeit, welche wiederum am Äußeren durch darstellende Tat überprüft wird.

Die sphärische Idee als Grundlage der Spielgaben von Fröbel wird durch folgendes Zitat belegt: „ Der einfach ungeteilte Würfel (zweite Spielgabe) führt zu dem geteilten, der körperliche Spielstoff gehtüber zum flächigen, linearen; der sichtbare zum hörbaren, das sinnliche weist zum unsinnlichen, dasäußere führt zum inneren, zum geistigen, und die innere geistige Einheit ist das Band für alles.“ Wichtig: Fröbel betont immer wieder den Ganzheitscharakter seiner Idee, und daher sind die Spielgaben als Ganzes vor allem auf die Entwicklung der Erkenntnisfähigkeit und Erkenntnis gerichtet.

Merksatz:

Die Spielgaben dienen als Brücke zur Überwindung der Kluft zwischen Natur und Geist. Das Spiel ist dem Kind das Vermittelnde für beide Welten.

Drei Sinnrichtungen der Spielgaben

1. Die Lebens- oder Bauform = Darstellung von Gegenständen, die das Kind in seiner Umwelt wahrnehmen kann. Das Kind soll solches aus der Umwelt nachbauen (Mauer, Wand, Treppe, Sofa, Kirche usw.).
2. Die Erkenntnisform = Beispielsweise soll durch die zweite Gabe, dem Würfel, eine Ausbil- dung des Kindes in dem Raum, Zahl, Zeit und Bewegungsverhältnissen, d.h. der Pflege und Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten, ermöglicht werden. Fröbel strebt hier an eine Akzentuierung als erste Anbahnung der sich allmählich in die Mannigfaltigkeit (Vielfältigkeit) hinein ausdifferenzierenden Fähigkeit.
3. Schönheits- oder Bildformen = Ästhetische Gestaltung aus dem Spielmaterial, die einen inneren „Schein“, eine „Ahnung“ erzeugt und darstellt. Fröbel deutet ,laut Schmutzler, eine phantasiegezeugte, innerlich anschauliche Erscheinung einer inneren Einheit an. Die Schönheitsformen sind ein Ausdruck des sphärischen Wesens des Menschens, aber nicht so sehr der geistig-intellektuellen, sondern mehr der schöpferisch-gefühlsmäßigen und ästhetischen Dimensionen.

Erinnerung:

Von der Einheit zur Mannigfaltigkeit17 und zur Einheit, die sich auch im Gesamtaufbau der Spielgaben und Beschäftigungsmittel spiegelt. Ganz nach dem Fröbel-Prinzip des Zerlegens und Zusammenfügens oder der Analyse und Synthese.18

Bewegungsspiele

Bei den Bewegungsspielen gilt, ähnlich wie bei den gegenständlichen Spiegaben das geneti- sche Prinzip und das Gesetz der Sphäre. Das genetische Prinzip meint, dass die Spiele ent- sprechend der Entwicklung der Kinder und ihren verschiedenen Lebensstufen angepaßt ist. Auch hier ist die Entwicklung vom Einfachen zum Gesamten, Allseitigen vorgegeben:

1. Darstellende Bewegungsspiele:

Szenen des Alltags, z.B. Besuche oder das Fließen des Baches. Zweck der darstellenden Bewegungsspiele: Beachtung (Wahrnehmung des Lebens und der Natur).

2. Nachahmungen von lebendigen Naturgegenständen (z.B. Vögel und Fische):

Ziel sind

- Entfaltung der Darstellungsfähigkeit
- Pflege der erziehenden Beziehungen, z.B. Freiheitsgesetz, Ordnung

3. Laufspiele (z.B. Wettlauf):

Ziele sind

- Erziehung des Sozialverhaltens
- Erziehung der Umsicht, Achtsamkeit und Rücksichtnahme auf den anderen

4. Gehspiele:

Ziele sind

- Körperstärkung
- Training der Beherrschung
- Training und Formung der Haltung des Körpers
- Rechter Gebrauch der Gliedmaßen besonders der Füße (heutige Ausdrucksweise: Trai- ning der Motorik)

5. Die reinen Kreisspiele

Die Kreisspiele mit ihrer deutlicher werdenden sphärischen Idee zeigen die symbolisierende Wirkung der Spiele für die Erkenntnis- und Bewußtseinsentwicklung des Kindes. In die Kreisspiele gehen die anderen Spiele fruchtbar ein, wie diese wieder aus den Kreisspielen hervorgehen können.

Zweck und Ziel der Spiele

a.) Als Ausdruck eines gesunden Inneren sollen durch die Spiele eine gesunde, schöne Hal- tung auch nach außen gefördert werden.
b.) Die Spiele sind bildend für Sprache und Gesang.
c.) Sie erwecken Aufmerksamkeit (Training der Wahrnehmungsfähigkeit) d.) Sinn für Ordnung.
e.) Sinn für Anstand (Normenverständnis) und Schönheit (ästhetisches Empfinden).
f.) Freudiges und zufriedenes Zusammenleben (positives Sozialverhalten und Gestaltung von Beziehungen).

Sinnbildlichkeit der Bewegungsspiele

1. So wie die Kinder im Spiel dreht sich das menschliche Tun und Handeln um einen einzi- gen, unsichtbaren Grundgedanken: Hoffnung oder Ahnen des Gemütes (Streben nach der Lebenseinigung).
2. Wie die Kinder im Spiel, so drehen sich auch die Planeten um die Sonne (Sinnbild des Na- turlebens).
3. So wie das Kind z.B. im Kreisspiel um einen unsichtbaren Mittelpunkt sich herum dreht, so dreht sich der Mensch in seinem gesamten Leben um die unsichtbare Einheit und Mitte al- les Lebens = Gott.19

Merksatz:

Fröbel ist überzeugt, dass das Kind die sinnbildlichen Lebensbeziehungen zwischen seinem Spiel und den Realitäten des Universums ahnt und sie durch die Pflege des Spiels zu innerer geistiger Anschauung erheben kann, d.h. das Kind wird durch das Spiel zur Erkenntnis gebracht.

5. Maria Montessori

5.1. Aufriss der philosophisch-anthropologischen Grundgedanken Montessoris

5.1.1. Gott - Natur - Leben

Im Denken Maria Montessoris finden wir eine dynamische Grundkonzeption vom Aufbau des Kosmos, des Lebens und seiner Entwicklung, die ihrem Ursprung nach religiöser Natur ist.

Gott:

1. Ursache des aktiven und expansiven Lebens und der Natur.

Anders als Fröbel geht Maria Montessori nicht von einem pantheistischen unpersönlichen Gottesbild aus, sondern sie beschreibt Gott als persönliches Wesen, das die Lebewesen geschaffen hat, die Entwicklungsgesetze in der Natur festlegte.

Harmonie:

In Maria Montessoris gottbezogenen ganzheitlichen Seins-Auffassung nimmt die Harmonie eine zentrale Stellung ein, sie spricht von der Harmonie des Universums und des Lebens.

Erdenharmonie =

Nach kosmischen Gesetzen hat alles eine bestimmte Funktion im Lebensganzen zu erfüllen.

Funktionelle Harmonie =

Bedingung und Aufgabe zur Erhaltung des Kosmos gleichermaßen. Harmonie ist Bedingung des Lebens und seines harmonischen Gleichgewichts ...

Jedes Lebewesen hat die Bestimmung, nicht nur schlechthin zu existieren, sondern eine Funktion auszuüben, die zur Erhaltung der Welt und ihrer Harmonie notwendig ist. Die Störung dieses Gleichgewichts könnte die Existenz des einzelnen Lebewesens gefährden, weil es von der Ordnung des Ganzen her seine Bestimmung erfährt (S. 222) ... In Bezug auf den Menschen bedeutet Harmonie, nicht eingebunden sein in eine seinen Organen entsprechende Natur, sondern vorwiegend die Aufgabe, sich selbst harmonisch aufzubauen und die Umwelt und Natur zu verwandeln.

Natur

Natur und Menschen stehen in einem bestimmten Verhältnis zueinander, das gekennzeichnet ist durch das Schöpferische, die Ordnung, durch gesetzmäßige Entwicklung und Harmonie. Hier ist alles aufeinander bezogen.

Wichtig:

Das Gesetz der Natur ist ständiger Aufstieg hin zur Super-Natur.

Bestimmung des Menschen: An dem gesetzmäßigen und expansiven Schöpfungsprozess hin zur Super-Natur sich zu beteiligen. Der Mensch schafft Kul- tur.

Die Natur ist dem Menschen ein Lehrbuch und Lehrmeister für den Geist in philosophischer und wissenschaftlicher Hinsicht. Die Natur ist belehrend für viele soziale Erfahrungen, sie handelt logisch und muß daher vom Menschen beachtet und beobachtet werden. Den Men- schen ist eine universale Aufgabe mitgegeben, sie liegt in dem harmonischen Selbstaufbau und in der Mitwirkung an der Schöpfung. Zu dieser großen Aufgabe gehört es, dass jedes Individuum seine eigene Anpassung erwerben muß. Durch die Errichtung der Super-Natur verwandelt der Mensch sich selbst. In dem Maße, wie die Super-Natur errichtet wird, vollzieht sich auch die Entwicklung der Menschheit, die nicht nur eine natürliche Entwicklung ist, son- dern auch eine Entwicklung der Persönlichkeit. Der Mensch der Super-Natur ist nicht mehr der Mensch der Natur. In einem dialektischen Prozess nimmt der Mensch die Super-Natur in sich auf und entwickelt sinngemäß die Organe und Funktionen, um die Super-Natur zu erhal- ten und weiter aufzubauen.

5.2. Anpassung und Freiheit als Voraussetzung und Ziel individuell-aktiven Personalitätsaufbaus

5.2.1. Anpassung = Lebensgrundlage

In der Geschichte veränderten sich die Lebensgrundlagen, in den Kinder aufwuchsen. Denn in dem Maße, wie die Super-Natur errichtet wird, vollzieht sich auch die Entwicklung der Menschheit, die nicht nur eine natürliche Entwicklung ist, sondern auch eine Entwicklung der Persönlichkeit. Es ist also primär die vom Menschen geschaffene Umgebung oder Kultur, die die Grundlage für die Entwicklung der nächsten Generation darstellt. In einem Austausch zwi- schen der menschlichen Natur und der Super-Natur bzw. Kultur und Zivilisation vollzieht sich unter pädagogischer Verantwortung die Entwicklung der Persönlichkeit. Somit entsteht mit jedem neugeborenen Kind die Notwendigkeit der Anpassung an die Kultur, die Umgebung und die jeweils individuelle Schaffung einer Einheit sowohl der Persönlichkeit (= personale Integra- tion) als auch zwischen Individuum und Umwelt (= soziae Integration). Gleichzeitig hat hier die Menschheit die Chance eines Neubeginns, daher der Satz Montessoris: Menschsein be- deutet sich fortwährend in einem Zustand der Kindheit befinden. Deshalb ist es die „biologi- sche Funktion“ der Kindheit, die Anpassung des Menschen an immer neue Bedingungen, um somit die Fortsetzung und Erneuerung des Lebens zu ermöglichen.

5.3. Absorbierender Geist als kindspezifische Aktivitätsfunktion

Ein besonders anthropologisches Merkmal der Kindheit als Zeit des Anpassungsprozesses ist die Aktivität des absorbierenden20 Geistes.

Maria Montessori: „Wir [die Erwachsenen] sind Aufnehmende; wir füllen uns mit Eindrücken und behalten sie in unserem Gedächtnis, werden aber nie eins mit ihnen, so wie das Wasser vom Glas getrennt bleibt. Das Kind hingegen erfährt eine Veränderung: Die Eindrücke dringen nicht nur in seinen Geist ein, sondern formen ihn, die Eindrücke inkarnieren sich in ihm. Das Kind schafft gleichsam sein ‘geistiges Fleisch im Umgang mit den Dingen seiner Umgebung. Wir haben seine Geistesform ”absorbierenden Geist“ genannt. Es ist schwierig für uns, die Fähigkeit des kindlichen Geistes zu begreifen, aber es handelt sich zweifellos um eine privile- gierte Geistesform.“21

Der absorbierende Geist dient als Metapher für die die Umwelt integrierende Produktivität des Kindes, insbesondere des Kleinstkindes. Der absorbierende, also das Umfeld aufsaugende Geist wächst selbst, indem er sich dem Umfeld integriert, das schöpferische Kräftepotential des Kindes veranschaulicht. Der absorbierende Geist ist eine unbewußte Geistesform, die eine schöpferische Kraft besitzt. Er baut nicht mit Hilfe von Willensanstrengungen, sondern unter der Führung der inneren Sensibilitäten (z.B. die Sensibilität zu beobachten und zu han-deln) die Personalität als eine Einheit auf. So sorgt der absorbierende Geist z.B. dafür, dass in der Phase drei bis sechs Jahre die Muttersprache unauslöschlich erworben wird.

Allerdings:

Der absorbierende Geist nimmt alles auf, er fragt und urteilt nicht, er stößt eindringende Informationen nicht zurück und reagiert ebenfalls nicht. Er absorbiert alles und inkarniert alles im Kind. Das Kind vollbringt die Inkarnierung, um den anderen Menschen gleich zu werden, um sich an das Leben mit ihnen anzupassen. Der absorbierende Geist nimmt alles auf und hofft alles.

Im Absorbtionsprozeß verankert das Kind in sich Sprache und Moral, die in seiner Umgebung geübten Bewegungsformen, die Sitten, Gebräuche und auch die Mentalität in seiner Personalität. Der absorbierende Geist ist die Funktion der Aktivität im Anpassungsprozeß der Kindheit. Montessori vergleicht die Tätigkeit des absorbierenden Geistes mit einem Fotoapparat. Wie bei einem belichteten Film fixiert der absorbierende Geist die bildhaft komplexen Gesamteindrücke sofort zu einem Zeitpunkt.

Unterschied zum erwachsenen Geist:

Während das Kind wie ein Fotoapparat allein durch sein Inneres gesteuert, die Umwelt ab- sorbiert, nimmt der Erwachsene die Umwelt wie ein Maler auf, der willentlich und bewusst, selektiv und konstruierend in einem langsam und angestrengten Prozess das Bild gestaltet. Gerade die unbewußte Tätigkeit des absorbierenden Geistes lässt die große Bedeutung des die Umwelt gestaltenden Erwachsenen hervortreten. Hieraus ist es plötzlich verständlich, wenn Maria Montessori soviel Wert auf die vorbereitete Umgebung legt, denn diese soll so positiv gestaltet werden, dass der alles aufsaugende Geist des Kindes Positives, Sinnvolles und Nützliches zwecks Entstehung der Super-Natur aufsaugt (absorbiert).

Hauptfunktion des absorbierenden Geistes

Die Hauptfunktion des absorbierenden Geistes ist der stufenweise Aufbau des Bewusstseins als eine originale Konstruktion des Individuums, das anfängt, psychisch zu leben, sobald es in Verbindung mit der äußeren Umwelt tritt.

In Kenntnis der Lebensgesetze muß der Erzieher allerdings wissen, dass die Kräfte des absorbierenden Geistes, der unbewußt wirkt, sich umgekehrt proportional zur fortschreitenden Organisation des bewusstenGeistes entwickeln. Der Anfang des Prozesses vom Unbewußten zum Bewußten liegt im Inneren, wo die umweltbezogene Aktivität des absorbierenden Geistes ihren Ursprung hat. Diese konstruktive Aktivität muß in aufbauender Koordination mit den Sinnen, vor allem aber mit der Tätigkeit der Hände durch Sammeln von Erfahrungen in der Umwelt vorausgehen, damit sich die Bewußtheit stufenweise später zeigen kann. Anders formuliert:

Wichtig: -> Die Tätigkeit mit den Sinnesmaterialien, vor allem aber die Tätigkeit der Hände, dient als konstruktive Aktivität dazu, den Prozess des Kindes vom unbewussten absorbierenden Geist zum bewussten hin zu unterstützen.

Die Materialien von Maria Montessori helfen, das geistgelenkte, einheitliche, geordnete und koordinierte Zusammenwirken von Wahrnehmung und Bewegung bzw. der Tätigkeit um das Bewusstsein zu konstruieren, zu unterstützen. Durch diese konstruktive Aktivität, die durch die Materialien von Montessori begleitet wird, und mit Hilfe des absorbierenden Geistes, tritt das Kind in das Stadium des Bewusstseins oder des Wissens ein.

Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die Wahrnehmungsfunktionen. Das Trainieren der Wahr- nehmungsfunktionen, ebenfalls durch Montessori-Material möglich, bewirkt im Zusammen- spiel mit dem Aufbau des Bewusstseins und der Personalität die Handlungsfunktion des zent- ralen Ich. Die Bewegung des Kindes ist Ausdruck des Ich, ist seine Aktivität. Das Ich ist der große Organisator und Korrdinator, der mit Hilfe unausgesetzter Übungen und Erfahrungen die innere Einheit schafft. Die bewusstseinssteigernde, zur Einheit der Peronsalität strebende Aktivität zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr zeigt nun zwei Neigungen: a.) Bewusstsein durch Aktivität in der Umgebung zu entwickeln.

b.) Durch den Prozess aufbauender Vervollkommnung sollen die gemachten Errungenschaf- ten angereichert und perfektioniert werden.

Wichtig: -> Die Aktivität der Hand, als „Greiforgan der Intelligenz“, tritt in ein zunehmendes Gleichgewicht zu der genetisch früher wirksamen Aktivität der Sinne.

In dieser Periode der Integration einzelner Funktionen zu einer Einheit, während des dritten bis sechsten Lebensjahres, leitet der Verstand die Arbeit der Hand an. Nun ist das Kind ständig beschäftigt, glücklich und hat stets mit seinen Händen zu schaffen. Dieses Alter wird von Montessori als Spielalter des Kindes bezeichnet.

5.4. Bestimmungsmerkmal des Spiels

Der Personalitätsaufbau wird gefördert, wenn das Material gemäß seiner Funktion und Wir- kung - wie jedes andere Werkzeug oder Medikament - spezifisch verwendet wird. Hat ein Material seine Funktion erfüllt, so kann es tatsächlich sinnlos werden, und das Kind beginnt mit einer unspezifischen und unproduktiven Materialbehandlung. Montessori ist überzeugt davon, dass Kinder, die sinnvollen, personalitätsaufbauenden, ihr Wissen und Können berei-chernden Spiele bevorzugen. Sie meint: „... dass Kinder aus menschlicher Neigung heraus das Wissen (Sapere) und nicht das sinnleere Spiel lieben.“ Der positive Kinderspieltrieb soll unterstützt werden. Der negative Spieltrieb führt das Kind nicht zur Realität, es unterstützt nicht die Anpassung, sondern führt im Gegenteil zu Fluchterscheinungen. Zu den Fluchter- scheinungen gehört u.a. auch die Beschäftigung des Kindes mit Spielzeug. Es scheint ein

Abbild einer nutzlosen Welt zu sein, die zu keiner geistigen Konzentration hinführt und kein Ziel in sich trägt. Montessori will, dass nicht nur irgendein Spiel den Händen Bewegung verschafft, sondern sie will, dass durch Tätigkeit und Aktivität über die Hände letztendlich eine Anregung der Intelligenz geschieht.

Wichtig: -> Montessori beobachtete, dass Kinder in freier Wahl das von ihr angebotene Mate- rial und selbst hergestelltes und zurechtgemachtes Spielzeug den teuren Spielzeugen vorzo- gen, dass auch im Kinderhause reichlich vorhanden war. Prof. Heiland sieht hier eine genaue Parallele zu Fröbel.

Also, Montessori unterscheidet zwischen einem ziellosen, in die Phantasie flüchtenden Spiel, was allerdings nicht gänzlich abzulehnen ist, wenn ein inadäquat entlastetes Kind z.B. wieder zur Ruhe gebracht werden muß, so soll es durch den therapeutischen Gebrauch von Spielzeug langsam über die dadurch wiedergewonnene Aktivität zu einem geordneten kontrollierten, vom Bewusstsein begleiteten, zielgerichteten und gelenkten Bewegungsablauf, der den Personalitätsaufbau fördert gelenkt werden.

Spiel ist keine Beschäftigung abseits vom Leben, wodurch das Kind wertvolle Kraft und Zeit verliert, die es für seinen Personalitätsaufbau benötigt. Montessori liefert durch ihr Material genau und wissenschaftlich abgestufte Gegenstände.

Das Spiel hat die Aufgabe laut Montessori, die während der ersten drei Lebensjahre schon vorhandene unbewußte Schöpfung selbsttätig zu organisieren, den Vervollkommnungsprozeß mit zunehmender Selbständigkeit und Selbsttätigkeit anzustreben und das Bewusstsein des Kindes zu vergrößern. Das Kind baut aktiv an einem Anpassungs-“Modell“ mit, um in der Welt leben zu können und führt dadurch zugleich als Glied des Lebensganzen die Kontinuität und den Aufbau der Zivilisation (Super-Natur) fort.

Wenn Montessori zu einer neuen Sichtweise des Spiels aufruft, dann liegt in diesem formati- ven Prozess eine der Ursachen und zugleich die Begründung dafür, anstelle von Spiel den Ernst betonenden Ausdruck „Arbeit“ zu verwenden, womit sie sich übrigens - das sei hier vorweg genommen - nicht von Fröbel unterscheidet. Fröbel schreibt: „Die Arbeit des Erwach- senen ist beim Kinde Spiel.“ Tatsächlich kann man bei Kindern beobachten, dass sie eine Tendenz haben, bei ihrem Spiel zu arbeiten, indem sie die Tätigkeiten des Erwachsenen nachahmen. Sie arbeiten, ihr Gedanke ist nicht Spiel. Räumt man dem Kind eine an „Aktivi- tätsmomenten“ reiche und geordnete Umwelt ein, so ist leicht erkennbar, dass die dadurch ausgelösten Aktivitäten von einer ernsthaften Art sind, dass die Kinder ernsthaft arbeiten.

Konzentration

Die Entdeckung der Konzentrationsfähigkeit oder der „Polarisation der Aufmerksamkeit“ durch Montessori wird auch das „Montessori-Phänomen“ genannt. Sie beobachtete, dass Kinder große Fähigkeiten haben, sich zu konzentrieren. Die Handlung kann die ganze Aufmerksamkeit und Energie eines Menschen absorbieren. Sie nimmt also psychische Ener- gien in Anspruch, so dass das Kind alles, was um es herum ist, vollständig vergißt. Konzent- ration erscheint als ein Akt der Verschmelzung aller jener Kräfte und Funktionen, die sich vor- her unabhängig voneinander entwickelten, sich jetzt vereinigen und eine Einheit bilden.

Die Spieltätigkeit des Kindes als Ausdruck einer inneren konstruktiven Aktivität ist nicht nur Symbolisation der Einheit von Bewegung und Geist, sondern sie erzeugt auch in den Akten der Konzentration permanent neue Einheiten durch die Verknüpfung von Funktionen mit dem Ziel, das Bewusstsein und die an die Umgebung angepaßte Personalität als die funktionale Einheit des Individuums zu bilden.

5.5. Zeit und Arbeit bei Montessori

Montessori bezeichnet die Tätigkeit des Kindes bis zu seinem dritten Lebensjahr, bei dem es noch relativ unbewußt Bewegungen übend vollzieht, ebenfalls mit Spiel. Sie nennt z.B. die Tätigkeit eines sechs Monate alten Kindes, das mit „Aufmerksamkeit“ wiederholt einen Gegenstand ergreift und fallen lässt und durch die bewusste Beobachtung zu einer subjektiven Erkenntnis gelangt und davon offensichtlich mit Freude erfüllt wird, „Spiel“.

Montessoris Definition für Spiel:

Die Weite des montessorischen Spielbegriffs reicht von den einfachen lustbetonten Funktionsspielen bis zu den funktionseinigenden bewussten Handlungen, die Montessori aufgrund des überwiegend konstruktiven Charakters auch Arbeit nennt.

Montessori fragt: „Was ist Spiel, wenn nicht jene Dinge zu tun, zu welchen man die Bewegungen der Hand benötigt?“, und durch welche die für den Personalitätsaufbau erforderlichen Kräfte und Fähigkeiten entwickelt werden.

Spiel als Moment der Wiederholung

Ein weiteres Bestimmungsmerkmal bei Montessoris Spielauffassung ist das Moment der Wiederholung. Schon in den frühesten Funktionsspielen tritt es zu Tage, falls das Kind die erforderliche Entwicklungsfreiheit als Grundvoraussetzung des Personalitätsaufbaus besitzt. Die Motivation für die Wiederholung ist intrinsischer Art. Wenn ein Kind eine dem äußeren Ziele nach vollendete Tätigkeit, z.B. das Blankputzen eines Messingstückes, wiederholt, so scheint diese wiederholte Handlung ohne Zweck zu sein. Das dabei nebengeordnete Merkmal der hohen „Genauigkeit“, mit der das Kind die einmal erworbene Bewegung wiederholt, weist auf ein „Gedächtnis der Bewegung“, das im Kind ein unverzichtbarer Führer ist, beim Aufbau des inneren Anpassungsmodells an die umgebende Kultur. Die Bewegung ist in sich sinnvoll und befriedigend. Das Kind geht in der Bewegung auf und die Bewegungsfähigkeit vollendet sich damit selbst. Die zirkuläre Tätigkeit des Spiels findet bei Montessori erst dann ihr Ende,wenn die Aktivität befriedigt ist. Genetisch betrachtet lässt das Bewegungsbedürfnis allmählich mit steigender Perfektion nach und es rückt der äußere Zweck, der bis dahin nur Antrieb zum Tun war, in den Vordergrund und das elementare Schaffen wird langsam zum rationellen Schaffen, nähert sich mehr und mehr dem Zwecktun des Erwachsenen.

Der besondere Charakter des Spiels und des Materialumgangs bei Montessori

Das Moment „der Gegenwärtigkeit“ bedeutet, dass sich das Spiel als schwebendes Gesche- hensgebilde in der Augenblicksgebundenheit des Vollzugs erfüllt und damit zeitabgehoben ist. In diesem bildenden Zusammenhang, den man „Vollzugsbezogenheit“ nennen könnte, liegt der besondere Charakter des Spiels und des Materialumgangs bei Montessori. Zugleich aber ist das Spiel als Erzeugnis des Lebens funktional gebunden an den individuellen Lebensträger - das lebendige wachsende Kind - damit nicht nur ein Lebensausdruck, sondern auch ein Geschehensgebilde, das auf der individuellen Lebensgeschichte, der Vergangenheit des Kindes beruht, an die Gegenwart anknüpft, sie aufnimmt und prinzipielle Zukunftsbedeutung hat. Diesen Gedanken brachte Fröbel in eine zeitlose Sprachform, als er das Spiel als ein Vorbild und Nachbild des gesamten Menschenlebens bezeichnete.

Wesensmoment: Aktive Nachahmung

Ein letztes Wesensmoment des Spiels bei Montessori ist die aktive Nachahmung aus Liebe zur Umwelt, die zugleich ein Verbindungsglied zur Arbeit ist, denn die Vorbereitung auf die Arbeit hängt mit der Nachahmung zusammen. Die Nachahmung ist aber auch ein Verbin- dungsstück zu der ihr vorausgehenden Phantasie als Prozess, der „imaginativen Rekonstruk- tion“ von Äußerem22.

Mit Hilfe der Spieltätigkeit, die keinen äußeren Zweck hat, übt sich das kleine Kind in der Koor- dination seiner Bewegungen und bereitet sich so darauf vor, bestimmte Tätigkeiten nachzu- ahmen. Kinder haben eine Neigung zur Nachahmung. Diese Nachahmung bindet nach außen und vermittelt dem Kind über die Übungen mit der Umwelt die Möglichkeit der Anpassung. Den Erwachsenen nachahmen, bedeutet für das Kind, ins Leben eintreten. Der Erwachsene als Vorbild und Helfer, als Gestalter der vorbereitenden Umgebung, als Vermittler zwischen Kind und Super-Natur, hat in Verbindung mit dem Spiel des Kindes eine zentrale Bedeutung, die auch in dem Zusammenhang der vorbereiteten Umgebung sichtbar wird.

Praxis der Sinneserziehung und Sinnesmaterial

Sinneserziehung und Sinnesmaterial sind Kernstück der Montessori-Pädagogik. Sie helfen, innere Konstruktionen zu bilden und sind der Ordnung dienlich. Sie sollen den Geist entwickeln. Das Sinnesmaterial unterstützt die geisten Grundfunktionen: erkennen, unterscheiden, kombinieren, abstrahieren, Paare, Gruppen, Klassen bilden, Serien herstellen usw. Daher hat Montessori Material zur Unterscheidung von Dimensionen, Formen und Farben, Materialien verschiedener Oberflächenstrukturen und verschiedener Qualitäten, verschiedene Gewichte, Gerüche, Geschmacksrichtungen, Geräusche usw. entworfen.

Funktion des Sinnesmaterials

Schmutzler, Hans-Joachim: Fröbel und Montessori, 1991, S. 144 ff.

Weitere wichtige Stichworte:

- Sinneserziehung und Polarisation der Aufmerksamkeit,
- materialisierte Abstraktion (s. 147),
- Sinneserziehung als mathematische Grundbildung (S. 148).

[...]


1 Heuristik = Lehre, Wissenschaft von den Verfahren, Probleme zu lösen; methodische Anleitung, Anweisung zur Gewinnung neuer Erkenntnisse. Heuristisches Prinzip = Arbeitshypothese als Hilfsmittel der Forschung; vorläufige Annahme zum Zweck des besseren Verständnisses eines Sachverhaltes (Fremdwörterduden S.309).

2 Zitiert nach Schmutzler, Hans -Joachim: Spiel, Phantasie und Arbeit bei Fröbel und Montessori, Münster 1975, S. 5 und 6 (Doktorarbeit)

3 Hoffmann, Erika: Friedrich Fröbel an Gräfin Brunszvik, Berlin 1944, S. 26

4 Hoffmann, M. 1964, S. 136

5 vgl. Schmutzler, Hans-Joachim: Fröbel und Montessori - Zwei geniale Erzieher, was sie unterscheidet, was sie verbindet, Freiburg, Basel, Wien 1991, S. 14ff.

6 Diese Definitionen stammen von Autoren, die Fröbels Sicht des Begriffes Anschauung interpretieren. Zitiert nach Schmutzler (Doktorarbeit), S. 15 bis 18.

7 Fröbel erklärt den Begriff Gliedganze anhand eines Beispiels: Das Kind selbst ist ein ... Gliedganzes, in dem es einigend und vermittelnd zwischen dem Menschen und der Natur, zwischen Menschen und Gott, als in der Mitte zwischen allem Sein und Leben, auch in seinen Gegensätzen; und darum ist denn auch die Ahnung, ja endlich das Bewußtsein der Einheit des in Gott ruhenden, einigen Lebens in dem Kinde leicht zu wecken und pflegen.

8 Schmutzler (Doktorarbeit), S. 22.

9 Dies ist meine Interpretation des Textes W.J.

10 Höltershinken: Referat über ”Fröbel“ im Wirbelsäule 1997/98 Uni Dortmund

11 Meyers Großes Taschenlexikon, Band 21, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich, 1992, S. 18

12 Fremdwörterduden S. 735

13 dtv - Brockhaus -Lexikon Band 17, München 1984, S. 157

14 Meyers Großes Taschenlexikon, a.a.O. S. 18

15 Meyers Großes Taschenlexikon, a.a.O. S. 207

16 Taktil = Das Tasten, den Tastsinn betreffen, Fremdwörterduden

17 Mannigfach = In ziemlich vielen Fällen vorkommend, Mannigfaltig = ziemlich häufig vorkommend; vielfältig, vielfach verschieden, Mannigfaltigkeit = Vielfältigkeit, ziemlich häufiges Auftreten (Neues Deutsches Wörter- buch, S. 589)

18 vgl. Schmutzler (Doktorarbeit) S. 64

19 Nach Prof. Höltershinken hat Fröbel ein pantheistisches Gottesbild und nicht das eines persönlichen Gottes. Pantheismus = Allgottlehre; Lehre, in der Gott und Welt identisch sind; Anschauung, nach der Gott das Leben des Weltalls selbst ist (Fremdwörterduden S. 569). Pantheismus = Alleinheitslehre, Bezeichnung für eine religiös-theologisch, z.T. auch philosophische Position, nach der Gott in allen Dingen der Welt existiert bzw. Gott und Weltall (besonders die belebte Welt) identisch sind. (Meyers Großes Taschenlexikon Band 16, S. 245) Pantheismus = Allgottlehre, Pantheist nach J. Toland 1705, religionsphilosophische Lehren, in denen Gott und die Welt identisch sind. Der Pantheist denkt das Göttliche unpersönlich und galt daher für A. Schoppenhauer als höflicher Atheismus. In sich konsequent ist der Pantheismus von B. Spenozas; aus einer mathematisch- deduktiven Methode ergibt sich für ihn, daß Gott und Natur gleichzusetze seien. Nahezu jede neuere Metaphy- sik hat einen Einschlag zum Pantheismus, so das identitätsphilosophische System von Schelling (Gleichset- zung von Geist und Natur), das panlogisch-evolutionistische Sys tem Hegels (durch den dialektischen Prozeß der Welt verwirklicht sich Gott selbst), sowie der vitalistische Pantheismus von Bergson. (dtv-Brockhaus Lexi- kon Band 13, S. 317).

20 Absorbieren = [ lat. „hinunterschlürfen, verschlingen“] : 1. aufsaugen, in sich aufnehmen, 2. [gänzlich] beanspruchen. (Fremdwörterduden S. 24)

21 Maria Montessori 1949, zitiert nach Heiland, Helmut: Maria Montessori, Reinbek bei Hamburg, 1991, S. 111. 20

22 vgl. Schmutzler (Doktorarbeit), S. 286

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Spiel bei Fröbel und Montessori
Hochschule
University of Sheffield
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
25
Katalognummer
V102160
ISBN (eBook)
9783640005499
Dateigröße
426 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine detaillierte Ausarbeitung , gut um sich für eine Prüfung vorzubereiten
Schlagworte
Themenzentrierte Interaktion TZI Ruth Cohn
Arbeit zitieren
Werner Jung (Autor:in), 2001, Spiel bei Fröbel und Montessori, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102160

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