Zur aktuellen Diskussion um Lohnpolitik und Beschäftigung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

20 Seiten, Note: 2+


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen
2.1 Neoklassische Theorien
2.1.1 Der neoklassische Arbeitsmarkt
2.1.2 Lohnrigidität aus neoklassischer Sicht
2.2 Keynesianisch orientierte Ansätze
2.2.1 Die Kritik am neoklassischen Modell

3. Die aktuelle Diskussion
3.1 Das Jahresgutachten des Sachverständigenrates
3.2 Die neoklassisch inspirierte Argumentation
3.2.1 Die Arbeitgeberverbände
3.2.2 Die wissenschaftlichen Diskussionsbeiträge
3.3 Die nachfrageorientierte Argumentation
3.3.1 Die Kritik an der Lohndifferenzierung
3.3.2 Die länderübergreifende Analyse von Löhnen und Arbeitslosigkeit
3.3.3 Nachfrageorientierte Schlussfolgerungen für die Diskussion

4. Der korporatistische Lösungsansatz im „Bündnis für Arbeit“

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Angesichts des weiterhin hohen Standes der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik ist der hohe Stellenwert, den die Debatte um die Methoden zu ihrer Bekämpfung einnimmt ganz selbstverständlich. Die Lohnpolitik und ihr Zusammenhang mit der Beschäftigung nimmt in dieser Debatte eine zentrale Stellung ein und gewinnt zusätzliche Brisanz durch die grundsätzlichen Weichenstellungen, die mit ihr verbunden sind: Wie viel Verteilungsspielraum bleibt in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit? Sind „angemessene“ Lohnsteigerungen und Reduzierung der Arbeitslosenquote gleichzeitig möglich? Sind die traditionellen Mechanismen der Lohnpolitik in einer sich schnell wandelnden Industriegesellschaft noch funktionsfähig?

Die Sachlichkeit der Debatte krankt daran, dass es für Außenstehende recht einfach ist, die möglichen Standpunkte den jeweiligen gesellschaftlichen Akteuren zuzuordnen. Die Organisationen der Arbeitgeberseite sehen seit jeher den Stein der Weisen in Lohnzurückhaltung und berufen sich ausschließlich auf theoretische Vorarbeiten, die ihre Position stützen. Gewerkschaften lehnen aus naheliegenden Gründen diese Erklärung für Arbeitslosigkeit ab und berufen sich ihrerseits auf Theorien, welche die Ursachen auf anderen Feldern als der Lohnpolitik suchen.

Ein weiteres Kennzeichen der Debatte der letzten Jahre ist zudem, dass sie bislang zu wenigen konkreten Ergebnissen geführt hat; ein Aspekt der sich unter das Schlagwort vom „Reformstau“ einordnen lässt. Es sei dahingestellt, ob dieser Begriff überhaupt verwendbar ist. Interessant ist aber, dass nun seit dem Regierungswechsel ein korporatistischer Ansatz verfolgt wird, um aus der Debatte Arbeitsgrundlagen zu filtern: Das „Bündnis für Arbeit“.

Diese Seminararbeit führt zunächst in die theoretischen Grundlagen ein, die den konkreten Positionen der Debatte zugrunde liegen. Daraufhin wird versucht ein möglichst aktuelles Bild dieser Debatte zu zeichnen, um dann den Ansatz des „Bündnis für Arbeit“ zu bewerten.

Aus Raumgründen kann hier nur knapp der interessante Blickwinkel angerissen werden, der sich mit den Konsequenzen des Arbeitsstils der „Neuen Ökonomie“ für die Lohnpolitik und die Beschäftigungslage befasst. Im Jahresgutachten des Sachverständigenrates 2000/2001 nimmt dieser Aspekt breiten Raum ein. Die generelle Literaturlage ist vielfältig. Zur Abhandlung der theoretischen Grundlagen wurde auf zusammenfassende Darstellungen zur Erklärung der

Arbeitslosigkeit zurückgegriffen. Der Stand der Diskussion um Lohnpolitik und Beschäftigung wurde Publikationen von Interessenvertretungen, organisationsnahen Forschungseinrichtungen und wissenschaftlichen Artikeln entnommen. Die Analyse des Bündnisses für Arbeit erfolgt auf der Grundlage von Publikationen der Bundesregierung.

2. Theoretische Grundlagen

Zur Klärung der theoretischen Zusammenhänge zwischen Lohnpolitik und Beschäftigung ist eine Analyse von Arbeitsmarkttheorien auf diesen Aspekt hin notwendig: Welchen Einfluss nimmt die Lohnhöhe und Lohnflexibilität in diesen Theorien auf den Beschäftigungsstand? Dazu ist es natürlich notwendig den Blick auf diese weiter greifenden Theorien zur Arbeitslosigkeit zu verengen. Dies scheint jedoch angesichts der Fragestellung dieser Arbeit legitim.

Zur besseren Strukturierung wird eine, zugegeben sehr grobe Unterscheidung zwischen eher „neoklassisch“ orientierten und eher „keynesianisch“ orientierten Ansätzen vorgenommen, die in sich natürlich jeweils zahlreiche speziellere Ansätze umfassen.

2.1 Neoklassische Theorien

Diese Erklärungsansätze fußen durchgehend in der klassischen Gleichgewichtstheorie. Dieser Ansatz geht von einem Marktmodell mit flexiblen Preisen aus, auf dem Anbieter und Nachfrager unabhängig voneinander, anhand ihrer Kaufkraft und bestehender Marktpreise, ihre Kauf-/Verkaufentscheidungen treffen. Dabei unterstellt es den Markteilnehmern das Ziel der Nutzenmaximierung. Auf einem solchen Markt herrscht ein allgemeines Gleichgewicht, was bedeutet, dass durch den „gleichgewichtige“ Preismechanismus alle Märkte geräumt sind und die diversen Pläne aller Marktteilnehmer miteinander vereinbar sind.1

2.1.1 Der neoklassische Arbeitsmarkt

Auf den Arbeitsmarkt bezogen geht das neoklassische Modell davon aus, dass dementsprechend allein der gleichgewichtige Reallohn die Vereinbarkeit der Pläne von Unternehmen und Haushalten garantiert: „jede Arbeitsnachfrage wird erfüllt, und jedes Arbeitsangebot kann tatsächlich abgesetzt werden.“2 Um das Verhalten der Marktakteure bei einer Abweichung des Reallohns von seinem Gleichgewichtswert nach oben zu erklären, muss die Grenzproduktivitätstheorie auf den Faktor Arbeit bezogen werden: bei einer zusätzlichen Beschäftigung einer Einheit Arbeit steigt das Produktionsergebnis geringer an, als bei der vorangegangenen Einheit.3 Zudem ist das Preisniveau für den Arbeitsmarkt gegeben, so dass allein der Nominallohn zur Disposition steht.

Ein zu hoher Nominallohn zieht einen Angebotsüberschuss an Arbeit nach sich, da dann diejenigen Arbeitskräfte entlassen werden, deren Grenzprodukt unter dem angehobenen Reallohn liegt. (Bei zu niedrigem Nominallohn ist Effekt und Argumentation entsprechend umgekehrt.) Das Ergebnis ist Arbeitslosigkeit. Laut der neoklassischen Hypothese ist nun denkbar, dass die Arbeitssuchenden bereit sind, zu einem geringeren Nominallohn zu arbeiten, bzw. die Arbeitgeber in der Lage sind, einen geringeren Nominallohn durchzusetzen. Vorraussetzung ist natürlich, dass der Arbeitsmarkt frei von institutionellen Regelungen ist. In dieser Sicht existiert Arbeitslosigkeit nur als freiwilliges Phänomen von Marktteilnehmern, die nicht bereit sind, zu einem ihnen zu niedrig erscheinenden Lohn zu arbeiten. Es handelt sich beim neoklassischen Ansatz um ein fast ausschließlich idealtypisches Modell. Es lässt sich aber zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit die Empfehlung eines hinter dem Produktivitätsanstiegs zurückbleibenden Lohnanstiegs herausfiltern.

Zum Abbau bestehender Arbeitslosigkeit sind im Rahmen von Gleichgewichtstheorien fast ausschließlich Lohnsenkungen geeignete Therapien.

2.1.2 Lohnrigidität aus neoklassischer Sicht

Im Bemühen ihren idealtypischen Arbeitsmarkt der Realität anzupassen steht die neoklassische Theorie vor dem Problem, dass die Flexibilität der Preise am Arbeitsmarkt nicht im erforderlichen Maß gegeben ist.4 Daraus stammt das Konzept der Arbeitslosigkeit als Folge von Lohnrigidität, also nicht vorhandener Lohnflexibilität. Dabei besteht das besondere Problem darin, dass das Vorhandensein rigider Löhne mit den neoklassischen Annahmen vom Selbstinteresses der

Marktteilnehmer nicht vereinbar scheint. Es gibt allerdings verschiedene Erklärungsansätze, die nun kurz angesprochen werden sollen.

Der erste Ansatz interpretiert Lohnrigidität als exogen gegeben; also eine Lohnfixierung nach unten oder oben durch äußere Einflüsse. Für den konkreten Zusammenhang zwischen Lohn und Beschäftigung ist der gängige Fall von Minimumlöhnen bedeutsam. Diese werden in der Regel von Gewerkschaften in Kollektivverträgen, seltener vom Staat, festgelegt.

Dabei müssen die Gewerkschaften zwei konkurrierende Zielvorstellungen integrieren: hohe Löhne und hohe Beschäftigung. Da „ökonomisch rationales“ Verhalten unterstellt wird, strebt eine Gewerkschaft eine Lohnhöhe an, bei der sie beide Ziele optimal kombiniert. Aus dieser Sicht nimmt sie somit ein gewisses Maß an Arbeitslosigkeit in Kauf.

Fehlen diese exogenen Erklärungen für Lohnrigidität, müssen solche Inflexibilitäten der Neoklassik zufolge im „rationalen Interesse“ der Marktteilnehmer liegen. Dies versuchen Kontrakttheorien und Effizienzlohntheorien zu erklären.

Die Kontrakttheorie erklärt Lohnrigiditäten mit dem Bedürfnis der Marktteilnehmer Transaktionskosten auf einem Arbeitsmarkt mit ständig schwankenden Preisen zu vermeiden. Arbeitnehmer sind dabei z.B. an langfristiger Verlässlichkeit ihres Lohns interessiert, wohingegen Arbeitgeber eine geschulte Stammarbeiterschaft an sich binden können.

Die Effizienzlohntheorie geht davon aus, dass durch höhere Löhne entsprechende Leistungsanreize gesetzt werden, die einen höheren Output bewirken. Das heißt, dass Unternehmen den Lohn solange erhöhen können, solang der zusätzliche Gewinn über den zusätzlichen Lohnkosten liegt. Dieser „profitmaximierende Effizienzlohn“ kann über dem „markträumenden Gleichgewichtslohn“ liegen. In diesem Fall würde auch eine Lohnsenkungsbereitschaft der Arbeitslosen ins Leere laufen.

Zusammenfassend muss betont werden, dass beide Ansätze zwar eine Erklärung für nicht-freiwillige Arbeitslosigkeit innerhalb des neoklassischen Modells liefern, zugleich jedoch nur für bestimmte Bereiche des Arbeitsmarktes Erklärungen liefern. Eine umfassende Diagnose von Arbeitslosigkeit ist auch mit ihnen nur eingeschränkt möglich.

Nur indirekt mit der Lohnpolitik verbunden ist die Humankapitaltheorie5, die jedoch Bedeutung gewinnt, wenn man den Blickwinkel auf die Lohndifferenzierung und die mit ihr verbundenen Beschäftigungseffekte lenkt. Sie versucht die menschliche Arbeitskraft nach ökonomischen Gesichtspunkten zu analysieren. Grundlage ist dabei die neoklassische Annahme, dass der Gleichgewichtslohn gleich dem Grenzprodukt der Arbeit ist.6

Die Humankapitaltheorie sieht dabei im vom Menschen erworbenen Wissen und Können den Hauptfaktor der Arbeitsproduktivität. Der Wert des Humankapitals misst sich dann an der Produktivität der durch die Bildung ermöglichten Fertigkeiten. In diesen dabei besonders betontem Faktor Bildung kann, wie in jedes andere Kapital, investiert werden. Verknüpft man diese Konzeption mit der neoklassischen Grenzproduktivitätstheorie, verzinst sich diese Kapitalinvestition nach ihren Grenzerträgen, in der Form von Einkommen.

Lohnspreizungen nach oben setzen demnach Anreize zur Investition in das eigene Humankapital, während eine Lohnspreizung nach unten die Einstellung niedrig qualifizierter Arbeiter ermöglichen kann. Dabei besteht allerdings auch weiterhin die Möglichkeit freiwilliger Arbeitslosigkeit.

2.2 Keynesianisch orientierte Ansätze

Die von Keynes´ „General Theory of Employment, Interest and Money“ formulierten und angeregten Ansätze unterscheiden sich von der neoklassischen Theorie in einen wesentlichen Punkt: Vollbeschäftigung und „allgemeines Gleichgewicht“ sind kein natürlicher Zustand, sondern eher eine unter mehreren Situationen, die allesamt nicht „natürlich“ sind.

In keynesianischen Modellen wird das Beschäftigungsniveau nicht in erster Linie auf den Arbeitsmärkten bestimmt, sondern ist von Vorgängen auf anderen Märkten abhängig. Dazu zählen unter anderem die Nachfrage auf Gütermärkten und den Geld- und Kapitalmärkten. Demnach führt eine Senkung der Löhne „nicht unbedingt zu höherer Beschäftigung, flexible Löhne sind keine Garantie für Vollbeschäftigung.“7

2.2.1 Die Kritik am neoklassischen Modell

Diese Argumentation kritisiert die Übertragung des mikroökonomisch orientierten neoklassischen Arbeitsmarktes auf ein makroökonomisches Modell. Dieses geht dabei von Reallohnsenkungen bei unveränderten Preisen als Mittel zur Erhöhung der Beschäftigung aus. Der Kritik zufolge bewirkt eine Lohnsenkung über viele Firmen und Branchen hinweg, dass die daraus folgende Verminderung der Massenkaufkraft nicht ohne Folge auf das Preisniveau sein kann. Da sich Lohnverhandlungen aber immer auf den Geldlohn beziehen, kann eine beabsichtigte Reallohnsenkung nicht oder nicht vollkommen erzielt werden.

Es werden allerdings noch differenziertere weitere Szenarien als das obige bedacht. Betont wird dabei die Tatsache, dass Kaufkrafteinschränkungen bei Lohnsenkungen zeitlich verzögert einsetzen. Beschäftigungssteigernd wirkt die Lohnsenkung in dem Fall, dass die Unternehmer kurzfristig und kostenorientiert die (Real-)Lohnsenkung zur Ausweitung der Produktion und zusätzlicher Investitionen nutzen. Der Beschäftigungsanstieg kann dann, bei elastischer Geld- und Kreditpolitik die Nachfrageausfälle kompensieren.

Falls Unternehmen hingegen an Nachfragemangel leiden, ändern Lohnsenkungen nichts an den bestehenden Absatzproblemen. Unternehmen warten entweder bei unveränderten Preisen ab (keine Wirkung auf den Beschäftigungsstand) oder senken die Preise (was die angestrebte Reallohnsenkung ausgleicht).

Bezieht man die Erwartungen der Unternehmer zum Zeitpunkt einer Lohnsenkung mit ein kann es keynesianischen Ansätzen nach sogar zu höherer Arbeitslosigkeit als Folge von Lohnsenkungen kommen.

Werden Lohnsenkungen durch die Unternehmer als einmaliger Schritt empfunden, dem Lohnerhöhungen folgen können, besteht der Anreiz diese Niedriglohnperiode durch zusätzliche Investitionen auszunutzen. Dies hätte positive Effekte auf den Beschäftigungsstand.

Verläuft der Lohnsenkungsprozess hingegen ungleichmäßig und ungewiss, kann es ratsam erscheinen mit Investitionen auf weitere Lohnsenkungen zu warten. Die Nachfrage nimmt ab, mit entsprechend negativen Auswirkungen auf den Beschäftigungsstand. Ein „depressives Erwartungsklima“ verfestigt sich.

3. Die aktuelle Diskussion

3.1 Das Jahresgutachten des Sachverständigenrates

Das jährlich vorzulegende Gutachten des Sachverständigenrates zur Wirtschaftspolitik ist für die wirtschaftspolitische Debatte in der BRD ein wichtiger Impulsgeber. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen und politische Standpunkte beziehen sich explizit auf die den Gutachten dargelegten Standpunkte und Analysen. Insofern stellt das Jahresgutachten 2000/20018 einen Fixpunkt dar, an dem sich die wesentlichen Punkte der aktuellen Diskussion um Lohnpolitik und Beschäftigung festmachen lassen.

In seiner Analyse der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation betont der Sachverständigenrat, dass zum Abbau der Arbeitslosigkeit angesichts, oder auch trotz der „guten Konjunktur“ Bedingungen geschaffen werden müssen, welche die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften nachhaltig stärken. Als wesentliche Bedingung wird eine „beschäftigungsorientierte Tarifpolitik“ benannt, die mit der Lohnrunde 2000 eingeleitet worden sei. Die Tatsache, dass die Höhe der Tarifanhebungen unter der trendmäßigen Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität pro Stunde liegt, wird dafür vom Sachverständigenrat als Kriterium genommen. Er betont zugleich, dass dieses Kriterium auch längerfristig Ziel der Lohnpolitik sein muss, um im „nennenswerten Ausmaß“ neue Stellen zu schaffen.9

Als weiteres Feld der beschäftigungsrelevanten Tarifpolitik wird die Lohnstruktur, also die relativen Abstände der Entgeltgruppen genannt. Das laut dem Sachverständigenrat anzustrebende Ziel ist das der „qualifikatorischen Lohnstruktur“. Dies bedeutet eine Tarifstruktur, welche „die Unterschiede in den Qualifikationsprofilen der Arbeitnehmer und in den Anforderungsprofilen seitens der Unternehmen zum Ausgleich bring[t]“.10

Die Problematik in der Bundesrepublik liegt darin, dass eine über zwei Jahrzehnte konstante Lohnstruktur auf einen starken strukturellen Wandel trifft, bei dem die niedrig qualifizierte Beschäftigung zurückgeht und höher qualifizierte Beschäftigung steigt. Arbeitslosigkeit entsteht dieser Argumentation zufolge durch das Festhalten von nicht ausreichend qualifizierten Arbeitnehmern an ihren alten Einkommensansprüchen. Durch eine flexiblere Lohndifferenzierung nach unten kann ein Ausgleich am Arbeitsmarkt zwischen Anforderungsprofilen und Qualifikationsprofilen eher zustande kommen. Der Sachverständigenrat erwartet bei einer stärkeren Lohnspreizung einen Anstieg der Nachfrage von Unternehmen nach weniger qualifizierten Arbeitnehmern.

Ein anderer Aspekt der Lohndifferenzierung ist zudem die Spreizung nach oben. Durch den Strukturwandel und das Aufkommen der Neuen Ökonomie wird die Qualifikation des Humankapitals immer wichtiger. Lohnpolitik muss demzufolge Anreize zur (Selbst-) Qualifizierung der Arbeitnehmer setzen, was durch eine eher nivellierende Lohnpolitik nicht erreicht wird.

Das Jahresgutachten betont auch besonders die Herausforderungen, welche die „Neue Ökonomie“ an die Auffassungen über Lohn und Beschäftigung stellt. Dazu gehören die oben angesprochen Lohndifferenzierung, wie auch generell andere Formen der Entlohnung (Belegschaftsaktien), permanente Weiterbildung und größtmögliche Flexibilität.11

Letzteres betont der Sachverständigenrat auch gerade für die „Alte Ökonomie“. So wird die gesetzgeberische Einschränkung der Möglichkeit befristeter Arbeitsverträge als Schritt in die falsche Richtung kritisiert. Außerdem stellt sich die Frage, inwieweit die zentrale Lohnfindung in Branchentarifverträgen noch zur heutigen wirtschaftlichen Wirklichkeit und besonders zur „Neuen Ökonomie“ passt. Hier steht der Sachverständigenrat auf dem Standpunkt, dass der Ordnungsrahmen (BVG, Kündigungsschutzgesetz, Tarifvertragsgesetz) Bedingungen schafft, die „die Arbeitslosen als Außenseiter benachteiligen“. In Zeiten schwacher Konjunktur schafft dieser keine Bedingungen „freigesetzte Arbeitnehmer“ wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.12

Als Lösungsansatz wird eine dezentralere Lohnfindung empfohlen, die den unterschiedlichen Bedingungen bei einzelnen Unternehmen Rechnung tragen kann. Als Beispiel für die Notwendigkeit solcher Reformen werden die zahlreichen Austritte von Unternehmen aus den Arbeitgeberverbänden angegeben, die damit der Tarifbindung entgehen. Andere Möglichkeiten sieht das Jahresgutachten in „betriebsnähere[n] Lohnvereinbarungen“ (z.B. leistungs- und ertragsbezogene Lohnbestandteile) oder in einer Überarbeitung der Gesetzgebung.

Wenngleich der Sachverständigenrat in seine Analyse verschiedene Ursachen für die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik einbezieht, so legt er doch den Schwerpunkt, analog zur neoklassischen Theorie, auf die Lohnstruktur und Lohnhöhe. Im Bezug auf die Lohnstruktur argumentiert der Sachverständigenrat entsprechend der Humankapitaltheorie. Durch den Strukturwandel entwertetes Humankapital kann nur über einen geringeren Reallohn durch Lohndifferenzierung nach unten wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Bei der Lohnhöhe verdeutlicht dies das Kriterium des Produktivitätsanstiegs, das als verfügbarer Verteilungsspielraum gesetzt wird. Gleichzeitig bezieht allerdings der neoklassisch inspirierte Vorschlag die Lohnfindungsmechanismen auf die Mikroebene zu legen, keynesianische Kritikpunkte an firmen- und branchenübergreifenden Lohnsenkungen mit ein.

3.2 Die neoklassisch inspirierte Argumentation

3.2.1 Die Arbeitgeberverbände

Am konsequentesten wird die neoklassische Auffassung über den Zusammenhang zwischen Lohnpolitik und Beschäftigung von den Arbeitgeberverbänden (BDA, BDI) vertreten. Dies ist mit Sicherheit nicht allein mit Theorietreue zur Neoklassik erklärbar. Vielmehr ist klar, dass Lohnsenkungen, unabhängig von ihrer Wirkung auf die Beschäftigung, den Unternehmen helfen Kosten einzusparen. Dieser Sachverhalt an sich kann selbstverständlich im politischen Diskurs nicht herausgestellt werden, wohl aber über die Legitimation der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit.

Somit überrascht es nicht, dass sich in einer ersten gemeinsamen Bewertung des Jahresgutachtens, der Bundesverband der Deutschen Industrie und die Bundes- vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände in allen Punkten der Analyse des Sachverständigenrates anschließen.13 Die aktuelle Lohnpolitik wird als Ergebnis der im Bündnis für Arbeit erarbeiteten Grundsätze gesehen. „Die moderaten Lohnerhöhungen und deren Festschreibung für das nächste Jahr verschaffen den Unternehmen Planungssicherheit.“ Gleichzeitig wird eine Fortführung dieser Lohnpolitik gefordert.

Ein weiteres Feld in dem sich Arbeitgeber der Argumentation des Sachverständigenrates anschließen, ist die Arbeitsmarktordnung. Wichtige Punkte sind hier die „stärkere qualifikatorische Differenzierung“ der Löhne und neue Entlohnungsformen (z.B. stärker leistungsorientierte Vergütung). Die Forderung des SVR nach einer dezentraleren Lohnfindung wird nur „im Grundsatz geteilt“. Dies ist aus politischem Kalkül heraus verständlich. Schließlich macht die Position der

Arbeitgeberverbände als Verhandlungsführer in den Tarifverhandlungen einen großen Teil ihrer Einflussbasis aus.

3.2.2 Die wissenschaftlichen Diskussionsbeiträge

Neben der politischen Diskussion über Lohnpolitik und Beschäftigung existiert selbstverständlich auch eine fachwissenschaftliche Diskussion. Einer ihrer wesentlichen Ansatzpunkte ist die Analyse der Politikstrategien anderer Länder, denen eine zum Teil deutliche Senkung der Arbeitslosigkeit gelang. Ausgegangen wird dabei stets von einem radikalen Strukturwandel von Industriebeschäftigung zu verstärkter Dienstleistungs-Beschäftigung.14

Aufbauend auf der „Trilemma“ These von einem fundamentalem Zielkonflikt zwischen Haushaltsdisziplin, geringer Lohndifferenzierung und Beschäftigungswachstum, werden drei mögliche Strategien zur Bewältigung des Strukturwandels benannt. Im strikt marktwirtschaftlich orientiertem Ansatz (angelsächsische Länder) wird durch eine hohe Lohndifferenzierung die Schaffung bislang unrentabler Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich möglich. Nimmt hingegen eine geringe Lohndifferenzierung, wie in den skandinavischen Staaten, die oberste Priorität ein, kann das Beschäftigungswachstum nur durch öffentlich finanzierte Arbeitsplätze gesichert werden. Dies untergräbt allerdings das Ziel der Haushaltsdisziplin. Diesem Politikansatz schwindet ohnehin die Grundlage, da durch die Öffnung der Märkte Kapital und qualifizierte Arbeit nur schwer zur Umverteilung zu besteuern sind. Der deutsche Ansatz, bei Beibehaltung der geringen Lohndifferenzierung und eher hoher Haushaltsdisziplin den Strukturwandel zu bremsen, musste dieser Analyse zufolge scheitern, da keine dafür notwendige Lohnzurückhaltung geübt wurde.

Grundlage der neoklassisch orientierten Ansätze ist die Bedeutung des Anstiegs der Arbeitsproduktivität. Es wird herausgestellt, dass dessen Vorraussetzungen und die einer eventuell erhöhten Arbeitsnachfrage identisch sind. Gleichzeitig besteht aber auch ein innerer Zusammenhang zwischen beiden Größen. Es wird davon ausgegangen, dass bei Entlassungen die Arbeitsplätzen mit unterdurchschnittlicher Produktivität verloren gehen, also die Produktivität steigt. Wird dieser Produktivitätsanstieg aber als Spielraum für Lohnerhöhungen ausgenutzt, bleibt die entstandene Arbeitslosigkeit bestehen. Eine Ausweitung der Arbeitsplätze hingegen führe (Ceteris paribus) zu einer geringer steigenden Arbeitsproduktivität, als bei einem völligem Ausnutzen der Lohnsteigerungsspielräume wie im ersten Fall. Für die USA wird auf dieser Grundlage eine „Lohnanpassungsstrategie“ konstatiert. Diese wird definiert als Anpassung der Reallohnstruktur an die vorhandene Arbeitsproduktivität. Konkret gesprochen entstünden durch hohe Lohndifferenzierung auch solche Arbeitsplätze, deren Produktivität kleiner als der bisherige Produktivitätsdurchschnitt sind..

Im Gegensatz dazu wird gerade für Deutschland von einer „Produktivitätsanpassungsstrategie“ gesprochen. Die Arbeitsproduktivität sollte an die eher hohen, verbandlich festgelegten Reallöhne angepasst werden. Durch die Regelungen des Arbeitsmarktes und Sozialsystems konnten nur solche Arbeitsplätze entstehen, deren Produktivität größer/gleich dem Durchschnitt waren.

Zusammenfassend wird betont, dass Spielräume durch Arbeits- produktivitätssteigerungen entweder für „Arbeitskostensteigerungen [...] bei Beschäftigungsstagnation“ oder „für Beschäftigungsausweitungen zu Integration Arbeitssuchender“15 genutzt werden könne. Das Beispiel der Niederlande belege allerdings, dass eine Kombination beider Möglichkeiten bei Arbeitsmarktderegulierung und Umbau der Sozialsysteme möglich sei.

Konkrete, lohnbezogene Vorschläge von neoklassisch orientierten Ökonomen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit setzen auch an diesen Punkten an: Zuallererst ein mehrjähriger Anstieg der Arbeitskosten (Löhne, aber auch Lohnnebenkosten) nur unterhalb des “vollbeschäftigungsneutralen Produktivitätswachstum[s]“. Flankierend ist eine stärkere Spreizung der Lohnstruktur nötig. Eine nivellierende Lohnpolitik wird zusätzlich wegen ihrer Fehlanreize bezüglich der Qualifikation und Weiterbildung von Arbeitnehmern abgelehnt; ein Sachverhalt, den auch die oben abgehandelte Humankapitaltheorie behandelt. Ebenfalls mit dem Ziel Arbeitskosten bei zusätzlicher Beschäftigung niedrig zu halten, werden flexiblere Arbeitszeiten und verlängerte Maschinenlaufzeiten empfohlen.

Betont wird ebenfalls die Notwendigkeit einer Reform des Steuersystems, auch um Einkommensverluste durch Lohndifferenzierung teilweise zu kompensieren, sowie ein „dosierter“ Umbau des Sozialversicherungssystems.

Interessanterweise wird eine Dezentralisierung des Lohnfindungssystems eher kritisch gesehen, da es keinen empirischen Beleg von Vorteilen betriebsnaher Mechanismen gebe. Es bestünde vielmehr die Gefahr, dass die „Anpassungslasten der Beschäftigungspolitik“, mit der Gefahr einer „drastischen“ Absenkung des Lebensstandards der Betroffenen, bei den „Schwächsten des Arbeitsmarktes“ abgeladen werden.16

3.3 Die nachfrageorientierte Argumentation

Den eher nachfrageorientierten Politikansätzen ist gemeinsam, dass sie in der Debatte um die Zusammenhänge zwischen Lohn und Beschäftigung permanent in der Defensive sind. Das liegt hauptsächlich daran, dass neoklassische Ansätze die Debatte weitgehend dominieren: Gewerkschaften sowie nachfrageorientierte Ökonomen haben kaum Möglichkeiten ihre fast konträr verlaufenden Konzepte in der Öffentlichkeit zu verankern.17 So beschränken sich viele Debattenbeiträge auch im wesentlichen auf den Versuch einer theoretischen oder empirischen Widerlegung der neoklassische Konzepte, oder auf eine Kritik der gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen einer an diesen Konzepten orientierten Politik.

3.3.1 Die Kritik an der Lohndifferenzierung

Grundlage dieser Kritik ist die Auffassung, dass nur eine „relativ flache Einkommenspyramide und darunter moderat gespreizte Löhne die nötigen Wachstumsbedingungen“ sichern.18

So wird eine bereits geschehene „generell ungleicher geworden[e]“

Einkommensverteilung in Deutschland festgestellt19, die auf einen stärkeren Anstieg der Gewinneinkommen bei der gleichzeitigen Verbilligung des Faktors Arbeit zurückgehe. Letzteres sei Resultat der Lohnzurückhaltung der letzen Jahre. Beispiele für die bestehende, als zu stark kritisierte, Lohnspreizung ist zum einen die

Veränderung der Beschäftigungsstruktur hin zu „prekären Beschäftigungs- verhältnissen“. Diese sind u.a. Teilzeitarbeit, 630-Mark Jobs, Leiharbeit, Scheinselbstständigkeit und befristete Beschäftigungsverhältnisse. Des weiteren werden die neuen Bundesländer als „nahezu geschlossenes Niedriglohngebiet“ charakterisiert, aber auch für Westdeutschland wird eine Zunahme des Bezieherkreises von Niedriglöhnen und Hochlöhnen festgestellt. Es ist demnach also „die Forderung nach mehr Niedriglöhnen bereits seit längerer Zeit vorweggenommen worden, ohne dass der versprochene Beschäftigungseffekt eingetreten ist.“20 Im Gegenteil, Änderung der Einkommensstruktur habe die private Kaufkraft, „als gesamtwirtschaftlich wichtigstes Nachfrageaggregat geschwächt.“21

3.3.2 Die länderübergreifende Analyse von Löhnen und Arbeitslosigkeit

Ein weiterer Ansatz ist die Widerlegung der neoklassischen Schlussfolgerungen, die sich aus Ländervergleichen ergeben. Dabei werden oftmals, wie oben bereits dargestellt, die USA und Großbritannien als Paradebeispiele einer beschäftigungs- orientierten Lohnpolitik gesehen und kleinere europäische Länder, wie die

Niederlande, ergänzend erwähnt. Diese Ansicht ist nach Meinung nachfrageorientierter Ökonomen empirisch unhaltbar.22 Ansatzpunkt sind hierbei die Nominallohnsteigerungen, da der Reallohn, aufgrund der in ihm enthaltenen Entwicklungen auf den Gütermärkten nicht „wählbar“ sei. In Deutschland sei die nominale Kostenbelastung der Unternehmen durch Lohnabschlüsse nur in den 70’er Jahren höher gewesen als in den USA und Großbritannien. Würde zudem bei statistischer Betrachtung des Anstiegs des Reallohns das Jahr 1980 als Grundlage gewählt, so sei dieser in beiden Länder weitaus stärker als in Deutschland gestiegen. Der Erfolg des niederländischen Poldermodells wird mit der realen Abwertung der Währung durch die Kopplung an die D-Mark erklärt. Durch die mit der dortigen Lohnzurückhaltung erzielten Lohnstückkostensenkung waren niederländische Unternehmen auf Drittmärkten weitaus konkurrenzfähiger. Diese Abwertungseffekte seien aber auf große Volkswirtschaften wie Deutschland nicht übertragbar.

Die neoklassische Argumentation, zu hohe Lohn- und Lohnnebenkosten würden in Deutschland höhere Beschäftigung verhindern wird daher abgelehnt. Lohnpolitik beeinflusst in dieser Sichtweise eher die Inflationsrate über die Lohnstückkosten, also kann über sie kein Abbau der Arbeitslosigkeit erfolgen. Die Verantwortung für den Abbau der Arbeitslosigkeit liegt dann eher bei der Geldpolitik, was das Beispiel der USA belege. Anzusterben sei eine produktivitätsorientierte Lohnentwicklung unter Berücksichtigung der Zielinflationsrate, was sicherstelle, dass es keinen Nachfrageeinbruch gebe. Die dahinterstehende, keynesianisch inspirierte Logik lautet: „Wenn der positive Beschäftigungseffekt der Lohnzurückhaltung nicht sofort eintritt, ist der Nachfrageausfall unvermeidlich“23

3.3.3 Nachfrageorientierte Schlussfolgerungen für die Diskussion

In dieser Sicht werden die Ursachen der bestehenden Arbeitslosigkeit anders gedeutet. Es sei zwar richtig, dass bei Lohnzuwächsen weit über dem Produktivitätszuwachs eine Arbeitslosigkeit das Resultat sei, die wiederum nur mit Lohnzurückhaltung zu bekämpfen sei. Die aktuelle Arbeitslosigkeit wird aber vielmehr als Resultat weltweiter Nachfrageeinbrüche, geldpolitischer Bremsmanöver und überschießender Aufwertungen interpretiert. Hier greift Lohnzurückhaltung als beschäftigungspolitisches Instrument nicht. Vielmehr versperrt sie dann durch negative Nachfrageeffekte die Möglichkeit des Abbaus der Arbeitslosigkeit. Entsprechend der keynesianischen Theorie soll Lohnpolitik unternehmerischer Unsicherheit entgegenwirken und von anderen Politikbereichen zu stiftende „positive gesamtwirtschaftliche Schocks die Bedingungen für die Unternehmen grundlegend verbessern.“24 Nur die dann gesicherten gleichzeitigen Investitionen von Unternehmerseite in Kapital und Arbeit schaffen Beschäftigung.

Zusammenfassend wird also die neoklassische Verengung der Verantwortung für Beschäftigungszuwachs auf die Lohnpolitik abgelehnt und die Restriktionen der Geldpolitik (auf Geldwertstabilität) und Haushaltspolitik (auf Defizitverminderung) abgelehnt. Abbau von Arbeitslosigkeit kann also nur durch eine Umstellung auf eine „Makroökonomische Politik“ gelingen, welche die obigen Politiken im Sinne keynesianischer Globalsteuerung integriert.25

4. Der korporatistische Lösungsansatz im „Bündnis für Arbeit“

Es scheint offensichtlich, dass die oben beschriebenen Standpunkte nur schwer miteinander vereinbar sind. Noch schwerer war es in den letzten Jahren, konkrete politische Maßnahmen auf sie zu gründen. Dies liegt im institutionellem Rahmen der Lohnfindung begründet: den autonomen Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Die SPD-geführte Bundesregierung bemüht sich nun seit Amtsantritt in einem „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ die Politikkonzepte der Teilnehmer zu integrieren. Teilnehmer sind die Spitzen von Regierung, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Die Ausgestaltung der Lohn- und Tarifpolitik nimmt darin einen zentralen Stellenwert ein. Es geht konkret um „Rahmenbedingungen für künftige Tarifauseinandersetzungen.“26

Es liegt nahe, das Bündnis im Rahmen der Korporatismustheorie als die „Beteiligung von gesellschaftlichen Verbänden an staatlicher Politik“ zu deuten, wenngleich diese Einordnung von Regierungsseite abgelehnt wird. Dennoch deckt sich der Politikansatz mit dem Kriterium der „institutionalisierten und gleichberechtigten Einbindung von Verbänden sowohl in die Formulierung der Politik als auch deren Ausführung.“27 Dies gilt umso mehr, als dass das Bündnis die Tarifverhandlungen berührt, auf die die Regierung keinen Einfluss hat.

Die Anknüpfungspunkte dieses Politikansatzes liegen zum einen im Ausland (insbesondere beim niederländischen Poldermodell), aber auch bei der keynesianischen Konzertierten Aktion Karl Schillers in den 70’er Jahren.28 Dies bedeutet allerdings nicht, dass damit keynesianische Vorstellungen von Makroökonomischer Globalsteuerung eine Renaissance erleben. Vielmehr ist die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, nach der Remission Oskar Lafontaines in ihrer Haushalts- und Fiskalpolitik angebotspolitisch orientiert, während zugleich der Vertrag über die Europäische Union der Europäischen Zentralbank eine klare Orientierung auf die Geldwertstabilität hin vorschreibt. Es scheint klar, dass sich die gewerkschaftlichen Auffassungen damit von vorneherein in der Defensive befanden und Knackpunkt der Verhandlungen die Zugeständnisse der Arbeitgeberseite für

Lohnzurückhaltung sein würden. Zudem besitzt das Bündnis aus nachfrageorientierter Sicht ohnehin kein ausreichendes Instrumentarium um einen „spürbaren Impuls“ zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu setzten.29 Wirklich konkrete Ergebnisse erbrachte erst das 5. Spitzengespräch vom 9. Januar 2000. Hier wurde vereinbart auf eine „beschäftigungsorientierte und längerfristige Tarifpolitik“ hinzuwirken.; eine zunächst ungenaue Wortwahl, die mit beiden Positionen vereinbar schien. Allerdings sollte im Rahmen dieser Lohnpolitik „der sich am Produktivitätszuwachs orientierende, zur Verfügung stehende Verteilungsspielraum vorrangig für beschäftigungswirksame Vereinbarungen genutzt“ werden.30 Diese Aussage scheint sich am neoklassischen Vorschlag zu orientieren, nach dem zusätzliche Beschäftigung erst durch Lohnanstieg unterhalb des Anstiegs der Arbeitsproduktivität ermöglicht wird. Wenngleich es im Nachfeld des Spitzengesprächs noch Kontroversen um die genaue Auslegung dieser Aussage gab, stützt das Ergebnis der Lohnrunde 2000/2001 diese Interpretation. Ähnlich interpretiert auch, wie oben erläutert, der SVR diese Lohnrunde. Gewissermaßen als Ausgleich für die Gewerkschaften wurde das Ziel der Frühverrentung langjährig Versicherter festgeschrieben. Sie stellt ein gewerkschaftliches Konzept zur Senkung der Arbeitslosigkeit dar, soll hier aber wegen der relativen Bedeutungslosigkeit für die Lohnpolitik nicht weiter diskutiert werden.

5. Fazit

Ist durch die politische Weichenstellung des 5. Spitzengesprächs eine Entscheidung über die weitere Lohnpolitik in der Bundesrepublik getroffen worden? Davon wird keine Rede sein können. Zu stark sind die Vorbehalte der gewerkschaftlichen Seite gegen den neoklassischen Ansatz der Lohnzurückhaltung und zu stark und zu autonom sind die Gewerkschaften in ihrer Verhandlungsposition, ohne moderierende Einflüsse des Bündnisses. Ohne die Einbindung in das Bündnis für Arbeit hätte es die zurückhaltende Lohnrunde wahrscheinlich nicht gegeben.

Nun besteht eine Situation, in der sich zwei unterschiedliche Ansätze eventuelle Beschäftigungssteigerungen zugute halte könnten: Die bestehende Beschäftigung umverteilende Frühverrentung und die neue Beschäftigung schaffende Lohnzurückhaltung. So lauten jedenfalls die Konzepte.

In der Konsequenz werden bei stagnierender Beschäftigung beide Seiten schlüssige Argumente haben, die analog zu ihren oben erläuterten Positionen ein Scheitern erklären werden. Die Arbeitgeberseite wird die gesetzlichen „Überregulierungen“ des Arbeitsmarktes für die andauernde Arbeitslosigkeit verantwortlich machen und die Gewerkschaften werden das Vorhandensein einer „beschäftigungshemmenden“ Fiskal- und Geldpolitik beklagen.

Diese Arbeit hat gezeigt, dass Lohnpolitik alleine nicht als Motor für den Abbau der Arbeitslosigkeit dienen kann. Nach nachfrageorientierten Ansätzen ist die Lohnhöhe bei einem generell negativen Wirtschaftsklima fast irrelevant; die Verantwortung liegt dann bei Fiskal- und Geldpolitik. Aber auch in neoklassischen Erklärungsmustern ist Lohnzurückhaltung nur ein Bestandteil einer Strategie, die Deregulierung des Arbeitsmarktes, Umbau von Sozialsystemen und Flexibilisierung von Arbeitszeiten vorsieht. Zur Durchsetzung solch umfassender Strategien fehlt jedoch die Basis. Weder in pluralistisch gedachten Konfliktmodellen, noch in konsensorientierten, korporatistischen Vermittlungsansätzen scheinen solche massiven Umorientierungen aushandelbar. Aus einer ökonomischer Sicht bleiben Ergebnisse, wie die des Bündnisses für Arbeit stets mit dem Makel der Unvollständigkeit behaftet. Somit wird der ökonomische Glaubensstreit, entsprechend des jeweiligen theoretischen Credos und der politischen Klientel der Teilnehmer mit den Maximalforderungen weitergehen. Jede positive Entwicklung des Beschäftigungsstandes wird von den gesellschaftlichen Akteuren jeweils mit den eigenen Ansätzen begründet werden, wobei die gemachten Zugeständnisse ein besseres Ergebnis behinderten.31 Sicher ist nur das Andauern der Debatte.

6. Literaturverzeichnis

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Vollbeschäftigung und eine starke

Sozialverfassung - Alternativen für eine neue Ökonomie in Europa, Bremen, Januar 2001

BDI / BDA, Zusammenfassung und erste Bewertung des Jahresgutachtens

2000/20001 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Berlin, November 2000

Czada, Roland, Korporatismus/Neokorporatismus, in: Nohlen, Dieter, Wörterbuch Staat und Politik, München, 1991

Felderer, Bernhard / Homburg, Stefan, Makroökonomik und neue Makroökonomik, 6. Auflage, Berlin, Heidelberg, New York, 1994

Flassbeck, Heiner, Lohnzurückhaltung für mehr Beschäftigung? Über eine zentrale Inkonsistenz im jüngsten SVR-Gutachten, in: Wirtschaftsdienst Heft 2/2000

Flassbeck, Heiner / Spieker, Friederike, Löhne und Arbeitslosigkeit im internationalen Vergleich, Berlin, 2000

Funk, Lothar, Personelle Einkommensverteilung, Arbeitsproduktivität und Beschäftigung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 14-15/99

Ganßmann / Haas, Lohn und Beschäftigung. Zum Zusammenhang von Lohn, Lohnabstandsgebot und Arbeitslosigkeit, Marburg, 1996

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Das Bündnis: Zwischenergebnisse, Berlin, Juni 2000

Rothschild, Kurt W., Theorien der Arbeitslosigkeit, München, Wien, 1988

Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2000/2001, Wiesbaden, November 2000

Schäfer, Claus, Niedrige Löhne - bessere Welten?, in: WSI Mitteilungen Heft 8/2000, S. 534 - 551

Steinmeier, Franz-Walter, Konsens und Konflikt gehören eng zusammen, in: Süddeutsche Zeitung vom 4. 12. 1999

Teichmann, Ulrich, Wirtschaftspolitik. Eine Einführung in die demokratische und die instrumentelle Wirtschaftspolitik, 4. aktualisierte und erweiterte Auflage, München, 1993

[...]


1 Rothschild, Kurt W., Theorien der Arbeitslosigkeit, München, Wien, 1988; im Folgenden abgekürzt: Rothschild, 1988; S. 6

2 Felderer, B., Homburg, S., Makroökonomik und neue Makroökonomik, 6. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York, 1994; im Folgenden abgekürzt: Felderer/Homburg, 1994; S. 71

3 Ganßmann, H./Haas, M., Lohn und Beschäftigung. Zum Zusammenhang von Lohn, Lohnabstandsgebot und Arbeitslosigkeit, Marburg 1996; im Folgenden abgekürzt: Ganßmann/Haas, 1996; S. 11

4 Für das Folgende: Rothschild, 1988, S. 36 - 57

5 Für das Folgende: Ganßmann/Haas, 1996; S. 18 - 22

6 Teichmann, U., Wirtschaftspolitik. Eine Einführung in die demokratische und die instrumentelle Wirtschaftspolitik, 4. aktualisierte und erweiterte Auflage, München, 1993; S. 300

7 Für das Folgende: Rothschild, 1988; S. 59 - 84; Zitat: S. 59

8 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2000/2001, Wiesbaden, November 2000

9 ebd., Ziffern 412, 413

10 ebd., Ziffern 416 - 423

11 ebd., Ziffern 424 - 428

12 ebd., Ziffer 435

13 Für das Folgende: BDI / BDA, Zusammenfassung und erste Bewertung des Jahresgutachtens 2000/20001 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Berlin, November 2000

14 Für das Folgende: Funk, Lothar, Personelle Einkommensverteilung, Arbeitsproduktivität und Beschäftigung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 14-15/99; S. 14 - 23

15 ebd., S. 19

16 ebd.; S. 23

17 Man erinnere sich auch an die heftigen Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Konzepte Oskar Lafontaines als Finanzminister.

18 Für das Folgende: Schäfer, Claus, Niedrige Löhne - bessere Welten?, in: WSI Mitteilungen Heft 8/2000, S. 534 - 551; Zitat: S. 534

19 ebd.

20 ebd., S. 542

21 ebd., S. 544

22 Für das Folgende: Flassbeck, Heiner / Spieker, Friederike, Löhne und Arbeitslosigkeit im internationalen Vergleich, Berlin, 2000

23 Flassbeck, Heiner, Lohnzurückhaltung für mehr Beschäftigung? Über eine zentrale Inkonsistenz im jüngsten SVR-Gutachten, in: Wirtschaftsdienst Heft 2/2000; im Folgenden abgekürzt: Flassbeck, Lohnzurückhaltung; S. 84

24 ebd., S. 89

25 Für einen solchen, europäisch orientierten Ansatz vgl.: Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Vollbeschäftigung und eine starke Sozialverfassung - Alternativen für eine neue Ökonomie in Europa, Bremen, Januar 2001

26 Steinmeier, Franz-Walter, Konsens und Konflikt gehören eng zusammen, in: Süddeutsche Zeitung vom 4. 12. 1999; im Folgenden abgekürzt: Steinmeier, 1999

27 Czada, Roland, Korporatismus/Neokorporatismus, in: Nohlen, Dieter, Wörterbuch Staat und Politik, München, 1991; S. 326; vgl. Steinmeier, 1999

28 Schröder, G., Das Bündnis als Fokus unserer Politik der neuen Mitte, zitiert nach: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Das Bündnis: Zwischenergebnisse, Berlin, Juni 2000; S. 4 - 9

29 Flassbeck, Lohnzurückhaltung; S. 89

30 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Das Bündnis: Zwischenergebnisse, Berlin, Juni 2000; S. 33

31 Bei einer negativen Entwicklung des Beschäftigungsstandes verdrehe man einfach die Argumente

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Zur aktuellen Diskussion um Lohnpolitik und Beschäftigung
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Veranstaltung
Hauptseminar Sozialökonomik
Note
2+
Autor
Jahr
2001
Seiten
20
Katalognummer
V101651
ISBN (eBook)
9783640000647
Dateigröße
386 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Diskussion, Lohnpolitik, Beschäftigung, Hauptseminar, Sozialökonomik
Arbeit zitieren
Alexander Mühl (Autor:in), 2001, Zur aktuellen Diskussion um Lohnpolitik und Beschäftigung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101651

Kommentare

  • Gast am 1.2.2003

    gut.

    lesenswert, gute einführung in das themna

Blick ins Buch
Titel: Zur aktuellen Diskussion um Lohnpolitik und Beschäftigung



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