Strukturalismus im höfischen Roman, Aktanten-und Figuralschema, Beispielanalyse am `Nonnenturnier`


Hausarbeit, 2001

21 Seiten

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Entwicklung des Strukturalismus

3. Struktur narrativer Texte

4. Identitätskonstitution im höfischen Roman
4.1. Aktantenschema
4.2. Figuralschema

5. Beispielanalyse
5.1. nach Stierle
5.2. nach Warning
5.2.1. Aktantenschema
5.2.2. Figuralschema

6. Versuch einer "Inszenierung"

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die linguistische und literaturwissenschaftliche Methode des Strukturalismus entstand erst im 20. Jahrundert und beschäftigte sich zunächst nur mit Zeichen. Erst im Laufe der Zeit entwickelte sich eine strukturalistische Erzähltheorie, die sowohl der Sprache als auch den Texten Regelsysteme zu Grunde legte.

Einleitend sollen in dieser Arbeit die Grundprinzipien des Strukturalismus dargelegt werden. Anschließend möchte ich die kurz die Entwicklung des Strukturalismus skizzieren und im Folgenden Karlheinz Stierles Vefahren zur Struktur narrativer Texte darstellen. Ausgehend von Rainer Warnings "Formen narrativer Identitätskonstitution im höfischen Roman“1 soll der Versuch einer

Beispielanalyse an "DER TURNEI VON DEM ZERS“2 unternommen werden.

Grundsätzlich gilt für den Strukturalismus, dass sprachliche und textuelle Erscheinungen nur dann beschrieben werden können, wenn diese unter Berücksichtigung des Kontextes betrachtet werden. Sowohl bei der synchronen wie auch bei der diachronen Untersuchung müssen sie funktional in ihr System eingebettet werden. Allerdings kann man einer solchen Erscheinung nicht von vornherein die Zugehörigkeit zu einem System unterstellen. Sie kann lediglich durch eine allmähliche Rekonstruktion festgestellt werden. Das Verstehen eines Phänomens verlangt zuallererst die Untersuchung unter dem Aspekt der Synchronie. Dann erst kann die diachronische Untersuchung folgen. Ein System muss sowohl für sich allein betrachtet werden, als auch in seiner neben- bzw. untergeordneten Beziehung zu anderen Systemen. Ein weiteres

Prinzip des Strukturalismus ist, dass auch die Beschreibung eines Systems systematisch, wissenschaftlich und logisch sein muss.3

Im Strukturalismus spielt die Zusammenarbeit zwischen Linguistik und Literaturwissenschaft eine große Rolle, da er aus der linguistischen Tradtion heraus entstanden ist und später von der Literaturwissenschaft in eine erzähltheoretische Methode umgewandelt wurde.

2. Entwicklung

Einer der Vorreiter des Strukturalismus ist der Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure. In seiner Zeichentheorie untergliedert er die menschliche Sprachfähigkeit ('langage') in die gesprochene Sprache ('parole') und das System, nach dem Sprache funktioniert ('langue'). Sprachliche Erscheinungen bezeichnet er allgemein als Zeichen. Diese sind in das System der Sprache, also die 'langue', integriert. Sie haben in seiner Theorie zwei unterschiedliche Funktionen. Er unterscheidet die Phonetik eines Zeichens, also die Lautfolge ('signifiant'), von der mentalen Vorstellung, die wir damit verbinden ('signifié'). Die Verbindung zwischen den beiden Aspekten, aus denen sich ein Zeichen zusammensetzt, ist arbiträr und das Produkt der Gesellschaft, die es hervorgebracht hat. Das Zeichen 'Tisch' beispielsweise besteht einerseits aus der Lautfolge T-I-S-C-H, andereseits aus der Vorstellung einer 'Platte auf vier Beinen'. Die Beziehung zwischen einzelnen Zeichen beschreibt er als entweder paradigmatisch oder syntagmatisch. Paradigmatisch bedeutet, dass die Zeichen einer bestimmten Gruppe im syntaktischen Kontext nicht austauschbar sind. Ist die Beziehung zwischen Zeichen syntagmatisch, so stehen sie nebeneinander in einem Satzgefüge. In der Untersuchung von Sprache trifft de Saussure eine grundlegende Unterscheidung zwischen "Diachronie, [dem] historische[n] Werden der Sprache [... und] Synchronie, dem zu einem4

bestimmten Zeitpunkt gegebenen Sprachzustand im Sinne des regelhaften, wechselseitigen Veshältnisses gleichzeitiger sprachlicher Gegebenheiten."5 Anders als de Saussure, der sich ausschließlich mit Sprache beschäftigt, versuchen die russischen Formalisten, die Literatur zum Gegenstand ihrer Arbeit zu machen. De Saussures Unterscheidung zwischen Paradigma und Syntagma sowie zwischen Diachronie und Synchronie beziehen sie in ihre

Überlegungen ein, das von ihm vertretene einheitliche Sprachsystem ersetzen sie jedoch durch die Verwendung von zwei Sprachen, der praktischen und der literarischen. Während de Saussure veschiedene Verfahren lediglich nennt,

rückt die sogenannte 'Formale Schule' deren Auswirkungen in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen.

Wie auch schon die Russischen Formalisten, verbindet Roman Jakobson, der dem 'Prager Strukturalismus' zugerechnet wird, die Sprach- mit der Literaturwissenschaft. Ausgehend von Bühlers Organon-Modell entwickelt er ein sechsteiliges Kommunikationsmodell, wobei jeder sprachlichlichen Mitteilung eine vorherrschende Funktion zugeordnet werden kann. Er untergliedert die Funktionen der Sprache in die referenzielle, die emotive, die konative, die phatische, die metasprachliche und die poetische Funktion.

Kontext (referentielle Funktion) Nachricht (poetische Funktion)

Sender (emotive Funktion) ---------------------------- Empfänger (konative Funktion) Kontakt (phatische Funktion)

Kode (metasprachliche Funktion)6

Die meisten Mitteilungen sind auf eine referenzielle bzw. denotative Funktion ausgerichtet.In Mitteilungen, denen eine gewisse Literarizität zugesprochen werden kann, ist nach Jakobson die poetische bzw. expressive Funktion dominant. "Die poetische Funktion projiziert das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination."7

Im Rahmen des französischen Strukturalismus konzentriert sich Roland Barthes in seiner 'strukturalistischen Tätigkeit' weniger auf die Systematik der Sprache als die von Erzählungen. Allerdings kehrt er bezieht er sich jedoch auch auf de Saussure und kehrt zurüch "zu Begriffspaaren wie Signifikat-Signifikant und Synchronie-Diachronie, um sich dem zu nähern, was den Strukturalismus von

anderen Denkweisen unterscheidet"8. Barthes entwickelt ein

" Dreischichtenmodell des Erzählens aus Erzähleinheiten, Handlungen und dem Erzähldiskurs"9, das er als ein erzähltheoretisches Grundprinzip ansieht.

In Anlehnung an Roland Barthes arbeitet auch Karlheinz Stierle mit einer Zerlegung von Erzählungen in verschiedene Ebenen.

3. Struktur narrativer Texte

Karlheinz Stierle geht davon aus, dass allen narrativen Texten ein "überschaubares Ensemble von elementaren Strukturen"10 zugrunde liegt, durch das ein Verständins des Textes ermöglicht wird. Zu diesem Zweck teilt er eine Erzählung in unterschiedliche Ebenen ein.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1

Die Ebene des Geschehens, die der Erzählung zugrunde liegt, ist schwer zu definieren. In ihr enthalten sind alle Geschehensmomente, die Teil des Textes werden könnten. Die Menge dieser Erzähleinheiten ist unendlich groß, ungeordnet und gehören einem außersprachlichen Bereich an. Aus diesem 'Topf' aus Handlungen und Sachverhalten lassen sich nun einzelne für die

Geschichte relevante Aspekte herausgreifen und auf der "Achse der Narration"11 chronologisch ansiedeln. Auf ihr werden so Anfangs- und Endpunkt der Erzählung festgelegt. Damit befinden wir uns nach Stierle bereits auf der Ebene der Geschichte, der die Funktion der Auswahl und Anordnung einzelner Geschehensmomente zukommt. Diesen wird außerdem ihre spezifische Relevanz innerhalb der gesamten Geschichte zugeteilt und sie werden in einen Sinnzusammenhang gestellt. Ein zweites Element, das auf die Ebene der Geschichte einwirkt, ist die Ebene der abstrakten Konzepte. "Jede Geschichte setzt einen Zusammenhang von Konzepten voraus, die zueinander in einer

spezifischen Beziehung stehen und die die abstrakteste Fundierungsebene der Geschichte ausmachen, von der her sich erst die Relevanz von Geschehenszusammenhängen für eine Geschichte erfassen läßt."12 Mit Hilfe der abstrakten Konzepte werden Oppositionen, Äquivalenzen und Spannungen aufgebaut. In einem letzten produktiven Schritt konstituiert sich die Ebene des Diskurses, die aus dem Aufbau der Erzählung einerseits und andererseits aus der sprachlichen Umsetzung besteht. Der Erzähler ordnet die zeitliche Abfolge der Geschehensmomente, die nicht der chronologischen Abfolge entsprechen muss. Er hat die Möglichkeit, Vor- bzw. Rückgriffe vorzunehmen, innerhalb der

Erzählung durch zeitraffende oder zeitdehnende Darstellung Akzente zu setzen oder aber auch durch Einnehmen einer bestimmten Erzählperspektive sich mit den Figuren zu identfizieren oder sich von ihnen zu distanzieren. Dieser Bereich der Diskursebene ist immer noch außersprachlich, die sprachliche Umsetzung erfolgt in einem zweiten Aspekt, der dieser Ebene zuordenbar ist. Hier weist Stierles Theorie Parallelen zu der Jakobsons auf, wenn er dem Erzähler die Möglichkeit bietet, Wörter auszuwählen (» Achse der Selektion) und diese syntaktisch zu verknüpfen (» Achse der Kombination). In diesem Akt sieht Stierle "die eigentliche literarische Kunst"13.

[...]


1 Warning, Rainer: Formen narrativer Identitätskonstitution im höfischen Roman. In: Marquard, O. und Stierle, K. (Hg.): Identität. München. 1979.

2 Der Turnei von dem Zers. In: Grubmüller, Klaus (Hg.): Novellistik des Mittelalters. Märendichtung. Frankfurt/M. 1996. ( Alle weiteren Zitate aus diesem Text werden unter dem Sigel TvZ angegeben.)

3 Vgl.:Schweikle, Günther und Irmgard (Hg.): Metzler Literaturlexikon. Begriffe und Definitionen. J.B. Metzler. Stuttgart. 21990. S. 447.

4 Dieses Kapitel erhebt selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern stellt nur einige wichtige Vertreter des Strukturalismus dar. Vielmehr soll es dem besseren Verständnis und der Einordnung der beiden nachfolgenden Modelle dienen, auf die ich mich in der Beispielanalyse berufe.

5 Grübel, Rainer: Formalismus und Strukturalismus. In: Arnold, Heinz Ludwig und Detering, Heinrich (Hg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft. Deutscher Taschenbuch Verlag. München. 21997. S. 387.

6 Vgl.: Grübel, Rainer: Formalismus und Strukturalismus. In: Arnold, Heinz Ludwig und Detering, Heinrich (Hg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft. Deutscher Taschenbuch Verlag. München. 21997. S. 398.

7 Jakobson, Roman: Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921-1971. Hrsg. Von Holenstein, Elmar und Schelbert, Tarcisius. Suhrkamp. Frankfurt/M. S. 94

8 Barthes, Roland: Die strukturalistische Tätigkeit. In: Enzensberger, Hans Magnus (Hg.): Kursbuch. S. 190.

9 Grübel, Rainer: Formalismus und Strukturalismus. In: Arnold, Heinz Ludwig und Detering, Heinrich (Hg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft. Deutscher Taschenbuch Verlag. München. 21997. S. 402.

10 Stierle, Karlheinz: Die Struktur narrativer Texte. Am Beispiel von J. P. Hebels Kalendergeschichte ’Unverhofftes Wiedersehen’. In: Brackert, H. und Lemmert, E. (Hg.): Funk-Kolleg. Literatur.Bd.1. Frankfurt/M. 1977. S. 210.

11 Ebd.: S.217.

12 Ebd.: S.220.

13 Ebd.: S.227.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Strukturalismus im höfischen Roman, Aktanten-und Figuralschema, Beispielanalyse am `Nonnenturnier`
Jahr
2001
Seiten
21
Katalognummer
V101496
ISBN (eBook)
9783638999120
Dateigröße
380 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Strukturalismus, Roman, Aktanten-und, Figuralschema, Beispielanalyse
Arbeit zitieren
Anonym, 2001, Strukturalismus im höfischen Roman, Aktanten-und Figuralschema, Beispielanalyse am `Nonnenturnier`, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101496

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