Lenz, Sigfried - Mein verdrossenes Gesicht - Interpretation der Kurzgeschichte


Referat / Aufsatz (Schule), 1999

3 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Interpretation einer Kurzgeschichte (Siegfried Lenz: Mein verdrossenes Gesicht)

Die Kurzgeschichte „Mein verdrossenes Gesicht“ von Siegfried Lenz handelt von einem Mann, der auf einer Modenschau Bunsen, seinen ehemaligen Vorgesetzten aus dem Krieg, wiedertrifft. Dieser arbeitet dort als Fotograf und freut sich über das Wiedersehen. Die beiden gehen in eine Kneipe und reden über ihr Leben. Bunsen ist begeistert vom verdrossenen Gesicht seines Ex-Schützlings und engagiert ihn für eine Fotoserie, die sehr erfolgreich ist. Doch als er einige Wochen später mit einem Pessimisten fotografiert werden soll, kann er plötzlich nicht mehr traurig gucken.

Die Kurzgeschichte zeigt am Beispiel der beiden Männer, wie unterschiedlich der Krieg verarbeitet wird und welchen Einfluss das auf ihr späteres Leben hat.

Am Anfang der Geschichte entdeckt der Ich-Erzähler seinen ehemaligen Bootsmannsmaat im Gewühl der Modenschau und beschreibt seine Erscheinung: „festes Wangenfleisch, sauber zugeknöpft und mit seinem Blick, dem nichts verborgen bleibt“ (siehe Z. 2-3). An dieser Beschreibung erkennt man noch den Einfluss des Militärs, da er dort tadellos angezogen sein musste. Seine Korrektheit kennzeichnet andererseits auch seine Seriösität als Fotograf.

Hier wird bereits der „Blick, dem nichts verborgen bleibt“ beschrieben, der für die ganze Geschichte ein Leitmotiv darstellt. Er ist ein Symbol für die Angst, die die Soldaten früher vor ihren Vorgesetzten hatten, da sie über deren Schicksal entscheiden konnten.

Ein weiteres sich wiederholendes Leitmotiv entdeckt man in Zeile 10: es ist die „Oberlippe“ von Bunsen, die sich immer, wenn er etwas Besonderes entdeckt, hebt. An diesen vom Ich-Erzähler beschriebenen Details erkennt man, dass er damals viel Zeit mit Bunsen verbracht hat und dessen Mimik genau kennt.

Als Bunsens Art zu fotografieren beschrieben wird, erfährt man, dass es den Ich-Erzähler „jedesmal durchzuckt“, wenn „der Auslöser klickend nieder[geht]“ (vgl. Z. 11-12). Er erwähnt dabei in Zeile 10 auch Bunsens „feines gequältes Grinsen“. Da diese Beschreibung sehr auffällig ist könnte man hieraus folgern, dass der Ich-Erzähler sich an den Krieg erinnert, da Bunsen dort wahrscheinlich auch so gegrinst hat, während er den Auslöser seiner Waffen gedrückt hat. Anhand dieser Folgerung deutet sich bereits an, dass der Erzähler den Krieg noch nicht verarbeitet hat, während Bunsen als Kontrast zu ihm längst an andere Sachen zu denken scheint.

In Zeile 13 erfährt man, dass es den Erzähler ebenfalls „durchzuckt“, wenn Bunsen „die Linse des Apparats auf den Laufsteg“ richtet, wo Frauen mit „warmem Lächeln“ (siehe Z. 13 u. 14) einige Kleider vorführen. Das liegt, wie ich bereits erwähnt habe, einerseits bestimmt an der Erinnerung an den Krieg, andererseits kommt in Zeile 17 auch wieder sein besonderer Blick vor, der „einen Fehler im Stoff, einen Fleck, eine unangebrachte Falte“ sofort entdecken würde. Man merkt, dass der Erzähler hofft, dass Bunsen nichts entdeckt. Ein Hinweis auf den Grund für dieses Verhalten findet man später: „Ich erschauderte, ich erschrak plötzlich wie früher beim Kleiderappell“ (vgl. Z. 55).

Als Bunsen seinen ehemaligen Schützling entdeckt, kommt er mit „zögerndem Lächeln“ (vgl. Z. 23) auf ihn zu. Man merkt, dass er nicht weiß, wie er reagieren soll, da sich die beiden lange nicht gesehen haben. Es fällt auf, dass Bunsen den Erzähler immer „Junge“ (siehe Z. 27 und 31) nennt, obwohl dieser nicht mehr jung ist. Hier deutet sich an, dass die beiden im Krieg wohl viel miteinander zu tun hatten, Bunsen ihn vielleicht sogar als besonderen Schützling hatte. Ein Kontrast dazu ist allerdings, dass Bunsen den Namen des Erzählers offensichtlich vergessen hat und auch, dass er nicht mehr weiß, wo sie sich im Krieg getroffen haben; dies könnte man jedoch darauf zurückführen, dass der Krieg lang war, Bunsen viele Untergebene hatte und außerdem sicherlich nicht mehr ganz jung ist.

An der Textstelle des Wiedersehens ist an der Sprache auffällig, dass der Erzähler nur knapp antwortet, wenn Bunsen ihn etwas fragt. Das kann man auf verschiedene Arten deuten. Zum einen lässt es darauf schließen, dass der Erzähler Bunsen immer noch als seinen Vorgesetzten sieht. Zum anderen könnte man vermuten, dass er sich nicht sonderlich über das Wiedersehen freut, da es in seinem Inneren Wunden aufreißt, die noch nicht mal richtig verheilt waren. Das kann man auch damit belegen, dass er immer nur die offensichtlichen Gefühle Bunsens beschreibt: „Freude hatte ihn ergriffen, schulterklopfende Fröhlichkeit“ (Z. 29), nie aber seine eigenen.

Eine weitere sprachliche Auffälligkeit im ersten Teil der Geschichte ist, dass der Erzähler durch einige Wörter seine Untergebenheit unbewusst verdeutlicht: Er beschreibt Bunsen mit den Worten „künstlerisch“ (Z. 20), „sorgfältig“ (Z. 19) und „lächelnd“. Dies beweist noch einmal, dass der Erzähler den Krieg nicht verarbeiten kann.

Auf dem Weg in die Kneipe nimmt Bunsen ihn „am Arm“ (siehe Z. 33), wobei er sich wahrscheinlich nicht viel denkt, doch selbst diese kleine Geste bringt der Erzähler mit den Worten „fester Kriegskameradengriff“ (vgl. Z. 33) in Verbindung mit früher.

In der Kneipe unterhalten sich die Männer über ihr Leben. Bunsen erzählt, dass er Fotograf geworden ist. Bei der Erwähnung des Elends in seiner Anfangszeit merkt man, dass er es offenbar schlimmer fand, als armer Fotograf keine eigene Dunkelkammer zu haben, als als Soldat Menschen zu töten.

Als Bunsen sagt: „Und du weißt, was das heißt, wenn man wählen kann“ (siehe Z. 45), ist das wie eine Ironie für den Erzähler, da er, wie ich bereits erwähnt habe, sich von der Zeit als Untergebener noch nicht erholt hat und es daher scheut, eigene Entscheidungen zu treffen. Dass er trotzdem zustimmt, beweist die Ironie noch einmal, da er wieder nur die Meinung des anderen annimmt.

Während der Unterhaltung in Zeile 55 „erschauert [der Erzähler] plötzlich wie beim Kleiderappell damals; denn [Bunsens] Oberlippe [hebt] sich, sein Blick [hat] einen festen Punkt an [ihm] entdeckt, [liegt] ruhig und berechnend auf [seiner] Schulter.“ Man erfährt, dass der Erzähler Angst hat, Bunsen könnte einen Fehler an ihm entdecken und ihn damit vor allen Leuten bloßstellen.

Doch Bunsen erzählt, dass er „ein Modell für eine Serie „ braucht. Da der Erzähler ein „verdrossenes Gesicht“ hat und „schon immer so aussah, als ob [ihm] etwas Kummer macht“, hält er ihn für sehr geeignet und bittet ihn um Probeaufnahmen. Die Fotos seien sehr leicht für ihn, „nicht einmal zu spielen bräuch[te] [er], der Kummer [wirke] sehr natürlich bei ihm“ (vgl. Z. 66-67). Dabei übersieht Bunsen völlig, dass der Kummer beim Erzähler nicht nur echt wirkt, sondern echt ist. Bunsen kommt nicht einmal auf die Idee, dass der Krieg seinen ehemaligen Untergebenen noch beschäftigen könnte.

Da der Erzähler nicht widerspricht, was er sich wohl gar nicht trauen würde, macht Bunsen Probeaufnahmen. Während er sie entwickelt, „darf“ (siehe Z. 74) der Erzähler in einer Zeitschrift blättern. Hier merkt man, dass die Männer unbewusst die alten Rollenverhältnisse wieder aufleben lassen: Bunsen befiehlt, der andere folgt. Hierfür lassen sich im Text noch andere Beispiele finden, z. B. „Bunsen befahl nur den Einsatz“ (siehe Z. 78).

Da die ersten Fotos ein Erfolg werden, macht Bunsen noch viel mehr Fotos. Das Konzept ist immer gleich: der Erzähler guckt verdrossen, mit seinem normalen Blick auf irgendeine Person, die z. B. ein falsches Produkt kauft. Hier kann man eine Parallele zwischen Bunsen und dem Erzähler bemerken, denn beide haben ein „gewisses Etwas“ in ihrem Blick, das die Leute dazu verleitet, Dinge zu tun, die sie sonst vielleicht anders gemacht hätten.

Als der Erzähler den Wechsel der Kulissen, vor denen er fotografiert wird, beschreibt, fällt der Satz „nur ich, ich blieb“ (siehe Z. 97) auf. Er deutet darauf hin, dass alles um ihn herum sich verändert und er es zwar äußerlich mitmacht, sein Inneres aber immer noch damit beschäftigt ist, den Krieg zu verarbeiten.

Die Bilder der Fotoserie befinden sich in „preiswerten Inseraten“ (Z. 102), das könnte ein Hinweis darauf sein, dass niemand seinen Kummer ernst nimmt und er für keinen wichtig ist.

Man erfährt in Zeile 106, dass die Trauer auf dem Gesicht des Erzählers es erreicht, „dass sich ein Mann ein Sparkassenbuch zulegt, ein anderer eine Lebensversicherung abschließt“, das alles aber dem Erzähler nicht wirklich etwas bringt, da diese Leute ihm fremd sind. Seine eigenen Probleme jedoch löst er nicht.

Einen sehr wichtigen Satz findet man in Zeile 105: „Oh, ein anklagendes Gesicht erreicht mehr als Worte“. Dieser Satz bedeutet eine totale Ironie für den Erzähler. Sein anklagendes Gesicht erreicht zwar viele unwichtige Dinge, doch sein Problem kann nur gelöst werden, wenn er jemanden hat, der ihn versteht und mit dem er reden kann.

Als Bunsen Fotos mit ihm und einem „kleinen, vergrämten Mann“, der „ausgeschlossen von der Welt“ ist und „von dem sich seine Freunde losgesagt hatten“ (vgl. Z. 111-114), machen möchte, bewirkt der Anblick dieses Mannes eine große Veränderung für den Erzähler. Nach einiger Zeit beschreibt er ihn als „Felsen der Freudlosigkeit“. Er benutzt noch mehr dieser Beschreibungen, daran erkennt man, dass er über das Schicksal dieses Mannes nachdenkt und feinfühlig merkt, dass er „skeptisch gegenüber der Zukunft“ ist (siehe Z. 115). Als Bunsen den Erzähler darauf anspricht, was mit seinem Gesicht sei, fällt auf, dass er mehr redet als vorher. Er antwortet nicht mehr nur noch mit einem Wort, sondern stellt sogar Fragen („Geht’s nicht?“) und macht Scherze („Ich hab’s bei mir“, Z. 121 bzw. 123).

Bunsen sagt, dass sich der Ausdruck auf dem Gesicht des Erzählers verändert hat und dass er ihn so nicht brauchen kann. auch der Erzähler bemerkt die Veränderung: „Er kann den kleinen Schwarzseher nicht anklagen, ihn nicht vernichten.“ (mit seinem Blick) (s. Z. 131, 123).Er „spürt [ ] eine heimliche Hingezogenheit zu ihm, empf[indet] eine sanfte Sympathie für sein Unglück“. Doch der Erzähler bedauert die Wandlung seines Gesichts nicht, im Gegenteil; als er in einene Spiegel kuckt und sich lächeln sieht, spürt er, dass das Lächeln von innen kommt. Er geht „zu [s]einem kleinen, vergrämten Kollegen, von dem sich alle Freunde losgesagt hatten, weil er keinen Humor besaß, kein fröhliches Vertrauen in die Zukunft“ (vgl. Z. 138-140) hin und gibt ihm die Hand. Als Bunsen ihn fragt, ob er nicht weitermachen will, verneint er und ergänzt, dass er „es jetzt nicht mehr kann“ (vgl. Z.142). Die Wandlung des Erzählers wird dadurch bewirkt, dass er sieht, dass ernicht allein ist und dass es viele Menschen gibt, die Angst vor etwas haben. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er nicht verstanden, wie man wieder lachen kann, nachdem man den Krieg gesehen hat. Er entdeckt den Kontrast zwischen dem Mann, der Angst vor der Zukunft hat, und sich selber, der Angst vor der Vergangenheit hat und merkt, dass sie ihre Probleme gemeinsam lösen können.

Man merkt, dass der Erzähler sich seiner Vergangenheit stellt und nun endlich anfangen kann, sie zu verarbeiten, und den ersten Schritt tut er bereits, indem er sich von seinem Job und gleichzeitig von Bunsen lossagt. Er hat angefangen, sein eigenes Leben zu leben.

Mit dieser Kurzgeschichte möchte Siegfried Lenz verschiedene Dinge kritisieren.

Zum einen kritisiert er den macht- und geldhungrigen Bunsen, der nur auf seinen Erfolg und das Geld, das er durch die Fotos verdient, fixiert ist und den Ausdruck des Kummers auf dem Gesicht des Erzählers mißachtet.

Zum anderen kritisiert er den Erzähler selber, der vor seinem Problem wegläuft, statt sich ihm zu stellen. Erst sehr spät (12 Jahre nach dem Krieg) merkt er, dass seine Vergangenheit sich nicht von selbst verarbeitet, sondern dass er sie anpacken und sich ihr stellen muss.

(Ein weiterer wichtiger Aspekt, den Siegfried Lenz darstellen möchte, ist vielleicht auch die Werbung und damit verbunden die Gutgläubigkeit und Rückgratlosigkeit der Konsumgesellschaft. Die Leute sehen nur ein verdrossenes Gesicht und einen Menschen, der ein „falsches“ Produkt kauft, und kaufen, ohne das Ganze zu hinterfragen, ein anderes.)

Am Aufbau der Geschichte kann man schrittweise die Auseinandersetzung des Erzählers mit dem Problem erkennen.

Im ersten Teil, der meiner Meinung nach bis Zeile 54 geht, verbindet er jedes Detail mit seiner Vergangenheit im Krieg, redet aber kaum davon.

Im zweiten Teil, der bis Zeile 109 geht, fängt er wahrscheinlich insgeheim an, darüber nachzudenken, da er einige schon erwähnte ironische Sätze sagt.

Erst im dritten Teil löst er sein Problem, dort befindet sich also der Höhe- und Wendepunkt der Geschichte.

Ende der Leseprobe aus 3 Seiten

Details

Titel
Lenz, Sigfried - Mein verdrossenes Gesicht - Interpretation der Kurzgeschichte
Veranstaltung
Klasse 9
Note
1
Autor
Jahr
1999
Seiten
3
Katalognummer
V101610
ISBN (eBook)
9783640000234
Dateigröße
340 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Interpretation, Kurzgeschichte, Lenz, Sigfried, Gesicht, verdrossen, Bunsen
Arbeit zitieren
Claudia Roeder (Autor:in), 1999, Lenz, Sigfried - Mein verdrossenes Gesicht - Interpretation der Kurzgeschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101610

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