Pflegediagnosen - sinnvolle Ergänzung des Pflegeprozesses oder Etikettierung des Patienten?


Hausarbeit, 2001

22 Seiten


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Pflegediagnosen
2.1. Was sind Pflegediagnosen wie sind sie entstanden?
2.2. Wie werden Pflegediagnosen angewandt?
2.3. Was macht Pflegediagnosen so attraktiv?
2.4. Die Kritik an den Pflegediagnosen
2.4.1. Die Autorität innerhalb der Disziplin
2.4.2. Einfluss der Struktur der Pflegediagnosen auf das pflegerische Handeln
2.4.3. Die Dominanz
2.4.4. Die Widerstände der Pflegenden
2.4.5. Die Etikettierung

3. Weitere Klassifikationssysteme

4. Diskussionsergebnisse verschiedener Autoren

5. Fazit

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1. Einleitung

In der hier vorliegenden Arbeit wird, neben der Begriffsklärung, berichtet, was Pflegediagnosen sind, über ihre Entstehungsgeschichte in den USA sowie ihre Anwendung anhand der NANDA1 -Klassifikation2, beschrieben von Doenges und Moorhouse. Nach der Beschreibung, was Pflegediagnosen so attraktiv macht, werden die Kritikpunkte dargestellt, die von verschiedenen Autoren herausgearbeitet wurden. Von der Kritik an der Defizitorientierung der NANDA-Pflegediagnosen über das Ausblenden intuitiver Entscheidungen durch die Vorgehensweise bis hin zum verkürzten zweckrationalen Handeln bedingt durch die Standardisierung. Die Autorität innerhalb der Disziplin wird angesprochen, der Einfluss der Struktur der Pflegediagnosen auf das pflegerische Handeln ergründet und die verschiedenen Formen der Dominanz dieses Diskurses dargestellt, von den Widerständen der Pflegenden berichtet und ein Beispiel zur Etikettierung3 dargelegt.

Im 3. Kapitel wird vorgestellt, wer die ACENDIO4 und was die ICNP5 ist und vom Projekt TELENURSE einschließlich den ersten Erfahrungen mit der ICNP berichtet. In den Diskussionsergebnissen verschiedener Autoren wird zum einen der Wissenschaftsbezug mit dem hermeneutischen Fallverstehen als Lösung von Friesacher beschrieben und zum anderen nochmals kurz die Schlussfolgerungen von Powers dargestellt, welche jedoch keine Alternative enthalten.

Im Fazit werden die Vor- und Nachteile der Pflegediagnosen kurz zusammengefasst und meine eigenen Schlussfolgerungen gezogen, welche schließlich mit der Fragestellung in der hier vorliegenden Arbeit verknüpft werden.

2. Pflegediagnosen

Pflegediagnosen sind empirische Begriffe. Ein Begriff kann durch mehrere Wörter definiert werden, aber nicht nur durch ein festgelegtes. Ein Begriff kann also ein Synonyma6 oder eine Übersetzung sein.7 Wichtig sind deren Präzisionen für die Mitglieder der jeweiligen Gemeinschaft und die Beschaffenheit ihrer Regeln zur Handhabung.8 Sie schaffen Gewinnung von Wissen und Ordnung des jeweiligen Gegenstandes und dessen unmittelbaren Bereich.9

Die Diagnose kommt aus dem griechischen. Man versteht darunter die Erkennung, Bestimmung10, Feststellung oder das Ergebnis einer Untersuchung.

Im Medizinischen bedeutet es Erkennung einer Krankheit anhand des Krankheitsbildes/ der Krankheitssymptome. Im Biologischen bedeutet es die Bestimmung/Beschreibung einer Pflanze oder einer Tierart anhand ihrer Merkmale. (Vgl. Microsoft Encarta Enzyklopädie, 1993-1998, Wörterbuch)

Unter Pflege versteht man die Tätigkeit, sich um die Gesundheit o.ä. von jemanden zu kümmern, damit etwas in einem guten Zustand bleibt, gefördert oder erhalten wird. (Vgl. Microsoft Encarta Enzyklopädie, 1993-1998, Wörterbuch)

Sie ist eine "... soziale Dienstleistung von Menschen für Menschen"11 und wird als das "...Erkennen und Behandeln von menschlichen Reaktionen auf bestehende und potentielle Gesundheitsprobleme."12 verstanden.

2.1. Was sind Pflegediagnosen - wie sind sie entstanden?

Als die US-amerikanischen Pflegekräfte aus dem 2. Weltkrieg zurückkehrten, hatten sie, in Kooperation mit den Ärzten, Fähigkeiten erworben, die über ihre vorherigen Tätigkeiten hinausgingen. Als sie dann wieder in ihrem Beruf tätig wurden, waren sie zum einen mit der Dominanz der Ärzte konfrontiert und zum anderen unter dem gesellschaftlichen Druck, in "die traditionell weiblichen Rollen zurückzukehren", um den heimkommenden männlichen Soldaten "Platz zu machen". Somit entstand der Wunsch der Pflegenden, ihre Stellung und Aufgaben neu zu definieren.13

Viele Pflegekräfte wollten sich fortbilden; der "medizinische und ... naturwissenschaftliche Diskurs ... erschienen für die Pflege erstrebenswert... "; durch ihn erreichte man "Werte, Macht und Status". "Mit diesen Diskursen als Vorbilder und mit der Zielsetzung, den Status der Professionalität zu erreichen, wurde die Pflegediagnostik entwickelt." Sie ist ein Versuch, innerhalb der Institution einen eigenen Bereich für die Pflege aufzubauen und zu kontrollieren, welcher sich von den anderen Berufsgruppen abgrenzen soll. (Vgl. Powers, 1999: 42)

In den 50er Jahren wurde in den USA der Pflegeprozess eingeführt. Die Pflegenden entwickelten sich vom ärztlichen Assistenzpersonal zu eigenständigen Pflegekräften.14 Man benannte die ersten Pflegeprobleme und Pflegeziele wurden entwickelt.15 Der Begriff 'Pflegediagnose' wurde 1953 zum ersten Mal von Virginia Frey in der Fachliteratur der USA verwendet.16

Anfang der 70er Jahre schloss sich eine Gruppe von Expertinnen zusammen und ermittelte die häufigsten Pflegeprobleme der Praxis. Hieraus entstand die NANDA, deren erste Konferenz 1973 zum Zwecke des Erfahrungsaustausches statt fand. Seitdem werden in regelmäßigen Abständen Nanda-Konferenzen abgehalten, deren Berichte dann in Buchform herausgegeben werden. (Vgl. Doenges/Moorhouse, 1994:5)

Die NANDA entwickelte folgende Definition:

"Eine Pflegediagnose ist die klinische Beurteilung der Reaktionen von Einzelpersonen, Familien oder sozialen Gemeinschaften auf aktuelle oder potentielle Probleme der Gesundheit oder im Lebensprozess."

(Zitiert nach Doenges/Moorhouse, 1994:11)

Mit den Pflegediagnosen entsteht ein verbindlicher Fachwortschatz und eine internationale Klassifikation. Ziel der NANDA ist, durch sie eine exaktere Darstellung von Wissen und Können der Pflegenden zu erreichen, eine EDV-gerechte Sprache zur Statistik und Forschung verwenden zu können und die Pflegenden bei der Dokumentation des Pflegeprozesses zu unterstützen.

Die Pflegediagnosen gehen von den "Leidenszuständen" der Patienten aus, die dann durch den Pflegeprozess behandelt werden. Die NANDA lehnt sich hierbei an die Definition der ANA17 an, welche Pflege als Erkennen und Behandeln menschlicher Reaktionen auf bestehende und potentielle Gesundheitsprobleme versteht.

Die NANDA-Klassifikation ist ein immer fortwährender Forschungsprozess, der ständig aktualisiert und international weiterentwickelt wird. (Vgl. Doenges/Moorhouse, 1994:5-6)

2.2. Wie werden Pflegediagnosen angewandt?

Es gibt in der Literatur u.a. zwei führende Handbücher in mehrfachen Auflagen.

1. "Pflegediagnosen und Maßnahmen" (Doenges/Moorhouse, 1994)
2. "Pflegediagnosen" (Gordon, 1994)

Das erste beschränkt sich auf die NANDA-Pflegediagnosen das zweite bezieht zusätzlich noch andere mit ein. Bei beiden sind die Diagnosen nach unterschiedlichen Verhaltensmustern gegliedert. Um den Aufbau der Pflegediagnosen zu erläutern, beziehe ich mich hier auf die beschriebenen der NANDA aus Doenges und Moorhouse (1994).

Die Nanda-Pflegediagnosen orientieren sich zum größten Teil an den Defiziten der Patienten. Einige von ihnen entsprechen sogar medizinischen Diagnosen. Dies wird damit begründet, dass Medizin und Pflege zueinander in Beziehung stehen, ein Informationsaustausch notwendig ist sowie gemeinsame Planung und Handeln, bei welchem die Pflegenden große Mitverantwortung tragen. Pflegediagnosen sind nach der "Maslowschen Hierarchie der Bedürfnisse (physisch, psychisch, geistig)" geordnet, um Anamnese und Diagnosestellung zu erleichtern.18

Zu jeder Pflegediagnose gehören:

- "mögliche Faktoren", welche die Ursachen aufzeigen, die zu dieser Diagnose führen können.
- "Merkmale, als subjektiv oder objektiv deklariert". Sie geben Informationen, um danach die Maßnahmen zu bestimmen. Subjektive Merkmale sind die vom Patienten angegebenen und objektive sind die, die von der Pflegenden beobachtet werden.
- "patientenbezogene Pflegeziele und ... Kriterien zur Evaluation".19 Hiermit können die Pflegenden die "individuellen Pflegeziele" formulieren.
- "die Maßnahmen" sind dann die Mittel, um die Pflegediagnose zu bearbeiten. Sie sind nach "Pflegeprioritäten" gegliedert: Erst werden die möglichen Faktoren ermittelt und die "aktuelle Situation eingeschätzt", dann erfolgen Maßnahmen zu Linderung, Verminderung und Korrektur und am Schluss die Förderung des "Wohlbefindens". (Vgl. Doenges/Moorhouse, 1994:13-15)

2.3. Was macht Pflegediagnosen so attraktiv?

Pflegediagnosen definieren das Aufgabengebiet der Pflege, dienen zur Erfassung von Pflegeproblemen und geben den Pflegenden die Möglichkeit, die Pflegemaßnahmen zu bestimmen und zu begründen. Sie beziehen sich auf die Situationen der Pflegeanamnese, auf die Maßnahmen und deren entsprechende Ergebnisse.20 Sie stellen typische Symptome eines Zustandes dar, wonach die richtige Behandlung gefunden werden kann. (Vgl. Höhmann, 1995: 10 )

Mit ihrem Aufbau, der bis ins kleinste Detail geht, sind sie sehr genau und ermöglichen eine "normierte Beschreibung von einzelnen Gesundheitszuständen." Sie bilden eine Grundlage für eine computergerechte Pflegedokumentation und eine Basis zur Leistungsabrechnung bei den Kostenträgern. Des weiteren finden sie Anwendung als Instrument in der Pflegeforschung, zur Führung von Statistiken und zur transparenten Darstellung der Pflege. Ihre Systematik läuft wie ein roter Faden durch den Pflegeprozess, da sie nicht nur die Merkmale des Patienten beschreibt, sondern auch die Pflegemaßnahmen begründet. Die Pflegeplanung wird dadurch strukturiert und es können Inhalte der Erfolgskontrolle festgelegt werden; Maßnahmen werden überdacht und neu angepasst. (Vgl. Höhmann, 1995:13-14)

2.4. Die Kritik an den Pflegediagnosen

In der Pflege fehlt es an einer einheitlichen internationale Fachsprache. Sie ist größtenteils immer noch unsichtbar und hat deswegen nur geringen Einfluss auf gesundheits- und sozialpolitische Entscheidungen. Es gibt große Mängel, d.h. es fehlen objektiven vergleichbaren Daten, universellen Kategorien, pflegebezogenen Datenbanken zur Grundlage von Forschung, Management, Lehre und Praxis. Entwicklungen, wie wachsende Informationstechnologien, Kosteneinsparung im Gesundheitswesen und der Druck der Qualitätssicherung scheinen gute Argumente für Diagnosen- und Klassifikationssysteme zu sein.21

Doch es gibt einige Autoren, die das Konzept der Pflegediagnosen anfechten, kritisch betrachte n und deren Schwachstellen sowie Probleme herausarbeiten.

Steppe (1995:55)22 ist der Meinung, dass in die wissenschaftstheoretische Einordnung viel mehr an Anspruch und Bedeutung „hineingepackt“ wird, als es diese Ebene der Theoriebildung eigentlich erlaubt. Sie begründet das mit der Gleichsetzung von individuellen und gesellschaftlichen Symptomen und Problemen und der Feststellung, dass die Verantwortlichkeit der Pflegenden, in die Situation des Patienten zu intervenieren, aus der Pflegediagnose heraus resultiert. Außerdem kann es sie nur in Bereichen geben, wo die Pflegenden auch die Verantwortung für die Entscheidungen, Planungen, Durchführungen und Evaluationen haben. Sie sollen sich auf den Patienten konzentrieren. Der Bezug innerhalb der Pflegediagnose auf Familien, Gruppen und die Gesellschaft ist „zu hoch gesteckt“, da Phänomene dieser Ebene sich nicht für die Pflege monopolisieren lassen. Außerdem bemerkt sie, dass Pflegediagnosen auf psychosozialer Ebene sich schwierig feststellen lassen, da empirisch abgesicherte Befunde hier fast nicht zu erhalten sind. Pflegediagnosen geben nur einen kleinen Ausschnitt einer "komplexen Pflegesituation" wieder. Sie sagen nichts über die philosophische Grundhaltung oder das Beziehungsgeflecht aus und können nicht die personelle und hermeneutische23 Kompetenz der professionell Pflegenden ersetzen.

Ein weiteres Problem ist die starke analytische Zergliederung der mit Hilfe von Pflegediagnosen zu beurteilenden Phänomene. Im Anamnesegespräch werden die zentralen Bereiche der neun- oder elfgliederigen Typologie24 abgefragt." Hieraus entsteht dann eine Zergliederung der Informationen in Einzelzustände. Die Diagnosen setzen lediglich ihre Prioritäten und man gewinnt durch sie allein kein ganzheitliches Bild des Patienten. (Vgl. Höhmann, 1995: 16-17)

Die Orientierung der NANDA-Pflegediagnosen an den Defiziten der Patienten wird von Pape (1996) kritisiert und Field (1987, in Schröeck/Drerup 1997) sieht eine Schwierigkeit in der gängigen Taxonomie, dass die individuellen Stärken und Ressourcen der Patienten zuwenig berücksichtigt werden. Henderson (1982) kritisiert, an der Vorgehensweise der Pflegediagnosen, das 'In-den-Hintergrund-stellen' der Entscheidungen einer Pflegekraft, die aus Intuition, der Erfahrung und dem Wissen heraus kommen. Habermas (1981) bemerkt, dass durch eine Standardisierung der Pflege das pflegerische Handeln zu „zweckrationalem Handeln“ verkürzt wird woraus dann eine „Instrumentalisierung“ pflegerischen Handelns resultiert und ein auf „Verständigung“ angelegtes kommunikatives Handeln verdrängt wird. (Zitiert nach Friesacher, 1999: 31)

2.4.1. Die Autorität innerhalb der Disziplin

Die festgelegte Klassifikation scheint, obwohl sie eigentlich ein Forschungsprozess sein soll, der sich weiterentwickelt, einen "Grad an Autorität innerhalb der Disziplin " bekommen zu haben, der in gewisser Weise "immun" gegenüber Kritik ist. Jenny (1987) beispielsweise wies darauf hin, dass "Wissensdefizit" keine menschliche Reaktion oder Pflegediagnose sei. Dennison und Keeling (1989) forderten, wie auch noch andere, die Streichung dieser Pflegdiagnose. Keeling et al (1993) forderten eine Verwerfung der Pflegediagnose "fehlende Kooperationsbereitschaft", da sie mit der Pflege ethisch, historisch und philosophisch nicht zu vereinbaren sei; ihre Nützlichkeit wäre im praktischen Bereich der Pflege zweifelhaft und sie sei von Natur aus abwertend. Doch es wurde weiterhin an diesen Diagnosen festgehalten, obwohl nachgewiesen ist, dass sie nicht den Zulassungskriterien der NANDA entsprechen. (Vgl. Powers, 1999: 43-44)

Hier wäre es wünschenswert, dass berechtigte Einsprüche Einfluss nehmen und einen Veränderungsprozess in Gang setzen.

2.4.2. Einfluss der Struktur der Pflegediagnosen auf das pflegerische Handeln

Das Verhalten der Pflegekraft ist durch die Anwendung der Pflegediagnosen vorbestimmt. Maßnahmen zur Beurteilung und die Zusammenstellung der Diagnosen sind festgeschrieben, ebenso auch die Maßnahmen, mit denen die Pflegediagnosen bearbeitet werden. Der Zustand des Patienten wird mit der genormten Vorstellung verglichen und Abweichungen werden festgestellt.25 Das Verhalten der Pflegenden wird "standardisiert" und zum eigenständigen Diagnostizieren wird nicht ermutigt.

Die "Normalisierung" ist der Wert von Macht und Wissen. "Die Machtrelationen, die dem Prozess der Normalisierung innewohnen, werden nicht dadurch geändert, daß der Patient an der Zielsetzung oder Planung der Pflege teilhat, weil Diagnose, Eingriffe und Resultate bereits vorgegeben sind. Damit sind die verfügbaren Sprecherpositionen stark eingeschränkt. Patienten und Pflegekräfte haben nur die Illusion einer Wahlmöglichkeit innerhalb der gegenwärtigen Machtrelationen." (Powers, 1999: 44-45)

2.4.3. Die Dominanz

Mit dem Diskurs der Pflegediagnosen entstehen "Machtungleichgewichte", die sich auf Kosten der Pflege verfestigen. (Vgl. Powers, 1999: 40)

Durch ihn bekommen die Pflegenden eine "Dominanzüber den Patienten". Sie werden zu Autoritäten, die vermitteln, was sozial notwendig ist und nicht, was der Patient will.26 Sie haben die Aufgabe, den gegenwärtigen Zustand der Machtrelationen zu kontrollieren und zu erhalten.27 Ein Beispiel hierfür ist, dem Patienten die Anpassung an die Umstände zu erleichtern, ohne darüber nachzudenken, ob man nicht die Umstände ändern könnte. „Die Dominanz über den Patienten wird durch die auf Kontrolle basierende Sprache der Wissenschaft gesichert." Durch den "biomedizinischen Ansatz" der Definition der Pflegediagnose, werden beim Patienten Defizite aufgedeckt, welche durch eine Norm bestimmt sind, die der Patient nicht erfüllt. (Vgl. Powers, 1999: 50)

Pflegediagnosen unterstützen die "Dominanz durch Rasse und Kultur". Geissler (1992) belegt diese These durch eine Untersuchung der Angemessenheit (bzw. Unangemessenheit) der folgenden drei Pflegediagnosen:

1. „Beeinträchtigte sprachliche Kommunikation auf Grund kultureller Unterschiede“
2. „Beeinträchtigte soziale Interaktion auf Grund fehlender soziokultureller Übereinstimmung“
3. „Fehlende Kooperation auf Grund des Wertesystems des Patienten“

Bei der Übersetzung der Pflegediagnosen zur Anwendendung in Brasilien stellte Coler (1991)28 fest, dass die auftretenden Probleme durch kulturell bedingte Unterschiede entstanden sind. Somit muss laut Leininger (1990: 24) das gesamte Klassifikationssystem neu auf "transkulturell relevante“, sinnvolle und nützliche Perspektiven ausgerichtet werden. (Vgl. Powers, 1999: 50-51)

"Die Dominanzüber Frauen" durch die Anwendung von Pflegediagnosen wird wie folgt dargestellt.

Wissenschaftlich wurde belegt, dass Patientinnen öfter als "manipulativ oder deprimiert" diagnostiziert werden als die männlichen.29 Somit entsteht dann ein „Risikofaktor“ für Depressionen bei Frauen, der, aufgrund dessen, dass die Patientin weiblich ist, von der Pflegenden diagnostiziert und behandelt werden kann , welches dann Veränderungen bei der Patientin zur Folge hätte. (Vgl. Powers, 1999: 50)30 Durch die Forschung ist bestätigt, dass Frauen durch die Diagnosen in einer Konstellation kategorisiert werden, die aus genormten, mit Werten beladenen Vorstellungen besteht. "Frauen, an denen von einer Pflegekraft 'individuell ineffektives Trauern', oder 'beeinträchtigtes Rollenverhalten' diagnostiziert wird, würden eher eine Behandlung abstreben, anstatt Kritik zu üben an einer Forschung, die solche Diagnosen hervorbringt." (Powers, 1999: 51)

2.4.4. Die Widerstände der Pflegenden

Es tauchen auch Widerstände gegen die "Unterdrückung", welche die Anwendung der Pflegediagnosen bewirkt, auf. Zum Beispiel die, dass die Dokumentation gar nicht oder nur oberflächlich erledigt wird, um sich mit dem Für und Wieder des Diskurses nicht auseinander setzen zu müssen oder es durchzuführen, „weil es ja sein muss“. Mitchell (1991, 99-102) geht davon aus, dass die Anwendung von Pflegediagnosen ein Prozess ist, der in der Pflege "menschliches Leiden" schafft. Der Zwang zur Diagnostik kann die Pflegenden in ethische Konflikte bringen und Stress, Leiden und Anspannung hervorrufen. Die „Kultur des Schweigens" ist ebenfalls eine Maßnahme des Widerstandes. Sie resultiert laut Roberts (1983) et al aus der gesellschaftlichen Geschichte der Unterdrückung der Frau. Die Pflegenden äußern hierbei keine offene Kritik an der „Herrschaft". (Vgl. Powers, 1999:53)

2.4.5. Die Etikettierung

Um die Aufmerksamkeit auf die Fragestellung der hier vorliegenden Arbeit zu lenken, wird im Folgenden auf eine Untersuchung von Rosenhan (1998)eingegangen: "Rosenhan interessierte die Frage, ob die hervorstechenden Merkmale, die zu einer Diagnose führen, in den Patienten liegen oder in der Umgebung bzw. den Zusammenhängen, in denen Beobachter sehen." (Friesacher 1999: 32) In verschiedene psychiatrische Kliniken wurden acht (gesunde) Scheinpatienten mit der Diagnose 'Schizophrenie' eingeschleust. Dabei ist folgendes herausgekommen:

- "Kein Scheinpatient wurde als gesund erkannt.
- Alle (bis auf einen) wurden mit der Diagnose 'Schizophrenie' in Remission31 entlassen.
- Eine einmalige Klassifizierung der Patienten mit der Diagnose ... führt dazu, dass dieses Etikett haften bleibt.
- Alle Verhaltensweisen und Charakterzüge wurden durch die Klassifizierung gefärbt.
- Das Bild von den Lebensumständen, die Biographie wurde durch die Diagnose geformt und verzerrt.
- Die Klassifizierung … kann dazu führen, dass der Patient sich diesem Fremdbild anpaßt und sich nach den Erwartungen und zusätzlichen Bedeutungen, die diese Diagnose mit sich bringt, verhält.
- Die hierarchische Struktur des psychiatrischen Krankenhauses begünstigt eine Entpersönlichung des Patienten.

… Die Klassifizierung haftet über die Entlassung hinaus, mit der uneingestandenen Erwartung, daß er (der Patient) sich wieder wie ein Schizophrener benehmen werde. …Schließlich akzeptiert der Patient selbst die Diagnose, mit all ihren zusätzlichen Bedeutungen und Erwartungen und verhält sich entsprechend " (Rosenhan 1998:122, zitiert nach Friesacher, 1999: 32-33)

Dieses Beispiel zeigt, dass Klassifikations- und Diagnosesysteme sehr kritisch zu betrachten sind. Die Anteile der pflegerischen und auch ärztlichen Arbeit, wie Beziehungsfähigkeit, Ahnung, Intuition, Gefühlsarbeit, werden bei der Anwendung abgewertet oder gar nicht beachtet. ( Vgl. Friesacher, 1999: 33)

3. Weitere Klassifikationssysteme

Die ACENDIO32 wurde bei der zweiten europäischen Konferenz für Pflegediagnosen in Brüssel, 1995, gegründet. Da ein kritikloses Übernehmen der NANDA- Klassifikation für den europäischen Bereich nicht sinnvoll ist33, hat sich die ACENDIO zum Ziel gesetzt, ein europäisches Klassifikationssystem zu entwickeln.

Die ICNP34 wird vom ICN (International Council of Nursing) entwickelt. 1989 wurde auf der Tagung des „Weltbundes für Krankenschwestern und Krankenpfleger“ in Seoul beschlossen, das Klassifikationssystem der Medizin (ICD) mit einer Klassifikation der Pflege zu ergänzen.35 Doch die Aufnahme der Nanda-Pflegediagnosen in die ICD-10 wurde von der WHO abgelehnt36. Nun wird intensiv an der ICNP gearbeitet. (Vgl. Friesacher,1998: 34)

Um die elektronische Dokumentation, Analyse und Präsentation der ICNP zu ermöglichen, wurde das Projekt TELENURSE, finanziert von der EU37, ins Leben gerufen. Es wird vom "Dänischen Institut für Krankenpflege und Gesundheitsforschung" geleitet, und die "Alpha-Version" wurde in elf europäische Sprachen übersetzt.38

Sie wird in mehreren europäischen Ländern getestet und ausgewertet. Das Interesse der Informatik- und Softwareindustrie ist groß; es war eine große Teilnehmerzahl auf der Konferenz in Athen zu beobachten. Die technische Entwicklung der Software scheint ein geringes Problem zu sein, im Gegensatz zur inhaltlichen Ausgestaltung eines Klassifikationssystems.39

Die ersten Erfahrungen mit der ICNP wurden auf der Konferenz in Athen ausgetauscht. Die Pflegenden sahen zwar die Notwendigkeit des Systems, beklagten jedoch die umständliche Handhabung, welche "als zu ungenau und teilweise zu umfassend dargestellt wird."40

4. Diskussionsergebnisse verschiedener Autoren

Einige Autoren haben vorgeschlagen, das Konzept der Nanda-Pflegediagnosen für den europäischen Raum zu kürzen, so dass die "juristischen und berufspolitischen Dimensionen" erst mal ausgeklammert sind.41 (Vgl. König, 1999: 23) Friesacher schlägt eine "verstehende, phänomenologisch-biographische Diagnostik" vor, die sich wie folgt darstellt:

Es geht hierbei nicht um ein fertiges Konzept, sondern um "die entwicklungsbezogene Diagnostik zum Zwecke der Förderung, Rehabilitation und Integration." Es wird "verstehende Diagnostik"42 genannt und befasst sich mit der Rekonstruktion des Krankheitsprozesses, was mit dem Patienten gemeinsam geschieht. In der Medizin, wo auch Diskussionen über das übliche diagnostische Verfahren geführt werden43, wird laut, dass ein guter Arzt neben seinen naturwissenschaftlichen Kenntnissen auch die Psychologie braucht, um den Patienten in seiner Ganzheitlichkeit behandeln zu können. Die Hermeneutik wird von Gross (1985)44 als mögliche Methode der ärztlichen Diagnostik gesehen. Erfahrung, Induktion45 und Intuition müssen fest in die Diagnostik der Medizin integriert sein.

"Ein ... professionelles Pflegerisches Handeln ist gekennzeichnet durch einen Theorie- und Wissenschaftsbezug auf der einen Seite und einem hermeneutischen Fallverstehen auf der anderen Grundlagen dafür kann ein theoretisches Verständnis von Pflege sein, in welchem die persönliche Erfahrung von Gesundheit, Krankheit und Pflegebedürftigkeit, der Kontext und die Biographie eine zentrale Rolle spielen und Pflege als verständnisorientiertes, kommunikatives Handeln verstanden wird." (Friesacher,1999: 35)

Powers kommt zu folgenden Schlussfolgerungen:

- dass der Diskurs der Pflegediagnosen von den Grundlagen gesellschaftlicher Dominanz abhängig ist ...
- dass durch die Beschränkung des Mitspracherechtes auf Fachkräfte wird die Stimme des Patienten und seiner Familie beim Diskurs der Pflegediagnosen ausgeschlossen
- dass die Diskussion um Machtausübung und Widerstand gegen Macht unterdrückt" wird, und zwar durch das Berufen auf die "Dominanz der empirisch analytischen Wissenschaft" und ihre Gleichsetzung mit "professionellem, gesellschaftlichem Status". Somit verhalten sich die Pflegenden weiterhin als eine "unterdrückte Gruppe". Eine Alternative wird in diesem Vortrag nicht vorgestellt.

5. Fazit

Als ich mich zum ersten mal mit Pflegediagnosen beschäftigte, war ich von ihnen sehr angetan und der Meinung, dass dies genau das sei, was der Pflege noch fehlt. Bei der Sichtung der zugehörigen Literatur stellte ich mir die Frage, ob Pflegediagnosen tatsächlich notwendig sind, um professionelle Pflege zu leisten. Die Grundlage dieser Arbeit bildete die Kernfrage: Versehen Pflegdiagnosen nicht, wie auch andere Diagnosesysteme, den Patienten mit einem Etikett , was ihn in seinem eigenen Handeln beeinflussen kann und ihm einen Stempel aufdrückt, den er so schnell nicht wieder los wird?

Im Folgenden wird die Zusammenfassung der Argumente dargestellt, welche für die Anwendung von Pflegediagnosen sprechen:

- Sie benennen, was Pflege ist.
- Durch ihren detaillierten Aufbau ermöglichen sie eine genaue und normierte Beschreibung von einzelnen Gesundheitszuständen.
- Sie eigenen sich zur computergerechten Pflegedokumentation.
- Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch den Pflegeprozess.
- Sie liefern vergleichbare Daten und Grundlagen für Ausbildung, Forschung, Management und Praxis.
- Mit ihnen lässt sich eine genaue Leistungsabrechnung durchführen Sie erscheinen als ein guter Schritt zur Qualitätssicherung.

Hier nun die Kritikpunkte, welche die Anwendung der Pflegediagnosen hinterfragen:

- Durch ihre gängige Taxonomie werden die individuellen Stärken und Ressourcen des Patienten zu wenig berücksichtigt.
- Durch eine Standardisierung entsteht eine Verkürzung zum zweckrationalen Handeln und damit die Verdrängung des auf Verständigung angelegten kommunikativen Handelns
- Pflegediagnosen genießen eine gewisse Immunität der Disziplin gegenüber Kritik.
- Mit den Pflegediagnosen entsteht eine mangelnde Teilhabe des Patienten an der Zielsetzung oder Planung der Pflege.
- Pflegediagnosen fördern eine Dominanz über den Patienten, über die Rasse und Kultur und über Frauen.
- Durch den Zwang zur Diagnostik geraten Pflegende in ethischen Konflikte.
- Pflegediagnosen rufen eine Unterdrückung hervor, durch die Berufung auf die Dominanz der empirisch analytischen Wissenschaft und ihre Gleichsetzung mit professionellem und gesellschaftlichen Status.
- Sie können den Patienten etikettieren, was sich auch nach dem Krankenhausaufenthalt manifestieren kann.

Ich komme somit zu folgenden Schluss:

- Durch eine gute Ausbildung, Weiter- und Fortbildung und der Anwendung der ganzheitlichen Pflege innerhalb des Pflegeprozesses ist definiert, was Pflege ist.
- Durch die Anwendung von Pflegestandards ist eine normierte Pflege zu leisten.
- Auch in einem Computeranwendungsprogramm lässt sich eine normale Pflegeplanung und ein Bericht darüber, wie es dem Patienten geht, erstellen.
- vergleichbare Daten lassen sich auch über Pflegestandards kreieren.

Ist die Qualität der Pflege tatsächlich von einer Taxonomie abhängig?

Soll die Pflege die gesamten negativen (siehe o.g. Kritikpunkte) Auswirkungen der Pflegediagnosen auf sich nehmen, obwohl die Probleme auch anders zu bewältigen sind?

Die Kostenabrechnung bei den Leistungsträgern ist durch ein Abrechnungssystem, welches mit Pflegediagnosen unterstützt wird, sehr einfach und präzise. So kann auch definiert werden, was Pflegeleistungen kosten. Sie sind dann nicht nur selbstverständlich Tätigkeiten neben den abzurechnenden Kosten wie Fallpauschalen für einzelne Operationen, oder Kostenpauschalen für einen Tagesaufenthalt im Krankenhaus.

Ein hermeneutisches Fallverstehen in der Pflege anzuwenden erscheint sinnvoll. Doch hier sind die Vorstellungen der Krankenkassen, Pflegeversicherung etc. zu hinterfragen, die das Ziel einer unkomplizierten und überschaubaren Kostenabrechnung verfolgen. Sie erhöhen, durch ihre Definition der Qualitätssicherung, den Druck auf die Krankenhäuser, Altenpflegeheime, ambulante Pflegedienste u.a.. Somit entsteht eine Art Kreislauf, der kaum zu durchbrechen ist.

Wichtig ist hier die Aufklärung der Pflegenden, welche negativen Auswirkungen Pflegediagnosen haben können. Es müssen Schulungen stattfinden, um die Anwendung der Pflegediagnosen so zu vermitteln, dass eine grundsätzliche Etikettierung verhindert werden kann. Hierbei muss auch die Eigeninitiative der Pflegenden gefördert werden, sich mit Ideen und Kreativität in das Konzept der Anwendung einzubringen.

In meiner Ausbildung habe ich gelernt, dass der Pflegeprozess eine dynamische Interaktion zwischen den Pflegenden und dem Patienten ist. Ich hoffe, dass wir uns davon nicht entfernen, sondern uns dem nähern, doch dies scheint noch ein langer Weg zu werden.

[...]


1 “...North American Nursing Diagnosis Association " (Doenges/Moorhouse, 1994:11) heißt: „...Nordamerikanische Pflegediagnosenvereinigung " (Gordon, 1994:14)

2 Klassifikation heißt: etwas oder jemand in Klassen einteilen, gliedern, einordnen, eine Eigenschaft zusprechen, einer Gruppe zurechnen, eine Gruppe von Personen oder eine Menge von Dingen nach bestimmten Merkmalen einteilen. (vgl. Microsoft Encarta Enzyklopädie, 1993-1998)

3 Etikettierung heißt: etwas mit einem Zettel, (Preis)aufschrift, Schildchen versehen, Auszeichnung von Waren (vgl. Duden, 1996:264)

4 "Association for Common European Nursing Diagnosis, Interventions and Outcomes" (Nielsen, 1996a, 1996b; zitiert nach Friesacher 1998: 35, genauere Beschreibung unter Punkt 3.)

5 "International Classification for Nursing Practise" (Nielsen, 1996a,1996b; zitiert nach Friesacher 1998: 35, genauere Beschreibung in Punkt 3.)

6 Synonym ist ein "bedeutungsgleiches oder ähnliches Wort" (Microsoft Encarta 99 Enzyklopädie, 1993- 1998)

7 Vgl. Seifert, 1991; zitiert nach Friesacher, 1998: 34

8 Vgl. Hillmann, 1994; zitiert nach Friesacher, 1998: 34

9 Vgl. Gukenbiehl, 1993: 9-15; Zitiert nach Friesacher in Dr. med. Mabuse 112, 1998: 34

10 Vgl. Duden, 1996: 212

11 Vgl. Schäffler, Menche, Bazlen, Kommerell, 1997: 2

12 ANA, zitiert nach Doenges/Moorhouse, 1994:5-6

13 Vgl. Turkowski, 1992; zitiert nach Powers, 1999: 40

14 Vgl. Georg, 1995:22-49; zitiert nach König, 1999:14

15 Vgl. Abdellah, 1997:6,1,4-23; zitiert nach König, 1999: 14

16 Vgl. Georg, Löhr-Stankowski, 1995:128-134; Höhmann, 1995: 7-20; zitiert nach Friesacher, 1998: 33

17 "American Nurses Association" (Doenges/Moorhouse 1994:5) bedeutet "...Amerikanische Pflegevereinigung " (Gordon, 1994:14)

18 Maslow, Abraham Harold (1908-1970) war ein amerikanischer Psychologe und ein Vertreter der humanistischen Psychologie, der die menschlichen Bedürfnisse hierarchisch ordnete und sie in Pyramidenform darstellte. (Vgl. Microsoft Encarta 99 Enzyklopädie, 1993-1998)

19 Evaluation bedeutet: "Auswertung, Beurteilung, Bewertung" (Microsoft Encarta 99 Enzyklopädie, 1993-1998)

20 Vgl Gordon, 1994; zitiert nach Höhmann, 1995: 9-10

21 Vgl. ICN, 1996, Georg, 1997; zitiert nach Friesacher, 1999: 30

22 Zitiert nach Friesacher, 1998: 34

23 Hermeneutik kommt aus dem griechischen und bedeutet: "Kunst der Auslegung und Deutung, Technik des Verstehens und Verstehen-Könnens." Sie repräsentiert eine "bestimmte Auffassung einer Philosophie des sinnhaften Seins und Geschehens" (Vgl.http://paedpsych.jk.unilinz.ac.at/INTERNET/ARBEITSBLÄTTERORD/ERZIEHUNGSWISSEN SCHAFT/Hermeneutik.html)

24 Hiermit sind die neun bzw. elf Verhaltensmuster der Klassifikation von NANDA und Gordon gemeint

25 Vgl. ANA, 1973; zitiert nach Powers, 1999: 45

26 Vgl. Porter, 1992; zitiert nach Powers, 1999: 50 (Literaturnachweis wird nach dem Aufsatz von Powers nicht dargestellt)

27 Vgl. Foucault, 1988; zitiert nach Powers, 1999: 50

28 Literaturnachweis wird nach dem Aufsatz von Powers nicht dargestellt

29 Vgl. Allen et al 1991; zitiert nach Powers, 1999: 51

30 Ein Beispiel hierfür wäre, dass ein Mensch sich entsprechend seiner Diagnose verhalten kann (siehe auch unter 2.4.5. Die Etikettierung)

31 Remission bedeutet: "vorübergehender Rückgang von Krankheitserscheinungen" (Microsoft Encarta 99 Enzyklopädie, 1993-1998)

32 Die Vereinigung für europäische Pflegediagnosen

33 Es ist "mit der europäischen Wissenschafts- und Pflegetradition nur schwer vereinbar" (Friesacher,1998: 34)

34 Internationale Klassifikation für Pflegpraxis (eigene Übersetzung)

35 Vgl. Nielsen 1996a, 1996b, zitiert nach Friesacher,1998: 35

36 Eine Begründung, warum dies so entschieden wurde, ist in dieser Literatur nicht beschrieben

37 EU bedeutet: Europäische Union

38 Vgl. Mortensen, 1996, zitiert nach Friesacher,1998: 35

39 Vgl. Nielsen 1996a, 1996b; zitiert nach Friesacher, 1998: 35

40 Vgl. Asta Thoroddsen, 1996; zitiert nach Friesacher, 1998: 35

41 Wie z.B. das ausdrückliche Recht auf Diagnostik des Pflegepersonals hier in Deutschland

42 Jantzen, 1996; zitiert nach Friesacher, 1999: 33

43 Vgl. Wieland, 1975, 1985; zitiert nach Friesacher, 1999: 34

44 Zitiert nach Friesacher, 1999: 34

45 Induktion bedeutet: "das Schließen aus bekannten Tatsachen auf allgemeine Regeln"(Microsoft Encarta 99 Enzyklopädie, 1993-1998)

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Pflegediagnosen - sinnvolle Ergänzung des Pflegeprozesses oder Etikettierung des Patienten?
Autor
Jahr
2001
Seiten
22
Katalognummer
V101620
ISBN (eBook)
9783640000333
Dateigröße
382 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Da das Thema von einem sehr kritischen Standpunkt aus betrachtet wird, könnte ich mir vorstellen, dass es gut zu Diskussionen anregt und zum Nachdenken.
Schlagworte
Pflegediagnosen, Ergänzung, Pflegeprozesses, Etikettierung, Patienten
Arbeit zitieren
Anne Trambale-Faltus (Autor:in), 2001, Pflegediagnosen - sinnvolle Ergänzung des Pflegeprozesses oder Etikettierung des Patienten?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101620

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