Wladimir Majakowski - Troubadour der Revolution oder Propagandist der Arbeitsgesellschaft?


Hausarbeit, 1999

35 Seiten


Leseprobe


Einleitung

S.1

Teil I: Aufbruch zu neuen Ufern: sozialer Antagonismus, Revolution und bolschewistische Fortschrittskonzeption

1. Sozioökonomische Verhältnisse bis 1917 - Stichwort: Bauern - Arbeiter S.2

2. Aspekte der bolschewistischen Fortschrittskonzeption S.6

Teil II: Mythos Majakowski

1. Die Rahmenbedingungen

1.1. Zur Problematik der Fragestellung am Beispiel vonDie Wanze S.10

1.2. Zur Begrenztheit des deutschsprachigen Zugangs S.12

1.3. Tradierte Bilder - Selbstinszenierung - Kunst-Leben Konzept S.14

2. Majakowski und die Avantgarde-Kunst im Kontext der revolutionären Umbrüche

2.1.Freiheit für die Kunst

S.16

2.2.Anarcho - Künstler? S.18

2.3.Kunsttheoretischer Paradigmenwechsel Ende 1918? S.20

2.4.Überlegungen zu Majakowskis vorrevolutionärem Futurismus

2

S.22

2.5.Mysterium buffo S.28

3. Schluß S.33

Einleitung:

Die Mitte der 1980er einsetzende Deregulierung der sowjetischen Entwicklungsdiktatur in der Perestroika und die damit einhergehende politische Liberalisierung im Zeichen von Glasnost ermöglichte in der SU nicht nur eine zunehmende öffentliche Infragestellung der realsozialistischen Ordnung als solcher, sondern auch ihrer Werte, Symbole und Kultfiguren. Eine dieser Kultfiguren, die seit spätestens 1987 im Kreuzfeuer der Kritik stand, war der Dichter Wladimir Majakowski (1893- 1930), den Stalin 1935 zum 'besten und talentiertesten' Dichter der Sowjetmacht erklärt hatte,2

wodurch Majakowskis Werk den zweifelhaften Ruhm kulturpoltischer Zwangsverordnung erfuhr. Vor diesem Hintergrund wäre die Demontage des offiziellen Majakowski-Bildes fraglos als emanzipativer Akt zu bewerten. Sieht man sich allerdings die Argumente und die diesen zugrundeliegenden Maßstäbe an, die in der längst nicht mehr auf literatur- oder kunstwissenschaftliche Fragen beschränkten Kontroverse um Majakowski von Befürwortern und Gegnern hervorgebracht wurden, so scheint der emanzipative Gehalt der Debatte allerdings eher zweifelhaft zu sein. Folgt man der zusammenfassenden Darstellung von Birgit Menzel, so wurde Majakowski von seiten der Gegner kurzerhand zum Stalinisten erkärt, das lyrische Subjekt geradlinig mit der Dichterperson in eins gesetzt, und die stalinistischen Säuberungen und Pogrome als Majakowskis Versen entsprungen dargestellt. Demgegenüber bemühten sich die Verteidiger, ein Bild von Majakowski als Opfer zu zeichnen. So habe Majakowski das Ausmaß der stalinschen Repression geahnt und sich den Ereignissen vorausschauend durch Selbstmord entzogen. Eine andere Opfervariante bedient sich der eindeutig antisemitischen Untertöne: demnach sei Majakowski Opfer seiner 'parasitären' jüdischen Freunde und des über 'dämonische Kräfte'

verfügenden Ehepaars Ossip und Lilja Brik gewesen.3

Auch in der Bundesrepublik wurde in diversen Feuilletons die russische Avantgarde Ende der 1980er Jahre neu problematisiert. Sie wurde bis dahin, seit ihrer Entdeckung im Zuge der Studentenbewegung, so Menzel, „nicht nur in linken Kreisen als schöpferisch-kultureller Aufbruch bewundert“.4Anlaß für die neuerliche Auseinandersetzung war nicht zuletzt der 1988 erschienene Essay des 1981 emigrierten Kunsthistorikers Boris Groys mit dem Titel „Gesamtkunstwerk Stalin - Die gespaltene Kultur in der Sowjetunion“, mit der Groys in einer „Art kultureller Archäologie“ die Kultur der Stalinzeit in „ihrem historischen Kontext“ betrachten und „über ihren 'Rahmen“, d.h. über die ihr vorangehende Kunst der Avantgarde und über die ihr folgende „postutopische Kunst“

definieren will.5Dabei geht es Groys unter anderem explizit darum, den „Mythos von der Unschuld der Avantgarde“ zu hinterfragen. Auch Menzel will ihre Monographie zur Rezeptionsgeschichte Majakowskis „im Kontext der Frage nach dem Verhältnis zwischen Avantgarde und Stalinismus“, konkret danach, inwiefern zwischen ihnen ein klarer Bruch oder ein innerer Zusammenhang bestand, verstanden wissen.6Ebenso schreibt Nyota Thun in ihren Studien zur Werkbiographie Majakowskis, die die bisher vernachlässigte bildkünstlerische Produktion Majakowskis in den Jahren 1912-1922 ins Blickfeld rückt, daß die derzeitige Schlüsselfrage sei, inwiefern Majakowski „tatsächlich ein Wegbereiter der totalitären stalinschen Kunstpoltik“ war,7und versteht ihre Untersuchungen als einen Beitrag zur Versachlichung der genannten Kontroverse in der ehemaligen Sowjetunion.

Obwohl die hier exemplarisch vorgestellte neuere Sekundärliteratur zu Majakowski und zur russischen Avantgarde eine wichtige Grundlage für die folgende Hausarbeit darstellt, halte ich doch die im wesentlichen am Maßstab der Stalinzeit orientierte kritische Auseinandersetzung für zu kurz gegriffen. Ohne Charakterisierung des revolutionären Umbruchs, des ihm zugrunde liegenden sozialen Antagonismus und der Rolle des bolschewistischen Fortschrittsmodells bleibt eine Problematisierung der in diesem Rahmen geführten kunst- und kulturpolitischen Auseinandersetzungen im „luftleeren Raum“. Die von Thun, Menzel und Groys im Kontext von methodisch und thematisch sehr unterschiedlichen Arbeiten vorgenommene Fokussierung auf ein am Ausmaß repressiver Staatstätigkeit definiertes Gut-Böse-Schema und der Versuch, die Frage nach „Schuld“ oder „Unschuld“ der Avantgarde dementsprechend am Ausmaß ihrer „gewalttätigen“ und „autoritären“ Züge zu klären, deutet zweifellos auf gedankliche Anleihen bei der derzeit kaum noch hinterfragten Totalitarismustheorie hin.8 Neben einem kritischen Verhältnis zu hegemonialen Wahrnehmungsmustern erfordert erst recht der Kontext der vorliegenden Arbeit andere Fragestellungen. Die Auseinandersetzung mit Aspekten zu Majakowski und Ausschnitten aus seinem Werk im Rahmen einer Lehrveranstaltung im Studiengang Geschichte zur Frage des Wandels sozialistischer Zukunftsvisionen von der dezidierten Gesellschaftskritik über das Utopieverbot zur „Heilslehre“9wird eine Reflexion der bolschewistischen Sozialismuskonzeption sowie der revolutionären Verhältnisse, unter denen der Versuch ihrer Verwirklichung gestartet wurde, zumindest Ansatzweise mit einbeziehen müssen. Dies um so mehr, als im Rahmen des Seminars der sozialhistorische und politisch-programmatische Kontext, aus dem die erörterten literarischen Zukunftsvisionen (Majakowski, Gladkow, Iljenkow) hervorgingen, nur punktuell hergestellt wurde.

Inspiriert von einem zweiteiligen Essay von Angelika Ebbinghaus zu den Diskussionen der russischen Intelligencija zwischen 1861 und 1930 über Bedingungen und Möglichkeiten des gesellschaftlichen Fortschritts10konzentriert sich der 1.Teil der folgenden Arbeit auf einige zentrale Wahrnehmungsmuster und Kategorien der Bolschewiki, und zwar auf dem Hintergrund der zuvor vergleichsweise ausführlich rekapitulierten Ergebnisse der neueren sozialgeschichtlichen Forschung zu den sozioökonomischen Verhältnissen im vorrevolutionären Rußland. Dieser Vorlauf dient nicht zuletzt dazu, das im Titel zum Ausdruck kommende Gegensatzpaar „Revolution“ - „Arbeitsgesellschaft“ zunächst einmal auf allgemeinerer Ebene erläuternd nachzuzeichnen. Erst auf dieser Grundlage folgt dann im 2.Teil eine punktuelle Annäherung an Majakowski. Punktuell sei hier betont, denn sowohl der Rahmen ‘Hausarbeit’ als auch die engen Grenzen des sekundären Zugangs durch Übersetzungen, Nachdichtungen und einigen zugänglichen Monographien der deutschsprachigen Majakowskiforschung11lassen nur eine fragmentarische, bestenfalls exemplarische Auseinandersetzung mit Majakowski zu. Insofern ist es nicht der Anspruch der Arbeit, die im Titel ausgedrückte Fragestellung zu beantworten, sondern sie dient mehr als übergeordnete Leitlinie.

Ohne die Ressource der russischsprachigen Originalquelle kommt dieser zweite Teil gar nicht umhin, sich einleitend sowohl mit der Problematik Nachdichtungen, als auch kurz mit der Dominanz bestimmter Majakowski - Bilder zu befassen sowie schließlich auch auf seine Selbstinszenierung hinzuweisen. Der Schwerpunkt des 2.Teils kreist um die Thematik: Majakowski als Avantgarde- Künstler im Kontext der revolutionären Umbrüche und der „Machtergreifung“ der Bolschewiki. Wie nahm Majakowski die revolutionären Ereignissen des Jahres 1917 wahr, welche Hoffnungen verband er mit ihnen, welche Initiativen ergriffen er und seine Künstlerfreunde, wie war das Verhältnis zu den Bolschewiki usw.? Ausgehend vom Brennpunkt Revolution wird versucht, Majakowskis Selbstverständis als Künstler, seinen Wahrnehmungsmustern und seinen Zukunftsvisionen sowohl mit Rückblicken auf die futuristische Frühphase, als auch mit einer Betrachtung seines Revolutionsstücks „Mysterium buffo“ näher zu kommen. Da sich Majakowskis Verhältnis zu Revolution und Partei nicht auf inhaltliche Aspekte seines Werks reduzieren läßt, sondern die Revolutionierung der Kunst(formen) eine sehr wesentliche Rolle spielte, kann nicht darauf verzichtet werden, auch zumindest ansatzweise literatur-, kunst- und sprachwissenschaftliche Aspekte zu reflektieren. Allerdings werden diese ausschließlich im Rahmen der genannten Perspektive in die vorliegende Arbeit eingebunden, wobei allerdings Hilfsbegriffe wie beispielsweise „die Avantgarde“ in Kauf genommen werden müssen.

Teil I: Aufbruch zu neuen Ufern: sozialer Antagonismus, Revolution und bolschewistische Fortschrittskonzeption

1.Sozioökonomische Verhältnisse bis 1917 - Stichwort: Bauern-Arbeiter

Zentral für die Einordnung der bolschewistischen Utopie ist die Charakterisierung des sozialen Antagonismus, der zum Umbruch von 1917 führte. Folgt man Angelika Ebbinghaus, so gelangte eine Neubewertung der sozialen Verhältnisse in Rußland im späten Zarenreich und in der frühen Sowjetunion entlang des Begriffs und Typus des „Bauern-Arbeiters“ in der deutschsprachigen Rußland-Historiographie erst Anfang der 1980er zum Durchbruch.12 Der Begriff des Bauern-Arbeiters beschreibt eine Unterklassen-Lebenswelt zwischen Fabrik und Dorfgemeinde in der langen Phase der russischen Industrialisierung, die sich faktisch von der Mitte des 19. Jh. bis Anfang der 1930er Jahre hinzog. Kennzeichnend für den Bauern-Arbeiter sind die sozialen und kulturellen Verbindungen zur ländlichen Dorfgemeinde (obschtschina oder mir), deren soziale Strukturen sich trotz der seit dem letzten Drittel des 19.Jh zunehmenden Industrialisierung, der stolypinschen Reformen und der NÖP zu beginn des 20.Jahrhunderts nicht auflösten. Der familiäre Subsistenzhof im Rahmen der obschtschina blieb auch während der häufig nur zeitweiligen Industriearbeit13der meist männlichen Familienmitglieder eine Art informelles soziales Netz. Der Mentalität des Bauern-Arbeiters war der industrielle Arbeits- und Lebensrhythmus fremd. „Seine Anpassung an die Maschinerie, Zeit- und strikte Arbeitsdisziplin blieb unvollständig und eingebettet in den landwirtschaftlichen Saat- und Arbeitszyklus.“14Die sozioökonomischen Bedingungen, unter denen sich der Typus des Bauern-Arbeiters zur Zeit der zaristischen Autokratie konstituiert hat, sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.

Der verlorene Krimkrieg (1853/54-1856) hatte dem autokratischen Regime nicht nur die „Rückständigkeit der Industrie, die weder die Armee mit modernen Waffen, noch die Schwarzmeerflotte mit Kohle versorgen konnte“ und die strategische Notwendigkeit von Eisenbahnlinien südlich von Moskau drastisch vor Augen geführt.15Sondern mit der Niederlage war auch der Versuch gescheitert, den sich zuspitzenden inneren Spannungen, die sich an der exponentiellen Zunahme der Bauernrevolten (1826-1834: 148, 1855-1861: 474) ablesen lassen, mittels Krieg nach außen entgegenzusteuern.16Die mit dem politischen Kurswechsel 1856 projektierte Aufhebung der Leibeigenschaft, die Alexander II. mit dem Satz kommentierte, daß es besser sei, die Leibeigenschaft von oben her aufzuheben, als darauf zu warten, bis sie sich selbst von unten abschaffe,17läßt sich allerdings nicht als reines Rückzugsgefecht der - angesichts des außenpolitischen Desasters - ins Wanken geratenen Autokratie bewerten, sondern sie leitete auch eine neue Phase der kapitalistischen Entwicklung des zaristischen Rußland ein, die sich jedoch wesentlich von der Entwicklung in den westeuropäischen Zentren unterschied.

So wurden mit der 1861 schließlich proklamierten Aufhebung der Leibeigenschaft die Bauern zwar zu vertragsfähigen Rechtspersonen gemacht, gleichzeitig wurde aber die „Bindung an die Scholle“ aufrechterhalten, indem die Dorfgemeinschaft als ein für die Entrichtung von Steuern und LoskaufSchulden haftbar zu machendes Kollektiv mit dementsprechenden Bodenumverteilungsbefugnissen nach Anzahl der steuerpflichtigen Familienmitglieder beibehalten wurde. Dabei verdankte sich diese staatliche Institutionalisierung der russischen Dorfgemeinschaft keineswegs allein, der häufig in der historiographischen Literatur18genannten Unfähigkeit der Autokratie zum Aufbau einer bis ins letzte Dorf reichende Steuerverwaltung. Vielmehr weist Ebbinghaus darauf hin, daß bereits im politischen Kurswechsel von 1856 seitens der Regierungskommissionen zur Vorbereitung der sog. „Bauernbefreiung“ Überlegungen virulent waren, die darauf abzielten, mithilfe der obschtschina der Entstehung eines vermeintlich „gefährlichen“ Industrieproletariats westlichen Typs vorzubeugen. „Autokratie und Unternehmer verzichteten auf mo derne Arbeitsbedingungen, weil sie in ihrer Interpretation von der Mentalität des Bauern-Arbeiters im Interesse der inneren Sicherheit und einer risikolosen Nutzung als Arbeitskräfte den Vorzug gaben. Der muzik galt in ihren Augen als erdverwurzelt, beschränkt, unpolitisch und unterwürfig.“19Die Erhaltenswürdigkeit der obschtschina zum Zwecke der inneren Stabilität wußten auch konservative Kreise des westlichen Auslandes zu schätzen, so schreibt beispielsweise Graf Moltke 1856 anerkennend: „Jeder Russe ist irgendwo ansässig, und es gibt keinen Pöbel, kein Proletariat. Niemand ist ganz arm.“20 Insgesamt führte die Politik der Aufrechterhaltung der „Bindung an die Scholle“ von 1861 zur dauerhaften Etablierung des Bauern-Handwerkers und Bauern-Arbeiters, der sich neben dem familiär betriebenen Subsistenzhof als Tagelöhner, Wander- und Gelegenheitsarbeiter oder im dörflichen Hausgewerbe bzw. dem später daraus hervorgehenden Artel21verdingte. Nach Bonwetsch lag die Zahl der Höfe, die auf außerlandwirtschaftliche Nebentätigkeiten einer oder mehrerer Familienangehörigen angewiesen waren, um 1900 je nach Region zwischen 50-100%.22

Wesentlich von der Entwicklung in Westeuropa unterschieden sich auch die beiden noch unter zaristischer Herrschaft vollzogenen Industrialisierungsschübe in den 1890er Jahren und zwischen 1909-1914, nicht nur weil, wie Stöckl schreibt, „gemessen an der Größe des Landes und an dem Reichtum seiner Naturschätze“ das Ergebnis ausgesprochen bescheiden blieb,23sondern vor allem weil sich die Industrialisierung des zaristischen Rußland seit 1861 zunehmend in Abhängigkeit von ausländischem, insbesondere belgischem und französischem, aber auch deutschem und englischem Kapital vollzog. Im Zeitraum zwischen 1888 und 1900 stieg die Anzahl der ausländischen Aktiengesellschaften von 16 auf 269. Im Bergbau erreichte der ausländische Anteil am Gesamtkapital 70%, in der Metallindustrie 42%.24Maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung hatte die Politik von Finanzminister Witte (1892-1903/06), der „die Investitionsstrategien der westeuropäischen Großbanken als eigene, innere Entwicklungspolitik“25betrieb. Seine Konzeption sah vor, mithilfe von ausländischen Anleihen den beschleunigten Ausbau zunächst der Eisenbahn (vor allem der „Transsib“) und dann der Schwerindustrie voranzutreiben, wodurch schließlich eine gesamtindustrielle Entwicklung angeschoben werden sollte. Die Finanzierung des „big spurt“, d.h. die Bedienung von Schulden und Zinsen, die Begünstigung ausländischer Kapitalinvestitionen und die Finanzierung von ausländischem Technologieimporten wurdeletztlichauf die Unterklassen, die Masse der bäuerlichen Bevölkerung abgewälzt. Ablösungszahlungen, Wucherzinsen für in Anspruch genommene Kredite, unzählige Steuern und Höchstpreise für Industriegüter zwangen die Bauern, auch das für den Eigenbedarf produzierte Getreide und Vorräte zu vermarkten. Der Export an Agrargütern wuchs von 31% um die Mitte des Jahrhunderts auf 77% am Jahrhundertende26und zwar ohne Steigerung der Produktivität.27„Wir müssen exportieren und wenn wir verhungern“ ließ Wittes Vorgänger Wischnegradskij Ende der 1880er verlauten28. Die Forschung entwickelte für diese Strategie der Herstellung russischer Kreditwürdigkeit für ausländisches Kapital durch massive Getreideexporte, die von den Bauern per Steuerdruck abgepreßt wurden, den Begriff des „Hungerexports“. Trotz diverser Versuche, diese Einschätzung anzugreifen, können die Gegenargumente als weitgehend widerlegt gelten.29Tatsächlich begannen die 1890er Jahre, die gemeinhin sehr ungenau als die „russischen Gründerjahre“ bezeichnet werden, mit einer regionalen Mißernte, die nicht aufgefangen wurde, sondern eine Hungersnot mit rund 700.000 Toten zufolge hatte.30

In den letzten beiden Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts führte die zunehmend prekäre Situation in den Dorfgemeinden bei wachsendem Bevölkerungsdruck zu massenhaften Migrationsschüben in die modernen Fabrikkomplexe der neuen Industriezentren. Diese neue Generation von Bauern- Arbeitern, die in den Slums der Vorstädte, in Fabrikkasernen und Schlafstellen ein ärmliches Leben als Gelegenheits-, oder ungelernte Hilfsarbeiter fristete, war „sozial entwurzelt: ausgestoßen von der hungernden Dorfgemeinde (...). Ausgestoßen aber auch von der Stadt, die sie bar jeglicher Infrastruktur der unterbezahlten Maschinenarbeit und der Straße überantwortete.“31Wenn nur irgend möglich versuchten sie der Fabrikarbeit, deren Kennzeichen moderne Technologie einerseits, despotisches Straf- und Prügelregiment, fabrikgebundene Zwangskasernierung und Unterentlohnung andererseits waren, schnellstens wieder zu entkommen. Absentismus, Ausschußproduktion, extreme Fluktuation, Produktionssabotage und geringe Arbeitsdisziplin verursachten trotz der um ein vielfaches geringeren Lohnkosten fast so hohe Arbeitskosten wie im Westen.32Die in aller Regel ausländischen Unternehmen versuchten der Undiszipliniertheit und der mangelnden Qualifikation des russischen Bauernarbeiters von der Produktionsseite mit modernen kapitalintensiven Produktionsmethoden zu begegnen, mit der Folge, daß häufig das gesamte Management bis hinunter zum Vorarbeiter aus dem Westen rekrutiert war.33

Die totale Desintegration des überwiegenden Teils34der zunehmend wachsenden städtischen Unterklassen und die unerträgliche Situation der im wörtlichen Sinne „Brüdern und Schwestern“ auf dem Lande eskalierten den sozialen Antagonismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diverse blutige Zusammenstöße, Streiks und Revolten mündeten, nachdem sich das Kalkül des Innenministers Plewe, mit einem „kleinen siegreichen Krieg“ gegen Japan den revolutionären Strömungen ein Ende zu bereiten35, zerschlagen hatte, in die Revolution von 1905.36

Der neue Innenminister (1906-1911) der zaristischen Reaktion, Stolypin, wußte sehr gut, daß allein mit den von ihm eingerichteten außerordentlichen Standgerichten und einem gnadenlosen Polizeiterror auf Dauer der revolutionären Gärung in Rußland nicht beizukommen war. Die Krise von 1905, in der es erstmals zu einer politisch gefährlichen Verbindung zwischen den Aufständen auf dem Land und in den Industriezentren gekommen war, hatte gezeigt, daß das ursprüngliche Kalkül vom „beschränkten, unterwürfigen und bodenständigem muzik-Arbeiter“ nicht aufging. Im Gegenteil, daß Dorf mit seiner traditionellen Gemeindeverfassung hatte sich nicht als Hort der Stabilität, sondern als Basis „kollektiv organisierten bäuerlichen Aufbegehrens“37erwiesen.

Stolypins Agrarreformen zielten dementsprechend darauf, die Basis der revolutionären Massenmilitanz, den Typus des Bauern-Arbeiter selbst, zu zerschlagen. Die obschtschina mit ihrer kollektiven Verfügungsgewalt über den Boden sollte aufgelöst und das gerade in Nutzung befindliche Land dem jeweiligen Bauern als Privateigentum vermacht werden. Zielsetzung war, eine sozialen Differenzierung auf dem Lande in Gang zu setzen, den Loslösungsprozeß der „Verlierer“ vom Land zu beschleunigen und eine rationell produzierende Mittelbauernschicht zu etablieren, die als „Stütze und Zement der staatlichen Ordnung“38dienen sollte. Tatsächlich setzte in den bereits privatisierten Gegenden ein sozialer Differenzierungsprozeß ein, der dort den überwiegenden Teil der bäuerlichen Bevölkerung zu landlosen Dorfarmen werden ließ. Allerdings waren bis 1913 mal gerade 10% der ehemaligen obschtschinas privatisiert.39Eine zügige Umsetzung der neuen Agrarverfassung scheiterte nicht nur an dem Umfang der damit verbundenen administrativen Arbeiten (Vermessungen, Katastrierungen, Flurbereinigungen, Schätzungen, Kompensationsberechnungen etc.), sondern auch an der langsam wieder zunehmenden ländlichen Widerständigkeit, die in den Jahren 1910-1914 erneut auf ca. 13.000 größere Zusammenstöße anstieg. Allerdings war nicht nur deren Ausmaß wesentlich geringer, sondern sie unterschied sich als sog. „Hooliganismus“ (ländliche Kriminalität jugendlicher Saison- und Rotationsarbeiter) in Form und Trägerschaft von den Zusammenstößen und Aufständen von 1898-1905 und 1917/18.40

Eine Tendenzwende zeichnete sich nach 1905 auch in den modernen Industriezentren hinsichtlich der Betriebsführung ab. So wurden von Seiten der ausländischen Investoren unter dem Druck der sozialen Unruhen nicht nur Versuche gemacht, das untere Management zu russifizieren,41sondern in den westlichen Industrierayons, wo in einigen Sektoren bereits mit disziplinierten Arbeitskräften „westlichen Typs“ produziert wurde wie z.B. in der Petersburger Metallarbeiterbranche, begann man mit betrieblichen Rationalisierungen und Umstrukturierungen im tayloristischen Sinne zu experimentieren. Ebbinghaus verweist auf eine Untersuchung von Hogan, derzufolge bis 1914 so gut wie alle Petersburger Metallbetriebe Leistungslohnsysteme eingeführt hatten, was, wie Ebbinghaus zurecht betont, „eine neue Interpretation der Radikalität der Petersburger Metallarbeiter und späteren Vorhut der Revolution zuläßt“42, wobei allerdings die Charakterisierung der Radikalität der Petrograder Metallarbeiter als „Vorhut“ diskussionswürdig bleibt. Zwar streikten die Petrograder Metallarbeiter von 1915-1917 nicht nur am häufigsten, sondern auch mit den weitestgehenden politischen Forderungen, jedoch sollten darüber nicht die Impulse der überwiegend jugendlichen und weiblichen TextilarbeiterInnen (1915 in Moskau, 1917 in Petrograd) hinsichtlich der Militanz der Auseinandersetzungen außer Acht gelassen werden.43

Dennoch bleibt festzuhalten, daß es 1917 in Rußland bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 140 Mio. lediglich 2,6 Mio. Industriearbeiter gab, von denen ein erheblicher Teil zum Typus des Bauern- Arbeiters gehörte. Dies bedeute aber andersherum nicht, daß diejenigen Bauern, die sich nicht zeitweilig als Industriearbeiter verdingten, ausschließlich Landwirtschaft betrieben: „Der reine Arbeiter war ebenso sehr eine Ausnahme wie der reine Bauer. Für die einen war der außerlandwirtschaftliche Lohnerwerb eines oder mehrerer Familienmitglieder ein Mittel, um den Hof lebensfähig zu halten (...). Für andere war das gemischte Einkommen Normalzustand; für dritte wiederum war das Festhalten am Landbesitz eine Ergänzung zum außerlandwirtschaftlichen Einkommen.“44

Aus dem hier Skizzierten sollte deutlich geworden sein, daß angesichts des Charakters des sozialen Antagonismus Bezeichnungen wie „proletarische Oktoberrevolution“ oder die Rede vom „historischen Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern“ (Lenin) u.ä. ins Reich der Legende zu verweisen sind. Der revolutionäre Massenwiderstand vom Sommer/Herbst 1917 - konkret die steigende Zahl der Streikenden, die Vertreibung großer Teile des Managements bis hin zur faktischen Besetzung der Betriebe, die wilde Landaneignung, die die Stolypinschen Reformen vollkommen rückgängig machte, die hartnäckige kollektive Sabotage kriegsverlängernder militärischer Maßnahmen -, der überhaupt erst die Basis für die Machtübernahme der Bolschewiki schuf, war in erster Linie von der oben angedeutetenMentalität und Realität zwischen Feld und Fabrikbestimmt und läßt sich nur schwer in die Kategorien „Arbeiter hier, Bauern dort“ pressen. Erst recht problematisch ist es, wenn eine mit dieser Kategorisierung verbundene, für Rußland sozial nur äußerst bedingt zutreffende Stadt-Land Gegensätzlichkeit pejorativ mit Charakterisierungen „Fortschrittlichkeit“ contra „Tradition“ etikettiert wird. Vielmehr wären beispielsweise Fragen nach dem Wandel der Mentalitäten zu stellen, zum Beispiel angesichts der Tatsache, daß das Bild der Massendemonstration zum Winterpalais am 5.(22.) Januar 1905 in der Hauptstadt noch von unzähligen mitgeführten Zarenbildern geprägt war,451917 jedoch vom Zarenmythos selbst auf dem Dorf nichts mehr zu spüren war46. Eine interessante Frage wäre auch, inwieweit die Arbeitsmigration und ab 1914 der Kriegsdienst männlicher Familienmitglieder zeitweilig die Situation der Frau auf dem Dorf veränderte. Jedoch sollte die notwendige Infragestellung des Wahrnehmungsmusters „Land-Bauer-Tradition-Rückständigkeit“ nicht ihrerseits zu unzulässigen Idealisierungen führen. Nach Bonwetsch steigerte sich manchesmal die Konkurrenz zwischen benachbarten obschtschinas im Zuge der wilden Landaneignungen 1917 bishin zu Blutfehden.47Begann also bereits mit dem Zurückströmen in die Dörfer Mitte/Ende 1917 und 1918 eine Repatriachalisierung oder läßt sich von dieser erst im Rahmen des Bürgerkriegs sprechen? Kamen trotz aller berechtigten Kritik am bolschewistischen Vorwurf des „Betriebsegoismus“, mit dem die Entmachtung der Betriebskomitees vorangetrieben werden sollte, in der Konkurrenz derselben um Materialbeschaffung und -versorgung auch Elemente tradierter Grenzziehungen zum Tragen?

2. Aspekte der bolschewistischen Fortschrittskonzeption

Im deterministischen Weltbild der Bolschewiki war für die komplizierte Gemengelage der russischen Unterklassen kein Platz. „Bauer“, „obschtschina“, „Naturalwirtschaft“, „Land“ waren für sie Synonyme für Tradition, Rückschrittlichkeit, Konservatismus und Reaktion. Lenin beispielsweise betrachtete die obschtschina in einer Reihe mit dem adligen oder kirchlichen Gutsbesitz ausschließlich als eine Form „mittelalterlichen Grundbesitzes“, der die freie Entfaltung kapitalistischer Marktgesetze hemmt und somit dem Fortschritt „vom Standpunkt des Kapitalismus und des Proletariats“ entgegensteht. Konsequenterweise begrüßte Lenin die Zerstörung der obschtschina durch die Stolypinschen Reformen und kritisierte lediglich, daß diese nicht konsequent genug gegen den „bäuerlichen Anteilbesitz“ vorginge und v.a. den adligen und kirchlichen Grund und Boden von der kapitalistischen Mobilisierung ausnehme, wodurch die für das „Wachstum der Produktivkräfte“ notwendigen Konzentrationsprozesse erheblich verlangsamt würden.48So wie sich einerseits Lenins Fortschrittsbegriff aus der Vorstellung einer - sobald alle Hemmnisse beseitigt sind - eigengesetzlich verlaufenden Fortschrittsdynamik kapitalistischer Ökonomie speist, werden andererseits die Unterklassen begrifflich ausschließlich unter die Kategorie „Proletariat“, bzw. „Lohnarbeiter“ subsummiert: Den in der Industrie tätigen Bauern- Arbeiter bezeichnet er als „Lohnarbeiter mit Anteilland“, die Klein- und Kleinstbesitzer auf dem Land zählt er zum „Landproletariat“.49Die vielfältigen kulturellen und sozialen Bezüge zum Dorf werden in dieser Sichtweise zu einer Restgröße ohne eigene fortschrittliche Qualität. Dennoch bewies Lenin im entscheidenden Moment politisches Gespür und Flexibilität. Um die Mehrheit der Bauern, Arbeiter und Soldaten im Revolutionsjahr hinter sich zu bringen, sind die Bolschewiki beträchtliche Konzessionen eingegangen, wie in der Losung „Land und Frieden“ deutlich wird. Manchen Genossen verwirrte diese Politik gar so, daß Lenin zeitweilig unter dem Verdikt stand, über Nacht „verrückt“ und zum Bakunisten geworden zu sein.50Kurz vor der Absetzung der provisorischen Regierung schrieb Lenin: „Die wichtigste Tatsache des gegenwärtigen Lebens in Rußland schließlich ist derBauernaufstand. Da haben wir den objektiven, nicht in Worten, sondern durch Taten offenbarten Übergang des Volkes auf die Seite der Bolschewiki“.51

Tatsächlich blieben solche Zugeständnisse taktischer Natur. Lenin blieb letztlich der Vorstellung verhaftet, wonach der „werktätige Bauer, der zwischen Bourgeoisie und Proletariat hin und her schwankt“, einer „selbständigen Organisation der Lohnarbeiter“ - d.h. der Partei - bedarf, die allein einen „konsequenten Klassenkampf“ führt, um dem „Einfluß der Bourgeoisie“ entrissen werden zu können.52Unter „konsequenten Klassenkampf“ verstanden die Bolschewiki v.a. forcierte Industrialisierung und Modernisierung nach kapitalistischem Vorbild. 1920 schrieb Lenin: „Solange wir in einem klein-bäuerlichen Lande leben, besteht für den Kapitalismus eine festere ökonomische Basis als für den Kommunismus. (...) Dieser Feind behauptet sich dank dem Kleinbetrieb. Um ihm den Boden zu entziehen, gibt es nur ein Mittel, die Wirtschaft des Landes, auch die Landwirtschaft, auf eine neue technische Grundlage, auf die technische Grundlage der modernen Großproduktion zu stellen.“53In die bolschewistische Zukunftsvorstellung einer sozialistischen Gesellschaft paßte eine kleinteilig-parzellierte in erster Linie dem Eigenbedarf verpflichtete Landwirtschaft ebensowenig, wie eine noch wenig spezialisierte fabrikinterne Arbeitsorganisation54oder eine Arbeiterschaft, die ihre gerade erkämpfte Kontrolle über die Fabrik „lediglich“ als Mittel zur Sicherung ihrer existentiellen Interessen ansah.

So war nach Lenins Vorstellung „Sozialismus (...) undenkbar ohne großkapitalistische Technik, die nach dem letzten Wort modernster Wissenschaft aufgebaut ist, ohne planmäßige staatliche Organisation, die Dutzende Millionen Menschen zur strengsten Einhaltung einer einheitlichen Norm in der Erzeugung und Verteilung der Produkte anhält.“55Hatte Marx noch die technologische Entwicklung als „das machtvollste Kriegsmittel zur Niederschlagung der periodischen Arbeiteraufstände, strikes usw.“56bezeichnet und damit sowohl die sozialen Kämpfe zum Movens der Entwicklung bestimmt, wie auch die „Maschinerie und große Industrie“ als spezifische Herrschaftsform des Kapitals dechiffriert, so führt bei Lenin die ausschließliche Konzentration der Kapitalkritik auf privatkapitalistische Aneignung und die Anarchie des Marktes zu regelrecht entgegengesetzten Einschätzungen: So seien kapitalistischen „Wunder der Technik“, in ihrer Anwendung mangels planmäßiger Organisation im „Kapitalismus gehemmt“ worden.57Unter diesem Blickwinkel, der die technologische Seite des Arbeitsprozesses von seinem Verwertungscharakter trennt und damit konsequent den Herrschafts- und Zwangscharakter kapitalistischer Produktivkraftentwicklung übersieht, wurde beispielsweise selbst die tayloristische Fabrikorganisation, die Lenin noch 1913 als ein „wissenschaftliches System zur Schweißauspressung“58gegeißelt hatte, zu einem legitimen Mittel zur „Hebung der Arbeitsdisziplin und der Arbeitsproduktivität“.59 Planmäßige staatliche Organisation und modernste Technik als „ökonomische, produktionstechnische, sozialwirtschaftliche Bedingungen“ für den Sozialismus sah Lenin in der deutschen Kriegswirtschaft verwirklicht, deren Vorbildfunktion er in seinen Schriften sowohl vor als auch nach dem Oktober immer wieder betont.60Solcherart „Staatskapitalismus“ sah Lenin als die unmittelbare Vorstufe zum Sozialismus an, weswegen es die Aufgabe der Bolschewiki sei, „vom Staatskapitalismus der Deutschen zu lernen, ihn mit aller Kraft zu übernehmen, keine diktatorischen Methoden zu scheuen, um diese Übernahme noch stärker zu beschleunigen, als Peter die Übernahme der westlichen Kultur durch das barbarische Rußland beschleunigte, ohne dabei vor barbarischen Methoden des Kampfes gegen die Barbarei zurückzuschrecken.“61Die deutsche Kriegswirtschaft diente Lenin auch als Vorbild für konkrete Zwangsmaßnahmen: „Die Mittel und Waffen dazu (zur Einreihung der Kapitalisten u.a. „Widerspenstiger“ in den Staatsdienst, E.G.) hat uns der kriegführende kapitalistische Staat selbst in die Hand gegeben. Diese Mittel sind: Getreidemonopol, Brotkarte, allgemeine Arbeitspflicht. 'Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen!'“62Ruft man sich in Erinnerung, daß traditioneller Weise Neu- bzw. Umverteilungen des Bodens in den obschtschinas nach der Anzahl der Esser vorgenommen wurde,63so wird deutlich, welche Kluft zwischen dem bolschewistischen Gleichheitsbegriff, der sich am Maßstab (Lohn- )Arbeit orientierte, und den dem Existenzrecht verpflichteten Egalitätsvorstellungen der ländlichen Unterklassen klaffte.

Ebbinghaus zufolge kommt die technologisch-großindustrielle Orientierung der Bolschewiki bereits in Lenins Organisationstheorie des „demokratischen Zentralismus“ zum Ausdruck, der „mit all seinen delegierten Verantwortungs- und Kontrollfunktionen mit den damals sich herausbildenden staff and line-Strukturen im modernen Großbetrieb übereinstimmt.“64

Zum selben Ergebnis kommt auch Ulrich Heidt, der in seiner Monographie „Arbeit und Herrschaft im 'realen Sozialismus'“ die marxistisch-leninistische Theorie und Praxis auf Grundlage der zu Beginn der 1960er Jahre in der italienischen Linken um T.Negri, M.Tronti u.a. entwickelten radikalen Kritik der tradierten Marx-Orthodoxie analysiert: „Der Leninsche Parteityp stellt den Versuch dar, die an der kapitalistischen Produktionsrationalität gewonnenen Organisationsformen, welche durch Zentralisierung, Spezialisierung und Hierarchiesierung gekennzeichnet sind, für den Aufbau einer revolutionären Organisation zu nutzen. In dieser Organisationsvorstellung reproduziert sich zugleich die grundlegende Grenze der Leninschen Kapitalkritik. Die Verkürzung des revolutionären Ziels auf den Aspekt der Beseitigung der gesamtgesellschaftlichen Anarchie findet ihre Entsprechung in einer Lösung der Organisationsfrage, welche diese nicht unter dem Aspekt der Freisetzung proletarischer Assoziationsfähigkeit, sondern ausschließlich unter dem Aspekt der Effektivität, Kontrolle und Zentralisationsqualität reflektiert.“65 Den Kern der Leninschen Theoriebildung sieht Heidt u.a.66in der affirmativen Rezeption der Marxschen Werttheorie, deren Genesis sich bis zum politischen Programm der II.Internationale

zurückverfolgen lasse.67Während, so Heidt, Marx „über die quantitative Analyse des Wertgesetzes hinaus die Arbeitswerttheorie als Kritik der Lohnarbeit entfaltet“,68verkürzt sich die Kapitalkritik der sozialistischen Theorie „auf die in der Verfügung über Produktionsmittel bestehende gesellschaftliche Macht der Produktionsmitteleigentümer, sich ein über den Wert der Ware Arbeitskraft hinausgehendes Wertquantum unbezahlt aneignen zu können.“69Oder einfacher ausgedrückt, die leninsitische Theorie beschränkt ihre Kritik auf die „Ungerechtigkeit“ privatkapitalistischer Aneignung unbezahlter Mehrarbeit. Nicht in den Blickpunkt der Kritik rückt die mit der Lohnform verknüpfte Wertbestimmung der Arbeit, d.h. die Herrschaft des abstrakten Maßes des Wertes über die konkrete, subjektive, gebrauchswertschaffende Seite und die darin liegende Entsubjektivierung und Enteignung. Auf die quantitative Seite der Marxschen Werttheorie verkürzt, erscheint die Verstaatlichung der Produktionsmittel und damit einhergehend die Verallgemeinerung der Lohnarbeitsform, wie sie sich in Visionen von der „neuen Gesellschaft“, in der „es niemanden mehr gibt, der nicht Arbeitender wäre“70ausdrückt, bereits als Überwindung eines solcherart eingeschränkt analysierten Kapitalismus. Nach Heidt wurde die Marxsche Werttheorie zu einer Art ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus, auf dessen Grundlage, nachdem die Anarchie des Marktes durch die Verstaatlichung der Produktionsmittel einmal abgeschafft ist, die verstaatlichte Produktion und Verteilung geplant werden sollte.

Es sollte deutlich geworden sein, daß die hier exemplarisch umrissenen Aspekte des bolschewistischen Fortschrittsmodells, dessen wesentliche Prämissen und Zielsetzungen - d.h. eine radikale Modernisierung und Rationalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft - trotz aller Modifikationen im Zuge des Kriegskommunismus, der NÖP und schließlich des 1. Fünfjahresplanes unverändert blieben, nur gegen die Interessen des revolutionären Massenwiderstands vom Sommer/Herbst 1917 durchzusetzen waren. Kann auch die Entwicklung nach dem Oktober 1917 hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden, so verdeutlichen diverse Maßnahmen den zunehmend gegenrevolutionären Charakter der bolschewistischen Politik. So z.B. die Entmachtung zunächst der Betriebskomitees, dann der Gewerkschaften, die Durchsetzung der Einmannleitung71und die Rehierarchiesierung der Armee. Insbesondere unzählige Maßnahmen zur Hebung von Arbeitsdisziplin, -intensität und -produktivität sollten aus dem russischen Bauern - Arbeiter, der, wie ein zeitgenössischer ausländischer Beobachter schrieb, „(...) keine Prädisposition zur regelmäßigen Leistungsanstrengung, zur kooperativ organisierten Arbeit, die Bestandteil des industriellen Systems ist“, besitze,72in einen modernen Industriearbeiter verwandeln. Die Einführung von sog. „Kameradschaftsgerichten“ , Stücklohn, Prämiensystemen und sozialistischen Wettbewerb vollzog sich auf dem Hintergrund der sich Anfang der 1920er Jahre etablierenden NOT - Bewegung - eine Art sozialistischer Taylorismus Variante - die mit Arbeitszeit-, Bewegungsstudien, Ermüdungsforschung etc. nach wissenschaftlich fundierten Bedingungen für eine neue, die Erfordernisse einer taylorisierten und mechanisierten Produktion bedienende „Arbeitskultur“ suchte.73Grundlage für sämtliche Transformationskonzepte war die Rationalisierung der Landwirtschaft. Nicht nur zur Versorgung der Städte und zur Steigerung der Produktion von Exportgetreide für den industriellen Aufbau (die soziale Revolution hatte den Anteil anWarengetreide von 26% auf 13 % zurückgedrängt),74sondern auch zur Mobilisierung der notwendigen industriellen Arbeitskräfte wurden diverse Versuche unternommen, die soziale Macht der obschtschina zu brechen:75während des Kriegskommunismus mithilfe der Komitees der Dorfarmen, in der NÖP durch Steuervergünstigungen für die sog. „fleißigen Bauern“ und schließlich seit 1928 durch die Politik des „Klassenkampfes“ gegen die sogenannten Kulaken76und der Zwangskollektivierung. Arbeiter, Arbeiter-Bauern und Bauern weigerten sich entgegen einer harmonisierenden Geschichtsschreibung massiv, gegen die gesellschaftliche Funktionsbestimmung Arbeitskraft zu sein bzw. vor allem zu werden. Bekannt ist der Massenwiderstand von 1920/21 mit seinen Höhepunkten im Kronstädter Aufstand und der Machnowista.77Tatsächlich waren Streiks bishin zu gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Roten Garden bereits im Frühjahr 1918 keine Seltenheit mehr. Neben diversen Arbeitskämpfen in der sowjetischen Industrie in den 1920er Jahren78und dem Bab i Bunty, dem „Weiberaufruhr“ gegen die Zwangskollektivierung 1929/1930,79sei auch auf die diversen informellen Widerstandsformen hingewiesen: von Absentismus, Müßiggang, Sabotage über das demonstrative per Schubkarre vor-die-Tür-setzen der neuen Unternehmensleiter80bis zum Verprügeln von Stachanovarbeitern81.

Teil II: Mythos Majakowski

1. Die Rahmenbedingungen

1.1.Zur Problematik der Fragestellung

Die im vorangegangen entwickelte Perspektive auf die sozioökonomischen Verhältnisse im vorrevolutionären Rußland sowie der kritische Blick auf das Modernisierungsmodell der Bolschewiki und den - wenn auch unter nach der Revolution deutlich modifizierten Bedingungen - fortbestehenden sozialen Antagonismus scheint dem unbefangenen Betrachter die Frage hinsichtlich der russischen Avantgardekunst nahezulegen, ob und wenn inwieweit explizit oder implizit die hier in den Vordergrund gestellte gesellschaftliche Widerspruchsebene von den Künstlern reflektiert wurde. Nun tatsächlich ist diese Fragestellung alles andere als selbstverständlich. Gelten doch die deutliche Parteinahme der russischen Avantgardekünstler für die neuen Machthaber des Oktober 1917, ihre Technikbegeisterung, ihr Urbanismus, ihr an Westeuropa und den USA orientierter Fortschrittsbegriff usw. im Allgemeinverständnis als unbestrittene Charaktermerkmale. Deuten nicht bereits Begrifflichkeiten wie „Konstruktivismus“ oder „Produktionskunst“ zur Bezeichnung avantgardistischer Kunstkonzeptionen auf ein nahtloses Einfügen in die von den Bolschewiki projektierte Arbeitsgesellschaft hin? Doch warum scheitert die russischen Avantgarde-Kunst spätestens von dem Moment an, als mit Zwangskollektivierung und forcierter Industrialisierung die Entwicklungsdiktatur endgültig durchgesetzt werden sollte? Erinnert nicht die Stalinsche Äußerung über die Schriftsteller als Ingenieure der menschlichen Seele aus dem Jahr 1932, wie Hans Günther bemerkt, „an den Geist des linken Denkens“? „Ihr liegt die Terminologie der Kultur der Arbeit und der NOT A. Gastevs zugrunde, die unter den Linken nach dem Jahr 1922 weit verbreitet war. In ihr ist die Vorstellung der Mensch-Maschine, des Künstler- Ingenieurs, der ein menschliches Material behandelt, bereits voll entwickelt.“82 Doch warum, fragt Angelika Ebbinghaus, läßt der bolschewistische Organisationstheoretiker Aleksandr A.Bogdanov in seinen bereits 1907 veröffentlichten utopischen Roman „Der rote Stern“ den Helden am Ende in Depressionen und Halluzinationen verfallen? „Wirklich nur, weil es so schwierig ist, wie es an einer Stelle heißt, sich sozialistischen Lebensbedingungen, wenn man sie noch nicht kennt, anzupassen? Ein Bogdanov, (...) dem es vielleicht angesichts der von ihm mitentworfenen sozialistischen Zukunft unbewußt angst und bange wurde?“83 Und Majakowski? Wurde auch ihm am Ende mulmig beim Blick in die Zukunft? Die im Theaterstück „Die Wanze“ (1928) in den Szenen 5 -9 gezeichnete sozialistische Zukunftsgesellschaft scheint in der Tat die Berechtigung dieser Frage zu unterstreichen. Das Stück beginnt im Jahr 1929 mit der Hochzeit eines ehemaligen Arbeiters und Revolutionskämpfers (Prisypkin) mit der Tochter eines sog. NÖP-Bürgers. Die künftige Schwiegermutter des Arbeiters kann sich darauf freuen, daß die Hochzeit ihr „eine uralte unbefleckte proletaris che Herkunft und ein Gewerkschaftsbuch ins Haus“84bringt. Prisypkin lockt die Aussicht auf ein besseres Leben, „ein Haus und einen guten Umgang“. Er versucht krampfhaft, seine bisherige Unterklassenidentität zu verleugnen: Er gibt sich einen neuen Namen, der eleganter klingt, läßt seine bisherige Arbeiterfreundin sitzen und färbt sich die Füße in der Farbe der Socken, damit man die Löcher nicht sieht. An den Insignien und Parolen der Partei wird natürlich festgehalten: Die Hochzeitsgesellschaft ist ganz in rot gehalten, die Hochzeitsfeier muß warten, bis der verhinderte Ehrengast, der Gewerkschaftssekretär, seine Glückwünsche übermitteln läßt, und Prisypkin hat nicht vergessen, daß man gegen die kleinbürgerliche Lebensweise zu sein hat: „Ich bin gegen die kleinbürgerliche Lebensweise - Kanarienvögel und so weiter. Ich bin ein anspruchsvoller Mensch...Ich interessiere mich für einen Spiegelschrank.“85Die Hochzeitsfeier endet im Fiasko: nach Besäufnis und Prügelei bricht Feuer aus, am Ende sind alle tot, nur die Leiche von Prisypkin können die Feuerwehrleute nicht finden. Der friert im mit Löschwasser voll gelaufenen Keller mitsamt seiner Gitarre ein. 50 Jahre später 1979 findet man die Leiche. Die erste Szene in der Zukunft spielt in einem Sitzungsaal. Es steht die Diskussion und Abstimmung über das Wiederauftauen von Prisypkin auf dem Programm. Für das Auftauen wird angeführt, daß „nach den Welt- und Bürgerkriegen, die zur Gründung der planetaren Föderation führten, durch Dekret 7.November 1965 menschliches Leben unantastbar ist“. Gegen das Auftauen sprechen sich „epidemologische Sektionen“ und „Hygiene-Kontrollpunkte“ aus, die eine drohende „Verbreitung von Bakterien der Speichelleckerei und des administrativen Hochmuts“ befürchten.86Die Abstimmung endet schließlich mit einem klaren Votum für Wiederbelebung. Im Wiederbelebungslabor ist Prisypkins erste Sorge, nachdem er realisiert hat, daß er sich im Jahr 1979 befindet, daß er 50 Jahre keine Gewerkschaftsbeiträge bezahlt hat. Er stürzt auf die Straße, wo es nur Autos gibt, so daß er nicht weiß, ob er in Moskau, Paris oder New York ist. Lediglich eine Wanze, die mit ihm zusammen aufgetaut wurde und nun an einer Wand krabbelt, erinnert ihn an zu Hause. Im nächsten Bild berichtet ein Reporter über die ernste Lage seit der Wiederbelebung des „Säugetiers“. So würden im Wolkenkratzer, in dem Prisypkin jetzt wohnt, alle Hunde verrückt spielen: „Die Hunde bellen nicht und spielen nicht, sie machen bloß Männchen (...) wollen gestreichelt werden und lecken. Die Ärzte sagen, wer von so einem Vieh gebissen wird, zeigt sofort alle Primärsymptome epidemischer Speichelleckerei.“87Außerdem wären schon diverse Belegschaften des Zweiten Medizinischen Labors von den Alkoholdämpfen des Bieres, mit denen sie das „wiederbelebte Säugetier“ zwecks Erleichterung der Übergangsexistenz tränken müßten, erkrankt. Prisypkin kommt nicht zurecht in der Neuen Welt. Er meldet sich schließlich auf eine Anzeige des Zoodirektors, der „einen menschlichen Körper zwecks ständigen Gebissenwerdens zur Erhaltung und Entwicklung eines neuerworbenen Insekts“88sucht. Der Zoodirektor hat nämlich die Wanze eingefangen, das für Prisypkin einzig vertraute Wesen. Das Stück endet mit einer Vorführung im Zoo: Prisypkin und die Wanze sitzen in einem Käfig und der Zoodirektor erläutert dem Publikum, daß es sich bei „Wanzus Normalis“ und „Spiesserus Vulgaris“ um zwei „von unterschiedlichem Wuchs, doch dem Wesen nach gleich(en)“ handelt. Ihr Lebensraum sind die „modrigen Matratzen der Zeit. „Wanzus Normalis, der sich mästet und vollsäuft am Körper eines Menschen, fällt unter das Bett. Spiesserus Vulgaris, der sich mästet und vollsäuft am Körper der ganzen Menschheit, fällt auf das Bett.“89 Bis hierhin erscheint das Stück lediglich als eine Anti-Spießer Satire. Tatsächlich hat Majakowski aber eine gegenseitige satirische Brechung versucht: Prisypkin wird nicht nur in der Zukunft endgültig entlarvt, sondern an ihm entlarvt sich auch die Zukunftsgesellschaft. Im Sitzungssaal der ersten Szene der Zukunft gibt es keine Abgeordneten, nur „Radiotrichter, daneben etliche herabhängende Hände in der Art von Autowinkern (...) farbige elektrische Lämpchen (...)“90usw. Damit es keine Unregelmäßigkeiten der Maschinerie gibt, Bezirke quietschen oder heiser sind oder sich der rechte Winker am Linken festkrallt, müssen zwei Arbeiter die Maschinerie vor Beginn der Sitzung ölen. In der Diskussion wird für das Auftauen auch das Argument angeführt, daß Prisypkin ein Arbeiter war und „daß jedes Arbeiterleben bis zur letzten Sekunde genutzt werden muß“.91In der Zukunft gibt nur noch künstliche Bäume an denen Pappteller mit Früchten angebracht sind. Seit Prisypkins Wiederbelebung zeigen die Menschen Symptome von akuter „Verliebtheit“, was eine längst überwundene „uralte Krankheit“ ist: Sie tanzen. Die Menschen der Zukunft müssen außerdem die Begriffe „Krawall“, „Selbstmord“ und „Orgasmus“ im Wörterbuch nachschlagen, weil es sie in ihrer Sprache nicht mehr gibt. Liebe dient nur noch pragmatischen Zwecken: „Aus Liebe muß man Brücken bauen und Kinder kriegen“92, und Traumphantasien sind ein Fall für die Medizin. Rauchen und Alkohol sind unbekannt, Händeschütteln unhygienisch. An Prisypkins Käfig im Zoo sind Filter angebracht, die die „undruckbaren Ausdrücke“ Prisypkins herausfiltern:

„was durchkommt, sind nur wenige, aber vollkommen anständige Wörter“93usw.

Wollte Majakowski mit dieser Verbindung von Anti-Spießer Satire und dystopischen Elementen, Vorstellungen einer Zukunft des Sozialismus, n in der die Politik nur noch als technische Apparatur, „Unregelmäßigkeiten“ und Abstimmungsprobleme nur noch als technisches Problem begriffen werden n in der Menschen total „bis zur letzten Sekunde“ als Arbeitskraft funktionalisiert werden n in der alle „unvernünftigen“ Genüsse und Gefühle einem Zweckrationalismus gewichen sind n in der alles, was sich dem nicht beugt, entweder krank oder biologisch begründet und somit ein Fall für die Medizin oder den Zoo ist n in der die Ordnung nur durch Abschottung (Filter) aufrecht erhalten werden kann ebenfalls als spießig und damit eben „nicht-sozialistisch“ entlarven? Hat Majakowski ganz grundsätzlich den Stoff vor seiner Haustür aufgegriffen oder galt seine Kritik vorrangig den Zukunftsvorstellungen seiner ehemaligen Künstlerkollegen, „nämlich die der Konstruktivisten“, wie Klaus Dieter Seemann mutmaßt?94Ersteres würde auf eine Kluft zwischen Majakowskis Sozialismus-Vorstellungen und der realen Entwicklung verweisen. Letzteres würde für den ehemaligen Herausgeber der LEF (später NOWY LEF),demkonstruktivistischen Zeitschriftenprojekt der 20er schlechthin, eine sehr weitgehende „Selbstkritik“ bedeuten. Eine „Selbstkritik“ allerdings, die angesichts der bereits in Ungnade gefallenen Konstruktivisten sich der heraufziehenden Hegemonie des sozialistischen Realismus beugte. „Die allgemeine kulturelle Atmosphäre, in der sich die Kanonsierung der neuen Normen vollzieht ist, kurz gesagt, durch die Ablösung der Losung ‘Die Technik entscheidet alles’ durch die Losung ‘Die Kader entscheiden alles’ charakterisiert. In einer verhältnismäßig kurzen Periode vollzieht sich der Übergang von einer egalitären zu einer hierarchischen Kultur, von der Bewegung zur Unbeweglichkeit, vom Kollektiven zum Individuellen, von der mechanischen Konstruktion zum Organischen, zum ‘neuen Humanismus’, von der Zweckmäßigkeit zur künstlerischen Gestaltung.“95 Hier deutet sich bereits die ganze Komplexität der russischen Avantgarde-Kunst an, die einerseits als die Entsprechung des bolschewistischen Modernisierungsmodells auf kultureller Ebene erscheint, und andererseits offensichtlich utopische Momente hatte, die in der Stalinära nicht erwünscht waren. Da eine Gesamtüberblick über Majakowskis Werk im Rahmen der vorliegenden Arbeit unmöglich ist, wird im folgenden nach Nähe oder Differenz zwischen bolschewistischer Fortschrittskonzeption und Majakowskis Zukunftserwartungen in der Revolutionszeit gefragt, wobei sowohl der vorrevolutionäre Futurismus etwas näher beleuchtet werden soll, als auch die Anfänge des späteren Konstruktivismus und der Produktionskunst. Zuvor jedoch noch einige Reflexionen zu den sonstigen Bedingungen und Schwierigkeiten der Beschäftigung mit Majakowski.

1.2.Zur Begrenztheit des deutschsprachigen Zugangs

Neben der Fragestellung erscheint erst recht der eingeschränkte deutschsprachige Zugang problematisch, zumal es in der vorliegenden Arbeit mit Majakowski um einen Künstler geht, dessen Schaffen vorrangig im Bereich der Dichtkunst bewegte. Nachdichtungen sind bekanntlich schon ihrer Natur nach problematisch, da neben Text- und Sinntreue der stilistisch-formale Aspekt eine zentrale Rolle einnimmt. Dies gilt erst recht für einen Dichter wie Majakowski, dessen künstlerische Entwicklung im Rahmen des russischen Kubofuturismus ihren Anfang nahm.

Der sich seit 1908 entwickelnde Kubofuturismus96rebellierte gegen sämtliche bisher gültigen künstlerischen Normen in Malerei, Dicht - und Theaterkunst. Mit dem Ziel der Entautomatisierung der Wahrnehmung wurde nach neuen Formen des künstlerischen Ausdrucks gesucht. Den russischen Kubofuturismus zeichnete eine „schöpferische Zusammenarbeit und gegenseitige Befruchtung“97von Dichtern, die teilweise wie Majakowski selber Maler waren und Avantgarde- Künstlern wie Malewitsch, Larionow, Tatlin, Gontscharowa u.a. aus. „Wie in der kubistischen Malerei die dargestellten Gegenstände, so werden in Majakovskijs „Verskubismus“ (...) bestehende Wörter „zerlegt“ oder „gespalten“: durch den Versrhythmus, durch Einfügen anderer Worte zwischen die Silben eines Wortes oder durch verdrehen der Reihenfolge von Silben und Buchstaben.“98Die Bedeutung des Kubismus für die künstlerische Entwicklung Majakowskis betont auch Thun in ihren Studien zur Werkbiographie und weist darauf hin, daß Majakowskis poetische Bilder v.a. visuelle Bilder sind.99Zwar vollzog Majakowski anders als Chlebnikow nie den Schritt zur gegenstandslosen, abstrakten Dichtkunst, dennoch war seine Poesie geprägt von reichhaltigen Innovationen auf den Gebieten der Lexik, Grammatik, Semantik, Syntax, Phonetik und des Rhythmus, usw. Konkret bedeutet dies z.B. für den Bereich der Lexik: „Den futuristischen Grundsatz, den Wortschatz zu erweitern, verwirklicht Majakovskij, indem er unbekümmert lexikalisches Material aus Umgangssprache und Slang oder bislang in der Dichtung verpönte Vulgarismen benutzt.“100Die Betonung der künstlerischen Form blieb trotz aller Modifikationen in der Folgezeit eine grundlegende Konstante in Majakowskis Literaturkonzeption. Ein revolutionärer Inhalt, der sich althergebrachten Kunstnormen unterwarf, war Majakowski Zeit seines Lebens ein Graus.

Majakowski-Nachdichtungen sind also wegen des stilistisch-formalen Aspekts einerseits ausgesprochen problematisch. Andererseits können dem deutschsprachigen Rezipienten, wenn überhaupt, dann gute Nachdichtungen einen Eindruck von Form und Stil vermitteln - eher jedenfalls als holprige Übersetzungen. Insofern sind Nachdichtungen zweifellos unverzichtbar, will man nicht eine sehr grundlegende Seite Majakowskis, nämlich die der formalen Neuerungen, ausblenden. Eine zumindest quantitativ führende Rolle hinsichtlich deutscher Majakowski-Nachdichtungen nimmt der Österreicher Hugo Huppert ein. Der promovierte Staatswissenschaftler und Nationalökonom Huppert (1902-1982) emigrierte 1928 als Mitglied der KPÖ in die SU. Dort arbeite er am Marx-Engels -Institut in Moskau, absolvierte ein Literatur- und Publizistik - Studium. Huppert war desweiteren als Redakteur für verschiedene deutschsprachige Emigrantenzeitschriften, als Dozent am Maxim-Gorki-Institut für Weltliteratur in Moskau und für die sowjetische Armee publizistisch tätig. 1945 kam er nach Wien, ging 1949-1956 erneut in die SU und kehrte dann endgültig nach Wien zurück. Sein eigenes literarisches Schaffen (Essays, Lyrik und Reisebeschreibungen) wird dem sozialistischen Realismus zugeordnet.101Huppert lernte Majakowski 1928 während des VI. Weltkongresses der Komintern in Moskau kennen. Erste Nachdichtungen veröffentlichte Huppert in der SU ab 1935.102Die erste Nachkriegsedition mit den bis dahin geschaffenen Nachdichtungen Hupperts brachte 1946 der Verlag der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland heraus.1031971 lagen dann schließlich die Ausgewählten Werke in 5 Bänden im Verlag Volk und Welt, herausgegeben von Leonard Kossuth in der ausschließlichen Übersetzung von Hugo Huppert vor, die 1971-1973 als Gemeinschaftsausgabe mit dem Insel-Verlag auch in der BRD herauskam.

Galt neben den herkömmlichen Qualifikationen Hupperts persönliche Bekanntschaft mit Majakowski sowie der lange Aufenthalt in der Sowjetunion und sein marxistisch-leninistischer Standpunkt vor allem in der DDR als Garant für qualitativ hochwertige Nachdichtungen, so spricht Wolfgang Kasack in seinen Kurzreszensionen von Übersetzungen von „oft schwachen Huppert- Übersetzungen“ und der „bekannten geringen Qualität der Huppertschen Übersetzungen“.104 Mögen derlei, in diesem Fall nicht näher begründete Urteile westdeutscher Slavisten sich manchesmal auch aus einer konservativen, antikommunistischen Grundhaltung speisen, so ist allerdings eine kritische Bewertung des Huppertschen Majakowskis, wie sie beispielsweise Thun vornimmt, durchaus ernst zunehmen. Thun weist darauf hin, daß Huppert die von Stalin verfügte Kanonisierung Majakowskis nie öffentlich kritisch reflektiert hat und noch 1976 in seinen Erinnerungen an Majakowski die von Stalin verfügte Kanonisierung als „eigentliche Sternstunde des toten Majakowskis“ bezeichnete. Huppertsche Nachdichtungen sowie die Übersetzungen von Prosatexten seien häufig „ungenau„ und „poetisch hochstilisiert“ und gäben, so Thun, nur eine Seite Majakowskis, nämlich die kämpferisch-agitatorische, wieder. Die Nachdichtung von Majakowskis Frühwerk als auch von seinem 'Beziehungs-Poem' „Pro Eto“ seien nicht gelungen. Thun interpretiert Hupperts einseitige Rezeption Majakowskis als „eine Art Verdrängung, Selbstschutz, denn in der ersten Wiederaufstiegsphase des Dichters, vom März 1938 bis April 1939,

war Huppert selbst verhaftet.“105Die nicht gelungene Nachdichtung Hupperts von „Pro eto“ bestätigt auch Senta Everts-Grigat in ihrer Einzelstudie über das Poem. Danach erwecken die Nachdichtungen sowohl von Huppert als auch von Alfred Edgar Thoß beim Leser die irrige Meinung, „'Pro eto' sei ein lustiges Poem, während es in Wirklichkeit sehr ernst und tragisch ist. Huppert wie Thoß übertragen nicht nur die komischen Textstellen auf witzige Weise, sondern durchweg den ganzen Text. Dadurch geht der tiefe Ernst des Poems verloren. Ferner kann man Huppert wie Thoß den Vorwurf nicht ersparen, daß sie häufig munter drauflosfabulieren (...).“106

Um Fehleinschätzungen einzugrenzen wurden, sofern verfügbar, zusätzlich zu Huppert andere Nachdichtungen zum Vergleich herangezogen wie z.B. die Nachdichtungen der Bühnenstücke „Die Wanze“ und „Schwitzbad“ von Rainer Kirsch, die 1980 zum 50.Todestag Majakowskis zusammen mit einigen bis dahin nicht übersetzten satirischen Gedichten von Fritz Mireau herausgegeben wurden.107Die mit der Herausgabe dieses Bandes hervorgehobene kritisch-satirische (i.Ggs. zu der von Huppert hervorgehobenen agitatorisch-kämpfenden Seite108) läßt sich möglicherweise als Indiz für ein deutlich unterschiedenes Majakowski-Bild bewerten.

Eine weitere Möglichkeit, zumindest für punktuelle Überprüfung der inhaltlichen Genaugigkeit Huppertscher Nachdichtungen ist der Rückgriff auf wissenschaftlichen Einzelstudien (z.B.: Hajak109, Everts-Grigat), die ihren Interpretationen eine Übersetzung beigefügt haben und Passagen, die übersetzungstechnisch mehrdeutig sind, gekennzeichnet bzw.

Alternativbedeutungen benannt haben. Ein parallel-Lesen der entsprechenden Nachdichtung eröffnet die Möglichkeit, zu einer etwas konkreteren Einschätzung derselben zu kommen.

Allerdings bleibt auch hierbei Everts-Grigat zuzustimmen, wenn sie schreibt: „Wie man sich auch immer entscheidet: man kann weder mit einer Übersetzung noch mit einer Nachdichtung dem russischen Text gerecht werden, beides hat im Endeffekt mit Majakovskij recht wenig gemein. Eine Nachdichtung ist zwar leicht zu lesen, aber sie verfälscht den Sinn des Originals. Bei einer Übersetzung wird man versuchen, so wenig wie möglich zu verfälschen, aber sie klingt holprig und schwerfällig.“110 Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß auch für nicht unerhebliche Teile der Sekundärliteratur - v.a. diejenigen allgemeineren Charakters wie Literaturgeschichten, Lexika, Biographien etc. - gilt, was zum Thema Nachdichtungen bereits angeklungen ist: nämlich die weitgehende, unreflektierte Eingebundenheit in hegemoniale Wahrnehmungsmuster im Rahmen des sog. „Ost-West-Gegensatzes“. Exemplarisch sei hier auf die Einträge in dem von Johannes Holthusen herausgegebenen Band „Russische Literatur im 20.Jahrhundert“ (BRD) einerseits und in der „Geschichte der russischen Sowjetliteratur“ (DDR) andererseits verwiesen: Werden in dem Band „Russische Literatur im 20.Jh.“ v.a. Majakowskis futuristisches Frühwerk und sein „Pro eto“ als Liebesgedicht hervorgehoben und demgegenüber die Gedichte nach 1920 wegen ihres „feuilletonistischen Charakters“ und zunehmender „Geschmacklosigkeiten“ abgewertet,111so kommt die „Geschichte der russischen Sowjetliteratur“ überspitzt formuliert zu regelrecht entgegengesetzten Bewertungen. Hier wird der russische Futurismus als „spätbürgerlich“, „anarchistisch“, „scheinradikal“ abgelehnt. Die Oktoberrevolution und v.a. die Arbeit Majakowskis in der Nachrichtenagentur ROSTA (9/1919-1/1922) werden dagegen als wesentliche „politische und ästhetische Schule“ Majakowskis bezeichnet. Besonders hervorgehoben werden die Poeme „Wladimir Iljitsch Lenin“ (1923) und „Gut und Schön“ zum 10. Jahrestag der Oktoberrevolution.112

1.3.Tradierte Bilder - Selbstinszenierung - Kunst-Leben-Konzept

Im vorangegangenen Abschnitt wurden die Problemebenen 1. Nachdichtungen im Allgemeinen, 2. Nachdichtungen avantgardistischer Dichtkunst im besonderen, sowie 3. die Ebene der gesellschaftspolitisch bedingten Wahrnehmungsmuster benannt. Darüber hinaus trug Majakowski, wie Birgit Menzel zeigt, in nicht unerheblichem Umfang zur Tradierung bestimmter Bilder selbst bei: „Majakovskij verwischte die Spuren zwischen Dichtung und Biographie. Er liebte die Selbstinszenierung.“113Zum Beleg verweist Menzel auf Majakowskis 1922 und 1928 verfaßte Autobiographie, bei deren Herausgabe der Erstfassung Majakowski mal gerade 29 Jahre alt war. Majakowski bemüht sich in dieser Selbstdarstellung das Bild einer geradlinigen Entwicklung zum sozialistischen Dichter zu zeichnen, nicht zuletzt mit dem Zweck, sich im Rahmen der literaturpolitischen Auseinandersetzungen der 1920er Jahre einerseits vom Makel des Bohèmien - Futuristen zu befreien und dabei andererseits bestimmte noch aus der futuristischen Frühzeit stammende Grundüberzeugungen „sozialismusfähig“ zu machen. Nach Hajak, die sich in einer Einzelstudie mit Majakowskis Autobiographie beschäftigt, wird das dort von Majakowski selbst gezeichnete Bild häufig unhinterfragt z.B. als Leitlinie für Biographien herangezogen.114

Demgegenüber weist Hajak nach, daß Majakowski in seiner Autobiographie insbesondere bei der Schilderung seiner Kindheits- und Jugendjahre scheinbar unbedeutende Anekdoten und Kindheitsgeschichten alsStilmittel zur Darstellung von aktuellen Positionen(Sozialismus, Atheismus, Kunstfragen, Verhältnis Natur und Technik etc.) verwendet. So z.B.: „Das Ungewöhnliche. Ungefähr sieben Jahre alt. Vater begann, mich auf Rundritte ins Forstrevier mitzunehmen. Ein Gebirgspaß. Nacht. Von Nebel umgeben. Selbst Vater ist nicht zu sehen. Engster Pfad. (...) Plötzlich verschwanden die Nebel (...). Im zurückweichenden Nebel unten - heller als der Himmel. Das ist Elektrizität. Die Nietenfabrik des Fürsten Nakasidze. Nach der Elektrizität hörte ich vollkommen auf, mich für die Natur zu interessieren. Eine unvollkommene Sache.“115Solcherart Aussagen, 1922 verfaßt, sind demnach vor allem als Bekenntnis zur Technik, konkret zum Elektrifizierungsprogramm Lenins zu lesen, weniger als detailgetreue Wiedergabe kindlicher Eindrücke oder gar frühzeitiger Entschlüsse, denen zufolge Majakowski bereits in der Wiege zum überzeugten Sozialisten geworden wäre. Ebenso weist Nyota Thun darauf hin, daß der häufig zitierte Satz „Ich möchte sozialistische Kunst machen“, den Majakowski sich selbst als Sechzehnjährigen im autobiographischen Rückblick in den Mund legt, keinesfalls im Sinne einer frühzeitig festgelegten Vorstellung von dem, was „sozialistische Kunst“ sei, verstanden werden sollte. Ähnlich wie Hajak kommt auch Thun zu dem Schluß, daß diese nachträgliche Überzeichnung dazu diente, sowohl die Größe und Kompromißlosigkeit als auch den zukunftsweisenden Charakter der futuristischen Frühzeit betonen, und somit den Futurismus als zwar überwundene, aber dennoch notwendige Etappe für die politisch-künstlerische Entwicklung des Dichters herauszustellen.116Der Rückgriff auf den zeitgenössischen Kontext , konkret auf die in den unmittelbar nachrevolutionären Jahren geführte Kontroverse zwischen dem Proletkult und den Futuristen (die sich zunächst Komfut später im LEF organisierten), bietet auch hier die adäquatere Interpretation. Von seiten des Proletkult wurde „revolutionäre, proletarische“ Kunst anhand von Thema, Inhalt und sozialer Herkunft des Künstlers bestimmt. Dementsprechend wurden die Futuristen als individualistische Vertreter einer bourgeoisen Kunst betrachtet und ihre formalen Innovationen und Experimente mit dem Vorwurf der Unverständlichkeit abgetan.

Bewegten sich solche stereotypen Anschuldigungen in den hitzigen Debatten in der Literatur- und Kunstszene der frühen 20er Jahre noch weitgehend im Rahmen eines Streits um die Sache, also um verschiedene Kunst- und Literaturkonzepte, so erhielten sie eine neue bedrohliche Qualität, nachdem die RAPP (Russische Assoziation proletarischer Schriftsteller) mit stillschweigender Billigung der Partei spätestens seit 1927 einen hegemonialen Einfluß auf die Literaturpolitik gewinnen konnte und nun bemüht war, konkurrierende Gruppen regelrecht auszuschalten und zwar in einer Situation in der sich das gesellschaftliche Klima insgesamt nach Lenins Tod zunehmend verschärft hatte.117Wie sehr Majakowski Ende der 20er Jahre in Rechtfertigungsdruck geriet,

verdeutlicht seine im Februar 1930 kurz vor seinem Selbstmord gezeigte Ausstellung „Majakowski -

20 Jahre Arbeit“, in der er sich gegen den „Mitläufer“-Vorwurf118mit der Selbstdarstellung als unermüdlicher Schwerarbeiter für den Aufbau des Sozialismus wehrte. So geht es ihm darum zu zeigen, „daß nicht bloß der Achtstundentag, sondern der Sechzehn- und der Achtzehnstundentag für den Poeten gang und gäbe ist, wenn er die ungeheuren Aufgaben lösen will, die jetzt vor unserer Republik stehen. Ich habe zu zeigen, daß wir momentan keine Zeit zum Ausruhen haben,

weil wir Tag für Tag mit unserer Feder werken und wirken müssen.“119

1943 veröffentlichte Isaak Deutscher unter einem Pseudonym einen Aufsatz, in dem er rückblickend seine Stimmung bei der Nachricht von Majakowskis Selbstmord beschreibt: „Wir waren niedergeschlagen und bestürzt. Selbstmord war aus unserem revolutionären Verhaltenskodex verbannt worden. Die Pflicht des Revolutionärs war es zu leben, um zu kämpfen. (...) Aber es war mehr als das - es war ein beunruhigendes Rätsel. Hier hatte er mit uns gesessen: überströmend von Energie, Enthusiasmus und Sarkasmus - das war erst wenige Wochen her gewesen. Vor unseren Augen hatte er die grandiosen Aussichten jenes zweiten Jahres des ersten Fünfjahresplans entworfen. (...) Noch immer sahen wir den Elan seiner Gesten. Seine unbezähmbare, große und massige Gestalt stand noch immer vor uns. Wir forschten in unserer Erinnerung (...) Nicht der leiseste Zweifel schien seine Gedanken getrübt zu haben. Nicht ein einziges mal schien sich eine innere Müdigkeit in seine Gedanken und seine Stimmung eingeschlichen zu haben...“120

Majakowski hatte seine Pose vom „glühenden Bannerträger“ des Sozialismus bei der Begegnung mit Deutscher so perfekt gespielt, daß Deutschers Erinnerung an den Dichter und die Nachricht von seinem Tod so gar nicht zueinander passen wollen. Sämtliche Attribute, mit denen Deutscher Majakowski beschreibt, sind keinesfalls (allein) Ergebnis späterer Tradierung, sondern an ihnen hatte Majakowski kräftig mitgestrickt. So war er beispielsweise, wie Birgit Menzel schreibt, „mit einer Körpergröße von 1,89m nicht größer als Zeitgenossen wie S.Tret’jakov oder B.Pil’njak.

Dennoch stilisierte er sich immer und überall zum Giganten von überdimensionalem Ausmaß, (...) als Inbegriff von Gesundheit, Vitalität und Männlichkeit“.121

Dabei gab Majakowski seinen Zeitgenossen durchaus genug Hinweise, daß er „Biographie als Schauspiel“ betrieb, wie Pasternak bereits 1930 bemerkte und unabhängig von ihm Roman Jakobsen in seinem Aufsatz „Von einer Generation die ihre Dichter vergeudet hat“ 1931 ausführte.122Beispielsweise dechiffrierte Majakowski selbst bereits in seinem ersten Poem „Wolke in Hosen“ von 1915 seine damals eingenommene provokativ-futuristische Bürgerschreckpose, zu deren Symbol die berühmte „gelbe Bluse“ wurde, als Maske, die die „Seele vor Durchsuchungen“ schützt.123Sogar noch in den späten 1920ern, als er versuchte, den zunehmenden Angriffen mit der Rolle des entbehrenden Schwerarbeiters für den Sozialismus zu begegnen, ließ er es sich nicht nehmen, sich 1928 als einer der ersten Sowjetbürger ein eigenen Renault samt Chauffeur zu leisten, damit großes Aufsehen zu erregen und so seine eigene Stilisierung zu konterkarieren.124 Selbstinszenierte Bilder wie die hier genannten werden ergänzt durch die diversen Rollen, in die das lyrische Subjekt in Majakowskis Werk schlüpft. Um nun eine unzulässig geradlinige Ineinssetzung des biographischen Autors mit dem lyrischen Subjekt zu vermeiden, spricht Birgit Menzel in ihrer der Rezeptionsgeschichte vorangestellten Biographie Majakowskis in Anlehnung an Hansen-Löwe neben „biographischem Autor“ und „lyrischem Subjekt“ vom „literarischen Autor“. Dieser Konzeption liegt die Überlegung zugrunde, daß einerseits die Zeitgenossen beispielsweise den Inhalt eines Gedichtes als biographisches Dokument auffassen und damit der „imaginären, illusionären Verkörperung oder sprachlichen Personifizierung“ im Werk „den Charakter objektiver Existenz“ verleihen, andererseits der Künstler selbst im Rahmen des kommunikativen Prozesses mit dem Rezipienten sich im Werk Rollen zuweist, die dann im empirischen Leben weitergespielt werden.

Auf diese methodischen Überlegungen Menzels wird hier deswegen hingewiesen, weil sich Majakowskis Selbstdarstellungen keineswegs (allein) einem „persönlichen Hang zur Selbstinszenierung“ oder dem zunehmenden Rechtfertigungsdruck verdanken. Sie sind vielmehr auch Ausdruck eines ganz spezifischen Verständnis der russischen Avantgarde vom Verhältnis Kunst - Leben, dem Menzel mit der zusätzlichen Kategorie des „literarischen Autors“ Rechnung trägt. Dieses Verständnis vom Verhältnis Kunst - Leben reichte von einer weitgehenden Identifizierung125bishin zu einer völliger Gleichsetzung, d.h. zur Auffassung, daß ein Kunstwerk nicht Spiegel oder Interpretation von Realität sondern selbst Realität sei.126„In seiner Lyrik wie auch in programmatischen Aussagen (...) beharrte Majakovskij immer auf der Identität von empirischem Autor und lyrischem Subjekt. Indem er sich als Autor direkt hinter jede Aussage seines Helden stellte - z.B. in „Pro eto“ durch authentische Adressen, Telefonnummern und die Fotomontagen von Rodcenko - , sollte das Gedicht objektivierbar, parteilich und authentisch

werden.“127

2. Majakowski und die Avantgarde-Kunst im Kontext der revolutionären Umbrüche

2.1.Freiheit für die Kunst

Mit dem Ende der Zarenherrschaft im Februar 1917 wurde die Kunst nicht nur von Zensur und institutioneller Bevormundung befreit, sondern nun boten sich den Künstlern auch uneingeschränkte Möglichkeiten zur Bildung freier Künstlervereinigungen. Die diversen Debatten und Versammlungen der folgenden Monate sind vor allem von der Konkurrenz unterschiedlicher Künstlergruppierungen um günstige Startpositionen und Abgrenzung von Interessensphären unter den veränderten politischen Verhältnissen bestimmt. Mit Alexander Benois wird am 7. Mai ein künstlerisch konservativ gesinnter und einflußreicher Kunstkritiker mit der Leitung einer Kommission zur Planung eines „Ministeriums der schönen Künste“ von der provisorischen Regierung beauftragt. Bereits im März hatte sich gegen die Hegemoniebestrebungen Benois und seiner Künstlerfreunde aus dem Kreis der Zeitschrift „Mir iskusstwa“ (Welt der Kunst) der „Verband der Kunstschaffenden“ als organisatorische Vereinigung möglichst vieler Künstlergruppen aller Richtungen gegründet, mit dem Ziel für die Unabhängigkeit der Kunst gegenüber dem Staat einzutreten. Zum Organisationskomitee der Verbandsgründung gehörte u.a. auch Majakowski als Vertreter der Moskauer Künstler. Obwohl die Befürchtung, daß die gerade erst errungene Freiheit durch die geplante staatliche Institutionalisierung erneut in Frage gestellt wird, von großen Teilen der im Verband vertretenden Gruppen geteilt wurde, gelangte der Verband aufgrund der Fronten zwischen dem rechten Flügel, dem „unparteiischen Zentrum“, und dem „Linken Block“128bis zu seiner Auflösung im Sommer 1918 zu keiner Handlungsfähigkeit.129

Nach Gaßner sind die Ursachen in der Differenz des Selbstverständnis der Künstler zu suchen. Die Mehrheit der künstlerischen Intelligenz verstand sich als „Kulturträger der Nation“, d.h. sie sah ihre Rolle in der Erhaltung und Pflege vergangener Kulturgüter, in der Bewahrung kultureller Werte und in ihrer Verbreitung und Verankerung durch kulturelle Aufklärung des Volkes. Diese Aufgabe ließ sich auch in den Augen derjenigen, die dem Kreis um Alexander Benois kritisch gegenüberstanden, eher im Zusammengehen mit dem neuen Staat als mit den „avantgardistischen Kunstvandalen“ realisieren. Die russischen Avantgardekünstler bezogen ihr Selbstverständnis aus der Opposition gegen die Tradierung und „Mumifizierung“ einer ihrer Meinung nach unzeitgemäßen Kunst. Mitglieder des „Linken Blocks“ verfaßten diverse Aufrufe gegen das geplante Ministerium. Unter dem Namen „Föderation Freiheit der Kunst“ forderten sie eine Dezentralisierung der Kunstinstitutionen und völlige Autonomie bei gleichzeitiger materieller Unterstützung durch den Staat. So endete Majakowski beispielsweise seine Rede vor über 1000 Künstlern auf der konstituierenden Versammlung des „Verbandes der Kunstschaffenden“ mit dem Satz: „Lang lebe das politische Leben Rußlands und lang lebe die von der Politik freie Kunst“.130Zweifellos sollte damit nicht einer allen gesellschaftlichen Engagements enthaltsamen Kunst das Wort geredet werden, wohl aber der Freiheit von sämtlicher staatlicher Bevormundung.

Zu der bereits oben benannten Konzeption der Avantgarde „Kunst ist Leben - Leben ist Kunst“ gehörte untrennbar die Vorstellung, daß die Kunst aus der Intimität auf die Straße zu treten habe. So hatten beispielsweise bereits in der Vorkriegszeit die jungen Kubofuturisten mit bemalten Gesichter und provozierender Garderobe eine Art „karnevalistischen Aktionismus“ gepflegt. „Die Kubofuturistentournee durch den Süden Rußlands Ende 1913 bis Anfang 1914 war der absolute Höhepunkt solcher inszenierter Auftritte.(...) All diese Verwandlungsspiele waren Pose, Affront und Kunstprogrammatik in einem.“131Hatten nun die revolutionären Umbrüche 1917 utopische Erwartungen hinsichtlich neuer, ungeahnter Möglichkeiten, auf die Straße zu kommen, geweckt? Bei Thun nimmt diese These einen zentralen Stellenwert ein, nicht zuletzt weil es seit Kriegsbeginn zur Stagnation des Kunstlebens und zu einem weitgehenden Verlust der Kunstöffentlichkeit gekommen war. Die Angaben der Sekundärliteratur über den Umfang von Straßenaktionen Majakowskis und seiner avantgardistischen Künstlerfreunde nach dem Februar 1917 sind zwar im Detail als andere als stimmig, deuten aber insgesamt in eine ähnliche Richtung: Gaßner nennt als Beispiel nur eine von der „Föderation Freiheit der Kunst“ initiierte Veranstaltung zur Propagierung ihrer Forderungen im Petrograder Trotzki-Theater am 21.März, auf der Majakowski als Redner auftrat und die mit Umzügen, Musik und Vorführungen in Schaubuden begleitet wurde.132Thun dagegen schreibt: „Bekannt ist nur eine einzige Aktion, an der er (Majakowski, E.G.) sich laut Augenzeugenberichten beteiligt hat.“ Am 25. Mai, dem Tag der (Kriegs-) „Anleihe für die Freiheit“, formierte sich in Petrograds Innenstadt eine Lastwagenkolonne zum „Karneval der Kunst“. Der letzte Wagen der Futuristen, auf dem Majakowski mitfuhr, provozierte mit seinen deutlichen Parolen gegen die „Anleihe für die Freiheit“ und gegen den Krieg einen Polizeieinsatz.133Mag es nun eine oder ein paar mehr Straßenaktionen gegeben haben, es scheint doch eher äußerst fragwürdig, ob es dem kleinen Kreis der Avantgarde-Künstler gelang, „im öffentlichen Raum“ nennenswerte Akzente zu setzen, geschweige denn künstlerische Straßenaktionen auf Massenbasis zu initiieren, vor allem wenn man sich die sonstigen Vorgänge auf Petrograds Straßen des Jahres 1917 vergegenwärtigt. Nach Thun ist „ein genaues Bild von Majakowski zwischen Februar und Oktober (...) nicht überliefert“.134So ist beispielsweise unbekannt, ob der Ende März in der Presse veröffentlichte „Aufruf an die Arbeiter- und Soldatenorganisationen und politischen Parteien“, der von Brik, Tatlin, Bruni, Meyerhold, Majakowski u.a. unterzeichnet war, Resonanz gefunden hat. Darin bieten die Künstler unentgeltliche Hilfe bei der Gestaltung von Manifesten, Plakaten, Fahnen etc. an.135Sicher ist allerdings, daß für die Bemalung und Gestaltung von Transparenten, Fahnen etc. zu den großen Massendemonstrationen in Petrograd wie z.B. die Beisetzung der Revolutionsopfer und die 1.Mai Demonstration, die Gegner der Avantgarde- Künstler gesorgt haben: Fabrikarbeiter hatten sich an die etablierte Kunstszene, die Kunstakademie gewandt.136 Die Übernahme der Staatsgewalt durch die Bolschewiki im Oktober 1917 versetzte so Gaßner „fast allen außerhalb der radikalen Linksparteien stehenden Intellektuellen einen derartigen Schock, daß sie zunächst für mehrere Monate in Schweigen verfielen bzw. durch Stillhalten die neuen Machthaber boykottierten.“137Die Versuche des neuen Volkskommissars für Volksaufklärung, Lunatscharski, Kontakt mit der künstlerischen Intelligenz aufzunehmen scheiterten zunächst. Der ersten Einladung der Revolutionsregierung zu einer Versammlung der Petrograder Künstler, Schriftsteller und Schauspieler wenige Tage nach der Machtübernahme folgten ganze 5 Personen: Blok, Iwnew, sowie die Mitglieder der „Föderation Freiheit der Kunst“ Altman, Meyerhold und Majakowski.138Lunatscharskis Hauptsorge galt in diesen Tagen ganz anderen Problemen als den Zukunftsvisionen der Avantgarde, nämlich vorrangig dem Schutz alter Kulturgüter. Als er von Zerstörungen im Kreml erfuhr, reichte er sogar frustriert über sein Versagen sein Rücktrittsgesuch ein, worauf ihm Lenin gewaltig den Kopf gewaschen haben soll.139Nach Vermittlung Gorkis gelang es ihm dann doch, einige Vertreter der etablierten Kunstszene zur Mitarbeit beim Schutz von Kulturgütern zu bewegen. Ausgerechnet der alte Widersacher der Avantgarde - Künstler, der bereits o.g. Kunstkritiker Alexander Benois, wurde zum Direktor der Eremitage ernannt und gewann mit Hilfe der Bolschewiki in den ersten Revolutionsjahren einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Reorganisation des Kunstlebens. Diese Zusammenarbeit sowie die Pläne zur Schaffung einer „Abteilung für proletarische Kunst“ beim Volkskommissariat für Volksaufklärung riefen Mitte November 1917 eine scharfe Kritik des „Linken Blocks“ des „Verbandes der Kunstschaffenden“ auf den Plan, die die Politik Lunatscharskis als Angriff auf die Freiheit der Kunst - vor allem der Avantgarde - bewertete.140Im Rahmen dieser Vorgänge kam es scheinbar zur direkten Konfrontation zwischen Majakowski und Lunatscharski, die möglicherweise ein Grund für die hastige Abreise des Dichters Anfang Dezember 1917 nach Moskau war. Dazu zitiert Nyota Thun aus den unveröffentlichten Erinnerungen Nikolai Punins: „Majakowski hatte Streit mit Lunatscharski (...) Es wäre sehr aufschlußreich herauszufinden: Kam es zu einem Wortwechsel auf einem Meeting, in einer Zeitschrift oder in der Redaktion der ‘Nowaja shisn’? Dann ließe sich vielleicht genau erklären,warum sich Majakowski und Brik zur Oktoberrevolution verspätet haben.141Majakowski und Ossip Brik, die seit 1915 gemeinsam mit Lilja Brik in einer Dreierbeziehung lebten, waren erst Ende 1918 zur Mitarbeit bei der Abteilung bildende Kunst im Volkskommissariat für Bildung bereit.

2.2.„Anarcho - Künstler“?

In Moskau hatten Majakowskis alte Freunde aus der Zeit der Kubofuturistentournee (1913), David Burljuk und Wassili Kamenski, bereits kurz vor dem Oktoberumbruch im Keller eines alten Waschhauses in der Nastasjin-Gasse das „Kafe Poetow futurism“ eröffnet. Das Futuristencafe und das von Rodtschenko, Tatlin u.a. dekorierte Café Pittoresque etablierten sich um die Jahreswende 1917/18 zudenTreffpunkten der avantgardistischen Kunstszene. Mit seinen beiden Mitstreitern startete Majakowski im März 1918 einen neuen Versuch, vom Café zu künstlerischen Aktionen auf der Straße zu kommen. Sie nennen sich „Fliegende Vereinigung der Futuristen“ und geben am 15.

März 1918 die erste und einzige Nummer der „Gaseta futuristow“ heraus.142In dem darin veröffentlichten „Offenen Brief an die Arbeiter“ erklärte Majakowski den Futurismus zum ästhetischen Gegenstück des „Sozialismus - Anarchismus“, zur „Revolution der Form“, ohne die die „Revolution des Inhalts“ undenkbar sei. Nur eine Revolution des Geistes könne von den Fesseln der alten Kunst befreien.143Im von Majakowski, Burljuk und Kamenski unterzeichneten „Dekret Nr.1 über die Demokratisierung der Künste“ werden spontane Grafittis zur einzig revolutionären Kunst erklärt. Es wird dazu aufgerufen, „das freie Wort der schöpferischen Persönlichkeit (...) überall auf die Häuserwände, Zäune, Dächer, die Straßen unserer Städte und Ortschaften, auf die Rücken der Autos, Equipagen, Straßenbahnen und auf die Kleider aller Bürger“ zu schreiben.144Am Erscheinungstag der Zeitung sollten in den Straßen Verse angeklebt und Bilder ausgestellt werden. Thun dazu: „Der Plan mißlang. Mehr als ein paar Losungen und demonstrativ an Häuserwände geklebte und genagelte Bilder war nicht zustande gekommen.“145 Ob das ebenfalls angekündigte „Haus für freie Kunst“, für das man das ehemalige Restaurant Peterhof besetzt hatte und das dem „Individualanarchismus des Schaffens“ dienen sollte, überhaupt eröffnet werden konnte, wird in der Sekundärliteratur unterschiedlich angegeben. Nach Gaßner wurde das „Haus für freie Kunst“ Ende März geschlossen, nach Thun wurden die Futuristen bereits vor der Eröffnung vertrieben.146Am 14. April 1918 wurde außerdem das „Kafe Poetow futurism“ geschlossen. 2 Tage zuvor hatte die Tscheka in einer konzertierten Aktion anarchistische Zentren in Moskau ausgehoben und um die 600 Personen verhaftet. Inwiefern die Schließung des Futuristencafés in einem unmittelbaren Zusammenhang zu diesen Vorkommnissen stand, ist unklar.147Von seiten der Anarchisten wurde in „Revolutionnoe twortschesko“ I/II 1918, die Gaseta futuristow als ein anarchistisches Organ bezeichnet und das „Haus für freie Kunst“ als anarchistischer Club.148Die Nähe avantgardistischer Künstler zu Anarchistenkreisen war nicht ungewöhnlich. Altman, Punin, Tatlin, Malewitsch, Rodtschenko u.a. veröffentlichen im Frühjahr 1918 diverse Artikel, Aufrufe und Manifeste in der Tageszeitung Anarchija, die bis zu ihrem Verbot im Juli 1918 von der „Initiativgruppe“ der „Moskauer Vereinigung der Anarchistischen Gruppen“ herausgegeben wird.149

Wie weit sich die Künstler mit den politischen Zielen der Anarchisten identifizierten, ist umstritten. Thun erteilt einer solchen Interpretation eine deutliche Absage: „Dennoch gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß ein Majakowski oder ein Tatlin sich mit den politischen Zielen der Anarchisten identifiziert oder zumindest mit ihn sympathisiert hätte. Die Nutzung ihrer Presseorgane ist noch kein Beweis für gemeinsames Vorgehen.“150Isaak Deutscher stellt die Identifikation Majakowskis mit einem spezifischen politischen Programm wesentlich grundsätzlicher in Frage. „Die Rebellion des Dichters hatte ihre eigenen Motive so gut wie ihre eigene unabhängige Logik. (...) Sein (Majakowskis, E.G.) „Klassenfeind“ war nicht der Grundbesitzer oder der Kapitalist, es war viel eher Konstantin Balmont, der subtile Symbolist, oder Dimitrij Mereschkowski, der ‘dekadente Mystiker’.“151Dementsprechend bezeichnet Deutscher z.B. Majakowskis jugendliches Engagement in bolschewistischen Untergrundzirkeln (1908-1910), das ihm immerhin 3 Verhaftungen und mehrere Monate Gefängnis eingebracht hatte, als „eine der vielen ‘exzentrischen’ Erfahrungen, die dem ungebärdigen, jungen Mann als Rohmaterial für seine ‘dichterische Produktion’ dienten.“152Waren die Kontakte zur anarchistische Szene Ende 1917/Anfang 1918 nur ein weiteres „exzentrisches Abenteuer“? Grundsätzlich wäre jedoch vor einer allzu voreiligen Entpolitisierung nicht nur Majakowskis in Anlehnung an Paul Wood Vorsicht geboten. Wood zieht meiner Meinung nach zu recht eine Verbindung zwischen einer traditionelleren Darstellungsweise westlicher Kunstgeschichtsschreibung, die die avantgardistische Ästhetik von der Politik trennt, bzw.

teilweise sogar die politische Seite der russischen Avantgarde vollständig ausblendet und den jüngsten neokonservativen Darstellungen, denen zufolge die Avantgarde als Vorläuferin stalinistischer Kunst und Politik entlarvt wird. Beiden Ansätzen ist gemeinsam, daß der Verbindung zwischen Kunst und gesellschaftlichen Alternativprojekten zum Kapitalismus der Kampf angesagt wird, einmal durch Totschweigen, das andere Mal durch Diskreditierung. Wood schlägt vor, zwischen einer „relativ organisierten Auffassung von Politik“ und einer eher diffusen Orientierung zu unterscheiden.153In eine ähnliche Richtung zielt auch Gaßner, wenn er von „anarchistischer Orientierung“ spricht und die politischen Anarchisten von den sog. „Anarcho-Künstlern“ trennt.154Ich denke, daß sich die im Frühjahr 1918 häufig verwendete Eigenbezeichnung „anarchistisch“ für avantgardistische Kunstkonzeptionen sowie die Nutzung anarchistischer Presseorgane zumindest 1. als deutliches Indiz für den Dissens diverser Avantgardekünstler mit der bolschewistischen Kunstpolitik 1917/18 lesen läßt, 2. als Indiz dafür, daß die Avantgardekünstler im Gegensatz zu den Bolschewiki die Anarchisten nicht als Feinde der Revolution ansahen. In jedem Fall weicht die im Allgemeinverständnis vorherrschende Vorstellung einer „deutlichen und unmittelbaren Parteinahme der Avantgardekünstler“ für die neuen Machthaber des Oktober 1917 bei näherem Hinsehen einem Bild, daß auf deutlich differenziertere Vorgänge hinweist.

Die Fortsetzung des aus der Opposition gegen die etablierte zaristische Kunstszene herührenden Antietatismus der Avantgarde-Künstler nach dem Oktober 1917 war zunächst einmal konsequent, erst recht vor dem Hintergrund der ersten o.g. politischen Maßnahmen Lunatscharskis. Darüber hinaus waren führende Bolschewiki wie Lenin und Trotzki für ihren eher konservativen Kunstgeschmack bekannt. Auf der anderen Seite erwies sich die Vorstellung, aus eigener Kraft eine Kunstöffentlichkeit der Straße herstellen zu können, offensichtlich zunehmend als unrealistisch. Daß sich in diesem Punkt durch eine Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen mehr bewegen ließ, zeigten nicht zuletzt die Ausschmückungen der Straßen und Plätze im Rahmen der Feierlichkeiten zum 1. Mai 1918 und zum 1.Jahrestag der Oktoberrevolution. Zwar dominierte die Avantgarde - Kunst keinesfalls das Straßenbild,155dennoch erhielt sie nun erstmals eine bisher nicht erreichte Öffentlichkeit. Mit Tatlin und Punin als Stellvertreter des Leiters der im Januar 1918 etablierten Abteilung bildende Kunst (ISO), David Schterenberg, beim Volkskommissariat für Bildung (Narkompros) hatte man immerhin den Fuß zu staatlicher Zusammenarbeit in der Tür. Weitere Sympatiepunkte für die Bolschewiki dürften der Erlaß zur Zerstörung zaristischer Denkmäler vom 12.4.1918 sowie die im September und Oktober dekretierte Umstrukturierung der Stroganow- Kunstschule und des Moskauer Instituts für Malerei, Bildhauerei und Architektur zu freien künstlerischen Werkstätten gewesen sein.156Mit diesen beiden politischen Maßnahmen waren dieSymbole der verhaßten traditionalistischen Kunst schlechthin zu Fall gebracht. Und schließlich sollte nicht außer acht gelassen werden, daß mit einer Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen auch eine Zuteilung von Essenrationen und Bekleidung verbunden war, was vor dem Hintergrund der 1918 zunehmend prekären Situation sicherlich kein unwesentlicher Motivationsschub war.

2.3.Kunsttheoretischer Paradigmenwechsel Ende 1918 ?

Darüber hinaus ließe sich die Frage stellen, inwieweit ein Zusammenhang zwischen dem Engagement der russischen Avantgarde im Rahmen des neuen Staates ab Mitte/Ende 1918 und den zur selben Zeit angestellten kunsttheoretischen Überlegungen, die Gaßner als Wurzeln des Konstruktivismus und der Produktionskunst bezeichnet, bestand.157Am 24.11.1918 wurde vom ISO Narkompros ein Treffen unter dem richtungsweisenden Titel „Tempel oder Fabrik“ veranstaltet. Neben Lunatscharski treten Punin, Brik und Majakowski als Redner auf. Von Ossip Brik werden erste theoretischen Überlegungen zur Notwendigkeit einer Ablösung der künstlerischen Intuition durch technische Professionalität, über methodisch bewußte Organisiertheit des künstlerischen Schaffens und über die Funktionsbestimmung der Kunst zur Erfüllung des sozialen Auftrags und Organisierung des Lebens angestellt. Gaßner weist zurecht auf die unübersehbaren Parallelen zwischen Briks Argumentation für eine neue Kunstkonzeption und den Ausführungen Lenins „Über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht“ vom April 1918 hin.158„Technik“, „modernste Wissenschaft“, „planmäßige Organisation“ - bei Lenin notwendige Voraussetzungen für den Sozialismus - werden bei den avantgardistischen Künstlern zu Begrifflichkeiten einer neuen Kunstkonzeption. Zweifellos zeugt die Forderung nach einem rational-kalkulierten und professionalisiertem künstlerischen Schaffen von einem veränderten Selbstverständnis gegenüber dem Aufruf zu spontanen Straßengraffitis „im Namen des großen Fortschritts der Gleichheit jedermanns vor der Kultur“ im bereits erwähnten „Dekret Nr.1 über die Demokratisierung der Künste“ der Gaseta futuristow vom März 1918.159Ein Wandel im Selbstverständnis läßt sich auch an den Veränderungen des Begriffs des „Künstler-Proletariers“ verfolgen. Im April 1918 schreibt beispielsweise Rodtschenko in einem Manifest mit dem Titel „Den Proletarier Künstlern“: „Wir (...) sind gleichzeitig Arbeiter für unseren Lebensunterhalt als auch Schöpfer der Kunst. Wir, die wir in unseren Löchern hausen, haben weder Farben noch Licht noch Zeit für unser Schöpfertum. Proletarier der Pinsel, wir müssen uns zusammenschließen, müssen eine ‘freie Assoziation der unterdrückten Künste’ schaffen, Brot, Ateliers und unser Existenzrecht fordern.“160Während sich Rodtschenko also noch im April 1918 mit dem aufständischen „Proletariat“ durch „Armut“ und „Unterdrückung“ verbunden sieht, wird diese „Verbindung zum Proletariat“ von Brik ab Dezember über professionelle Ausführung gesellschaftlich wichtiger Aufgaben definiert. Auch Majakowski wird - allerdings erst ab Ende 1919/Anfang 1920 -versuchen, eine „Verbindung zum Proletariat“ über ein Selbstverständnis als „professioneller Arbeiter“ herzustellen: „Der Begriff der Kunst ist der Begriff der Arbeit. In der Literatur ist das Wort das Material. Eine revolutionäre Beziehung zum Material ist unumgänglich Die Dichtung erfordert eine wissenschaftliche Analyse Die Beziehung des Dichters zu seinem Material muß ebenso gewissenhaft sein wie die eines Schlossers zum Stahl.“161Wollte Majakowski noch im Frühjahr 1918 das besetzte Restaurant Peterhof dem „Individualanarchismus des Schaffens“ widmen, so hieß es nun (1920): „Wir bekennen: zum Teufel mit dem Individualismus, zum Teufel mit den Wörtern und Emotionen, wenn wir uns nicht über uns selbst faktisch klar werden können, dann ordnen wir alle unsere Ideen und Wörter unter, so daß wir uns sogar von unserer eigenen Persönlichkeit lossagen können den Dichter kann man nicht zwingen, aber er kann sich selbst zwingen.“162Deutlich kommt hier auch die bittere Enttäuschung darüber zum Ausdruck, daß es den Künstlern im Rahmen der Revolution nicht gelungen war, die Kunst mit dem Leben zu verbinden.

Dennoch war der weitere Weg der Avantgarde Ende 1918 noch offen. Zwischen dieser ersten Skizze eines neuen Kunstbegriffs im Dezember 1918 und dem Beschluß der im Dezember 1921 im Moskauer Institut für künstlerische Kultur (INCHUK) versammelten Künstler, die künstlerischen Experimente abzubrechen und in die industrielle Produktion einzutreten, lagen komplizierte Theoriedebatten um Professionalität, Arbeitsorganisation , Funktionalität, Dingproduktion, die Entwicklung eines Selbstverständnis vom „Künstler - Proletarier“ über den „Künstler- Konstrukteur“ zum „Künstler - Ingenieur“, eine Weiterentwicklung der gegenstandslosen Kunst, gegenüber der sich Malewitschs Schwarzes Quadrat von 1916 geradezu traditionell ausnahm, und vor allem eine zunehmende Zersplitterung in rivalisierende Gruppen und Schulen.163 Darüber hinaus bedeutete der Versuch, die Kategorien und Begrifflichkeiten der bolschewistischen Fortschrittskonzeption für eine neue Kunsttheorie und später auch Praxis fruchtbar zu machen, keineswegs eine Harmonisierung des Verhältnisses zwischen Avantgardekunst und Partei. Den Versuchen der Avantgardekünstler, durch die Mitarbeit beim ISO Narkompromos ab Mitte/Ende 1918 das eigene Kunstverständnis und die avantgardistische Kunstpraxis als die Staatskunst schlechthin zu verkaufen, wurde von Seiten der Partei entschieden entgegengetreten. Lunatscharski verbat sich beispielsweise in seinem Artikel „Ein Löffel Gegengift“, daß das wöchentliche Publikationsorgan des ISO Narkompromos „Kunst der Kommune“(Istkusstwo Kommunij). das von Dezember 1918 bis April 1919 von Brik, Punin und Altmann herausgegeben wurde, weiterhin „im Namen der Macht“ einen avantgardistischen Antitraditionalismus propagiere.164Ebenso wurde dem Anliegen des im Januar 1919 von Brik und Kuschner gegründeten KomFut (Kommunistische Futuristen) - Kollektiv, dessen Ziel eine ideologische Kulturrevolution als Pendant zur politischen und ökonomischen Revolution war,165als offizielle Parteiorganisation registriert zu werden, nicht stattgegeben. Dabei dürfte der Grund weniger in der harschen Kritik der Komfuturisten an der Politik des Volkskommissars für Bildungswesen gelegen haben, dem „ein gänzliches Nichtverstehen (...) der revolutionären Aufgabe“ vorgeworfen wurde, sondern an dem Interesse der Partei, der umworbenen vorrevolutionären Intelligenz nicht durch eine einseitige Bevorzugung der Avantgarde auf die Füße zu treten. Aus Sicht der Partei konnte man hinsichtlich der Fortschritts- und Modernisierungspläne auf die Mitarbeit der vorrevolutionären Intelligenz nicht verzichteten, sie sollte vielmehr loyal gestimmt werden: „...wollte man in Rußland nur diejenigen Lichter brennen lassen, die unserem Geist entsprechen, dann würden wir versickern, in völligem Dunkel versinken“ kommentierte Lunatscharski seine behutsame Politik im Bildungs- und Kulturbereich.166

Daß sich die russische Avantgarde in lautstarker Opposition zur traditionellen Intelligenz und zur etablierten Kunstszene des vorrevolutionären Rußland positionierte und aus eben diesem Grunde Lunatscharskis liberale Kulturpolitik scharf attackierte, ist bereits mehrfach angeklungen. Dennoch läßt sich fragen, inwieweit die o.g. ersten theoretischen Überlegungen zu einer konstruktivistischen Kunstkonzeption auch ein impliziter Reflex auf die verschärfte Krisenstimmung der russischen Intelligenz insgesamt waren. Gab es doch mehr Berührungspunkte zwischen der avantgardistischen und der traditionellen Intelligenz, als es auf den ersten Blick scheint? Dem Theaterregisseur Meyerhold zufolge war die Zusammenarbeit mit den Bolschewiki auch für die Avantgarde ein „Ausweg aus der Sackgasse, in die die Intelligenz geraten war.“167 Seit gut einem Jahrzehnt befand sich die russische Intelligenz in einer latenten Krisensituation. 1909 hatte die Kritik der sog. „VECHI“-Autoren Furore gemacht, in der die Autoren selbstkritisch die fehlende wissenschaftlich-technische Intelligenz beklagten und der russischen Intelligenz gegenüber dem Westen eine völlige Rückständigkeit bezüglich Professionalisierungsgrad, fachspezifischer Kenntnisse und „objektivem Wertekanon“ bescheinigten.168Aufgeschreckt von den revolutionären Verhältnissen wurde 1917 aus der latenten Krise eine offene Krise. „Die klassische Frage, die sich russische Künstler und Intellektuelle seit dem 19.Jahrhundert gestellt hatten: ‘Was ist die Intelligenzija?’ verwandelte sich in den Monaten nach der Revolution zu der dramatischeren: ‘Gibt es überhaupt noch eine Existenzberechtigung für die Intelligenzija?’“169So fand beispielsweise am 31.3.1918 in Petrograd eine große, vom Russischen Schriftstellerverband organisierte Veranstaltung zum Thema „Die Tragödie der Intelligenzija“ statt. In dieser Krise wird die Selbstkritik der „VECHI“-Autoren erneut aufgegriffen und auf eine stärkere wissenschaftlich- technische Orientierung gedrungen. Mit neuer Professionalität und verstärkter Disziplin bei der eigentlichen beruflichen Tätigkeit sollte der Funktionsverlust der alten Intelligenz mit ihrem Selbstverständnis vom sozialen, moralischen Engagement zur Aufklärung des „rückständigen Volkes“ angesichts der Tatsache, daß das „rückständige Volk“ gerade Revolution gemacht hatte, überwunden werden. Derlei Überlegungen zur Besitzstandswahrung einer gesellschaftlichen Eliteposition mittels wissenschaftlich-technischer Orientierung nahmen die reale Entwicklung, nämlich die Eingliederung der Planungs- und Managementinstanzen aus der Spätzeit der zaristischen Autokratie in den bolschewistischen Planungsapparat ab 1919/1920, in gewisser Weise vorweg. Nach Ebbinghaus waren 1915/16 die Anfänge eines kriegswirtschaftlichen Planungssystems entstanden und in diesem Rahmen eine neue, zahlenmäßig noch geringe wissenschaftlich-technischen Intelligenz, die von den Bolschewiki nach der Revolution stark umworben wurde. „... als die Würfel gefallen waren, verbreiterten die Bolschewiki wieder ihre Basis unter den Planern und Technikern der Institutionen des Kriegsapparates. Diese ‘zweite Garnitur’ ist heute weitgehend vergessen, obwohl sie die bolschewistische Gesellschaftsvision nach 1917 entscheidend mit in die Wirklichkeit umgesetzt hat.“170

Nun wird man den russischen Avantgardekünstlern 1917/18 schwerlich „Besitzstandswahrung“ vorwerfen können. In der etablierten Kunstszene galten sie nach wie vor bestenfalls als exotische Außenseiter und die Auseinandersetzungen mit einflußreichen Kunstkritiker wie Benois drehten sich nicht nur um unterschiedliche Kunstauffassungen, sondern hatten auch eine materielle Seite.171Vor allem aber verstand sich die vorrevolutionäre Avantgardekunst im Gegensatz zur traditionellen Intelligenz nicht als Aufklärer oder Erzieher des Volkes. Doch wieweit ist eine von den revolutionären Umbrüchen düpierte Erzieherolle von einer enttäuschten Vorreiter- eben Avantgarderolle entfernt? Um den mit der Revolution verbundenen Hoffnungen der Avantgarde etwas näher zu kommen, soll im folgenden das nicht ganz einfache Selbstverständnis der vorrevolutionären Avantgardekunst am Beispiel Majakowskis noch einmal genauer beleuchtet werden.

2.4.Überlegungen zu Majakowskis vorrevolutionärem Futurismus

Bereits oben wurde im Zusammenhang mit dem Kubofuturismu s von der Zielsetzung der Entautomatisierung der Wahrnehmung gesprochen. Dem liegt eine Auffassung „des Wechselverhältnisses aller Dinge, die schon längst ihr Antlitz verändert haben, unterm Einfluß der kolossalen und wahrhaft neuartigen Daseinsweise der Stadt“172zugrunde, so Majakowski 1913. Mit der alten realistischen Abbildung bzw. Nachahmung von Natur läßt sich die neue Welt nicht erfassen. Sie versagt nicht nur, weil sie „die Höhendimensionen von Wolkenkratzern oder das

unheimliche Vorüberflitzen von Kraftwagen“173nicht mehr adäquat darstellen kann, sondern vor allem, weil die Dinge nicht mehr so sind, wie sie scheinen: „...im Leben von heute existiert nichts

Wahrheitliches.“174Der Künstler, der Natur nur kopiert, Wirklichkeit einfach verdoppelt, macht sich zum Sklaven des Scheins. Gegen die „sklavische Naturnachahmung“ und gegen die Erniedrigung der Kunst als Dekoration von Ideen, wird die Freiheit der Kunst als schöpferisches Tun proklamiert. Frei ist der Künstler nur, wenn er das Künstlerische an der Kunst, ihre spezifischen Verfahren der Formgebung zu seinem eigentlichen Ziel erklärt. Das „Erblühen der Dichtkunst“ ist beim frühen Majakowski bestimmt durch „das Wort, seine Gestalt, seine

phonetische Seite“,175Majakowski versteht seine Dichtung als sprachschöpferische Tätigkeit, als „Wortkunst“. Er verspürt angesichts der veränderten Verhältnisse, der „neuartigen Daseinsweise der Stadt“, ein „zwanghaftes Bedürfnis“ nach Kunst, die für ihn zu dieser Zeit „freies Spiel der Erkenntniskräfte“ ist.176 1914 begründet Majakowski die „sprachschöpferische“ Tätigkeit folgendermaßen: „Unser Ringen um neue Wörter für Rußland ist ein Erfordernis des Lebens. In Rußland hat sich die nervöse Belebtheit der Städte entwickelt, sie fordert eine rasche, sparsame, abrupte Redeweise, während sich im Arsenal der russischen Literatur lediglich eine Art herrschaftlich-turgenjewsche Dörflichkeit tummelt.“177Obwohl sich das Ziel des Künstlers explizit auf die künstlerische Form richten sollte und der Inhalt, der Gegenstand, das Sujet der Kunst vernachlässigt werden bzw. wie oben ausgedrückt, Kunst nicht Dekoration von Ideen sein sollte, bleibt dieses Ziel in zweifacher Weise mit einem Inhalt, einer Idee verknüpft: Nämlich zum einen den veränderten Verhältnissender modernen Großstadtdurch Innovationen der künstlerische Form Rechnung zu tragen, und zum anderen mit einerBefreiungsperspektivevon der bisherigen Kunst, die Majakowski nicht nur als rückständig, sondern auch als „herrschaftlich“ charakterisiert.

Majakowskis vorrevolutionäres Selbstverständnis als futuristischer Künstler kommt beispielhaft in seiner Tragödie „Wladimir Majakowski“ zum Ausdruck, deren vorhergehender Titel „Aufstand der Dinge“ lautete.178Das Theaterstück wurde am 2. und 4.Dezember 1913 im Petersburger Theater Lunapark aufgeführt und erhielt eine vernichtende Kritik.179Das Stück ist eine Aneinanderreihung lyrischer Monologe verschiedener Personen. Die szenische Anweisung zu Beginn lautet: „Ein Fest der Bettler inmitten des Spinnennetzes der Straßen“. Die Bettler sind Menschen der modernen Stadt. Sie sind Bettler und Krüppel, weil sie keine ihnen und ihrer Umgebung gemäße Dichtung haben. Ihre einzige (poetische) Nahrung sind die blechernen Reklameschilder. Die Natur hat keine Macht mehr, denn es gibt die neue Technik: „Nicht Macht über uns eignet molligen Monden, denn Projektionslicht trifft fashionabler.“ Aber die neuen Dinge werden nicht vom Menschen beherrscht, sondern sie beherrschen die Menschen: „Es schalten und walten auf städtisch bewohntem Erdkreis als unsere Austilger, Vernebler entseelte Sachen, welche uns morden.“ Gott kann den Menschen nicht mehr helfen, der ist „dem Irrsinn verfallen“. Nur Majakowski, er spielt sich in dem Stück selbst, kann helfen, das Leid der Stadt zu lindern. Er beherrscht die neuen Dinge, er ist „der Lampen Fürst“. Majakowskis Gegner ist der „gewöhnliche junge Mann“. „‘The Ordinary Young Man is the possesor of the common sense’ (...) ein Rationalist, voller Ehrfurcht vor Traditionen, voller Fortschrittsgläubigkeit (...).“180Noch während der „gewöhnliche junge Mann“ seinen Monolog hält, bricht der Aufstand der Dinge los, die gegen ihre veralteten Bezeichnungen rebellieren: „zu eng ward der lumpige Rahmen ihrer längst verschlissenen Namen. Schaufenster einer Weinhandlung, wie auf Satans Wink, begannen sich selbst die Flaschen einzuschenken (...).“ Majakowski wird zum Fürsten erhoben. Die Menschen bringen ihm ihre Tränen und fordern ihn auf, daß er diese seinem „schönen Gott“ bringt. Er macht sich auf den Weg, um am Ende „dem dunklen Gewittergott (...) am Urquell, wo das Kredo der Tierwelt entsprang“, die Tränen vorzuwerfen.181

Es läßt sich zunächst einmal feststellen, daß Majakowskis Verhältnis zur Stadt, zum modernen Leben, zur neuen Technik eher ambivalent ist. Die häufig verwendete Charakterisierung der vorrevolutionären Dichtung Majakowskis als „urbane Begeisterung“182ist irreführend angesichts einer Beschreibung der Stadt beispielsweise als „Leprakolonie, wo Gold und Dreck den Aussatz mit Geschwüren bedecken.“183Die Stadtbilder Majakowskis sind düstere Straßenbilder:184Dort stehen „Laternenpfähle (...) gerammt in den Straßenbauch“;185da „nagen“ die „riesigen Fratzen der Fabriken“ am „Skelett des Firmaments“;186da ist die Brust der Straße „abgefußgängert. Flacher als Schwindsucht“ usw.187. So wenig die Stadt idealisiert, schöngefärbt, geglättet von allen Widersprüchen dargestellt wird, so wenig wird die neue Technikbedingungslosbegrüßt: Man muß sich schon zum „Lampenfürsten“ machen, um der Herrschaft der „entseelten Dinge“ etwas entgegen zu setzen. Die neue technische Modernität wird zwar kritisch betrachtet, doch es geht nicht darum, die Entwicklung zu stoppen, sondern sie zu beherrschen. Zu ähnlichen Ergebnis kommt auch Boris Groys am Beispiel von Malewitsch und Chlebnikow: „Der Unterschied zwischen Avantgarde und dem Traditionalismus liegt nicht in der Freude der ersteren über die verheerende Wirkung des modernen technischen Rationalismus, sondern in ihrer Überzeugung von der Unmöglichkeit, diesen Zerstörungen mit traditionellen Methoden zu begegnen.“ Und: „Ihr Ziel war vor allem die zerstörerische Wirkung der Neuen Technik zu kompensieren, zu neutralisieren (...).“188 Was Groys jedoch nicht reflektiert ist, daß die Herausbildung des „modernen technische Rationalismus“ untrennbar mit den kapitalistischen Verhältnissen verbunden ist. Modernisierung ist im Kern kein technologisches Phänomen, sondern definiert sich als soziale Tatsache anhand

veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse. Gaßner189weist darauf hin, daß der „Aufstand der Dinge“, die Flaschen, die sich selbst einschenken, das Hosenpaar, das von alleine aufsteht usw. in Majakowskis Tragödie an die Marxsche Beschreibung des Fetischcharakters der Ware erinnert: „Aber sobald er (der Tisch, E.G.) als Ware auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf den Boden, sondern er stellt sich allen anderen waren gegenüber auf den Kopf (...) viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne.“190Nun geht es hier nicht darum zu behaupten, daß Majakowski, als er sein Stück schrieb, Marx im Kopf hatte. Dennoch scheint es, als hätte Majakowski die expandierende russische Großstadt der 1910er Jahre und deren immense „soziale Desintegrationsprozesse“, wie Ebbinghaus sie betont (s.o.), sehr deutlich vor Augen gehabt. „Majakowski sah die Straße real (...) Aufgewachsen fernab in der Abgeschiedenheit eines georgischen Bergdorfes, empfand er die Neuheit des modernen Großstadtlebens mit besonderer Schärfe.“191Majakowski selbst verglich die Straße mit einem Lesesaal,192doch unter welchen Prämissen „las“ er in der ihm umgebenen Wirklichkeit und welche Konsequenzen zog er daraus? Das „Leid der Stadt“, die „Herrschaft der entseelten Sachen“, der „Aufstand der Dinge“ sind zwar ein Ausdruck der sensiblen Wahrnehmung der sich radikal wandelnden gesellschaftlichen Verhältnisse, werden aber explizit nur unter dem Aspekt der als gestört wahrgenommenen Beziehungen zwischen Wort und Ding, bzw. in der Malerei zwischen Linie, Farbe, Form und Ding reflektiert. „Die Wirklichkeit ist in ihren wesentlichen Zusammenhängen nicht mehr erkennbar, sie wird (z.B. kubistisch, E.G.) aufgelöst in gleichartige Bestandteile, denen das isolierte Subjekt als organisierender Faktor entgegengesetzt wird (...) die Wortkunst reflektiert sie im Medium der künstlerischen Sprache (...) Ziel des Künstlers ist es, auf sprachlicher Ebene die ‘Welt von neuem zu erblicken’“ oder „die Fühlbarkeit der Welt“ wiederherzustellen.193Indem sich der Künstler auf die Verfahren der Formgebung eines beliebigen Gegenstandes konzentriert, initiiert er einen Prozess, in dessen Verlauf das Ding eine neue, von den Absichten des Künstlers abhängige Gestalt erhält: Der Künstler herrscht über die Dinge. Majakowski erklärt sich in seiner Tragödie zum „Lampenfürst“, er bringt der Sonne, die bei den anderen den „Sklave(n) in eurer Seele (...) wachgeküßt“ hat, furchtlos Haß entgegen.194Die Sonne (im russischen männlichen Geschlechts) nimmt bei der vorrevolutionären avantgardistischen Kunst die Rolle eines Gegners ein. Erinnert sei an die im Wechsel mit Majakowskis Tragödie an zwei Abenden im Luna-Park- Theater aufgeführte futuristische Oper von Matjuschin (Texte: Chlebnikow, Krutschonych, Bühnenbild: Malewitsch) mit dem Titel „Sieg über die Sonne“.195Die Sonne herauszufordern oder zu besiegen hieß zum einen, den Anspruch zu formulieren, daß der Mensch nicht Geschöpf der Natur sei, sondern ihn zum Schöpfer zu erheben. Zum anderen galt die Sonne auch, so Gaßner nach Selbstaussagen von Krutschonych und Malewitsch, als Symbol für die „’vom menschlichen Geist geschaffene (...) Weltordnung’(...) ‘die veralteten Gedankengänge nach den Gesetzen der Kausalität, den (...) gesunden Menschenverstand’“.196In diese Sichtweise fügt sich auch die oben zitierte Interpretation Südkamps, der in Anlehnung an Stahlberger MajakowskisGegnerin der Trägödie, den „Ordinary Young Man“, als Rationalisten bezeichnet.

Das Verhältnis der vorrevolutionären Avantgarde zur neuen Technik, ist also nicht nur ambivalent, sondern sie läßt sich nur beherrschen (Lampenfürst), wenn Logik und Zweckrationalität (Sonne) bekämpft und überwunden werden. Diese Interpretation des avantgardistischen Programms zur Zerlegung und alogischen Neuzusammensetzung der Welt als „Verteidigungslinie“ beim „Sprung über den Fortschritt“ (Groys) läßt sich schließlich auch am Ende von Majakowskis Tragödie herauslesen. Der futuristische Dichter, der als „Lampenfürst“ in der Lage ist, das gestörte Verhältnis zwischen Wort und Ding, zwischen Kunst und Leben zu kitten, bringt die Tränen der Stadt am Ende dem Gewittergott „am Urquell, wo das Kredo der Tierwelt entsprang“. Auch hier wird angedeutet, daß die Lösung für das Leid der Stadt nur in der Überwindung von Logik und Vernunft zu suchen ist.

Zwar findet sich in der Tragödie noch kein Hinweis darauf, daß der Gewittergott den „Menschen von Morgen“ gebiert, trotzdem erinnert die Rede vom Gewittergott in fataler Weise an Majakowskis anfängliche Pro-Kriegs Artikel, z.B. an den Aufsatz „Zukünftler“, der im Dezember 1914 in der Zeitung „Neues“ veröffentlicht wurde. Hier verbindet sich die Hoffnung auf den „Menschen von Morgen“, dem die sprachschöpferische Tätigkeit Majakowskis dient, mit der Erwartung einer „reinigenden Katastrophe“. „Mit blutigen Schriftzügen hat die Geschichte auf einem Blatt (...) für Mütterchen Rußland die Urkunde ausgestellt über die Geburt eines neuen Menschen.“ Der noch kleine neue Mensch steckt in jedem, im „Fuhrmann“, der „Küchenmagd“ usw., „denn heute bedeutet jede Einzelheit im Tun des neuen Menschen, auch wenn sie scheinbar nur ihm persönlich nützt, in Wahrheit ein Teil der nationalen Bemühung (...) . Jedermann ist Träger des Kommenden. Rußlands Geschicke werden jetzt vom Heer bestimmt, und das Heer sind wir alle. (...) Das Gehirn, geweitet wie die aufgerissenen Augen eines erschrockenen Tieres, wird angelernt, Katastrophen von früher unerträglichen Ausmaßen zu erfassen. (...) Der Tod wirft sich auf die gesamte Masse, ist aber außerstande, mehr als einen unbeträchtlichen Teil von ihr zu treffen. Und so bleibt der gesamte Leib erhalten; dort auf dem Schlachtfeld vereinen alle ihren Atem, und darum waltet dort

Unsterblichkeit.“197Derlei Äußerungen Majakowskis zum Krieg finden in der Sekundärliteratur wenig Beachtung und werden im Allgemeinen als vorübergehende Entgleisung in den Kontext der allgemeinen Kriegsbegeisterung eingeordnet. Zwar ist im Rahmen dieser Arbeit eine Diskussion des russischen Futurismus und des frühen Majakowskis in einem größeren kunstphilosophischen undpolitisch-ideologischen Kontext nicht möglich. Aber angesichts der Tatsache, daß auch ein Marinetti - gegen den Majakowski zwar polemisierte - in einem Atemzug dazu aufrief, den Krieg als „einzige Hygiene der Welt“, „den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat des Anarchisten“ und die „vielstimmige Flut der Revolutionen“ zu besingen,198scheint mir das oben genannte Interperationsmuster der hier zu Rate gezogenen Sekundärliteratur zu kurz zu greifen. Führt man sich noch einmal Majakowskis Kritik des Zweckrationalismus in seiner Tragödie vor Augen, die bis hin zur völligen Ablehnung von Vernunft geht - er ruft zur Rückkehr zum „Urquell, wo das Kredo der Tierwelt entsprang“ auf -, so wird bereits dort letztlich Entmenschlichung als Problemlösung gehandelt. Eine derartige Ablehnung nicht nur eines Zweckrationalismus, sondern von menschlicher Vernunft überhaupt, war ein vor dem Ersten Weltkrieg unter der Intelligenz nicht nur in Rußland, sondern auch in Westeuropa (Stichwort: Nietzsche Diskurs) weit verbreitetes Phänomen. Von daher wäre zu fragen, ob sich nicht vor dem Hintergrund dieses Irrationalismus, die Kriegsbegeisterungder Intelligenzvon einem allgemeinen Hurrapatriotismus ebenso qualitativ unterschied, wie sie andererseits in den Kreisen der Intelligenz sowenig unterschiedenwar, daß ein Majakowski einem Marinetti durchaus sehr nahe kam? Ähnlich problematisch wie Majakowskis Verhältnis zum modernen technischen Rationalismus, das sich zwischen kritischer Wahrnehmung und barbarischer Problemlösung bewegt, präsentiert sich auch die Bestimmung von Künstler-Subjekt und umgebener Wirklichkeit. Letztere wird in gleichartigeBestandteile, die im Kubismus untereinander wiederum nach dem Prinzip von Dissonanz und Kontrast organisiert sind, aufgelöst. Darin liegt einerseits ein anti-hierarchischer Aspekt, wie beispielsweise in dem Satz Majakowskis „jedes Ding ist der Darstellung wert“199zum Ausdruck kommt. Diese tendenzielle Gleichheit findet sich selbst noch in Majakowskis Pro-Kriegs- Artikeln, wo es heißt, daß der neue Mensch in jedem stecke (s.o.). Auch die bereits oben erwähnte reichhaltige Verwendung von Vulgarismen oder verfremdeten Sprichwörtern der Umgangssprache in Majakowskis Dichtkunst, die in seinen Versen auftauchenden Maggiwürfel, die Anleihen der sog. primitivistischen Phase der Avantgarde beim Volksbilderbogen (Lubok), die in Larionows Soldatenbildern wiedergegebenen Klosprüche der Kasernen usw.,200die zweifellos ein Angriff auf die bis dahin gültigen Grenzen zwischen sog. „hoher Kunst“ und Alltagskultur waren, lassen sich in diesen Rahmen einordnen.

Andererseits steht dieser in gleichartige Bestandteile aufgelösten Wirklichkeit und den damit verbundenen anti-hierarchischen Elementen das Künstler-Subjekt als ein besonders hervorgehobenes gegenüber. So beispielsweise in der Tragödie, in der Majakowski als einziger nicht einen anonymen Typus (also weder einen verkrüppelten Bettler noch den Typus des „Ordinary Young Man“), sondern sich selbst darstellt. Noch deutlicher wird die hervorgehobene Position des Künstler-Subjekts in seinem 1915 geschriebenen Poem „Wolke in Hosen“ betont. Hier wächst das lyrische Ich zu einer mythischen Größe: zu einem Dichter, dem gegenüber Goethe verblaßt und der Napoleon wie einen Mops an der Leine führt, der sich zum 13. Apostel erklärt und schließlich zum Herausforderer von Gott und dem Universum wird.201Nun könnte man einwenden, daß es sich hier lediglich um Provokationen handelte. Eine solche Einschätzung, die Majakowskis Narzißmus herunterspielt, weist Senta Everts-Grigat in ihrer zu Majakowskis Poem „Pro eto“(1923) vorgelegten Einzelstudie energisch zurück. Gerade weil die Überhöhung des lyrischen Ichs insbesondere die Einnahme einer Märtyrer/Erlöser-Rolle in diversen Gedichten der futuristischen Frühzeit als auch in „Pro eto“ vorgenommen wird, ist sie für den Leser nicht mehr überraschend oder schockierend, „drängt sich der Verdacht auf, daß es sich um mehr als nur eine Hyperbel, um mehr als ein bewußt eingesetztes, auf Effekt bedachtes stilistisches Mittel handelt.“ In „Pro eto“ - so Everts-Grigat - fehle in bezug auf die Märtyrer- und Erlöser-Rolle sogar „jegliche Verfremdung.

Kaum ein Anflug von Ironie schafft Distanz zu den bedeutungsschweren Aussagen.“202In „Wolke in Hosen“ nun wechselt sich allerdings im Gegensatz zur Tragödie die überhöhte Einzigartigkeit des lyrischen Ichs mit der Teilhabe an einem Kollektiv ab, wie sie in der punktuellen Verwendung der Wir-Form ausdrückt. Diese Vision einer sinngebenden Teilhabe an einem Kollektiv, kommt allerdings auch in Majakowskis kriegsverherrlichenden „Zukünftler“-Aufsatz zum Ausdruck, wobei es sich jedoch um das nationale Kollektiv handelte. Insgesamt erhält man den Eindruck, daß Majakowski zwischen Narzißmus einerseits und (zumindest im „Zukünftler“-Artikel menschenverachtenden) Gemeinschafts-Mythos hin und her schwankt.

In „Wolke in Hosen“ verbindet sich die Hoffnung auf den neuen Menschen nicht mehr mit dem Krieg, sondern nun mit der Revolutionsperspektive. Jetzt trägt die Zukunft den „Dornenkranz der Revolutionen“, nun sollen an Laternenpfählen die „blutverschmierten Kadaver der Getreidehändler“ gehißt und „Montage und Dienstage(...) mit Blut zu Feiertagen“ gefärbt werden.203(Hyperbolisierte Metaphern übrigens, die im Kern möglicherweise auf reale Ereignisse, wie Hungerrevolten und gewaltsam niedergeschlagene Streiks verweisen?) Hoffnungsträger in „Die Wolke in Hosen“ ist wie im Pro-Kriegs-Artikel der „Jedermann“ der Straße. Im Gegensatz zum Pro- Kriegs-Artikel wird dieser „Jedermann“ in eine deutlichere Unterklassen-Metaphorik gekleidet: Majakowski spricht nun von Prostituierten, Menschen pockig von Ruß, hungrigen Horden, Zwangsarbeitern, Riesenfäusten, Verschwitzte, im Unrat Verwanzte usw.204Ähnlich wie bei den Krüppeln in der Tragödie handelt es sich hier um Bilder für Menschen, die keine ihrem Leben angemessene Sprache und Dichtung besitzen, sondern in der „Finsternis“ eines „babylonischen Straßengewirrs“ umherirren.205Ihnen ruft Majakowski zu, sie sollen nicht den der Straße entfliehenden Dichtern nachtrauern, „nicht um Almosen bitten“, denn: „Wir sind selbst Schöpfer einer glühenden Hymne - im Lärm der Fabrik und des Laboratoriums.“206Doch noch versteht den Dichter niemand, sein Aufruf verhallt ungehört, denn er ist der Prophet der Revolution, d.h. der Vorläufer einer Zukunft, die die Kunst mit dem Leben verbindet wird. Er ist der Dichter, der „sich, wie Danko in der Geschichte Gor’kijs, das Herz aus dem Leibe [reißt], das den anderen dann als Fahne dient.“207Majakowski hoffte, daß die Revolution und der aus ihr hervorgehende neue Mensch die Richtigkeit seiner künstlerischen Innovationen bestätigt: „und kommen werden sie - und werden die Kinder taufen mit dem Namen meiner Gedichte.“208 Wurde nun in der Hoffnung auf eine innovative Gewalt als Geburtsstunde des „neuen Menschen“ einfach nur der „Gewittergott“ durch den Krieg und der Krieg durch die Revolution ersetzt oder gibt es Hinweise auf grundsätzliche qualitative Unterschiede? Indem in „Wolke in Hosen„ nicht mehr die Teilhabe am nationalen Kollektiv den Einzelnen zu schöpferischer Größe erwachsen läßt, wendet sich Majakowski vonderbürgerlichen Diskursformation des 19. und 20.Jh. schlechthin - dem Nationalismus - ab. Doch hat sich Majakowskis Blickwinkel tatsächlich grundsätzlich verändert, wenn er nun die „Schöpfer einer glühenden Hymne“ anhand der Teilhabe am Kollektiv einer experimentell (Laboratorium) - technischen (Fabrik) Arbeit definiert? Hält man sich die realen Zustände in den Fabrikkomplexen des russischen Zarenreichs vor Augen (s.o.), Fabrikkomplexe, die für die dortnotgedrungener Weisearbeitenden Bauern-Arbeiter den Charakter eines „Monstrums“ hatten und die für sie eine fremde Welt blieben, der sie unvermittelt mit „apathischer Unterwerfung, alkoholisierter Verzweiflung, zielloser Revolte und dem totalen Aufstand bei der nächstbesten Gelegenheit“209begegneten, so stellt sich allerdings die Frage, ob Majakowski über diese Realität nicht ähnlich ästhetisierend und menschenverachtend hinweggeht, wie er ein halbes Jahr zuvor das Elend auf dem Schlachtfeld des Krieges zu einem „Poem (...) von der befreiten und zur Größe erhobenen Seele“ stilisierte?210 Andererseits lassen sich sehr wohl qualitative Unterschiede beispielsweise im Gegensatz zur Tragödie anhand der in „Wolke in Hosen“ verwendeten Sonnenbilder feststellen: Hier wird die Sonne nicht mehr gehaßt, sondern der Dichter klemmt sie sich „als Monokel ins weit aufgerissene Auge“.211Das heißt die Sonne, das Symbol für Rationalität und Vernunft, wird nun beherrscht, benutzt als Sehhilfe. Das Verhältnis zur Sonne ändert sich nach der Revolution noch einmal: In einem Gedicht von 1920 mit dem Titel „Seltsames Abenteuer Wladimir Majakowskis Sommers auf dem Lande“ beschimpft Majakowski zunächst die Sonne als „Taugenichts - im Bett aus Wolkenwatte“. Daraufhin steigt die Sonne vom Himmel und humpelt durch den Garten in die Hütte. Majakowski bietet ihr verängstigt Tee an, sie geraten ins Schwatzen und stellen fest, daß sie Fachkollegen sind, da sie beide „die graue Welt belichten“, die Sonne mit ihrem Schein und der Poet „mit Gedichten“.212In „Wolke in Hosen“ warnt Majakowski mit einer weiteren Sonnenmetapher vor einer scheinbaren Sonne (Vernunft), nämlich vor dem falschen Schein der Konterrevolution: Im Himmel ist Aufruhr, die Wolken beginnen zu schaukeln „und das Himmelsgesicht verzog sich für eine Sekunde zur finsteren Grimasse des eisernen Bismarck. Und jemand, der sich in den Wolkenfesseln verstrickt hatte, streckte dem Café die Arme entgegen (...) Ihr glaubt, daß da die Sonne ganz zärtlich dem Café das Wänglein tätschelt? Da rückt wieder, um die Rebellen zu erschießen, General Ga lifet heran.“213 In der hier zitierten Passage kommt ein weiterer Unterschied zur Tragödie von 1913 zum Ausdruck. Majakowskis Rebellion gegen die herrschende Kunst verbindet sich nun deutlich und explizit mit der politischen Parteinahme für die antikapitalistische Revolution. Wobei Majakowskis Antikapitalismus entsprechend der durchgesetzten Lesart in der russischen Sozialdemokratie die technologische Entwicklung von ihrem Verwertungscharakter trennt, wie in der oben zitierten Rede vom „Schöpfer der glühenden Hymne im (nicht:‘gegen den’, E.G.) Lärm der Fabrik und des Laboratoriums“, sowie in dem Satz „Ich, der ich die Maschine und England besinge“ zum Ausdruck kommt. Bei aller politischen Eindeutigkeit der „Wolke in Hosen“ einerseits, wird andererseits das Leid der Welt ganz wie in der Tragödie dargestellt als eines, daß daher rührt, daß es keine der zukunftsweisenden Entwicklung entsprechende Dichtung gibt. Jedoch ist Majakowskis Gegner nicht mehr nur allgemein der im „gewöhnlichen jungen Mann“ der Tragödie personifizierte Common Sense, sondern die Widersacher werden nun in verschiedene konkrete Symbole gefaßt: für die Konterrevolution (Bismarck, General Galifet), für Kapitalismus (Krupp)214und für Künstler, die nur Schönheit produzieren (Severjanin - russischer Dichter und Anführer der Ego-Futuristen)215. Die Erneuerung der Kunst und Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Umbruch gehen bei Majakowski spätestens seit Sommer 1915 eine unlösbare Verbindung ein.

Zusammenfassend gewinnt man den Eindruck, daß die zunächst eher „kritische Begrüßung“ der Technik und des modernen Lebens der Großstadt einhergeht mit einer ausgesprochen pessimistischen und ablehnenden Haltung nicht nur gegenüber dem neuen technischen Zweckrationalismus, sondern gegenüber der menschlichen Vernunft überhaupt. Eine Lösung für die als gestört wahrgenommenen Beziehungen zwischen Kunst und Leben, die als Ausdruck der „gestörten“ Beziehungen zwischen Mensch und Welt interpretiert werden, wird dementsprechend in der Abkehr von Vernunft, in einer Entmenschlichung, in der Rückkehr zum Tier etc. gesehen. Führte die Aussöhnung mit der Sonne als Bild für die Vernunft andersherum nun zu einer zunehmend bedingungslosen Bejahung der modernen Technik - wie sie sich in „Wolke in Hosen“ ankündigt - und schließlich zur Vision von der Mechanisierung des Menschen?

2.5 Mysterium buffo

„Mysterium buffo“ sei „das einzige Theaterstück, das unter dem Einfluß unserer Revolution entstanden sei und darum - übermütig, verwegen, heiter, herausfordernd - ihren Stempel trägt“, schrieb Anatoli Lunatscharski, Volkskommissar für Volksaufklärung, in der Petrograder „Prawda“ zwei Tage vor der Premiere des Stücks am 7.11.1918. Majakowski verfaßte „Mysterium buffo“ im Sommer 1918 in Lewaschow bei Petrograd. Das heißt ein gutes Jahr vor dem Beginn seiner Mitarbeit in der Nachrichtenagentur ROSTA in einer Phase, als Majakowski zwar schon von den erfolglosen Bemühungen im Rahmen der „Fliegenden Vereinigung der Futuristen“, aus eigener Kraft eine Verbindung von Kunst und Straße zu schaffen, enttäuscht war, aber noch weitgehend der Auffassung verhaftet blieb, daß sich mit den im Futurismus revolutionierten Kunstformen eine quasi automatische Verbindung zur politisch-sozialen Revolution herstellen lasse. Während dieser Zeit schrieb Majakowski insgesamt sehr wenig. Nach Wilbert drehte der größere Teil der an der Jahreswende 1918/19 entstandenen Gedichte um das Verhältnis der Kunst zur Revolution, in dessen Rahmen die Forderungen nach Straßenkunst und nach einem radikalen Bruch mit der bisherigen Kunst nach wie vor beherrschend waren. Nur einige Gedichte, wie „Linker Marsch“(Dez.1918) und eben das Stück „Mysterium buffo“ ordnet Wilbert ersten „Ansätzen zu einem inhaltlichen Eingehen auf die revolutionäre Wirklichkeit“ zu.216Nun liegt in deutscher Übersetzung allerdings nur die zweite Fassung vor, die Majakowski im Winter 1920/21 schrieb, nachdem das Stück im Oktober 1920 in das Repertoire des von Meyerhold neugegründeten „Ersten Theaters der RSFSR“ aufgenommen wurde.217Ein Vergleich der beiden Fassungen, der sicherlich interessante Aspekte über die Entwicklung Majakowskis in dieser Periode der russischen Avantgardekunst (sog. Laboratoriumsphase des Konstruktivismus) in den für den jungen Sowjetstaat entscheidenden Jahren zu Tage fördern würde, ist also leider nicht möglich. Allerdings bietet die Sekundärliteratur einige Hinweise zu den wesentlichsten Änderungen.

Sowohl die Erstaufführung 1918 als auch die Premiere der Zweitfassung am 1.Mai 1921 mußten gegen massiven Widerstand konservativer Kräfte durchgesetzt werden: 1918 war es zunächst schwierig, überhaupt ein Theater zu finden, dann fehlte es an Schauspielern, so daß Majakowski gleich 3 Rollen selbst übernehmen mußte.2181921 sollte das Stück zuerst, während die Proben schon liefen, wegen zu hoher Inszenierungskosten abgesetzt werden. Dann drohte noch am Vorabend der Premiere ein Verbot, weil das Stück als Schaubudenspektakel dem festlichen Charakter des 1.Mai nicht entspreche.219Während die Erstfassung 1918 nur dreimal aufgeführt wurde, lief die Zweitfassung 1921 täglich bis zum Ende der Theatersaison.220Regie bei beiden Inszenierungen führte Meyerhold, Bühnenbild und Kostüme zur Erstfassung entwarf Malewitsch. Die Zusammenarbeit zwischen Malewitsch und Majakowski war aber scheinbar nicht besonders fruchtbar. Bereits für eine zum 1.Mai 1919 geplante, aber nicht realisierte Aufführung entwarf Majakowski Bühnenbilder und Kostüme selbst. Malewitsch, dessen gegenstandslose Kunst zum dynamischen Suprematismus fortgeschritten war, wurde - so Thun - durch das Stück gezwungen, auf vorsuprematistische Lösungen seiner längst überwundenen Kubismusphase, insbesondere auf die Bühnenbild- und Kostümentwürfe zur Oper „Sieg über die Sonne“ (1913) zurückzugreifen, was ihn kaum befriedigt haben dürfte. Rückblickend soll Malewitsch 1932 gesagt haben, daß er die gegenständliche Ausrichtung der Bilder in Majakowskis Dichtung nicht teilte und ihm

Krutschonychs Gegenstandslosigkeit näher lag.221Für die Zweitfassung 1921 schuf Anton Lawinski das Bühnenbild.222

Bereits im Titel deutet sich der Versuch an, die Formen des mittelalterlichen Mysterienspiels mit den komischen Elementen der Buffonade der Jahrmarktsschaubude zu mischen. Majakowski selbst erklärt den Titel so: „’Mysterium’ deutet auf das Große in der Revolution, ‘buffo’ auf das Lachhafte an ihr.“223Die erste Fassung hatte fünf Aufzüge. Der erste Aufzug beginnt damit, daß das gesamte Weltall überflutet wird von der Sintflut der Revolutionen. Am Nordpol, dem letzten trockenen Punkt der Erde, finden sich 7 Paar Reiner, das sind Karikaturen der Herrschenden (ein russischer Kaufmann, ein türkischer Pascha, ein deutscher Offizier usw.), und 7 Paar Unreiner, nach Majakowskis eigener Beschreibung „Proletarier“224, ein. Als das Wasser auch am Pol steigt, wird beschlossen, eine Arche zu bauen; bauen müssen natürlich die Unreinen. Auf der Arche haben schnell die Reinen das Kommando, es werden verschiedene Herrschaftsformen eingeführt, bis die Unreinen schließlich die Nase voll haben und die Reinen über Bord werfen. Weil die Reinen alles aufgegessen haben, herrscht Hunger und Ratlosigkeit. Da kommt über das Wasser die Figur des „einfach ein Mensch“, nach der Interpretation von Storch „der unbeugsame Geist des ewigen Aufruhrs“.225Dieser sagt den Unreinen, daß sie kämpfen sollen. Die Unreinen klettern über Strickleitern in die Wolken und kommen zunächst durch die Hölle, die sie aber im Gegensatz zu ihrem Höllen-Leben auf der Erde nicht schreckt: Gegenüber dem Kapitalisten ist der Beelzebub eine lächerliche Figur. Sie ziehen weiter und kommen in den Himmel, dort sitzen Methusalem, Jean- Jacques Rousseau und Tolstoi herum, es gibt nichts zu Essen, nur Vergeistigtes und es ist furchtbar langweilig. Schließlich gelangen sie vor ein großes Tor, einer klettert hoch und schildert den anderen das Paradies, d.h. die Kommune jenseits des Tores. Da kommt der konkrete Reichtum, die Dinge und Sachen angelaufen. Sie öffnen das Tor und bieten den Unreinen ihre Dienste und am Ende singen alle vor einer im Mittelpunkt der Schlußszene positionierten Maschinenattrappe die Internationale.226 In der Zweitfassung wird der Weg, den die Unreinen zum Kommune-Paradies zurücklegen müssen, länger: Nun müssen sie nach der Odyssee über die Wogen der Sintflut, durch Hölle und Himmel noch durch das Land der Trümmer ziehen. Im Land der Trümmer müssen sie, um vorwärts zu kommen, den Schutt wegräumen. Dabei graben sie eine Lokomotive und ein Seeschiff aus. Die Lokomotive fordert „Schafft mir ein Schwarzbrot vom Kohlen-Don (...), damit ich wieder esse!“227 Und das Seeschiff will „Naphta her für die wohlige Ölung! Naphta aus Baku“.228Indem die Unreinen den Forderungen der verlebendigten Lokomotive und des Seeschiffs gehorchen, besiegen sie den Ruin und die Spekulanten und können dann mithilfe von Seeschiff und Lokomotive schneller vorankommen. Der schnellste Weg ins Kommune-Paradies führt demnach zunächst über die Unterordnung der Menschen unter die „Bedürfnisse“ der Maschinen. Mit diesem im Winter 1920/21 eingeschobenen Aufzug versuchte Majakowski der veränderten Ausgangsposition in dem mittlerweile durch den Bürgerkrieg zerstörten Land für die ehrgeizigen Modernisierungspläne der Bolschewiki durch verstärkte Produktionspropaganda gerecht zu werden.

In beiden Fassungen wurde versucht, den Zuschauer dazu anzuhalten, in der Vorstellung nichts anderes als eben eine Theateraufführung zu sehen. Um die intime und illusionistische Guckkasten- Perspektive des traditionellen Theaters zu durchbrechen, wurden alle Umbauarbeiten bei hellem Licht vorgenommen, auf Rückwand und Seitenkulissen und Vorhang verzichtet; bzw. bei der Aufführung der Erstfassung wurde der Vorhang als Symbol des alten Theaters sogar demonstrativ vor Beginn des Stückes von den Schauspielern herunter gerissen.229Insbesondere im letzten Akt sollten die Zuschauer durch das gemeinsame Absingen der Internationale, aber auch durch die Positionierung von Schauspielern im Zuschauerraum, mit einbezogen werden. Im Meyerholdschen Theater der RSFSR I, nach Hielschers Beschreibung offenbar ein Bau mit dem Charme eines besetzten Hauses (mit Feuchtigkeitsflecken an den Wänden, abgebrochenen Geländern, sowie politischen Plakaten und Büchertischen im Foyer und ohne Billetkontrolleure) wurde der Versuch, die Hierarchie zwischen dem aktivem Geschehen auf der Bühne und einem andächtig-passiven Zuschauerverhalten zu durchbrechen, fortgeführt: Hier hatte man die Bühne als schräg abfallende Fläche angelegt, die direkt in den Zuschauerraum überging. Nach Zeitzeugenberichten sollen tatsächlich die Zuschauer auf die Bühne gestürmt sein, und Regisseur, Schauspieler, Bühnenarbeiter hinter den Kulissen hervorgezogen haben,230nachdem kurz vor Schluß der Maschinist den Text sprach: „Heute noch bloß die hier aufgemalte szenische Pforte. Doch morgen schon groß - anstatt theatralischer Worte - Tatsachen und Taten.(...)So komm denn hierher Publikum! Sitz nicht stumm! Komm herauf Dekorateur!...“231 Ebenfalls zum Zweck der Agitation wurden in der Zweitfassung einige der karrikierten Reinen zu konkreten zeitgenössischen Individuen: Hier treten nun Georges Clémenceau und David Lloyd- Georges auf. Außerdem ist der Student ersetzt durch den Versöhnler.232Intervention, Blockadepolitik und innere Auseinandersetzungen finden so Eingang in das Stück, wodurch es nach Majakowskis eigener Aussage „zeitgemäß, heutig, minutengerecht“ werden soll.233Aus demselben Grund kommt implizit an diversen Stellen auch Lenins Elektrifizierungsprogramm vor: So wird u.a. im Kommune-Paradies der Zweitfassung Energie nicht mehr mit einem Phantasie- Sonnenkraftwerk gewonnen, das Gaßner anhand einer Entwurfsskizze Majakowskis vom Mai 1919 beschreibt, als eine „riesige Sonne(...) deren gelbe Strahlen einen Kranz glühender Zahnräder antreibt“, sondern nun entspringen alle Wunder der Elektrifizierung. Darüberhinaus wurde noch die o.g. Maschinenattrappe des Schlußbildes durch ein auf die Bühne fahrendes Auto ersetzt.234Und schließlich wurde die Figur des „einfach ein Mensch“ zum „der Mensch der Zukunft“. Dieser ist nun nicht mehr „der Geist des ewigen Aufruhrs“ (vorausgesetzt Storch hat die Erstfassung zutreffend interpretiert), sondern eher ein Geist des Fortschritts und zwar vorrangig des technischen Fortschritts. Er ruft die Menschen dazu auf, die Natur nicht gedankenlos „als Joch“ zu tragen, sondern Wasserkraft zu nutzen und Steinkohle sowie Öl zu fördern. Er bezeichnet sein Eden als „Elektro-Weltpflege“.235

Nicht ganz deutlich ist, ob Majakowski bereits im Oktober 1918 die „Proletarier“ nach ihren Berufen (Schornsteinfeger, Laternenputzer, Näherin, Bergarbeiter, Zimmermann, Landarbeiter, Wäscherin, Schuster, Dienstbote, Schmied, Bäcker, Chauffeur, Eskimo-Fischer, Eskimo-Jäger)236differenzieren wollte, oder ob diese Differenzierung erst nach einer Kritik Lunatscharskis an den uniformen Arbeitsmenschen vorgenommen wurde.237Malewitsch hatte die Unreinen in blaue (bei Gaßner graue) Uniformen gekleidet, die sich nach Meyerholdscher Regie völlig aufeinander abgestimmt wie ein einziger Organismus238bewegten. Meyerhold begann solcherart Inszenierungsexperimente im Rahmen seines Theaters RSFSR I zu einem biomechanischen System der Schauspielausbildung auszubauen, nachdem er 1920 aus weißgardistischer Gefangenschaft befreit worden war, wo man ihm übrigens des Verbrechens der Regie bei dem „lästerlichen, alle russischen, irdischen und

himmlischen Heiligtümer beleidigenden ‘Mysterium buffo’“ angeklagt hatte.239Zurückgekehrt aus dem Bürgerkrieg verkündete Meyerhold den „Bürgerkrieg im Theater“ und entwickelte in Anlehnung an Trotzkis „Militarisierung der Arbeit“ eine Konzeption von der „Militarisierung des Theaters“.240In diesem Rahmen sollte das System der Biomechanik eine „neue Grundlage“ für die Kunst werden in einer Gesellschaft. „in der die Arbeit nicht länger als Fluch (...) betrachtet wird“. Meyerhold ging davon aus, daß alle „psychologischen Zustände“ durch „physiologische Prozesse“ bestimmt werden und forderte vom Schauspieler, daß er die Mechanik seines Körpers studiere und ihn so trainiere, „daß er in der Lage ist, sofort die Aufgaben ausführen, die von außen diktiert werden.“241Dabei knüpfte er unmittelbar an die von Gastev im „Zentralen Institut der Arbeit“ (CIT) entwickelte sowjetische Taylorismusvariante (NOT)242an: „Das Taylorsystem ist der Arbeit des Schauspielers genauso eigen, wie jeder anderen Arbeit.“243In der Erstfassung des Mysterium buffos von 1918 erweckten, so Gaßner, die frühen Meyerholdschen Mechanikexperimente zusammen mit Malewitschs Bühnenbildern und Kostümentwürfen im Schlußakt vor dem in der Bühnenmitte plazierten grauen Maschinengerüst bei den zeitgenössischen Zuschauern die Zukunftsvision von einer „düsteren Arbeitsstadt“.244Für die Zweitfassung sind in der hier zugrunde gelegten Sekundärliteratur keine derartigen Urteile vermerkt. Scheinbar gelang es in der Zweitfassung nicht nur durch die Hereinnahme zeitgenössischer Figuren (Cleménceau etc.) sondern auch bereits machbarer technischer Errungenschaften (Elektrizität, Auto), sowie durch die neuen Kostüme der Unreinen und ihre Ausstattung mit Berufsattributen trotz der weiter vorangetriebenen Mechanisierung der Darstellungsweise und der weiterhin entindividualisierten Züge der Unreinen den düsteren Charakter abzustreifen und gleichzeitig die Zukunft technisch machbarer erscheinen zu lassen, obwohl das Kommune-Paradies durch das eingeschobene „Land der Trümmer“ in weitere Ferne gerückt wurde.

Ein bemerkenswerter Aspekt hinsichtlich der von Majakowski gewählten Berufsbezeichnungen ist, daß diese - mit Ausnahme des Bergarbeiters, des Maschinisten der Huppertschen Übersetzung der Zweitfassung und vielleicht der Näherin - nicht gerade einem Bild entsprechen, das man heute als „klassisch proletarisch“ bezeichnen würde. Majakowskis Unreine haben eher den Charakter von Handwerkern oder „jobbenen Lumpenproletariern“ als von gestandenen Fabrikarbeitern, ganz zu schweigen von den Figuren Eskiomo-Fischer und -Jäger. Ein Hinweis auf das in Rußland kaum bis gar nicht entwickelte Proletariat „westlichen Typs“? Andererseits kommt der Bauer, tragende Kraft in der russischen Revolution, auch hier nicht vor, sondern ist ganz bolschewistischer Manier zum Landarbeiter umfunktioniert worden. Kommt man zum zentralen Aspekt, nämlich der Darstellung der Zukunft (in der Zweitfassung), so läßt sich fragen, inwieweit Majakowski mit dem letzten Akt an den „Aufstand der Dinge“ in der Tragödie von 1913 anknüpfte? In der Tragödie waren die Dinge „Austilger, Vernebler, entseelte Sachen“, die gegen die Menschen rebellierten. Nun nach der Revolution bitten z.B. die Maschinen um Entschuldigung, daß sie die Arbeiter verstümmelt und gerädert haben. Gaßner spricht im Zusammenhang mit dem Schlußakt des Mysteriums von der Vision der nach der Revolution befreiten Arbeit und der Befreiung der Dinge von ihrer Warenform. Zwar seien die Dinge weiterhin verlebendigt, aber während in der Tragödie nur „Luxusartikel und Surrogate“ rebellieren, würden im Mysterium die „echten Gebrauchsgüter“ den Arbeitern freudig entgegenlaufen.245 Zuzustimmen wäre der Interpretation insofern, als daß die Dinge im Schlußakt tatsächlich keinen Warencharakter besitzen. Sie haben keine Preisschilder und sie heben die Trennung durch das Eigentum von den Menschen und ihren Bedürfnissen auf, indem sie aus den Schaufenstern hervortreten. „Speis und Trank, Produkte und Waren“ entschuldigen sich bei den Unreinen mit den Worten: „Nicht ihr habt uns, wir haben Euch gekostet und gegessen. Wir kosteten viel, habt ihrs schon vergessen? Hinter den Schaufenstern in den Geschäften lagen wir - Köder? Nein Köter, die Euch bekläfften. (...)“246Ein Handelsmann der kurz auftaucht, zweifellos ein Seitenhieb auf die von den Avantgardekünstlern als Rückschritt empfundene NÖP, wird kuzerhand mit den Worten „Hier gibt’s nicht zu kaufen-verkaufen“ hinausgeschmissen. Den ungläubigen Unreinen, die dem Schlaraffenland-Charakter nicht trauen, beteuern die Sachen, daß es keinerlei Schieber und auch kein „Proviantkomitee“, das rationiert und portioniert, gäbe usw.

Die Gaßnersche Interpretation dagegen, derzufolge den „Luxusartikeln“ der Tragödie die „echten Gebrauchsgüter“ des Mysteriums gegenüber gestellt werden, wobei „Luxusartikeln“ noch dazu ganz im Sinne einer sozialistis chen Verzichtsethik implizit ein Gebrauchswert abgesprochen wird, halte ich allerdings für fragwürdig. Laut Regieanweisung der Zweitfassung treten im Kommune- Paradies bei der Ankunft der Unreinen „die besten Sachen“, nicht die allernotwendigsten, aus den Schaufenstern, geführt von Hammer und Sichel, heraus, die Unreinen werden explizit zum Genuß aufgefordert und etwas weiter heißt es „Alles, was gut und teuer, sei euer (...) Zu Ende - Entbehren, Verzichten und Fasten“.247 Fragwürdig bleibt auch, ob Majakowski tatsächlich in der Tragödie die gesellschaftlichen Verhältnisse aufgrund ihres Warencharakters kritisiert hat. In der Tragödie rebellieren die Dinge, weil ihnen der Rahmen ihrer längst verschlissenen Namen zu eng wurde. Wenn die Dinge im „Mysterium buffo“ die Menschen freudig begrüßen, ist dies eher ein Hinweis auf Majakowskis Vision, daß nun „im gelobten Land“ die Kunst bzw. Dichtung durch Sprachschöpfung das gestörte Verhältnis zwischen den Dingen und den Menschen, zwischen Kunst und Leben überwunden hat. Zumal der zentrale Punkt, auf den Gaßner hinsichtlich der Tragödie die These vom Warencharakter aufbaut, nämlich die Verlebendigung der Dinge, weiter besteht.

Die Frage, warum die Dinge weiterhin verlebendigt sind, stellt sich Gaßner gar nicht. Dabei gibt gerade dieser Aspekt einigen Aufschluß über den Charakter von Majakowskis Zukunftsvision und den Aspekt der „befreiten Arbeit“: Am Ende des eingeschobenen fünften Aktes (Land der Trümmer), nachdem Lokomotive und Seeschiff, gefüttert mit Kohle und Öl, rufen „Hurra wir leben auf“, vernehmen die Unreinen, daß „Dort hinten hinterm Turmgerüst - Dort ist etwas los“, dort ist nicht nur „frühes Morgenrot“, sondern von dort hören sie „ein Singen (...) ein Rädergedröhn, den Atem-Takt von Fabriken vielleicht...“248Sie steigen auf die Lokomotive und fahren mit den Worten: „Haucht euren Atem ein den Maschinen; denn nur mit ihnen macht ihr wahr euren Traum“249der Zukunft entgegen. Das Portal des „gelobten Landes“ wird den Unreinen, wie bereits erwähnt, von den Dingen geöffnet. Zweifellos haben die Unreinen, die durch ihre Arbeit den Dingen ihren Atem mitgeteilt haben, sie damit verlebendigt. Als das Tor geöffnet wird, fällt der Blick der Unreinen: „Zum Himmel aufgetürmte Riesenleiber durchsichtiger Fabriken und Wohnhäuser.“ Weiter heißt es in der Regieanweisung:„Umwunden von Regenbogen- Fluoreszenzen geistern Eisenbahnzüge, Straßenbahnen und Kraftwagen und in der Mitte ein Garten-Square von Sternen und Monden, gekrönt von einer strahlenden Sonnenkorona.“ Majakowskis Zukunftsvision besteht nicht nur darin, daß „die assozierten Produzenten diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als einer blinden Macht beherrscht zu werden“250, sondern hier soll gleich eine ganz neue Natur geschaffen werden. Die Arbeit der Unreinen wird nicht nur zum schöpferischen Akt stilisiert, der die Dinge verlebendigt, indem ihnen gottgleich Atem eingehaucht wird, sondern angesichts der neuen Technik läßt Majakowski die Unreinen davon träumen „Weltraum-Taucher“ zu sein: „Wir kleiden Planeten in irdischen Flor und schenken ihnen vertrauten Dekor - als kosmische Bauherrn. Verflechten wir Strahlen zu Weidenbesen elektrisch die Wolken vom Himmel fegen! Schafft Honig Ströme und künstliche Regen, Sternpflaster-Straßen, glückselig erlesen! Graben-! meißeln-! sägen-! bohren-! Auf alles ein Hoch!“251 In der hier zum Ausdruck kommenden Vision einer „schöpferischen Arbeit“ spiegeln sich Auffassungen aus der sog. Laboratoriumsphase des Konstruktivismus wieder. In einem Aufsatz von Brik, der in einem 1921 vom Moskauer ISO veröffentlichten, aber schon im November des Vorjahres redaktionell abgeschlossenen Sammelband mit dem Titel „Die Kunst in der Produktion“ erschien, wurde - so Wilbert - einerseits die „Identifizierung von Kunst und ‘Arbeit’ fortgesetzt, zum anderen jedoch erstmals die industrielle Arbeit selbst unter dem Aspekt ihres potentiell künstlerischen Charakters betrachtet (...). Leitbild bleibt indessen der Künstler-Handwerker als schöpferisch Arbeitender:Wir wollen, daßder Arbeiter aufhört, mechanischer Vollstrecker irgendeines ihm unbekannten Planes zu sein. Er mußbewußter, aktiver Teilnehmer des schöpferischen Prozesses der Herstellung der Dinge werden.Im Bemühen, der Kunst die ‘Fähigkeit des aktiven Mitwirkens am Prozeß des Schaffens der Formen des Lebens’(Brik, E.G.) zurückzugeben, projizieren die Autoren das Prinzip des ‘freien’ künstlerischen Schaffens auf die industrielle Arbeit und sehen sowohl von deren Bedingungen als auch von der ‘Standardisierung des Produkts in der Massenproduktion’ (Arkin, E.G.) ab.“252Daß nach Wilbert für diese Phase des Konstrukivismus das Leitbild des Künstlerhandwerkers und noch nicht des Künstler-Ingenieurs charakteristisch ist, erklärt, warum die Unreinen im „Mysterium buffo“ im Widerspruch zur Vision vom „kosmischen Baumeister“ ausgerechnet „graben, meißeln, sägen, bohren“ hochleben lassen. Die oben zitierte Kritik an der Unterordnung der Arbeit unter einen Plan erklärt außerdem, warum Majakowski im Schlußakt des Mysterium einerseits die Dinge als von der Knechtschaft Besitzes befreite darstellt253, was an Lenins Rede von der im Kapitalismus „gehemmten Wunder der Technik“ erinnert. Andererseits werden aber Plan und Organisation, die ja nach Lenin zur Entfaltung der Technik führen sollen, im Mysterium verspottet. Im Land der Trümmer kommt es, nachdem der Landarbeiter aufruft, organisiert zusammenzutreten, zu einem Disput unter den Unreinen: „...Ich empfehle alles Organisierte durcheinanderzurütteln.“ (...) „...Das Durcheinanderschütteln ist Mumpitz und quackig. Wir brauchen ernannte Beamte.“ (...) „Ernannte - Da haben wir den Salat! Ohne Puffer weiß man sich keinen Rat“ (...) „Ersauft nicht in Worten! Wo klafft die Bresche? Ich seh keine Furt. Durch Zeilengeäder, papierne Bäder, reiß euch voran eure Wiedergeburt! Was sollen Hochwässer aus strömendem Text?...“ usw.254 Aus der Übertragung des künstlerischen Selbstverständnis von „schöpferischer Arbeit“ auf die Arbeit der Unreinen im „Mysterium buffo“ erhellt sich des weiteren, warum sich die Unreinen nach Ankunft im „gelobten Land“ nicht etwa dem Genuß der Dinge hingeben, nach der anstrengenden Odyssee durch die Sintflut, Hölle, Himmel und das Land der Trümmer sie keine Party feiern, sondern nach Arbeit verlangen. Und zwar nicht nach irgendeiner Tätigkeit, wonach ihnen gerade der Sinn steht, sondern ihrer „Berufs“-Arbeit: „Ich hätt gern die Säge. Bin von Nichtstun ganz steif,“ sagt der Landarbeiter. Die Näherin verlangt eine Nadel, den Schmied „ziehts zum Hammer“, und der Maschinist möchte gerne die Maschinen anlaufen lassen.255Letztlich läßt aber die in der Gleichsetzung von künstlerischem Schaffen und materieller Arbeit liegende Ignoranz gegenüber den realen Verhältnissen und die Tatsache, daß sich für den Rezipienten (Zuschauer?) im Schlußakt angesichts des bereits vorhanden Reichtums keine Notwendigkeit zur Arbeit erschließt, die Unreinen als sozialdisziplinierte Arbeitsmenschen erscheinen.

3. Schluß:

In der Identifizierung von Kunst und Arbeit liegt, sofern damit der Zwangscharakter entfremdeter Arbeit kritisiert werden soll, ein emanzipatorisch-utopisches Moment. Die russische Avantgardekunst hat diesen Aspekt ebensowenig weiter verfolgt wie 1917/18 beispielsweise die Losung „Die gesamte Kunst dem gesamten Volk“256. Anfang 1919 weicht dieses demokratische Verständnis dem Versuch, im Rahmen der neu entstandenen Institutionen eine Art Diktatur des Futurismus als kulturelles Gegenstück zur Diktatur des Proletariats auszurufen. Ende 1921/Anfang 1922 setzt sich der Begriff des „Künstler-Ingenieurs“ gegenüber dem „Künstler-Proletatrier“ bzw. „Künstler-Handwerker“ durch. Mit dieser Einschränkung auf eine Spezialistenrolle verliert der Begriff der „schöpferischen Arbeit“ seinen „emanzipatorisch-utopischen Gehalt, der noch im Anspruch auf die Befreiung aller Arbeiter zu schöpferischen Produzenten enthalten war.“257Im Ringen um das eigene Selbstverständnis und die eigenen Interessen als künstlerische Intelligenz im Rahmen des neuen Staates wurden Begrifflichkeiten und Kategorien der bolschewistischen Fortschrittskonzeption völlig ungeprüft übernommen. Von daher war die weitere Entwicklung zu einem Selbstverständnis als „Künstler-Ingenieur“, dem die ganze Welt zum Material wird, das der zweckmäßigen Bearbeitung harrt, seien es nun Dinge, Wörter oder wie bei Tretjakow das „lebendige menschliche Material“, das vom „Psycho-Kontrukteur“ gestaltet wird, nur konsequent.258Wieweit Majakowski diesen Weg konkret mitgegangen ist, läßt sich im Rahmen der hier zugrunde gelegten Literatur nicht sagen. Es wird wohl davon auszugehen sein, daß Majakowski nicht nur dem biomechanischen System Meyerholds zugetan war, sondern auch die von Gastev entwickelte sowjetische Taylorismus - Variante befürwortete. Einer Randnotiz Seemanns zufolge soll Majakowski über Gastev „stets mit Hochachtung“ gesprochen haben.259 Nach einem Besuch der Ford-Werke während seiner USA-Reise 1925 hat Majakowski sich zwar kritisch über das „Ford-System“, das den Arbeiter „impotent“ mache und seine Qualifikation zerstöre, geäußert, diese Kritik aber im wesentlichen auf die kapitalistischen Verhältnisse zurückgeführt. Die Technik der USA müsse sich jeder sowjetischer Überseefahrer aneignen.260 Ebenso muß offenbleiben, inwieweit tatsächlich ein Zusammenhang besteht zwischen der futuristischen Frühzeit Majakowskis und ihren problematischen Aspekten wie der Ablehnung von Vernunft und Zweckrationalismus sowie ihrem Narzißmus und der späteren (nachrevolutionären?) Dominanz kollektivistisch-technizistischer Momente. Der technizistis che Kollektivismus in Majakowskis Poem 150 000 000 soll - wie einige Literaturwissenschaftler mutmaßen - Samjantin zu seiner Dystopie „Wir“ angeregt haben.261

Deutlich geworden sein sollte jedoch, daß eine gut-böse Entgegensetzung des je nach Lesart einmal „anarchistisch/scheinradikalen“ bzw. „individuellen/lyrischen“ Majakowski mit einem „revolutionären/kämpferischen“ bzw. „agitatorisch/geschmacklosen“ Majakowski allzu einfach ist.

Hält man sich noch einmal den in Teil 1 beschriebenen sozialen Antagonismus vor Augen, so muß man konstatieren, daß dieser von Majakowski gar nicht wahrgenommen wurde. Lediglich in den vorrevolutionären futuristischen Werken scheint die Metaphorik von der Desintegration der städtischen Unterklassen inspiriert zu sein. Ansonsten übertraf Majakowski hinsichtlich des Wahrnehmungsmusters Land-Bauer-Rückständigkeit noch bei weitem einen Lenin. In seinen Agitationsgedichten an die Bauern in den 1920ern „kommt immer wieder zum Ausdruck, daß er die Bauern für noch weitaus rückständiger hält als das von ihm kritisierte städtische Kleinbürgertum.“262So ist nicht verwunderlich, daß Majakowski nicht nur die Zwangskollektivierung in seinen Gedichten guthieß, sondern sich auch für die Zerschlagung jeglichen Widerstandes aussprach: „...Wir treiben jeden Schädling aus - aus Stall und Feld und Wald. Aus Großbauernschädeln raus muß Hoffnung auf Gewalt. Wo Volkes Gut entwendet ward, sprengt die Verstecke auf “263

Majakowskis Revolution hatte in der Tat - da wäre Deutscher zuzustimmen - ihre eigene Logik. Die Logik einer künstlerischen Intelligenz, die die sich radikal wandelnden Verhältnisse in der Großstadt des zaristischen Rußlands der 1910er Jahre im wesentlichen als gestörtes Verhältnis zwischen Kunst und Leben wahrnahm, dem mit - wie Groys sich ausdrückt- einem Sprung über den Fortschritt begegnet werden sollte. Die Kunst wurde revolutioniert und die Revolution sollte die künstlerischen Innovationen bestätigen, eine Verschmelzung von Kunst und Leben herbeiführen. Doch welche Vermittlung konnte es überhaupt geben zwischen einer Intelligenz, die nicht nur die ländlichen Unterklassen gar nicht wahrnimmt, sondern hinter den revoltierenden städtischen Bauern-Arbeitern im wesentlichen eine Kraft oder mit Majakowskis Worten eine „Sintflut“ sieht, mit der sich Maschine, Fabrik, Technik, Moderne und mit ihr der „Mensch der Zukunft“ unaufhaltsam ihren Weg bahnt? Hinsichtlich des Sprung über den Fortschritt lag nicht nur das bolschewistische Modernisierungsmodell näher, sondern im Rahmen des neuen Staats eröffneten sich für viele der jungen Künstler auch erstmals bis dahin weitgehend ungeahnte Möglichkeiten.

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Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Wladimir Majakowski - Troubadour der Revolution oder Propagandist der Arbeitsgesellschaft?
Autor
Jahr
1999
Seiten
35
Katalognummer
V101815
ISBN (eBook)
9783640002283
Dateigröße
493 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wladimir, Majakowski, Troubadour, Revolution, Propagandist, Arbeitsgesellschaft
Arbeit zitieren
Eva-Bettina Görtz (Autor:in), 1999, Wladimir Majakowski - Troubadour der Revolution oder Propagandist der Arbeitsgesellschaft?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101815

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