Lessing, G. E. - Nathan der Weise - Die Szene I/1


Referat / Aufsatz (Schule), 2001

6 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Die Szene I/1 aus G. E. Lessings ,,Nathan der Weise"

A. Gliederung

1 Einleitung: Anmerkungen zu Lessings ,,Nathan der Weise"

2 Hauptteil: Die Szene I/1 aus ,,Nathan der Weise"

2.1 Der Inhalt der Szene

2.2 Die Aufgaben der Szene

2.2.1 Ihre inhaltliche Funktion

2.2.2 Ihre thematische Funktion

2.3 Zur Gestaltung

2.3.1 Versregie

2.3.2 Verhältnis von Vers- und Satzbau

2.3.3 Syntax

3 Schluss: Parallelen zwischen Lessings und Nathans Schicksal

B. Ausführung

1 Mit Lessings ,,Nathan" halten wir ein Schlüsselwerk, nicht nur für die deutsche Literatur, sondern auch für die gesamte geistige Entwicklung des deutschen Volkes in Händen. In Zeiten, die noch geprägt waren von religiös motivierter Verfolgung Andersdenkender, geboren aus verbohrter Intoleranz, hat Lessing die Botschaft dieses Werkes von Toleranz und Versöhnung unter den Religionen erstehen lassen. Leider ist sie in der Folgezeit nicht immer beherzigt worden, gerade und vor allem von Deutschen. Der Nationalsozialismus hatte die Gefährlichkeit des Toleranzgedankens für seine wahnhafte Rassenideologie erkannt - dass die Hauptfigur eine Jude war, tat ein Übriges - , 12 lange Jahre war der ,,Nathan" daher von deutschen Bühnen und wohl auch aus deutschen Köpfen verschwunden. Nach dem Kriege erinnerte man sich des Werkes: 26 Inszenierungen zählte die Spielzeit 1945/1946 an Theatern in allen vier Zonen. Diese große Zahl an Aufführungen zeigt das Bedürfnis der vom Krieg und den schrecklichen Verbrechen der Nazis traumatisierten Menschen nach Humanität und Moral. Die erste Szene dieses Dramas soll im Folgenden analysiert werden.

2 In Szene I/1 kehrt der reiche jüdische Kaufmann Nathan von einer Geschäftsreise nach

2.1 Hause zurück. Bereits auf dem Weg hat ihn die Nachricht erreicht, dass es in seinem Haus in Jerusalem gebrannt hat. Dies nimmt er gelassen hin, da er reich genug ist, um sich ein neues Haus bauen zu können. Die Gesellschafterin seiner Tochter Recha, Daja, empfängt ihn und stürzt ihn mit der Mitteilung, dass Recha beinahe mit verbrannt wäre, in helle Aufregung. Daja zweifelt Nathans Rechte als Vater an und lässt sich von ihm auch nicht durch die reichen Geschenke, die er ihr mitgebracht hat, von dieser Angelegenheit abbringen. Schließlich kann Nathan das leidige Thema doch beenden. Nun schildert Daja, wie ein Tempelritter Recha gerettet habe und dass dieser sich danach geweigert habe sowohl jeglichen Dank anzunehmen als auch Recha zu treffen. Schließlich sei er ganz verschwunden. Nathan erklärt sich bereit, ihn zu suchen, um Rechas Schwärmerei für den Tempelritter auf den Boden der Tatsachen zu stellen.

2.2 Die Szene I/1 besitzt zuerst einmal eine inhaltliche Funktion. Bereits hier erhält der 2.2.1 Leser viele relevante Informationen über die meisten Figuren, nämlich über Nathan, Daja, Recha und den Tempelherren, sowie über die Handlung. Über Nathan erfährt man, dass er Kaufmann, Jude und Vater einer Tochter ist. Man hört allerdings auch, dass Recha ,,nur" seine Adoptivtochter ist (V. 35/36 ,,[...]Dies Eigentum allein/Dank ich der Tugend"). Einige Charaktereigenschaften Nathans treten bereits in der ersten Szene zutage, so seine große

Liebe zu seiner Adoptivtochter, die sich darin zeigt, dass er es kaum ertragen könnte, wenn

sie bei dem Brand ums Leben gekommen wäre (V. 25/26 ,,Heraus nur! - Töte mich: und martre mich/Nicht länger. - Ja, sie ist verbrannt"), seine Großzügigkeit, da er den Ritter freigebig für seine Tat belohnen will, (V. 94 ff. ,,Ihr gabt ihm doch vors erste, was an Schätzen/Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles?/Verspracht ihm mehr? weit mehr?"), Klugheit und Menschenkenntnis, da er weiß, dass er normalerweise Daja mit den Geschenken, die er ihr mitgebracht hat, ablenken kann. Die Figur des Nathan ist bereits in der ersten Szene in allen ihren Facetten ausgebildet, sie ändert sich im weiteren Verlauf des Dramas nicht.

Daja ist von ihrem tiefen christlichen Glauben und ihrer latenten Ablehnung von allem Nichtchristlichen geprägt. Recha und der Tempelherr erscheinen zwar nicht persönlich in der Szene, doch kann man anhand der Äußerungen, die Nathan und Daja über sie machen, auf gewisse Merkmale ihres Charakters schließen. Recha scheint noch eher kindlich zu sein, da sie sich unreifen Schwärmereien für den Tempelherren hingibt. Bei dem Templer handelt es sich um einen mutigen, stolzen Mann, der sich allerdings Daja gegenüber schroff verhält. Beachtenswert ist ebenfalls noch, dass der Sultan Saladin dem gefangenen christlichen Ritter, entgegen alle Gewohnheit, das Leben gelassen hat.

Auch zeigt sich hier erstmals der Konflikt Nathans mit Daja , die es, von ihrem Gewissen getrieben, für ein Unrecht hält, dass Nathan Recha aufgezogen hat. Dieser Konflikt ist im weiteren Verlauf des Dramas der Auslöser für Verwicklungen, die Nathan schließlich sogar in Lebensgefahr bringen. Denn Daja verrät dem Tempelherren, dass Recha keine Jüdin, sondern Christin ist, um es ihm zu erleichtern, Recha zu heiraten. Dies tut sie aber nicht, weil sie am Glück des Mädchens interessiert wäre, sondern weil sie den Zustand, dass die Christin Recha bei dem Juden Nathan lebt, beenden will. Der Tempelherr wiederum hinterbringt diese Tatsache dem Patriarchen, was die erwähnte Gefahr für Nathans Leben heraufbeschwört. Des Weiteren kommt Rechas übersteigerte Bewunderung für den Tempelherren zur Sprache. Nathan sorgt sich darum, dass Recha unglücklich sein könnte, weil sie vom Tempelherren zurückgewiesen wurde (V. 127 ff. ,,[...]Ich überdenke mir;/Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl/Für einen Eindruck machen muss."). Daja ist der Meinung, dass Recha den Tempelherren für einen Engel hält. Dies veranlasst Nathan dazu, den Tempelherren suchen zu wollen, da, wie er bemerkt, ,,dem Menschen ein Mensch noch immer lieber ist als ein Engel" (V. 163/64). Bei dieser Begegnung schließt Nathan Freundschaft mit dem Tempelherren. In Szene I/1 werden die Grundlagen der späteren Handlung gelegt, ja man könnte sogar zu der Schlussfolgerung gelangen, der Verlauf der gesamten Handlung sei in ihr bereits festgeschrieben. Große Teile der Vorgeschichte werden in der Szene zumindest angedeutet.

Insgesamt hat die Szene, da sie ganz am Beginn des Dramas steht, die Aufgabe, den Leser mit den Grundlagen der Handlung und den Figuren vertraut zu machen.

2.2.2 Außerdem besitzt Szene I/1 eine thematische Funktion. Schwerpunkt ist die Auseinandersetzung zwischen der Christin Daja und dem Juden Nathan, die Religions- zugehörigkeit beider wird besonders betont. Damit ist bereits eines der Grundthemen des Dramas, nämlich das Miteinander der Religionen, angeschlagen. Die Hauptbotschaft, die man aus dem Stück entnehmen soll, ist, wie schon mehrmals erwähnt, die Toleranz dieser Weltreligionen untereinander, deren Ausübung im Drama schließlich alles zum Guten wendet. Dieses Thema klingt in einer Äußerung Dajas gegenüber Nathan an, als sie ihm davon berichtet, dass Recha davon träumt, dass ein Schutzengel in Gestalt des Tempelherren sie gerettet hat. Sie appelliert an ihn: ,,Laßt lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,/In dem sich Jud` und Christ und Muselmann/Vereinigen;[...]" (V.151 ff.). Angedeutet wird auch die drohende Gefahr, dass Nathan Recha verlieren könnte: ,,Wenn ich mich wieder je entwöhnen müßte,/Dies Kind mein Kind zu nennen!" (V. 30/31).

In dieser ersten Szene ist auch der das Drama beherrschende Konflikt zwischen toleranten Menschen wie Nathan oder dem Klosterbruder auf der einen Seite und intoleranten Menschen wie Daja oder dem Patriarchen auf der anderen Seite, bereits angelegt. Allerdings ist Szene I/1 von weit größerer inhaltlicher als thematischer Bedeutung, da thematische Aspekte größtenteils nur angedeutet vorkommen.

2.3 Ein weiterer Punkt mit dem sich diese Untersuchung beschäftigen wird ist die sprachliche Gestaltung der Szene durch Lessing.

2.3.1 Dazu soll zuerst die Versregie betrachtet werden. Hier ist zuerst zu bemerken, dass das gesamte Drama im Blankvers abgefasst ist. Lessing, ein Meister des Blankverses, war Vorreiter bei dessen Einführung im deutschen Drama. Es fällt nun die sehr häufige Verwendung von Antilaben an Schlüsselstellen des Gesprächs auf, wo die Emotionen der Sprecher sich entzünden. Um eine solche Schlüsselstelle handelt es sich von V.29 bis V. 61, wo die Adoption Rechas diskutiert wird. Die Funktion der Antilaben besteht hier darin, die weit auseinanderklaffenden Meinungen der Gesprächspartner zu kennzeichnen. Zweimaliger Wechsel des Sprechers innerhalb eines Verses ist zu beobachten, wenn Nathan Daja, um den Disput zu beenden schroff schweigen heißt und der Streit einen Höhepunkt erreicht: ,, D.: [...] Das wisst Ihr besser./N.: Nun so schweig!/ D.: Ich schweige." (V. 58). Dies ist wie im vorhergehenden Zitat häufig mit einer Wiederaufnahme des zentralen Worts der Aussage des Gegenübers verbunden. Sobald die Wogen der Erregung wieder geglättet sind, nimmt die

Zahl der Antilaben ab. An dramatischen Stellen, wie bei Dajas Schilderung der Rettung Rechas durch den Tempelherren, begegnet man hyperkatalektischen Versen: ,,[...] Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme/Mit eins er vor uns stand, im starken Arm/Empor sie tragend. Kalt und ungerührt/Vom Jauchzen unsers Danks, setzt er seine Beute [...]" (V. 103 ff.). Mit der vom Aufeinandertreffen zweier Senkungen verursachten Unstimmigkeit im Versmaß wird hier die Dramatik des Geschehens besonders betont.

2.3.2 Einen wichtigen Part bei der sprachlichen Formung der Szene hat auch das Verhältnis von Vers- und Satzbau inne. Gewöhnlich fällt ein Satz nicht mit einem Vers zusammen. Geschieht dies aber doch einmal, so ist das ein sicheres Anzeichen für die Nachdrücklichkeit und Entschiedenheit der Aussage. Beispielhaft sei hier V. 53 genannt, in dem Nathan Daja anherrscht, sie solle seine Geschenke annehmen und dafür schweigen: ,,Nimm du so gern als ich dir geb: - und schweig!". Nathan schleudert Daja den Satz regelrecht entgegen, dies wird durch das Zusammenfallen von Vers- und Satzende betont.

Ansonsten dominiert das Enjambement die Szene. Dies ist Ausdruck des Hin- und Herwogens der Auseinandersetzung.

2.3.3 Von ähnlicher Wichtigkeit für die sprachliche Gestaltung ist die Syntax.

Beherrschendes Element sind hypotaktische Sätze. Sie erstrecken sich bisweilen über mehr als fünf Verse, beispielsweise von V. 129 - 134. Allzu lange Sätze kommen allerdings nicht vor, da die Syntax der Tatsache Rechnung zu tragen hat, dass es sich um ein aufgeregtes Gespräch handelt, bei dem keiner der beiden Gesprächspartner die Geduld aufbringen kann, dem anderen länger ruhig zuzuhören. Dazu konfrontieren die Gesprächsteilnehmer in dieser Szene einander häufig mit kurzen, knappen Fragen, die vielfach rhetorischer Natur sind (V. 97 N.: ,,Nicht? Nicht?" oder V. 29 D.: ,,Eure? Eure Recha?"). Aufgrund des wiederholten Gebrauchs von Rufesätzen, könnte manchmal der Eindruck entstehen, Nathan und Daja würden einander anschreien, wenn nicht die entsprechenden Regieanweisungen fehlen würden. Zum Beispiel hierfür sei V. 51/52 genannt, in dem Daja den Versuch Nathans zurückweist, sie mit Präsenten zu bestechen: ,,[...] So seid Ihr nun! Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!". Auch das ist Ausdruck der aufgewühlten, gereizten Grund- stimmung, die im Gespräch vorherrscht.

3. Nach Abschluss der Analyse von Szene I/1 und nachdem man sich das gesamte Drama

noch einmal in Erinnerung gerufen hat, bemerkt man verblüffende Parallelen zwischen dem Leben des Autors Lessing und seiner Figur Nathan. Im Jahre 1778 verstarb Lessings Frau an den Folgen der Geburt ihres Sohnes. Das Kind hatte nur einige Stunden lang gelebt, dann war es gestorben. Lessing verlor also auf einen Schlag die Menschen, die er am meisten liebte.

Vielleicht hat ihn dieses Ereignis bewogen haben, seiner Hauptfigur Nathan ein ähnliches Schicksal, nämlich den Verlust der ganzen Familie, zuteil werden zu lassen. So wie es Nathan gelungen ist durch eine humane Tat ins Leben zurück zu finden, mag es Lessing geholfen haben, mit seinem Drama, das den Aufruf zu Humanität und Toleranz enthält, seinen schweren Schicksalsschlag zu verarbeiten.

Ende der Leseprobe aus 6 Seiten

Details

Titel
Lessing, G. E. - Nathan der Weise - Die Szene I/1
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
6
Katalognummer
V101840
ISBN (eBook)
9783640002535
Dateigröße
367 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Detaillierte Analyse einer Szene. Hausaufsatz aus der 11.
Schlagworte
Lessing, Nathan, Weise, Szene
Arbeit zitieren
Veit Stöcklein (Autor:in), 2001, Lessing, G. E. - Nathan der Weise - Die Szene I/1, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101840

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