Paul Virilio " Ästhetik des Verschwindens"


Skript, 2001

8 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Ästhetik des Verschwindens

Zur Medientheorie Paul Virilios

Michael John

Germanistik (HF)/Journalismus und

Technik der elektronischen Medien (NF); BA

1. Semester

Matrikelnummer:

Dromologie

Die Dromolgie nennt Paul Virilio sein Wissensgebiet. Sie beschäftigt sich mit der Logik des Laufs und der Geschwindigkeit. Mediengeschichte, Millitärwissenschaft, Urbanistik und Physik fließen in ihr ein. Diese einzelnen Komponenten werden zueinander in Beziehung gestellt, immer unter Berücksichtigung des Begriffes der Geschwindigkeit. So sind beispielsweise politische oder geschichtliche Ereignisse nichts anderes als Erscheinungsformen der Geschwindigkeit.

Die Dromologie ist vor allem eine Theorie der Medien, weil jedes Medium eine gewisse Geschwindigkeit enthält, mehr noch an der Produktion von Wahrnehmung von Geschwindigkeit beteiligt ist. Es geht ihm also um bestimmte Geschwindigkeitsverhältnisse. Beispiele hierfür sind unter anderem die industrielle Revolution, deren Ziel es war, immer schnellere Maschinen zu entwickeln. Mit der Industrialisierung einher gehend ist die Errichtung von Verkehrsknotenpunkten. Ihre Prämisse gilt nicht der Kontrolle des Transports von Personen und Konsumgütern, sondern vielmehr der Kontrolle des Lauf von Geschwindigkeiten, vor allem vom Lauf der Informationen. So sagt Virilio, „[..]daß Nachrichten bzw. deren schneller Transport historisch schon immer wichtiger gewesen sind als Besitz- oder Produktionsverhältnisse[..]“1 Hierbei ist jedoch die Nachricht als solche nicht entscheidend, sondern vielmehr die Geschwindigkeit, in der die Information übertragen wird.

Somit wird die Information selbst zur Geschwindigkeit, denn durch das Tempo der übertragenen Daten wird unsere Wahrnehmung entscheidend beeinflusst, unser Raum- Zeitgefühl wird außer Kraft gesetzt. Damit wird es nötig, dem Menschen Prothesen zu verpassen, mit denen er sich den Anforderungen der immer höheren Geschwindigkeiten anpassen kann.

Die drei Revolutionen der Geschwindigkeit

Virilio unterscheidet in seinen Ausführungen zwischen drei Geschwindigkeitsepochen, die er auch als Revolutionen bezeichnet:

1. Die Revolution des Transportwesens im 19. Jahrhundert

Sie beginnt laut Virilio mit der industriellen Revolution, mit der Produktion von Maschinen, die selbst Geschwindigkeiten produzieren konnten. Dadurch war nun eine genaue Kontrolle eben jener Geschwindigkeit der Gerätschaften möglich. Im Gegensatz zur Informationsübertragung durch Daten war diese Art der Fortbewegung durch Geschwindigkeit für Virilio noch an Körperlichkeit gebunden, da sich die Medien noch auf einen „im Raum zu verortenden Körper“2 bezogen.

2. Revolution der lichtgeschwinden Übertragungsmedien im 20. Jahrhundert

Die Relativität zu Zeit und Raum verschwindet jedoch im Laufe des 20. Jahrhunderts durch die aufkommenden elektromagnetischen Übertragungsmedien. Durch ihre absolute Geschwindigkeit, die Lichtgeschwindigkeit, kommt es laut Virilio zu einer neuen Weltordnung. Der Mensch ist nun unabhängig von jeglicher Entfernung und physischer Bewegung. Damit wird aus der Auto- Mobilen Revolution eine Audiovisuelle. Durch die ungeheuren Geschwindigkeiten, in denen die Informationen übertragen werden, öst sich der Mensch von Raum und Zeit, der Raum beginnt zu verschwinden, „[..]alles wird zu schnell für die menschliche Wahrnehmung.“3 Dadurch werden die Funktionen und Fähigkeiten des Menschen automatisiert, da diese zu langsam sind, um sich den Geschwindigkeiten anzupassen.

Anders als Marshall Mc Luhan, der die elektromagnetischen Medien als Verlängerung unserer eigenen Gliedmaßen sah4, sieht Virilio dadurch einen Zusammenbruch unseres Da- Seins, einen Ausschluss der Menschheit aus der Realität. Das Telefon läßt beispielsweise ein „Hier und Jetzt“ nicht zu, es suggeriert uns, eine weite Strecke mühelos zurückgelegt zu haben, ohne körperlich am Ende dieser Strecke anzukommen. Der Mensch verliert sein Verhältnis zu einer materiellen Welt, zu körperlicher Nähe. Seine Existenz beschränkt sich auf die Präsenz bei Ereignissen, die außerhalb seiner eigenen Gegenwart stattfinden. Die Wahrnehmungskraft des Menschen findet nur noch in Echtzeit, in der Zeit der Lichtgeschwindigkeit, statt. Da diese jedoch final ist und nicht weiter beschleunigt werden kann, ist „[..]die Geschichte der zunehmenden Geschwindigkeit an ihr Ende gekommen, denn alles ist nun jetzt.“5.

3. Die Revolution der Transplantationstechniken

Da die Geschwindigkeit in Zukunft nun nicht mehr beschleunigt werden kann, wird die dritte Revolution auch keine Revolution der Geschwindigkeit sein können. Nachdem die Maschinen und die elektromagnetischen Medien unser Bewusstsein entscheidend prägten, soll laut Virilio nun unser Bewusstsein an sich revolutioniert werden. Dies soll durch die Einpflanzung von Mikrochips in den menschlichen Körper geschehen. Die Informationsmedien werden also direkt in den seelenlosen Körper des Menschen „eingepflanzt“6.

Ästhetik des Verschwindens

Eine weitere wichtige Frage von Virilios Medientheorie, neben der Dromologie, ist die Frage nach der Wahrnehmung. Die wesentliche These ist hierbei die Erlernbarkeit der Wahrnehmung und des Sehens und daraus folgend das Verlernen dieser Dinge durch die Geschwindigkeit der Medien.

Virilio versteht unter Bewußtsein “die unmittelbare Wahrnehmung der Phänomene”7. Anhand von Photographie und Kinematographie zeigt er jedoch auf, das eben jenes Bewußtsein durch die Beschleunigung der Wahrnehmung, bis zur Lichtgeschwindigkeit gesteigert, gelähmt wird und darin gänzlich verschwindet.

Photographie

Die Photographie sieht Virilio als Gegenteil der körperlichen Kunstformen. Denn wo sonst in der Kunst die Körperlichkeit und der Geist des Künstlers unersetzbar ist, ist das Photobild lediglich das Ergebnis eines photochemischen Prozesses. Das Ergebnis dieses Prozesses ist wiederum nur die Folge einer Belichtungszeit.

Die Photographie ist dem menschlichen Auge überlegen, weil sie es ermöglicht durch ihre Geschwindigkeit Bewegungen detailgetreu und genau festzuhalten. Jedoch passiert bei eben diesem Drücken des Auslösers nichts anderes als ein Einfrieren der Zeit auf einen Fixpunkt. Der photographierte Gegenstand wird dadurch aber von seiner Existenz in Raum und Zeit gelöst und somit vom Betrachter gar nicht richtig wahrgenommen, da es zur richtigen Wahrnehmung eines Gegenstands einen Bewegungsimpuls eines Objekts auf das Auge bedarf8.

Durch die Photographie beginnt die Verschmelzung von Auge und Photoobjektiv, was eine Veränderung des Sehens zur Folge hat. Es findet ein Übergang statt, vom “direkten Sehen zum technischen Visualisieren”9. Was daraus erfolgt ist ein Erstarren des Blicks, eine Desensibilisierung des Auges. Bestes Beispiel hierfür ist das Teleskop, das es dem Menschen möglich macht, Planeten zu sehen, die fernab von seiner Reichweite exestieren. Dadurch verschmelzen Nah und Fern und ein natürliches Bewußtsein von Dimensionen wird zerstört.

Kinematographie

Bei der visuellen Wahrnehmung durch technische Medien, z. B. Film, beginnt für Virilio die Ästhetik des Verschwindens. Der Film hat es geschafft, Realität auftauchen zu lassen. Doch diese Realität hat lediglich die Qualität des Vorbeiziehenden. Denn im Gegensatz zum Kunstwerk aus Stein oder Leinwand, sind Filme nicht von Dauer. Es bleibt nicht bei dem einen

Bild, das bleibt, sondern es kommen immer neue, immer andere Bilder von der kleinen Maschine, dem Projektor. Die Statue bleibt, doch jedes Bild eines Films, kaum ist es aufgetaucht, ist es auch schon wieder im Begriff zu verschwinden.

Auch die Ästhetik des Films verändert das Bewußtsein des Menschen. Durch Effekte, die der menschlichen Natur entgegengesetzt sind, werden die Zuschauer von Zeit und Raum gelöst, das Bewußtsein wird gestört, eine kritische Auseinandersetzung mit dem eben Gesehenen wird somit schwierig, in manchen Fällen sogar unmöglich. Dadurch erfüllt der Film vor allem propagandistische Zwecke. Der Film wird zur Einschläferungstechnik gegen das menschliche Bewußtsein. Auch hier ist die Geschwindigkeit Mittel zum Zweck. Die Gegenwart wird auf Sekundenbruchteile reduziert, wodurch eine vernünftige Rezeption des Gesehenen unmöglich wird. Dadurch werden die Massen beeinflusst, es kommt regelrecht zu Massenvisionen, die Zuschauer erfahren eine Gleichschaltung ihres Bewußtseins. Dadurch werden die Kinopaläste zu neuen Glaubenstempeln, die Filmvorführungen zu einer Art Gottesdienst, als ein Ersatzkult für Christentum und Monarchie10. Die Bilder der Kinematographie sollen also nicht mehr verstanden, sondern vielmehr geglaubt werden.

Medien und Krieg

Das millitärwissenschaftliche Denken , das Medien vor allem zur Verbesserung der optischen Wahrnehmungsfelder benutzt, nimmt auch in Virilios Ausarbeitungen einen wichtigen Platz ein. Mit immer besseren technischen Medien, zuletzt mit den elektromagnetischen, wird die Wahrnehmung immer mehr automatisiert. Der Mensch und seine Fähigkeit zu sehen, reicht in der immer schnelleren Geschwindigkeit der millitärischen technologischen Kriegsführung nicht mehr aus. Die automatisierte Realität der Welt braucht kein menschliches Sehen mehr. Die Welt wird von Maschinen beobachtet, die sehr viel schneller und genauer sehen als das menschliche Auge. Dies geschieht praktisch ohne Zeitverlust. Es reicht nicht mehr aus, die Gegenwart zu sehen, also dem Feind Auge in Auge gegenüber zu stehen. Vielmehr ist es notwendig geworden, die Geschwindigkeit des Sehens der des Handelns des Gegenüber gleichzusetzen. Konsquenz daraus ist, das die Realität angepasst werden muss, sie muß zur Echtzeit werden. Daraus ergibt sich nun das Verschwinden der Wahrnehmungskraft des Gegenwärtigen, das menschliche Sehen wird unnötig. Die Wahrnehmung von Raum und Zeit verschwindet.

Die Überwindung der Zeitzonen

Durch die Einführung der Echtzeit wird es in naher Zukunft auch bald keine Zeitzonen mehr geben. Durch die Entwertung des Raums durch die Höchstbeschleunigung hätte die Echtzeit Einzug gehalten. Nichts wäre mehr an ein hier und jetzt gebunden, man würde in einer verkleinerten Realität leben, in der “[..]Enge eines unabhängig von geographischen Entfernungen zugänglichen Lebensraums, die unzeitliche Perspektive eines kybernetischen Raums, in dem der Terror der Information herrscht.”11 Die Umwelt ist “versteppt”, der Mensch wird zu einem lebenden Toten, er wird von der Informatik “verspeist”. “Der Sinn der Welt ist zum Ende gekommen.”12.

Literaturverzeichnis:

Virilio, Paul: Ästhetik des Verschwindens. Berlin 1986.

Virilio, Paul: Fluchtgeschwindigkeit. München, Wien 1996.

Kloock, Daniela; Spahr, Angela: Medientheorien. Eine Einführung, 2., korr. Und erw. Aufl., München 2000

[...]


1 Daniela Kloock, Angela Spahr: Medientheorien: eine Einführung.München 2000, S. 134

2 Daniela Kloock, Angela Spahr, a.a.O, S.136

3 Daniela Kloock, Angela Spahr, a.a.O., S.136.

4 Vgl. Daniela Kloock, Angela Spahr, a.a.O., S.50f.

5 Virilio, Paul: Fluchtgeschwindigkeit. München, Wien.

6 Vgl. Daniela Kloock, Angela Spahr: Medientheorie: eine Einführung. München 2000, S.137.

7 Virilio, Paul: Ästhetik des Verschwindens, Berlin 1986, S.117.

8 Vgl. Daniela Kloock, Angela Spahr: Medientheorie: eine Einführung. München 2000, S.141.

9 Vgl. Daniela Kloock, Angela Spahr: Medientheorie: eine Einführung. München 2000, S.141.

10 Vgl. Daniela Kloock, Angela Spahr: Medientheorie: eine Einführung. München 2000, S.143.

11 Daniela Kloock, Angela Spahr: Medientheorie: eine Einführung. München 2000, S.161.

12 Daniela Kloock, Angela Spahr:a.a.O., S.163.

Ende der Leseprobe aus 8 Seiten

Details

Titel
Paul Virilio " Ästhetik des Verschwindens"
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)
Veranstaltung
Proseminar Medientheorie, Mediengeschichte
Note
1,7
Autor
Jahr
2001
Seiten
8
Katalognummer
V101422
ISBN (eBook)
9783638998390
Dateigröße
339 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Paul, Virilio, Verschwindens, Proseminar, Medientheorie, Mediengeschichte
Arbeit zitieren
Michael John (Autor:in), 2001, Paul Virilio " Ästhetik des Verschwindens", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101422

Kommentare

  • Gast am 3.1.2006

    abgeschrieben.

    Weniger eine eigenständige Arbeit als vielmehr eine (kaum) umformulierte Wiedergabe des Virilio-Kapitels aus dem Einführungsbuch von Kloock/Spaar. Eine etwas eigenständigere Bearbeitung wäre schön gewesen, zumal es nur sehr wenig Arbeiten zu Virilio gibt.

  • Gast am 25.11.2003

    das Verschwinden begreifen.

    Virilio lesen ist schon schwer, ihn zu verstehen und widerzugeben eine Leistung! Der Autor liefert einen Kurzabriss der zentralen Thesen Virilio´s.
    Die Gesellschaft ist demnach im Begriff, sich in der Beschleunigung aller Lebens- und Strukturzusammenhänge zu verlieren und schließlich zu verschwinden. Eine provokante These, die Virilio in Versatzstücken präsentiert. Das ist Virilio´s Methode der Darstellung - und die macht seine Bücher schwer lesbar. Wer Lust auf mehr als diese Arbeit hat, sollte somit "vorgewarnt" sein!

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