Praxisbezug im kritischen Rationalismus


Bachelorarbeit, 2000

17 Seiten, Note: sehr gut

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Das Wissenschaftsverständnis des kritischen Rationalismus und ihr Bezug zur pädagogischen Praxis
1.1 Von der empirischen Erziehungswissenschaft zum kritischen Rationalismus
1.2. Das Prinzip der kritischen Prüfung
1.2.1. Die empirische Basis
1.2.2. Wertefreiheit in der Erziehungswissenschaft
1.2.3. Der Aufgabenbereich einer kritisch rationalen Erziehungswissenschaft.
1.2.4. Das Hempel-Oppenheim-Schema
1.3. Der Bezug zur pädagogischen Praxis in Anlehnung an WOLFGANG BREZINKAS Metatheorie der Erziehung (1978)

2. Kritik an der Methode des kritischen Rationalismus
2.1. Der Vorwurf des Reduktionismus
2.2. Die Problematik des deterministischen Erziehungsverständnisses
2.3. Verantwortungslosigkeit und der fehlende kritische Gesellschaftsbezug .
2.4. Kritik bezogen auf die Praxisrelevanz des kritischen Rationalismus nach H. ELMAR TENORTH

3. Resümee
3.1. Reduktion: Problem oder Möglichkeit?
3.2. Verantwortungslosigkeit oder Toleranz?
3.4. Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Diese Hausarbeit ist im Kontext des Seminars "Wissenschaftstheoretische Richtungen in der Pädagogik" entstanden. Es erscheint sinnvoll zunächst zu klären, was im Allgemeinen unter Pädagogik verstanden wird. Pädagogik wird im Fachlexikon der Sozialen Arbeit synonym mit Erziehungswissenschaft verwendet. HANS PFAFFENBERGER beschreibt diese "als System wissen- schaftlicher Sätze über Erziehung (Erziehungswirklichkeit, Erziehungspraxis)" (Fachlexikon der Sozialen Arbeit, 4. Aufl., 1997, S. 290). Zwar steht in diesem Zitat Erziehungspraxis in Klammern was uns uns aber nicht zu dem Trugschluß verleiten soll, daß dies zu vernachlässigen sei. KÖNIG und ZEDLER (1998, S. 237) gehen sogar davon aus, daß das "Kriterium von Wissenschaftlichkeit nicht in der Erkenntnis der Wirklichkeit liegt, ... (sondern) Wissenschaftlichkeit auf praktisches Handeln zu beziehen ist". Diese Grundannahme spiegelt sich auch in der Aufgabenstellung dieser Hausarbeit wieder. Was aber ist nun unter Wissenschaft zu verstehen? Das Wort "Wissenschaft" existiert seit dem 16./17. im deutschen Sprachraum und entspricht dem lateinischen Wort scientia, was soviel bedeutet wie "geordnetes, in sich zusammenhängendes Gebiet von Erkenntnissen" (DUDEN, Etymologie, 2.Auflg., 1997, S. 817). Das im Titel unseres Seminars das Wort "Richtung" im Plural verwendet wird ist aber nicht zufällig sondern, wie soll es in der Wissenschaft auch anders sein, mit Bedacht gewählt. Es gibt folglich nicht nur eine einheitliche Auffassung darüber, wie Pädagogik als Wissenschaft verstanden werden soll. Manche dieser unterschiedlichen Richtungen stehen sich in ihrem Verständnis von Wissenschaft in ihren Hauptannahmen konträr gegenüber, was sich im Positivismusstreit Mitte der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts niederschlug (vgl. GUDJONS 1993, S. 37) und auch heute immer noch für Diskussionsstoff sorgt, wie diese Hausarbeit belegen soll. Mit zwei dieser unterschiedlichen Auffassungen haben wir uns in unserem Seminar näher befasst. Zum einem mit der Hermeneutik, die sich auf der Philosophie WILHELM DILTHEYs begründet, deren Methode dadurch gekennzeichnet ist, daß sie versucht, Erkenntnis über Erziehung durch das Verstehen von Sinn und Bedeutung menschlichen Handelns in seiner Ganzheitlichkeit zu gewinnen. (WELLENREUTHER, 2000 ;S. 19). Zum anderen mit dem kritischen Rationalismus indem Erkenntnisgewinn auf der Grundlage des Erklärens menschlichen Verhaltens durch beobachtbare, experimentell überprüfbare Gesetzmäßigkeiten basiert (WELLENREUTHER, 2000 ;S. 18). Letztere soll das Thema dieser Hausarbeit seien. Es soll geklärt werden wie im Sinne der oben zitierten These KÖNIG und ZEDLERS Bezug des kritischen Rationalismus zur pädagogischen Praxis zu verstehen ist. Zu diesem Zweck will ich anhand der Begrifflichkeit KARL POPPERS näher erläutern wie Wissenschaft im Sinne des Empirismus verstanden werden muß. Um anschließend nachzuzeichnen, wie ihr Bezug zur pädagogischen Praxis gedacht wird. Im zweiten Teil dieser Hausarbeit werde ich aufzeigen welche Problematik Kritiker an diesem Konzept dem Bezug zur Praxis, sehen. Abschließend diskutiere sich die Kontroverse.

1. Das Wissenschaftsverständnis des kritischen Rationalismus und ihr Bezug zur pädagogischen Praxis

Im folgendem Abschnitt soll geklärt werden wie im Sinne des kritischen Rationalismus Wissenschaft verstanden werden muss. Hierbei sollte beachtet werden, daß es selbst unter den Vertretern eines kritisch rationalistischen Wissenschaftsverständnisses in der Pädagogik nicht nur eine einheitliche Auffassung über die Methodik des wissenschaftlichen Arbeitens, gibt. Es ist mir jedoch nicht möglich, im Rahmen dieser Hausarbeit den vorherrschenden Meinungspluralismus in seiner ganzen Vielfalt wieder zuspiegeln, so daß nur auf einige ausgewählte Vertreter dieser Wissenschaftsrichtung eingegangen werden soll, die für die Aufgabenstellung von besonderer Bedeutung sind.

Um an späterer Stelle auf den Praxisbezug näher einzugehen, ist es notwendig zunächst zu erläutern was im kritischen Rationalismus unter Wissenschaft verstanden wird. Ein kurzer historischer Abriss über den Einzug des kritischen Rationalismus in die empirische Erziehungswissenschaft soll in Anlehnung an KÖNIG und ZEDLER ( 1998, S. 45 ff) bei der Klärung dieser Frage den Ausgangspunkt bilden.

1.1 Von der empirischen Erziehungswissenschaft zum kritischen Rationalismus

Nach KÖNIG und ZEDLERN (1998), ging man im Empirismus Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts davon aus, daß der Erkenntnisgewinn, auf einer prinzipiell von jedem wahrnehmbaren, und somit objektiven Wirklichkeit basiert. Es sollten nur solche Aussagen als wahr angesehen werden, die aufgrund von Sinneserfahrungen gewonnen wurden und mit der Wirklichkeit korrespondieren. Also nur Aussagen, die einer Prüfung über ihren Wahrheits- gehalt an der objektiven Wirklichkeit standgehalten hatten. Diese Aussagen sollten den Ausgangspunkt einer jeden Theoriebildung darstellen, sozusagen den Boden auf dem das "Haus der Theorien" gebaut wird. Ähnlich wie in den Naturwissenschaften ging man in der empirischen Erziehungswissenschaft davon aus, daß man durch einzelne dieser Aussagen Aufschluss über allgemeine Gesetzmäßigkeiten in der Erziehungswirklichkeit bekommen konnte. Schließlich hatten sie sich ja in ihr bewährt und somit als wahr erwiesen.

Dieses Konzept wirkt auf den ersten Blick zwar in sich stimmig, erweist sich jedoch bei näherer Betrachtung als problematisch. KÖNIG und ZEDLER (1998) führen dies auf zwei Gründe zurück. Das erste Problem resultiert aus einer Eigenart unserer Sprache. Um einen Gegenstand bezeichnen zu können, müssen wir ihn begrifflich eingrenzen. Diese sprachliche Eingrenzung eines Gegenstandes basiert jedoch immer auf einer von uns gewählten Entscheidung und nicht aufgrund von objektiven Tatsachen. Als Beispiel soll mir hier MARCEL DUCHAMPS (1887-1968) "La Fontaine" (R. MUTT, 1917) dienen. Für den einen ist es einfach nur ein "Pissoir", für MARCEL DUCHAMP ein "Kunstobjekt" und für einen anderen vielleicht wirklich ein Springbrunnen.

Unser Vorwissen und der Kontext ist Ausschlag gebend für unsere Definition und nicht der Gegenstand selbst. Eine solche Festlegung wird also immer auf einer subjektiven Basis gefällt.

Das zweite Problem auf das KÖNIG und ZEDLER (1998) hinweisen ist logischer Natur und ergibt sich aus der Methode der Induktion in der Erziehungswissenschaft. Es können sich nämlich zwei "wahre", an der Wirklichkeit geprüfte Aussagen gegenseitig ausschließen. Die Aussage: "Alle Kinder die von ihren Eltern geschlagen wurden, schlagen später ihre eigenen Kinder auch" ist dann wahr, wenn ich einen Vater oder eine Mutter finde, die früher geschlagen wurden und ihre Kinder heute auch durch Schläge bestrafen. Finde ich aber eine Familie in der die Eltern geschlagen wurden, die ihre Kinder aber nicht körperlich züchtigen gelange ich zu der Aussage: "Alle Kinder die von ihren Eltern geschlagen wurden schlagen ihre eigenen Kinder später nicht".

Diese beiden Unstimmigkeiten waren für KARL R. POPPERS Kritik, nach KÖNIG und ZEDLER (1998), Ausgangspunkt am klassischen Empirismus. In seiner Abhandlung "Logik der Forschung" von 1934, welche bis in die heutige Zeit als das grundlegende Werk für den kritischen Rationalismus angesehen wird, bezieht er sich auf eben diese Problematik.

1.2. Das Prinzip der kritischen Prüfung

POPPERS Kritik an der empirischen Wissenschaft richtete sich vor allem gegen ihre Induktive Methode. Das Problem sieht POPPER darin, daß generelle Gesetzesaussagen entgegen der klassischen Auffassung nicht verifizierbar sind. Sie gehen immer über das von uns bereits Erfahrene hinaus. "Nun ist es aber nichts weniger als selbstverständlich, daß wir logisch berechtigt sein sollen, von besonderen Sätzen, und seien es noch so viele, auf allgemeine Sätze zu schließen. Ein solcher Schluß kann sich ja immer als Falsch erweisen." (KÖNIG und ZEDLER, 1998, S. 46). Für WELLENREUTHER ( 2000, S. 18), ist es gerade dieses Wissen über die Fehlbarkeit der eigenen Aussagen, welches die Position des kritischen Rationalismus kennzeichnet. Daraus folgt, daß Gesetzesaussagen immer nur den Charakter einer Hypothesen haben können. Mit diesen Wissen ist es nicht mehr Aufgabe des Wissenschaftlers, durch die Prüfung an der Wirklichkeit zu beweisen das seine Theorie wahr ist. Im Sinne POPPERS lautet die Aufgabe nun: Beweise, daß die Theorie nicht falsch ist. Um dies tun zu können hält er es für notwendig, einzelne leicht überprüfbare Sätze aus der Theorie zu isolieren, um sie auf ihre Aussagekraft über zukünftige Ereignisse, so streng wie möglich an der Wirklichkeit zu prüfen. Erweist sich dann ein Satz als nicht falsch so darf er nicht als wahr, sondern als vorläufig nicht falsch angesehen werden. Um diesem Sachverhalt Ausdruck zu verleihen, schlägt er zur Kennzeichnung bis jetzt als nicht falsch erwiesener Sätze das Adjektiv "bewährt" vor. Ist ein Satz jedoch falsch, so ist auch die ganze Theorie zur Erklärung der Wirklichkeit nicht geeignet und muß verworfen werden. Eine neue zur Erklärung der Wirklichkeit besser geeignete Theorie muß gefunden werden.

Dieses Verwerfen von unangemessenen Theorien und Entwickeln neuer, Theorien ist die Grundlage auf der Erkenntnisfortschritt im kritischen Rationalismus basiert.

1.2.1. Die empirische Basis

Die Antwort POPPERS (vgl. KÖNIG und ZEDLER, 1998, S.47 ff) auf das Problem der Subjekthaftigkeit von wissenschaftlichen Basissätzen orientiert sich stark an seinem Konzept der kritischen Prüfung. Denn auch Basissätze können, wie alle Sätze nie verifiziert werden. Es kann allerdings überprüft werden, ob diese sich bis jetzt bewährt haben. Wenn dies der Fall ist, liegt es an den Vertretern der Wissenschaft, sich darauf zu einigen, ob jene Basissätze als Grundlage für ihre Theorien als angemessen angesehen werden können. Es wird auch hier Subjektiv entschieden, mit dem Unterschied, daß man sich dessen bewußt ist. Die Wissenschaft kann also die Wirklichkeit nicht wiederspiegeln, da sie sich schließlich immer irren kann. Sie kann aber vorläufig ein System von Aussagen liefern, daß uns Lösungsmöglichkeiten für die Probleme in der Praxis aufzeigt. Das "Haus der Theorien" steht also nicht fest auf einem festem Fundament, sondern stützt sich selbst mit ihren, auf Beben gefährdeten Grund gebauten Pfeilern.

1.2.2. Wertefreiheit in der Erziehungswissenschaft

Aus der Erkenntnis über die Fehlbarkeit der eigenen Aussagen zieht POPPER den Schluß, daß es der Wissenschaft nicht zustehen kann normative Lösungen oder Regeln der Praxis vorzugeben. Allerdings kommt auch die empirische Erziehungswissenschaft nicht an normativen Setzungen vorbei. Denn wie KÖNIG und ZEDLER (1998) uns aufzeigen, ist die Forderung nach Wertfreiheit in der Sozialwissenschaft selbst eine Norm. Um dieses Problem zu lösen, sei es in Anschluß an MAX WEBER die Aufgabe der Wissenschaft zwischen Tatsachenaussagen und Wertaussagen zu unterscheiden. Wertaussagen dürfen nur über die Wissenschaft selbst getroffen werden, nicht in ihr. Sie dienen dazu den Begriff der Wissenschaft einzugrenzen, um eine gemeinsame Basis zu schaffen, auf der Operiert werden kann, so z.B. bei der Einigung auf eine bestimmten Forschungsmethode. Tatsachenaussagen sind solche, in denen festgestellt wird, wie sich etwas in der Erziehungswirklichkeit verhält, in denen aber nicht vorgeschrieben wird, welche Methode zur Erreichung eines Erziehungszieles anzuwenden ist. Die Bewertung von Tatsachenaussagen ist somit Aufgabe der Praxis.

1.2.3. Der Aufgabenbereich einer kritisch rationalen Erziehungswissenschaft

Unter Berücksichtigung der Wertfreiheit von Tatsachenaussagen ist der Aufgabenbereich einer kritisch rationalistischen Wissenschaft darauf beschränkt, Wissen über Sachverhalte, über die von uns wahrnehmbare Wirklichkeit, zusammeln. Nach KÖNIG und ZEDLER (1998) ist sie demzufolge eine theoretische Wissenschaftsrichtung. Dennoch spielt der Bezug zur Praxis in ihr keine geringe Rolle.

Insofern, als daß sie, nach ALBERT in KÖNIG und ZEDLER (1998, S. 49), ihre Aufgabe darin sieht, sozialtechnologische Systeme und Handlungsalternativen zu entwickeln, die sich auf die Ziel-Mittel-Problematik der Praxis beziehen. Sie entnimmt ihre Fragestellung aus der Praxis, um ihr dann wiederum Lösungsmöglichkeiten in Form von Erklärungen, Prognosen und Technologien aufzuzeigen. Diese folgen, nach KÖNIG und ZEDLER (1998, S. 49), meist einem Schema, das von K. R. HEMPEL und P. OPPENHEIM in Anlehnung an POPPER entwickelt wurde.

1.2.4. Das Hempel-Oppenheim-Schema

Das Hempel-Oppenheim-Schema liefert uns den Rahmen, nach dem eine Erklärung, im kritischen Rationalismus über die Ursache(n) und Wirkung(en) eines von uns beobachtbaren Ereignisses folgen sollte. WELLENREUTHER (2000) definiert in diesem Zusammenhang "erklären" wie folgt: "Ein Phänomen, ein Ereignis zu erklären heißt, die Bedingungen oder Ursachen zu nennen, nach deren Realisierung dieses Ereignis auftritt."(im Original kursiv, WELLENREUTHER, 2000, S.82). KÖNIG und ZEDLER(1998) greifen hier zur Verdeutlichung auf das von POPPER benutzte Beispiel eines zerreißenden Fadens zurück. An diesem Beispiel wird zwar deutlich, daß sich dieses Konzept stark an naturwissenschaftlichen Methoden orientiert, jedoch halte ich es, im Kontext dieser Hausarbeit, für sinnvoller ein Beispiel aus der pädagogischen Praxis zuwählen. Hierbei sei zu beachten, daß der Sachverhalt stark vereinfacht wird und keine empirische Studie zur Grundlage hat.

Nehmen wir also an, wir beobachten eine dritte Klasse, in der der Notendurschnitt anstieg, nachdem sie einen neun Klassenlehrer bekommen hatte. Eine Erklärung der Ursache(n) zu suchen, der diesem Verhalten zu Grunde liegt, erscheint für die Erziehungswissenschaft sinnvoll. Denn diese könnte der pädagogischen Praxis dazu dienen, in ähnlichen Situationen das Ziel eines hohen Notendurchschnitts mit dem selben Mittel erneut zu erreichen. Ziel der Erziehungswissenschaft ist es, nach WELLENREUTHER (2000, S. 83 ff) somit eine generelle Gesetzesaussage zu formulieren, an der sich zukünftiges pädagogisches Handeln orientieren kann. Um zu einer solchen allgemeinen Aussage zugelangen, benötigt man zusätzliche Informationen sowohl über die Rahmenbedingungen, als auch über die Voraussetzung(en), die als Ursache(n) in Frage kommen könnte(n). In diesem Fall nehme ich als Rahmenbedingung an, daß wir eine Grundschulklasse beobachteten. Bedingung soll hier sein, daß der neue Klassenlehrer die Kinder für ihre guten Leistungen viel häufiger lobt, als es der alte Klassenlehrer tat. So könnten wir eine allgemeine Aussage formulieren, die wie folgt lautet: "Wenn Kinder in der Grundschule von ihrem Klassenlehrer häufig für ihre guten Leistungen gelobt werden, verbessert sich der Notendurschnitt der Klasse". Diese Aussage bildet den ersten Teil unserer Erklärung. Der zweite besteht nach dem H-O-Schema aus einer den von uns gewählten Fall betreffenden, singulären Aussagen: "Die Schüler sind in der dritten Klasse einer Grundschule" und "Die Schüler wurden für ihre guten Leistungen von ihrem Klassenlehrer gelobt".

Dieses Schema lässt sich, wie es KÖNIG und ZEDLER (1998, S. 50) zeigen, auch auf Prognosen und auf die Entwicklung von Technologien übertragen. Eine Prognose ist eine Aussage über das Eintreten eines zukünftigen Ereignisses, die auf der Grundlage unseres gesammelten Vorwissens basiert. Sie setzt folglich immer eine Erklärung als gegeben voraus. Bei der Entwicklung einer Technologie wird ein zukünftiges Ereignis als Ziel formuliert. Der Gegenstand auf den die Technologie angewandt werden kann, wird durch die vorgegebenen Rahmenbedingungen begrenzten. Gesucht wird in diesem Falle nach der Gesetzesaussage die das gewünschte Ereignis zur Folge hat.

Nachdem nun das Wissenschaftsverständnis und der Aufgabenbereich des kritischen Rationalismus näher erläutert wurde, will ich im folgenden zusammenfassen wie sein Bezug zur Praxis, in der dieser Hausarbeit zugrunde liegenden Literatur, gedacht wird. Dazu will ich insbesondere auf einen, von mir bis jetzt vernachlässigten Vertreter dieser Wissenschaftsrichtung eingehen, der nach KÖNIG und ZEDLER (1998, S. 51) als erster wissenschaftstheoretische Überlegungen in die Erziehungswissenschaft einführte.

1.3. Der Bezug zur pädagogischen Praxis in Anlehnung an WOLFGANG BREZINKAS Metatheorie der Erziehung (1978)

Die Aufgabe der Erziehungswissenschaft sieht BREZINKA (1978, S. 143-145) in der Konstruktion und Prüfung von Theorien, deren Gegenstandsbereich sie aus der an Handlungsproblem orientierten Fragestellungen der Praxis bezieht. Diese befassen sich vornehmlich mit mehrdimensionalen, aus vielen Einzelfaktoren bestehenden Zweck-Mittel-Beziehungen die im Zusammen- hang ihres sozial-kulturellen Kontextes zu betrachten sind. Mit Hilfe dieser Theorien sollen die Gesetzmäßigkeiten denen der Erziehungsalltag folgt, erfasset werden und bieten der Praxis, im Idealfall, die Möglichkeit aus ihnen Lösungen zur Bewältigung ihrer pädagogischen Aufgaben abzuleiten. Dies können nur nomologisch formulierte Theorien mit einem hohen empirischen Informationsgehalt leisten. BREZINKA (1978, S. 144) warnt jedoch vor überhöhten Erwartungen an die Erziehungswissenschaft aus mehreren Gründen.

"Sogar bei vollständiger Kenntnis eines Systems von Gegenständen der Wirklichkeit und aller dieses System beherrschenden Gesetzmäßigkeiten ist es möglich, daß wir »bestimmte Vorkommnisse weder Voraussagen noch rückerschließen noch in irgendeiner anderen Weise erklären können«" (BREZINKA, 1978, S.144). Er nimmt eine Trennung zwischen Konstruktion und Anwendung von Theorien vor, wobei die Konstruktion einer Theorie ihrer Anwendung immer zeitlich und sachlich voraus zu gehen hat. Bezogen auf Erklärung und Prognose besitzt ihre Anwendbarkeit aber keine Aussagekraft über ihren wissenschaftlichen Wert. Ob Erziehungswissenschaft überhaupt in der Lage ist, ein hypothetisch-deduktives System zu entwickeln, mit dem die Erziehungswirklichkeit vollständig erfasst werden kann hält er für ungewiss.

Dennoch ist er der Ansicht, daß selbst ein System bestehend aus empirischen Verallgemeinerungen und von räumlich und zeitlich beschränkter Gültigkeit in der Erziehung mehr leisten kann, als unser Alltagswissen. Indem das Alltagswissen als unzureichend erkannt wird und genauere Theorien gefordert werden entsteht nach BREZINKA (1978, S. 146) ein Erkenntnisfortschritt in der Pädagogik. Aufbauend auf unserer provisorischen Theorie, aus Alltags- erfahrung, über die Erziehungswirklichkeit, gelangen wir durch gründliche Untersuchung einzelner Tatsachen zu spezifischem, kausal-hypothetischem Gesetzeswissen. Dies kann durch experimentelle oder kausal-vergleichende Untersuchungen überprüft werden. Dabei ist zu beachten, daß wir es in der Erziehung mit sehr komplexen Phänomenen zu tun haben, in denen eine Vielzahl möglicher Acendentsbedingungen eine Rolle spielen. Eine Theorie, die alle diese in Frage kommenden Bedingungsfaktoren mit einbezieht, wäre vermutlich aber viel zu komplex, um überprüfbar und in der Praxis anwendbar zu bleiben. Aus diesem Grund muß in der Wissenschaft immer wieder entschieden werden, welche der möglichen Variablen in der Untersuchung als relevant angesehen und mit einbezogen werden. Somit sind Theorien in der Erziehungswissenschaft wie auch die meisten Theorien in den Naturwissenschaften als unvollständig anzusehen, da sie um ihrer Anwendbarkeit willen fast immer exklusiven Charakter behalten. Deshalb lassen sie auch, je nachdem welche Variable(n) als Hauptbedingung(en) angesehen werden, verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu (BREZINKA, 1978, S. 151).

BREZINKA (1978, S. 153) unterscheidet mehrere Arten von Bedingungen, die ein als Wirkung angesehenes Ereignis beeinflussen. Einfache Kausal- zusammenhänge, in denen immer eine Ursache eine Wirkung zu folge hat, trennt er in "notwendige" und "hinreichende" Bedingungen. Erklärungen, in denen beide Arten von Bedingungen erfasst werden, sind im Hinblick auf die sehr sichere technologische Anwendbarkeit in der Praxis am erstrebens- wertesten. Aber aufgrund des Gegenstandsbereiches der Erziehungs- wissenschaft eher utopisch, da vielmehr multi-kausale Zusammenhänge herrschen, in denen Ursache/Wirkungs Beziehung noch durch weitere Variablen bedingt oder ersetz werden können. Nach BREZINKA, (1978, S. 157) kann ein Vollständiges, sicheres Wissen über Zusammenhänge in der Erziehung, ein Ziel bedeuten, aber aufgrund der Komplexität der Phänomene unmöglich zu erreichen sein. Dies soll nicht bedeuten, daß unvollständiges Wissen gänzlich unbrauchbar sei - scließlich kann es pädagogisches Handeln immer noch besser leiten als ungeprüftes Wissen aus unseren Alltagserfahrungen.

Für die Praxis am interessantesten sind Erklärungen technologischer Art. In ihnen sollen nach Möglichkeit die notwendigen und hinreichenden Bedingungen aufgezeigt werden, die zur Verwirklichung eines Erziehungszieles manipuliert werden können. BREZINKA (1978, S. 162 ff) weist daraufhin, daß Entscheidung über erwünschte oder unerwünschte Verhaltensweisen immer Werturteile voraussetzen, diese aber zur Beantwortung der Frage, von geringer Bedeutung sind. Sie müßen deshalb nicht in das Satzsystem der Erklärung mit aufgenommen werden.

Zu berücksichtigen ist nach BREZINKA (1978) vielmehr die Gefahr, daß sich zwei unterschiedliche Erziehungsziele durch ungewollte Nebenwirkungen gegenseitig be- oder verhindern können. Erziehungswissenschaft soll, wie GUDJONS (1993) über BREZINKA schreibt, die praktische Pädagogik über die Wirkungszusammenhänge informieren aber keine Vorschriften machen (GUDJONS, 1993, S. 34). Sie will die Praxis also nicht direkt anleiten, sondern ihr das handlungstechnologische Werkzeug liefern, mit dem sie erfolgreicher durch die Erziehung bedingte Probleme lösen kann.

2. Kritik an der Methode des kritischen Rationalismus

Im dem nun folgenden Abschnitt sollen nun die Problematiken aufgezeigt werden, die die Kritiker an der wissenschaftlichen Methode des kritischen Rationalismus sehen. Auch an dieser Stelle möchte ich daraufhin weisen, daß es mir im Rahmen dieser Hausarbeit nicht möglich ist, auf alle kritischen Stimmen zu diesem Thema einzugehen. Der folgende Abschnitt kann also nur als grober Überblick über die Methodendiskussion in der Erziehungs- wissenschaft verstanden werden. Ausgangspunkt für die folgende Zusammen- fassung der Hauptkritikpunkte bildet die angegebene Textstelle aus "Pädagogisches Grundwissen"von HERBERT GUDJONS (1993, S. 36).

Die Kritik bezieht sich hier auf fünf Hauptvorwürfe:

I. Fehlende Theorieorientierung der Forschungspraxis
II. Reduktionismus
III. Verantwortungslosigkeit
IV. Deterministisches Erziehungsverständnis
V. Fehlender kritischer Gesellschaftsbezug

Auf drei dieser Vorwürfe möchte ich im folgenden anhand einiger, aus der mir vorliegenden Literatur ausgewählten, Autoren näher eingehen.

2.1. Der Vorwurf des Reduktionismus

Nach GUDJONS (1993, S. 36) bezieht sich dieser Vorwurf oberflächlich betrachtet darauf, daß in der empirischen Wissenschaft die komplexen Probleme die sich aus der pädagogischen Arbeit ergeben, grob vereinfacht und pädagogische Zielfragen ausgeklammert werden.

Um nun einen tieferen Einblick in die Problematik des Reduktionismus zu erlangen, lohnt sich ein Blick in DIETRICH BENNERs "Hauptströmungen der Erziehungswissenschaft" (1979). BENNERs (1979, S. 188 ff) Kritik richtet sich hauptsächlich gegen BREZINKA und dessen Werk "Metatheorie der Erziehung". Schon an der Basis BREZINKAs Theorie entdeckt er Unstimmigkeiten. Indem Brezinka Festsetzungen aufgrund eigener Entscheidungen als maßgebliches Kriterium zur Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Erkenntnis und deren Leistung anlegt, verfehlt er schon im Vorfeld das Ziel des Erkenntnisgewinns (BENNER, 1979, S. 190 ff). Da Entscheidungen aber immer auf einer subjektiven Basis gefällt werden, kann der kritische Rationalismus im Sinne BREZINKAs auch nicht in Anspruch nehmen, die Wirklichkeit objektiv zu erfassen. Der Unterschied liegt hier in dem, was wir als Wirklichkeit erklären und jenem, was Wirklichkeit ist. Dieser Sachverhalt wird aber nach BENNER (1979, S. 193, 194) von BREZINKA übersehen. Die positivistische Wissenschaftstheorie hat sich dafür entschieden, ausschließlich Kausalität als Mittel zur Erkenntnis der Wirklichkeit anzusehen.

Es gibt jedoch kein Kriterium, das besagt, daß solch eine Entscheidung richtig sei und folglich kann es auch kein Kriterium geben, anhand dessen entschieden werden kann, ob die Wirklichkeit als Gegenstand der Untersuchung erkannt wird. Positivistische Theorien erwiesen sich nur dann als brauchbar, wenn sich ihr Gegenstand der Überprüfung an ihrer empirischen Methode nicht entzieht. Dies ist, nach HABERMAS in BENNER (1979), aber prinzipiell dem Zufall überlassen und bleibt aus diesem Grunde der Theorie äußerlich. Sie verkürzt ihre Fragestellung und ihren Gegenstandsbereich ausschließlich auf Phänomene die auch durch Kausalzusammenhänge erklärt werden können. Diesen Sachverhalt erkennt nach BENNER (1979) zwar BREZINKA, jedoch fraget er nicht nach, ob die Reduktion des Gegenstandsbereiches nicht auch zum Verlust der Erziehung als Gegenstand der Wissenschaft führt (BENNER 1979 S. 194).

"...sie(die technologisch-positivistische Erkenntniswissenschaft) schränkt die erzieherisch bedeutsame Wirklichkeit im Sinne ihrer dogmatischen Vorentscheidung auf deren kausalanalytische Strukturiertheit und Deskribierbarkeit ein und verkürzt die »ganze Breite« alternativer Möglichkeiten erzieherischen Handelns auf das enge Spektrum technologischer Manipulation" (BENNER, 1979, S. 195; 196)

2.2. Die Problematik des deterministischen Erziehungsverständnisses

Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem durch Reduktion der Erziehungs- wirklichkeit auf Erklärungen kausalanalytischer Natur gewonnenem Wissen. BENNER weist schon im obigen Zitat auf die Gefahren hin, die sich durch die Anwendung in der Praxis ergeben. PETER VOGEL (1991, S. 20 ff) sieht hier einen der Hauptkritikpunkte an einer Erziehungspraxis, die sich im Sinne des kritischen Rationalismus versteht. In ihr wird der Zögling zu einem Objekt technologischer Manipulation degradiert. Seine Subjekthaftigkeit wird ihm abgesprochen, indem er auf einige meßbare Daten und manipulierbare Verhaltensweisen reduziert wird. Genauso wenig berücksichtigt werden nach VOGEL (1991) Individualität und Eigenrecht des Edukanten. Da von einigen wenigen Einzelfällen auf die Allgemeinheit geschlossen wird, werden dem Einzelnen auch seine Individualität aberkannt, also wird der Edukant in diesem Modell als Produkt der Erziehung angesehen und der Erzieher als sein Produzent, der darüber zu entscheiden hat, welche Verhaltensweisen als positiv oder negativ bewertet werden und dementsprechend zu manipulieren sind. Dies schließt die Mitbestimmung des Edukanten aus. Dabei wird übersehen, daß man nach neueren Forschungen aus der Psychologie und der Soziologie davon auszugehen hat, "... daß das Verhalten von Personen nicht nur als Wirkung von meßbaren Bedingungen zu begreifen ist, sondern “daß sich eine Person häufig um die Veränderung der sie beeinflussenden Bedingungen bemüht, ja daß dies die Hauptzielrichtung ihres Handelns werden kann” (OERTER, 1979, S. 25)" (VOGEL, 1991, S. 22). K. O. APEL geht nach BENNER (1979) an diesem Punkt sogar noch weiter, indem er dem kritischen Rationalismus vorwirft, bei ihren menschlichen Objekten gerade solche Reaktionen verhindern zu wollen, die ihre Theorie unanwendbar machen würden. BENNER (1979) sieht hier die Gefahr enthalten, um der Rechtfertigung der eigenen Methode willen Erziehung zu einer Manipulationstechnik umzufunktionieren.

KLAUS MOLLENHAUER (in BENNER, 1979, S.197) scheut an diesem Punkt, wie auch BENNER selbst (1979, S. 197), nicht den Vergleich zu der normativen Pädagogik. BREZINKA verkennt Erziehung als ein Prozess zwischen zwei miteinander Kommunizierenden und somit in Wechselbeziehung stehenden Subjekten, dadurch das er sie auf kausal Zusammenhänge reduziert und liefert somit der pädagogischen Praxis das Werkzeug für eine normativ-emotionale Steuerung ihrer Edukanten.

2.3. Verantwortungslosigkeit und der fehlende kritische Gesellschaftsbezug

An dieser Stelle gelangen wir zu einem weiteren Kritikpunkt an BREZINKAs Ausführung. Dieser bezieht sich auf "die Trennung von Erziehungs- wissenschaft und ideologischer Normierung der Erziehungspraxis" (BENNER, 1979, S. 200) durch die Forderung nach Werturteilsfreiheit. Nach VOGEL (1991, S. 23) übersieht BREZINKA dabei, daß Erziehungswissenschaft eben nicht nur für die Lösung handlungstechnologischer Fragen zuständig sein kann, sondern daß sie ihre Aufgabe auch darin sehen muß, die moralischen Fragen, die sich aus ihrer Anwendung in der pädagogischen Praxis ergeben, zu diskutieren.

BENNER (1979, S. 200) sieht im kritischen Rationalismus den Wegbereiter für Ideologien, welcher Art auch immer, in die Erziehung. Indem nämlcih dieser Form der Erziehung der Praxis das technologische Werkzeug zur Manipulation der Edukanten in die Hand legt, kann sie von jedem, der die Macht besitzt diese anzuwenden auch für seine Zwecke mißbraucht werden. Technologisches Wissen kann aber nicht werturteilsfrei sein, da es immer auf eine ideologische Verwertung hin angelegt ist. Der kritische Rationalismus jedoch stellt sich eben diesem Verwertungszweck durch die Ablehnung präskriptiver Sätze blind gegenüber (siehe MOLLENHAUER, in VOGEL, 1991, S. 23).

2.4. Kritik bezogen auf die Praxisrelevanz des kritischen Rationalismus nach H. ELMAR TENORTH

H. ELMAR TENORTHs (1991, S. 1-14) Ausführung über den kritischen Rationalismus im Rahmen der Paradigmendiskussion verdient in dieser Hausarbeit besondere Aufmerksamkeit. Er versucht in seiner Kritik aufzuzeigen, inwiefern der kritische Rationalismus überhaupt in der Lage ist, der Praxis die für sie relevanten Informationen zu liefern. D.h. Im Sinne unserer Aufgabenstellung also fähig ist, praktisches pädagogisches Handeln zu leiten. Er gliedert seine Argumentationskette in drei Schritte, denen auch ich folgen werde.

Der erste Schritt besteht darin, den Stellenwert, der dem kritischen Rationalismus in der Erziehungswissenschaft zu geordnet wird, zu kenn- zeichnen. Zu diesem Zweck grenzt er zuerst den Gegenstandsbereich dieser Wissenschaft ein, um anschließend anhand der zahlenmäßigen Erfassung ihrer "Produktionsstätten" und deren "Personal" auf ihre Größe hin einzuordenen. Das selbe Verfahren wendet er auf den Zweig der Erziehungswissenschaft, welche seine Kritik gilt, an. Dieser zeichnet sich, nach TENORTH (1991) eben dadurch aus, daß seine Aussagen nicht nur als wissenschaftlich sondern auch (nur) als empirisch anzusehen sind. Bei einem Vergleich kommt er zu dem Schluß, daß diejenigen sich zum Empirismus bekennenden Wissenschaftler im universitären Bereich mit 10 % eine relativ kleine Gruppierung in der Erziehungswissenschaft darstellen. Dieser kleinen Anzahl von Wissensschaftlern steht allerdings eine große Anzahl von empirischpädagogisch orientierten Fachzeitschriften zur Veröffentlichung ihrer Publikationen zur Verfügung. Ein eigener Unterausschuß im Fachbereich Pädagogik des DFG und eigene Teilbereiche in den Max Planck Instituten in Berlin und München belegen, daß der Empirischen Methode in der Erziehungwissenschhaft große Bedeutung zugerechnet wird.

Im zweiten Schritt versucht TENORTH (1991, S. 6) nachzuzeichnen, ob die von dieser Wissenschaftsrichtung erbrachten Leistungen auch in angemessenem Verhältniss zu der ihr entgegengebrachten Aufmerksamkeit stehen. Hierzu stellt er zunächst den quantitativen Beitrag der Empirie in der Erziehungs- wissenschaft anhand der Anzahl der ihr zuzurechnenden Publikationen dar. GERD MACKE kommt nach TENORTH (1991, S. 7) auf einen Anteil von ca. 24,5 % auf die Gesamtzahl der nach 1945 veröffentlichten Dissertationen. An dieser Stelle soll uns aber vielmehr die Qualität des veröffentlichten Materials interessieren. Und somit kommen wir zu dem Punkt, an dem TENORTHs (1991) Kritik ansetzt. "Für den Gesamtzusammenhang einer Disziplin steht in den Wissenschaften der Anspruch umfassender Systembildung, d.h. - wie BREZINKA sagt ... - die Synthese von erziehungsphilosophischen, empirischen und praktischen Wissenssystemen." (TENORTH, 1991, S. 8).

Solch ein System seitens der empirisch-pädagogischen Forschung liegt nicht vor, stattdessen aber vielmehr spezialisierte Untersuchungen einzelner Teilbereiche, die sich aber schwer oder gar nicht auf ein Gesamtsystem beziehen lassen. Ungewiss ist nach TENORTH (1991, S. 9) deshalb, ob der kritische Rationalismus überhaupt in der Lage ist, ein Programm zu entwickeln, daß diesem Anspruch gerecht wird. Bezogen auf die Anwendung in der pädagogischen Praxis bedeutet dies, daß auch immer nur Teillösungen geboten werden können. TENORTH (1991) zeigt an einem Beispiel WEINERTs auf, daß gerade die Fragen von übergeordnetem Interesse für die pädagogische Praxis bisher unbeantwortet geblieben sind. In empirischen Studien über komplexere Phänome in der Erziehung ist man nach WEINERT zu dem Ergebnis gekommen, ". .. daß es isolierte, einfache, stabile, und invariant gültige Abhängigskeitsbeziehungen zwischen Kriterien des Unterrichtserfolgs und Merkmalen des Unterrichts nicht gibt" (TENORTH,1991, S. 12). Somit ist auch fraglich, ob der kritische Rationalismus überhaupt in der Lage ist, die für die Praxis relevanten Fragen zu beantworten. TENORTH (1991) folgert daraus, daß die Empirie der Praxis nur solche Informationen liefert, die entweder in ihren Grundzügen schon bekannt sind oder für die praktisch pädagogische Arbeit von geringer Relevanz sind. Der einzige Unterschiedliegt darin, daß sie von nun an empirisch belegt sind.

Im dritten Schritt zieht er das Resümee, daß sich aus seiner Ausführung ergibt - auf dieses werde ich hier aber wegen seines sich wiederholenden Argumentationsverlaufs nicht weiter eingehen.

3. Resümee

Im folgenden und letzten Abschnitt dieser Hausarbeit will ich zu dem mir vorliegenden Stand der Disskusion durch abwägendes Vergleichen beider Positionen, Stellung beziehen. Inhaltlich werde ich mich zu diesem Zweck an den von den Kritikern aufgeführten Problematik orientieren. Abschließend will ich dann mit meinen eignen Worten beschreiben, wie ich den Bezug sehe und die Chancen sowie Gefahren, die ich in diesem Ansatz sehe, auf zeigen.

3.1. Reduktion: Problem oder Möglichkeit?

Viele der Kritiker sehen in der Reduktion der Erziehungswirklichkeit auf allgemeine, kausal zusammenhängende Gesetzesaussagen das Hauptproblem im kritischen Rationalismus, während die Befürworter des empirischen Wissenschaftsverständnises gerade in ihr die Möglichkeit sehen, fundierte Informationen zu gewinnen, die der Praxis dazu verhelfen können, die möglichen Auswirkungen ihres pädagogischen Handelns vorauszusehen.

Die Kritiker führen hauptsächlich zwei Gründe an, die gegen die Methode der Reduktion sprechen. Durch sie wird erstens der der Hermeneutik zu Grunde liegende Subjekt-Objekt-Bezug verkannt. Zweitens resultiert aus ihrer Anwendung, daß Erziehung zu einem Prozeß technologischer Manipulation verkommt (vgl.: BENNER 1979; VOGEL 1991; GUDJONS, 1993).

Beide Vorwürfe sind meiner Meinung nach in ihrem Ansatz durchaus berechtigt. Sollten uns jedoch nicht dazu veranlassen die Methode des kritischen Rationalismus als gänzlich unbrauchbar anzusehen. Eher sollten sie uns dazu dienen, die Grenzen ihrer Leistungsmöglichkeit und die Gefahren, die sich aus ihrer unreflektierten Anwendung ergeben können zu erkennen. Die Grenzen der Methode werden nicht nur von ihren Kritikern erkannt. WELLENREUTHER (2000, S. 91) schreibt dazu, daß aufgrund des Wissens über die prinzipelle Fehlbarkeit solcher reduzierten Aussagen uns deutlich gemacht wird, wo die Grenzen ihrer Anwendbarkeit liegen. BREZINKA weist daraufhin, daß "Der Versuch, die Beziehungen zwischen komplexen Variablensystemen zu erforschen, statt zwischen isolierten Variablen ohne Rücksicht auf deren Systemzugehörigkeit, könnte zu wirklichkeitsnäheren Theorien führen sofern es gelingt, genügend Überblick über die beteiligten Bedingungen zu behalten... gerade das scheint jedoch bei diesem multivariablen (multifaktoriellen) Ansatz nur begrenzt möglich zu sein" (Brezinka, 1978, S. 151). Er erkennt hier also sehr deutlich, wo die Grenzen seiner Methode liegen. Das Inividuelle, sowie Subjektive werden wohl immer Faktoren bleiben, die von der Empirie nicht mit einbezogen werden können. Aber soll und kann dies überhaupt Aufgabe der quantitativen Methode sein? Ich denke Nein. Wenn wir Informationen über eine größere Zahl von Individuen sammeln wollen, kann die einzelne Persönlichkeit nicht mehr berücksichtigt werden. Diesem Sachverhalt wird nach meiner Meinung mit dem Bewußtsein über die mögliche Fehlbarkeit von Aussagen zu genüge Rechnung getragen. Den Vowurf der technischen Manipulation sehe ich nicht als eine zwangsläufige Folge, sondern eine als mögliche Gefahr, die aus unreflektiertem eigennützigen Handeln resultiert.

Die Methode der Reduktion auf allgemeine Gesetzesaussagen gibt uns die Möglichkeit, das Spektrum der denkbaren Ursachen kausaler Natur zu erfassen, die in der Erziehung eine Rolle spielen können. Somit stellt er eine wichtige Ergänzung des Methodenrepertoirs in der Erziehungswissenschaft dar. Wir sollten nur nicht dem Irrtum verfallen, es ließe sich alles mit ihrer Hilfe erklären.

3.2. Verantwortungslosigkeit oder Toleranz?

Nach WELLENREUTHER (2000, S. 18) ist "der Glaube an die Fehlbarkeit unserer Erkenntnis" eines der Hauptmerkmale des kritischen Rationalismus.

Nun ist es für mich nur logisch aus dieser Annahme zu Schlußfolgern, daß es der Wissenschaft nicht zu stehen kann, Normen aus ihren Aussagen für die Praxis abzuleiten. Das nun gerade aus diesem Grund dem kritischen Rationalismus die Nähe zur normativen Pädagogik vorgeworfen wird, erscheint mir paradox (vgl. MOLLENHAUER nach BENNER, 1979, S. 196,197). Erst recht, wenn von den selben Vertretern die Forderung nach präskriptiven Sätzen in der Erziehungswissenschaft hervor gebracht wird (vgl. MOLLENHAUER nach VOGEL, 1991, S. 23).

Sicherlich bürgt die Forderung nach Wertfreiheit in der Wissenschaft auch Gefahren, aber wir sollten deshalb die Chancen nicht übersehen, die sich aus ihr ergeben. Durch sie wird Raum gelassen, für die unterschiedlichen Auffassungen, Meinungen und Werte über und in der Erziehung. Wir sollten Toleranz nicht mit Verantwortungslosigkeit verwechseln. Trotzdem liegt es auch im Aufgabenbereich eines Wissenschaftlers, die Werte zu vertreten, an die er glaubt - gerade auch bezogen auf sein Fachgebiet. Ich halte es jedoch für gefährlich und auch unprofessionell, dieses unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit zu betreiben.

3.4. Fazit

Ein Zitat von PETER VOGEL soll die einleitenden Worte zu meiner Schlußbetrachtung bilden. "Vielleicht muß die Erziehungswissenschaft ihre Forderung nach einer einheitlichen, wie allgemeingültigen Methodologie, in der sowohl das moralisch-praktisch definfierte 'Proprium' der Pädagogik wie die intersubjektive Sicherung von pädagogischer Erfahrungskenntnis wie die moralische Verpflichtung der Angehörigen pädagogischer Profession aufgehoben sind, im beschriebenen Sinne abschreiben, um realistisch weiterarbeiten zu können" (PETER VOGEL, 1991, S. 27).

Dieser Mutmaßung schließe ich mich an und möchte sie gleichzeitig auch auf das Thema dieser Hausarbeit beziehen. Eine dieser beiden Richtungen alleine reicht nicht aus, um die Praxis in ihrer pädagogischen Aufgabe verlässlich zu leiten. Um den Gegenstand Erziehung so genau wie möglich darstellen zukönnen, benötigen wir mindestens zwei unterschiedliche Blickwinkel auf ihn. Der Unterschied macht hier die Qualität aus, indem beide ihre Stärken und Schwächen kennen und sich so sinnvoll zu ergänzen wissen. Was solche in ihrer Methodik sich ergänzenden Untersuchungen leisten können, zeigt meiner Meinung nach die 13. Shell Jugendstudie (2000), die zwar ihre qualitative und quantitative Untersuchungen in zwei Bände trennt, in der aber inhaltlich die qualitative Studie die Basis bildet, auf der die quantitative Studie aufbaut, um von den Einzelfällen auf allgemeine Tendenzen schließen zu können. Beide Bände können uns wertvolle Informationen liefern, je nachdem, ob wir an einem Überblick über die Situation von Jugendlichen in Deutschland für unsere Arbeit interessiert sind, oder ob wir tieferen Einblick in die Situation einzelner Jugendlicher als Hilfestellung für die Arbeit in der Praxis oder der Wissenschaft benötigen.

Literaturverzeichnis

- BENNER, DIETRICH: Hauptströmung der Erziehungswissenschaft. Eine Systematik traditioneller und moderner Theorien. München, 1979, S. 188-201.
- BREZINKA, WOLFGANG: Metatheorie der Erziehung. Eine Einführung in die Grundlagen der Erziehungswissenschaft, der Philosophie der Erziehung und der praktischen Pädagogik. München, 1978, 4. Aufl., S. 143-167.
- DUDEN: Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. Von Drosdowski, Günther. 1997, Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich, 2. überab. Aufl.
- GUDJONS, HERBERT: Pädagogisches Grundwissen. Überblick - Kompendium - Studienbuch. Bad Heilbrunn, 1993, S. 33-36.
- KÖNIG, ECKARD; ZEDLER, PETER: Theorien der Erziehungs- wssenschaft. Einführung in Grundlagen, Methoden, und praktische Konsequenzen. Weinheim, 1998, S.45-56.
- PFAFFENBERGER, HANS: Erziehungswissenschaft. In: Fachlexikon der Sozialen Arbeit. Stuttgart; Berlin; Köln; 1997, 4. vollständig überab. Aufl., S. 290-291.
- TENORTH, HEINZ-ELMAR: Empirisch-analytisches Paradigma: Programm ohne Praxis - Praxis ohne Programm. In: HOFFMANN, DIETRICH (Hrsg.): Bilanz der Paradigmendiskussion in der Erziehungswissenschaft. Leistung, Defizite, Grenzen. Weinheim, 1991, S. 1-16.
- VOGEL, PETER : Von Umfang und Grenzen der Lernfähigkeit empirisch-analytischer und systematischer Pädagogik. In: HOFFMANN, DIETRICH (Hrsg.): Bilanz der Paradigmendiskussion in der Erziehungswissenschaft. Leistung, Defizite, Grenzen. Weinheim, 1991, S. 17-30.
- WELLENREUTHER, MARTIN: Quantitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Eine Einführung. Weinheim; München, 2000, S. 17-37, 81-101.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Praxisbezug im kritischen Rationalismus
Note
sehr gut
Jahr
2000
Seiten
17
Katalognummer
V101452
ISBN (eBook)
9783638998680
Dateigröße
385 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ich hab damals vergeblich nach diesem Eintrag gesucht. Du darfst ihn nun finden! 1000=)
Schlagworte
Praxisbezug, Rationalismus
Arbeit zitieren
Anonym, 2000, Praxisbezug im kritischen Rationalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101452

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