Die Rolle der Fellahin in der "Ägyptischen Revolution" 1919


Hausarbeit, 2001

35 Seiten


Leseprobe


1. Einleitung

Die Untersuchung von Bauernprotesten und Bewegungen bringt eine Vielzahl von besonderen Problemen mit sich. Obwohl ländliche Rebellionen eine häufige Erscheinung im „Nahen Osten“ und im Nordafrika ds 19. und 20. Jh. waren, wurden sie vergleichsweise selten zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.

Dies gilt auch für Ägypten. Nur wenige Historiker und Sozialwissenschaftler befassen sich explizit mit den Hintergründen, den Motiven und mit den verschiedenen Ausdrucksformen bäuerlichen Protests im 19. und 20. Jh. im allgemeinen oder mit der Rolle der Fallahin in der ägyptischen „Revolution“ von 1919 .1

Weit größer ist die Zahl der Untersuchungen, die sich mit der Entwicklung der vor allem von der städtischen Bildungselite getragenen Nationalbewegung und ihren unterschiedlichen Parteien und Gruppierungen befaßt.2

Bei der Betrachtung der Ereignisse des Jahres 1919 in Ägypten werden bei vielen dieser Autoren nicht nur die Revolten auf dem Land, sondern auch die Rolle der unterschiedlichen Gruppen in den Städten ( wie z.B. der Gewerkschaften und der Bewohner der Armenviertel) gänzlich ignoriert oder unter dem Schlagwort einer „Nationalen Revolution“ zusammengefaßt, wie in den Arbeiten von Quraishi, Terry und Zayid. Auch die ansonsten sehr detaillierte Arbeit von ar-Rafi i ignoriert viele Widersprüche, die das Bild einer „Nationalen Revolution“ in Frage stellen könnten.3 Sogar Ruskay, der den Prozeß der politischen Mobilisierung im Jahr 1919 und insbesondere die Rolle von nicht formell organisierten Gruppen ( „Voluntary groups“) untersucht, beschränkt sich dabei auf städtische Gruppen.4

Dem gegenüber steht eine große Zahl von wissenschaftlichen Untersuchungen über das ländli- che Ägypten des 19. Jh., in denen Fragen nach den Formen des Landbesitzes, der Produkti- onsweise auf dem Land , der kolonialen Durchdringung und der Beziehungen zwischen der ländlichen und der urbanen Gesellschaft untersucht werden. Die ägyptischen Fallahin werden zwar häufig als „Opfer“ dieser weitgehend ausführlich untersuchten Prozesse dargestellt, eine eigenständige Rolle oder selbstständiges politisches Handeln wird ihnen dabei jedoch nicht zugestanden oder gar übergangen. Auch ihre Teilnahme an der „Revolution“ von 1919 wird meistens, wenn sie überhaupt erwähnt wird, auf die Rolle eines jederzeit mobilisierbaren „Fuß- volkes“ reduziert, das unter der Führung ihrer Notablen und der Kairoer Wafd für die „natio- nale Sache“ Ägyptens kämpfte.

Zeitgenössische britische Beobachter betonen dagegen die Rückständigkeit und Unterwürfigkeit der ägyptischen Fallahin:“ The bulk of the people are a primitive peasantry...“ „...A population so easy going and so submissive,(...),they are much too backward to have any opinion one way or the other.“5 Ziel und Aufgabe britischer Politik sei es, ihre Lage zu verbessern, sowie sie aus ihrer Rückständigkeit zu befreien.6 Die unterschiedlichen Formen des Widerstands der Fallahin sowie individuelle Antworten auf die soziale Situation werden vor allem mit Kategorien wie „Banditentum“ beschrieben und als „kriminell“ denunziert.

Ein generelles Problem bei der Untersuchung von Bauernprotesten und Bewegungen besteht in der geringen Anzahl authentischer Quellen, die Aufschlüsse über die Motivation und Zielsetzung dieser Bewegungen geben können. Auch die Informationen von Schulze beruhen oft auf (unveröffentlichtem ) Archivmaterial des britischen Foreign Office, des War Office, sowie auf damaligen Meldungen ägyptischer Tageszeitungen.

Schriftliche Hinterlassenschaften von Bauern selber sind sehr selten, so daß häufig nur aufgrund von Taten auf die Motivation der Handelnden geschlossen werden kann.

Auf die Quellenproblematik soll jedoch noch einmal genauer im zweiten Abschnitt eingegangen werden, wo die Frage behandelt wird, wodurch der Widerstand der Fallahin motiviert wurde und wogegen er sich richtete, und nicht zuletzt, was in der Literatur überhaupt als Widerstand definiert bzw. wahrgenommen wird. Der Schwerpunkt soll dabei auf den Ereignissen des 19. Jh. liegen und die ersten Jahre des 20. Jh. bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs mit einschlie- ßen Erst im dritten Abschnitt wird die Rolle der Fallahin während der ägyptischen „Revolution“ von 1919 behandelt werden. Auf die Genese der ägyptischen nationalen Bewegung, ihre Ursprün- ge und ihre unterschiedlichen Parteien und Gruppierungen, sowie ihre politischen Vorstellungen kann aufgrund des begrenzten Umfangs der Arbeit nur soweit eingegangen werden, wie sie zum allgemeinen Verständnis der politischen Situation im Jahr 1919 unmittelbar notwendig ist. Zunächst sollen jedoch die allgemeinen Merkmale, die koloniale Durchdringung und der Struk- turwandel der ägyptischen ländlichen Gesellschaft behandelt werden, wobei Fragen nach Ei- gentums- und Herrschaftsverhältnissen sowie Produktionsformen auf dem Land im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen. Hier liegen die Hauptursachen für die Entstehung neuer Schichten bzw. Klassen und für die Auseinandersetzungen zwischen der agrarischen und der sich entwi- ckelnden urbanen Kolonialgesellschaft, die sich u.a. auch in den Revolten der Fallahin vom März und April 1919 ausdrücken.

2 Die koloniale Durchdringung und Transformation der ägyptischen, ländlichen Gesellschaft im 19. Jh.

Bis vor einigen Jahren existierte ein weitgehender Konsens dahingehend, daß der Prozeß der Kolonisierung, mit Schulze verstanden als „... planmäßige Umstrukturierung regionaler Ökonomien mit dem Ziel, diese in ein übergeordnetes System arbeitsteilig hierarchisiert und zentralisiert auf der Basis von Kapitalproduktion zu integrieren...“7, in Ägypten zu Beginn des 19. Jh. mit der Herrschaft von Muhammad Ali seinen Anfang nahm.

Die vorherrschenden Produktionsformen der ägyptischen Agrargesellschaft, die in Folge dieser Entwicklung abgelöst wurden, werden als Form der Moralökonomie beschrieben, gekenn- zeichnet durch die Abwesenheit marktvermittelnder Strukturen, basierend auf in der Gemein- schaft allgemein anerkannten Normen und einem Netzwerk gegenseitiger Verpflichtungen. Manche Autoren sprechen auch von einer „Islamischen Moralökonomie“.8 Allerdings ist der Versuch, die für die ägyptische Agrargesellschaft charakteristischen Merkmale der Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens auf ein allgemein gültiges Modell zu reduzie- ren, kaum möglich. Allgemeine vorherrschende Elemente, waren z.B. die Gliederung der Dör- fer nach der Zugehörigkeit zu Familien bzw. Stämmen, innnerhalb derer Gütergemeinschaft herrschte, die Abwesenheit staatlicher Institutionen und ihrer Repräsentanten und das Über- wiegen der Subsistenzwirtschaft, die Kollektivverantwortlichkeit des Dorfes als zu besteuernde Einheit, und die Existenz von Gemeinschaftsland ( musa ) , das periodisch zur Nutzung neu verteilt wurde.9 Die Mehrzahl der Dörfer im 18. und 19. Jh. sind demnach als relativ autarke Einheiten zu bezeichnen.10

Als wichtigste Faktoren für die Kolonisierung der ägyptischen Agrargesellschaft und den sie begleitenden Wandel der ägyptischen Sozialstruktur des 19. Jh. gelten Veränderungen hinsichtlich der Nutzungs- und Verfügungsrechte am Boden und die Einführung des Baumwollanbaus in den 20 er Jahren.

Unter der Herrschaft Muhammad Alis wurde mit der Privatisierung des sich bis dahin nominell allein im Besitz des Staates befindlichen Landes begonnen und das alte System der Steuerpacht (Iltizam) zugunsten einer direkten Besteuerung von Grund und Boden, durchgesetzt durch bezahlte Angestellte des Staates, ersetzt.11

An Stelle der Klasse der Multazims entstanden in einem komplizierten Prozeß, dessen Verlauf an dieser Stelle nicht detailliert dargestellt werden kann, eine Vielzahl neuer sozialer Gruppen, ausdifferenziert durch unterschiedlichen Besitz an Grundeigentum. Mit der eigentlichen Privati- sierung von Grund und Boden, d.h. einer rechtlichen Absicherung freier Nutzungs- und Verfü- gungsrechte, wie dem Recht, Landbesitz zu vererben, zu verpachten oder zu verkaufen, wurde jedoch erst in den 40er Jahren unter dem Khediven Sa id begonnen. Sa id versuchte auch die Frage des im Osmanischen Reich nicht zulässigen und in Ägypten mit Unsicherheiten verbun- denen Erwerbs von Landbesitz für Ausländer zu regeln, die jedoch erst mit der Einrichtung der „Mixed Courts“ im Jahr 1876 eine rechtliche Regelung erfuhr.12 Die Investitionen von Auslän- dern in Landbesitz waren jedoch im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen, wie etwa dem Exportgeschäft, das fast ausschließlich von ausländischem Kapital dominiert wurde, gering. So betrug der Anteil des Bodens, der sich in den Händen von ausländischen Grundbesitzern be- fand, im Jahr 1897 beispielsweise nur etwa 10% der Agrarfläche im ganzen Land. Im Verlauf des Prozesses der Ablösung des Iltizam durch privaten Besitz an Grund und Boden wurde die Kollektivverantwortlichkeit des Dorfes für das Steueraufkommen zugunsten einer individuellen Besteuerung der einzelnen Parzellen aufgehoben.13

Die Politik Muhammad Alis leitete auch die erste Phase der Agrarexpansion und der Einbin- dung Ägyptens in den Weltmarkt durch den in den 20er Jahren, mit Hilfe ausländischer Spe- zialisten begonnenen systematischen Anbau von Baumwolle ein. Auch wenn das ursprüngliche Interesse am Baumwollanbau zunächst vor allem in der Eigenversorgung (der Armee) bestand, erreichte der Exportanteil von Rohbaumwolle zwischen 1821 und 1846 bereits einen durch- schnittliche Höhe von 28% jährlich.14 Die ursprüngliche Monopolisierung des Baumwollhan- dels durch den ägyptischen Staat wurde jedoch beendet, als das Land zu Beginn der 40er Jahre unter dem Druck der europäischen Mächte zur Übernahme des zwischen Großbritan- nien und dem Osmanischen Reich 1838 geschlossenen Vertrages von Balta Liman gezwungen wurde, der die Abschaffung aller Monopole und die Öffnung der Märkte beinhaltete.15

Es war vor allem der in Folge des amerikanischen Sezessionskrieges entstandene „ cotton famine“ auf dem Weltmarkt, der den sprunghaften Anstieg im Export von Baumwolle und eine Ausweitung der Anbauflächen zur Folge hatte. Der Exportanteil der Baumwolle erreichte im Jahr 1865 einen Rekordanteil von 91, 5% und lag trotz seines Rückganges nach Beendigung des amerikanischen Bürgerkrieges im Jahr 1882 beispielsweise noch bei 65 %. Den Hauptan- teil am Baumwollexport konnte sich Großbritannien sichern, das im Gegenzug zum wichtigsten Herkunftsland ägyptischer Importe aufstieg.16 Mit dem Ende des Bürgerkrieges wuchs auch die Notwendigkeit für Großbritannien zur Beherrschung des ägyptischen Baumwollexports, da der Preis für amerikanische Rohbaumwolle, bedingt durch die Abschaffung der Sklaverei in die Höhe schoß.17 Im Verlauf der Kolonisierung Ägyptens, vor allem in Folge des „Cotton Boom“ 1861- 1864 stieg die Zahl der im Land lebenden Ausländer (Levantiner, Griechen und andere Europäer) stark an. Während 1836 noch 3000 Ausländer im ganzen Land lebten, wa- ren es 1878 schon 68.000 und 1891 ca. 90.000, von denen fast 80.000 in den Metropolen Kairo und Alexandria lebten.18

Die Einführung des Baumwollanbaus in den 20er Jahren des 19. Jh. hatte die Herausbildung mehrerer unterschiedlicher Strukturräume mit einem jeweils spezifischen historischen Verhältnis zum Grad der kolonialen Durchdringung zur Folge. Die Provinzen des Nildeltas Sarqiya, Da- qahliya, Garbiya und Manufiya, in denen zu Beginn der 20er Jahre die ersten Anbauversuche gemacht wurden, traf zuerst und am nachhaltigsten die Umstrukturierung der Landwirtschaft und des Baumwollanbaus, ein Prozeß, der in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts weitge- hend abgeschlossen war. In den 20er Jahren des 19. Jh. wurden in diesen Provinzen mehr als 90 % der gesamten ägyptischen Baumwolle angebaut. In dieser Region hatten die Investitionen der großen ausländischen Agrargesellschaften und -banken ihren Schwerpunkt und lagen um ein Vielfaches höher als in Oberägypten. Mittels umfangreicher Deicharbeiten konnten zudem weite Gebiete im nördlichen Delta, die bis dahin durch Seewasser versalzen waren, für den Baumwollanbau hinzugewonnen werden.

Im Gegensatz zur Deltaregion wurden die Provinzen Mittel- und Oberägyptens erst nach der Besetzung des Landes durch die Briten in den 80er und vor allem in den 90er Jahren systematisch für den Baumwollanbau erschlossen.19

Der hier nur in seinen Grundzügen skizzierte Prozeß hatte Veränderungen zur Folge, die alle sozialen Beziehungen der Produktion und Reproduktion betrafen, wie z. B.die Arbeitsorganisation, Grundbesitzformen, u.s.w. .Der Anbau von Baumwolle erforderte an erster Stelle eine Erweiterung und Veränderung des Bewässerungssystems. Die traditionellen Anbaumethoden ließen nur zwei Anbauphasen zu, die eine im Herbst während der Nilüberschwemmungen, die andere im Winter mittels Bassainbewässerung. Im Gegensatz dazu erfordert Baumwolle als Sommerpflanze mit einer Wachstumszeit von etwa sechs Monaten eine dauerhafte künstliche Bewässerung, vor allem in der Trockenperiode von April bis August.

Bis zum Jahr 1833 wurden daher Kanäle mit einer Gesamtlänge von etwa 240 Meilen ausge- hoben und erweitert.20 Nach der Besetzung durch die Briten wurde der Bau von Staudämmen und Bewässerungskanälen, der sich bis dahin noch auf die Provinzen des Deltas konzentriert hatte, fortgesetzt, um auch Gebiete in Mittel- und Oberägypten für den Baumwollanbau zu gewinnen. Ein Vergleich der dabei jährlich investierten Summen zeigt, daß die entscheidende Phase der Agrarexpansion in die Zeit zwischen den Jahren 1897 und 1907 fiel.21

Auch der Anteil der dauerhaft bewässerten Flächen, die vor allem für den Baumwollanbau verwendet wurden, an der gesamten kultivierbaren Fläche der einzelnen Provinzen zeigt den zeitlich unterschiedlichen Verlauf der kolonialen Durchdringung. Im Jahr 1897 betrug dieser Anteil in den Delta- Provinzen und in Fayyum nahezu 100%, während er in den oberägyptischen Provinzen noch weitaus geringer war ( in Giza 3% , in Asyut 8%, in Minya 41% , in Girga 15% und in Qina und Aswan 0%).22

Die Lasten für den Ausbau des Bewässerungssystems, das die Grundlage für den Baumwoll- anbau war, hatten vor allem die Fallahin zu tragen, deren Arbeitskraft durch das System der Corvee billig und jederzeit verfügbar war. Die sogenannte Corvee, die bereits seit Jahrhunder- ten bestand, hatte die männliche Landbevölkerung regelmäßig zu Arbeiten verpflichtet, die der Ausbesserung der Infrastruktur dienten, und war die Grundlage für den Erhalt der vorhande- nen Bewässerungsanlagen. Bis zum Ende des 18. Jh. wurden diese Arbeiten jeweils in der unmittelbaren Umgebung der Dörfer durchgeführt, so daß die Ergebnisse der Arbeit in gewis- ser Weise auch den Bewohnern des Dorfes zugute kamen. Unter Muhammad Ali wurde damit begonnen, die Corvee auszuweiten und die Fallahin zu Tausenden für Großprojekte wie Damm- und Kanalbauten zu rekrutieren, die häufig weit von ihren Dörfern entfernt lagen, so daß der Nutzen der Corvee kaum noch vermittelbar blieb und die Fallahin von dieser Arbeit und dem Zentralstaat, der sie durchsetzte und in dessen Nutzen sie lag, entfremdete.23 In dem Maße, in dem die Fallahin, zum Teil unter direktem Zwang, dazu übergingen Baumwolle anzupflanzen und indem sie gleichzeitig aufhörten, traditionelle Subsistenzprodukte anzubauen, wuchs ihre Abhängigkeit von den Entwicklungen auf dem Markt. Während sich so die Anbauflächen für Mais, Weizen und Bohnen ständig verringerten, stieg der Anteil des Landes, das für den Anbau von Baumwolle verwendet wurde, kontinuierlich an. So wurden im Sommer 1897 in Unterägypten von der insgesamt kultivierten Fläche von 1.67 Mio Faddan 1,5 Mio Faddan für den Anbau von Baumwolle verwendet.24

Im Verlauf des 19. und zu Beginn des 20. Jh. kann man eine zunehmende Konzentration des Grundbesitzes in den Händen einer immer geringer werdenen Anzahl von kapitalkräftigen Großgrundbesitzern feststellen, die einen großen Teil ihres Landes verpachteten. Sie stellten den Pächtern gleichzeitig das nötige Kapital - Samen, Dünger und Bewässerung - zur Verfü- gung. Am ausgeprägtesten war die Konzentration des Großgrundbesitzes in den zuerst und am nachhaltigsten für den Baumwollanbau erschlossenen Provinzen des Deltas sowie in der Pro- vinz Fayum.25 Die Großgrundbesitzer lebten meist als sogenannte „absentee landlords“ in den regionalen Zentren und betrauten Inspektoren ( Nazir, pl. Nuzzar ), die keinen sozialen Bezug zur Dorfgemeinschaft hatten, mit der Wahrung ihrer Interessen gegenüber den Pächtern.

Dem gegenüber stand eine zunehmende Anzahl von Fallahin, die stark verschuldet waren und deren Land nicht mehr zur Existenzsicherung ausreichte. Die Folgen waren Enteignung und Proletarisierung. Obwohl einige Fallahin zumindest nominell über Besitz an Grund und Boden verfügten, waren viele so stark verschuldet, daß ihnen das Land faktisch nicht mehr gehörte. Die Ergebnisse des Zensus von 1907 zeigen, daß nur 6,6% der Grundeigentümer eine Fläche zwischen 5 und 100 Fad. besaßen und 17,5% eine Fläche von 1-5 Fad. Auf der anderen Sei- te standen 27.7% der Grundbesitzer, die nur eine Fläche zwischen 0 und einem Fad. besaßen, 11.7 % Pächter und 36.3 %, die als Lohnarbeiter auf dem Lande lebten und vor allem in Zeiten der Baumwollernte eingestezt wurden.26

Die Fallahin mit einem Grundbesitz von 0- 1 Fad. können jedoch kaum als unabhängige Grundbesitzer bezeichnet werden, da diese Anbaufläche nicht zur Ernährung einer Familie ausreichend war, weder durch Subsistenzwirtschaft noch durch den Anbau von Baumwolle. Zudem waren diese Grundstücke häufig durch Hypotheken belastet. Ähnliches gilt ( z.B. durch unterschiedliche Bodenqualitäten bedingt) auch für Teile der Grundbesitzer mit einem Besitz zwischen 1 und 5 Fad. .27 Nathan Brown vertritt die Auffassung, daß die Zahl der Familien, die sich ausschließlich durch eine einzige der drei Möglichkeiten - Pacht von Land oder eige- nen Grundbesitz für Subsistenzwirtschaft bzw. Baumwollanbau oder Lohnarbeit- ernährten, sehr gering war: „ ...There was no typical peasant household; each pursued its own strategies for survival.“28

In Unterägypten, das am stärksten durch den Anbau sogenannter „cash crops“ geprägt war, war die Verschuldung der Fallahin höher, als in Gebieten, in denen noch längere Zeit Sub- sistenzwirtschaft eine Rolle spielte. Eine Ursache dafür war, daß hier die Pacht, die einen gro- ßen Teil der Schulden ausmachte, höher war. Oft mußten die Fallahin die zu erwartende Ernte im voraus unter ihrem Preis verkaufen, um Kredite zu tilgen, bzw. neue Kredite aufzunehmen. Während des Ersten Weltkrieges verschärfte sich die Schuldenkrise der Fallahin, was zur Fol- ge hatte, daß ca 10-15% der kleinen Grundbesitzer in dieser Zeit ihr Land verloren. Von die- ser Entwicklung profitierten in erster Linie die großen Agrarbanken, deren Kapital sich fast ausschließlich in europäischen Händen befand. In den Jahren 1911 bis 1919 verzehnfachte sich z.B. der Umfang des zugunsten der „Agricultural Bank of Egypt“ enteigneten Landes ( von 1320 Fad. im Jahr 1911/1912 auf 15.237 Fad. im Jahr 1919/1920).29

Im Verlauf der Kolonisierung änderte sich auch die Rolle des sich meistens in den Händen von Notablenfamilien befindliche „Amt“ des Umda.30 Sie wurden in den kolonialen Staat integ- riert, indem sie der Kontrolle der Provinzverwaltung unterstellt und mit administrativen Aufga- ben btraut wurden. Sie verloren aber auch tradtionelle Vorrechte an Angestellte der Kolonial- verwaltung, wie etwa die Kontrolle über die Wasserverteilung des Dorfes und die periodische Neuverteilung des musa - Landes, das abgeschafft wurde. In dem Maß, in dem die lokalen Eliten auf dem Land in die Verwaltung des Staates integriert wurden, wurde einerseits ihre Macht institutionalisiert und gestärkt, andererseits ging ihre traditionelle Legitimation gegenüber den Fallahin verloren.

Eine große Anzahl dörflicher Notablen wanderte auch die Provinzstädte ab, in denen eine neue, allerdings sehr heterogene Klasse entstand. Die sogenannte „Affandiya“ umfaßte die im Baumwollhandel engagierten Kaufleute, Händler und Zwischenhändler sowie Absolventen der neuen säkularen Bildungseinrichtungen, wie Ärzte Anwälte und Staatsangestellte und Journalis- ten, von denen viele eine europäische, vor allem französisch geprägte Ausbildung durchlaufen hatten. 31

3. Traditionen des Widerstandes der Fallahin im 19. Jh.

Der folgende Abschnitt soll einen Überblick über die unterschiedlichen Formen sozialer Revolten und anderer Formen des Widerstandes gegen die oben beschriebene Kolonisierung und Transformation der ägyptischen Agrargesellschaft im 19. Jh, bis zum Beginn des 1. Weltkrieges geben. Diese weisen kein einheitliches Erscheinungsbild auf, da sie stark durch regionale Unterschiede, durch verschiedene historische Traditionen und durch den unterschiedlichen Grad der Kolonisierung geprägt wurden.

Die Darstellung soll sich nicht auf die großen Revolten beschränken, sondern auch die vielfälti- gen Erscheinungsformen des alltäglichen Widerstandes zeigen, die häufig in historischen Unter- suchungen keine Beachtung finden bzw. gar nicht als Widerstand begriffen werden. Auf die Schwierigkeiten bei der Untersuchung von Motivation und Zielsetzung von Bauernpro- testen in jeder Form ist bereits in der Einleitung hingewiesen worden. Diese gelten besonders für das, was man als Formen „alltäglichen individuellenWiderstands“ definieren kann, die mit sozialwissenschaftlichen Methoden nur schwer zu erfassen sind. Nathan Brown bemerkt zu diesem Problem : „Grumbling and pilfering leave few traces; those who grumble and pilfer may in fact hope that their identity, if not their actions go undetected“32 Gerade Formen individuellen Widerstands waren aber vermutlich am weitesten verbreitet, da Organisierung zu einem offenen Aufstand mit ungleich größeren Risiken verbunden war. Diese Formen drückten sich z.B. in Verweigerung, Sabotage, langsamem Arbeiten bei der Heranziehung zur Corvee, sowie in Flucht und Desertation aus.

Auch die passive Unterstützung von Individuen oder Gruppen von Aufständischen seitens einer Familie oder eines ganzen Dorfes sollte, so Brown, ebenfalls als Widerstand begriffen werden. Diese bestand z.B. in der Verweigerung der Kooperation mit Vertretern des Staates, in dem Schutz für Flüchtlinge und Deserteure und in der Weigerung, Personen, die im Verdacht standen, Verbrechen verübt zu haben, zu identifizieren bzw. gegen sie auszusagen.33 Nicht zuletzt bargen auch solche Handlungen Risiken mit sich, da die Verhängung von Kollektivstrafen ein häufig gebrauchtes Mittel des Staates war .

Die Hauptursachen für die ländlichen Revolten des 19. Jh. lagen in der unter Muhammad Ali begonnenen Umstrukturierung Ägyptens, das durch den staatlich monopolisierten Anbau von sogenannten „cash crops“ in den expandierenden Weltmarkt integriert wurde. In Ägypten, das im Vergleich zu den anderen Regionen des Nahen Ostens im 19. und zu Beginn des 20. Jh. am weitesten in diesem Prozeß fortgeschritten war, traten auch der daraus resultierende gesell- schaftliche und ökonomische Wandel sowie die Revolten gegen diese Entwicklung zuerst in Erscheinung.34

Obwohl es vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jh. in Ägypten häufig zu Bauernaufständen kam, konnte sich keine dieser Erhebungen für längere Zeit behaupten. Im Gegensatz zu den Aufständen im Libanon ( z.B. der sozialen Revolte in Kisrawan 1858- 61, die zur Gründung einer Bauernrepublik führte), die durch die geographischen Besonderheiten der Region be- günstigt wurden, bot selbst der Oberägyptische Raum keine vergleichbaren Hindernisse für die Armeen der Zentralgewalt, die zudem in Ägypten weitaus stärker entwickelt war.35

Größere kollektive Rebellionen waren vor allem spontane Erhebungen gegen konkrete Mißstände oder eine plötzliche Verschlechterung der materiellen Lage der Fallahin, ausgelöst durch Steuererhöhungen oder Hungersnöte. Ein wichtiges allgemeines Merkmal ländlicher Revolten ist ihre Gebundenheit an den agrarischen Kalender, die eine Teilnahme an ihnen etwa in Zeiten der Ernte und der Aussaat nur bedingt zuläßt..

Der Widerstand der Fallahin richtete sich zunächst gegen die unter militärischem Zwang erfolg- te Durchsetzung des Baumwollanbaus, gegen die Erhöhung von Steuern sowie gegen die Cor- vee, die vor allem für den verstärkten Ausbau und die Erweiterung des Bewässerungssystems benutzt wurde. So wurde z.B. die Baumwollsaat zerstört, um die zuständigen Angestellten der Regierung von der Unmöglichkeit zu Überzeugen, Baumwolle anzubauen. Die Schaffung einer neuartigen Armee unter Muhammad Ali, die sich vor allem aus rekrutier- ten Fallahin zusammensetzte, barg ein weiteres latentes Konfliktpotential zwischen den Vertre- tern der Zentralgewalt bzw. des kolonialen Staates und großen Teilen der Landbevölkerung. Die umfangreichen Rekrutierungen hatten schwere Auswirkungen auf das ländliche Ägypten und waren in jedem Dorf, ja in jeder Familie spürbar.36

Die Lasten, die auf den ägyptischen Fallahin ruhten, wurden erst wieder etwas erleichtert, als Ägypten unter dem Druck der europäischen Mächte 1841 zu einer Reduzierung seiner Armee gezwungen wurde. Der Konflikt spitzte sich jedoch auch zeitweise wieder zu, so z.B. als der Khedive die Entsendung eines ägyptischen Expeditionscorps in den Krimkrieg beschloß.37 Häufig reagierten die Betroffenen mit Selbstverstümmelungen, um ihrer Einziehung in die Ar- mee zu entgehen, auch sollen viele Mütter ihren Söhnen bereits im Kindesalter aus diesem Grund Verletzungen zugefügt haben.38 Sehr verbreitet war auch die Flucht in die Städte oder in unzugängliche Gebiete, wie etwa in Sümpfe oder zu Beduinenstämmen. Auch Desertion so- wohl individuell, als auch in größeren Gruppen und ganzen Abteilungen war eine weit verbrei- tete Erscheinung in der unter Muhammad Ali geschaffenen Bauernarmee. Bei der Bekämpfung von sozialen Rebellionen und Mahdi- Bewegungen kam es immer wieder vor, daß sich Teile der zu ihrer Niederschlagung eingesetzten Armeen den Aufständischen anschlossen.39

In den Jahren 1823 und 1824 erhoben sich die Fallahin der Delta- Provinz Manufiya unter der Führung lokaler Suiuh gegen die Einführung neuer Steuern sowie gegen Rekrutierungen. Im Jahr 1854 rebellierten die Beduinenstämme im Fayum Becken und in der Umgebung von Mi- nya gegen ihre geplanten Rekrutierungen. Zur Bekämpfung der Beduinen sollen ca. 18.000 Soldaten eingesetzt worden sein , wobei sämtliche Angehörige des Stammes der Bani Hasib umgebracht wurden.40

Eine regional spezifische Form ländlicher Bewegungen, die auf die neuen ökonomischen und sozialen Widersprüche reagierten, waren die auf Oberägypten beschränkten sogenannten „Mahdi- Bewegungen“, die Schulze als „millenarische“ bzw. „quasi - millenarische Bewegungen“ bezeichnet.41 Der Glaube an einen Mahdi ( das bedeutet einen „Rechtgeleiteten“ bzw. „ unter göttlicher Führung stehenden“), mit dem ein neues Zeitalter der Gerechtigkeit anbrechen soll, ist eine nicht nur bei den Schiiten, sondern auch im sunnitischen Volksislam vor allem in Nordafrika verbreitete eschatologische Vorstellung.

Die geographische Nähe des oberägyptischen Raumes zum Higaz, der im 18. und z.T. im 19. Jh. ein bedeutendes Zentrum islamischer Erneuerungsbewegungen war, begünstigte die Entstehung dieser Art von Bewegungen. Hier verliefen wichtige Pilger- und Handelswege, die über Qina und den Hafen von Qusair zur arabischen Halbinsel führten, und entlang derer auch bestimmte religiöse Vorstellungen Verbreitung fanden.42

Entscheidende Bedeutung für die Mobilisierung der Fallahin zu diesen ( sozial motivierten) Revolten hatte der Islam. Dieser fand seinen Ausdruck auf dem Land u.a. in der Form eines durch Sufi- Bruderschaften geprägten und getragenen „Volksislams“, der sich von der Orthodoxie der al- Azhar unterschied und auch durch die Reformbewegungen des 19. Jh. wie der Salafiya, immer weiter entfremdet wurde.

Im Jahr 1820 trat ein Mann namens Ahmad as-Salah in dem Dorf Salimiya in der Provinz Qi- na auf und mobilisierte mit seinen religiösen Predigten die Fallahin der umliegenden Dörfer - nach manchen Angaben wuchs die Zahl seiner Anhänger bis auf 40.000 an- und brachte kurz- zeitig weite Teile der Provinz unter seine Kontrolle. Bei ihm ist allerdings nicht geklärt, ob er sich als Mahdi verstand.43

Auch über die zwei Jahre später folgende Rebellion unter der Führung von Saih Ahmad al- Wazir ist nur wenig bekannt. Er erklärte sich zum Mahdi und zum Heiligen und konnte durch Maßnahmen wie die Enteignung staatlicher Speicher und die Vertreibung von Repräsentanten der Staatsgewalt die Zustimmung der Fallahin gewinnen, die sich ihm zu Tausenden anschlos- sen. Seine Sendung ( hidayat )berief ihn „...zum Sturz des Tyrannen Muhammad Ali und zur Errichtung eines Reiches des „wahren Islam“.“44 Erst nach mehreren Monaten konnte seine Bewegung durch ägyptische Truppen, die von französischen Offizieren befehligt wurden, nie- dergeschlagen werden.45

Im Jahr 1824 trat ein Mann namens Ahmad ibn Idris auf, der sich an die Spitze von Aufständischen in der Provinz Qina stellte, die sich gegen die Zwangsrekrutierungen erhoben hatten. Er verkündete, „... daß er von Gott und seinem Propheten gesandt sei, um das Leiden der ägyptischen Fellahin zu beenden und Muhammad Ali (...) zu richten.“46 Er beschuldigte Muhammad Ali, den Islam durch Neuerungen ( bid a) verfälscht zu haben. Seine Bauernarmee ( manche Berichte sprechen von 40.000 Fallahin ), die durch Deserteure aus der zu ihrer Niederschlagung eingesetzten Truppen noch verstärkt wurde, zog den Nil hinunter Richtung Unterägypten, wurde aber im Juni desselben Jahres geschlagen.47

Die Mahdi Rebellion im Jahr 1865 sollte zugleich die letzte Bewegung dieser Art sein. Eine Choleraepidemie forderte in diesem Jahr fast 250.000 Todesopfer, hinzu kam eine Hungersnot in Mittel- und Oberägypten, die durch die Vernachlässigung des Getreideanbaus zugunsten des Baumwollanbaus verursacht worden war. In dieser Situation erklärte sich ein Mann na- mens Ahmad, der sich den Beinahmen at-Tayib gab, zum Mahdi. Eine britische Zeitgenössin der Ereignisse, die zu dieser Zeit Oberägypten bereiste berichtet, daß es sein Ziel war: „... to divide all property equally, and to kill the Ulama and destroy all theological teaching by lear- ned men and preach a sort of revolution or interpretation of the Koran of his own.“ Ein ihr bekannter Saih bezeichnete Ahmad at-Tayib als einen „... mad fanatic and communist.“48 Die Fallahin schlossen sich ihm zu Tausenden an und konnten fast die gesamte Provinz Girga unter ihre Kontrolle bringen. Auch dieser Aufstand wurde mit großer Grausamkeit niedergeschlagen. Ahmad at-Tayib soll aber noch jahrelang als eine Art Messias verehrt worden sein, dessen Rückkehr in naher Zukunft erwartet wurde.49

Der in den 50er Jahren des 19. Jh. forcierte Ausbau der Infrastruktur, vor allem des Straßen- und Eisenbahnnetzes förderte die Integration auch des oberägyptischen Raumes in die Agrar- expansion ( 1874 wurde Asyut an das Eisenbahnnetz angeschlossen). Die verstärkte Erschlie- ßung Oberägyptens für den kolonialen Staat ermöglichte gleichzeitig eine stärkere Kontrolle dieser Region und erschwerte bzw. verhinderte das erneute Aufkommen großer Rebellionen. Der Urabi- Aufstand und der Kampf gegen die Besetzung Ägyptens durch die Briten im Jahr 1882 bedeutete wegen der zahlreichen Beteiligung der Fallahin einen Einschnitt vor den großen Revolte des Jahres 1919. Die sozialen und ökonomischen Hintergründe und der Verlauf dieses Konflikts können hier nicht angemessen behanmdelt werden. Es soll jedoch erwähtn werden, daß der Urabi- Aufstand in einigen Provinzen des Deltas und Oberägyptens auch durch von einander unabhängigen ländliche soziale Revolten begleitet wurde, die nur zum Teil im Zusam- menhang mit dem Kampf gegen die Briten standen.50

Die weitere Entwicklung seit den 80er Jahren zeigt, daß die großen Revolten, die in der ersten Hälfte des 19. Jh. das Bild des Widerstandes der Fallahin geprägt hatten, aufgrund der veränderten sozialen und ökonomischen Bedingungen durch andere Formen sozialen Protestes abgelöst werden, wie z.B. durch Streiks von Landarbeitern, Ver- weigerung der Pachtzahlungen oder einem vermehrten Auftreten ländlichen „Brigantentums“, das bis dahin vor allem von Beduinen betrieben wurde.

Eine immer größere Zahl von Fallahin, die ihr Land verloren hatten, wanderte in die Armenbezirke der Städte ab, oder sie schlossen sich, um ihre Existenz zu sichern, bewaffneten Banden an, die häufig ebenfalls von Landlosen angeführt wurden.51

Die Strukturen dieser Gruppen, ihre Ziele und Methoden und ihre Beziehungen zu den Dörfern waren keineswegs einheitlich. Wahrscheinlich existierte eine Vielzahl von Erscheinungsformen, angefangen von Gruppen, die ihre eigenen Familien und Dörfer ernährten, indem sie andere Dörfer oder Reisende überfielen, bis hin zu Gruppen, die völlig losgelöst von den Sozialstruk- turen ihrer Umgebung ihr eigenes Überleben zu sichern suchten. Ihr Angriffsziel war aber vor allem das sich entfaltende Privateigentum der Großgrundbesitzer. Schulze spricht in diesem Zusammenhang sogar von Tendenzen eines sozial motivierten Banditentums, „...dessen Ideal- typus nach dem Motto „ den Reichen nehmen und den Armen geben“ verfuhr.“52 Mit dieser Behauptung begibt er sich jedoch in die Gefahr, diese Banden zu idealisieren, deren vorrangi- ges Ziel die Verbesserung der eigenen materiellen Situation bzw. die Sicherung des Überle- bens war.

Obwohl die Behörden mit der Aufstellung spezieller Einheiten zur Bekämpfung der Brigantengruppen und dem Erlaß eines Gesetzes reagierten, daß es ihnen gestattete, Personen, die „ die Sicherheit des Landes“ gefährdeten, in Oasen im Innern des Landes zu verbannen, konnten sie ein Ansteigen der Zahl der „Verbrechen“ auf dem Land nicht verhindern. Im Jahr 1904 wurde deshalb ein erstes Waffengesetz erlassen, daß den Besitz von Feuerwaffen, außer für Angehörige der oberen Schichten verbot.53

Neben der aufsehenerregenden Erscheinungsform der Brigantengruppen existierten weiterhin die eingangs erwähnten unterschiedlichen Widerstandsformen der sich auflösenden Dorfgemeinschaften, die sich gegen Eingriffe in ihre Rechte (bzw. das, was sie als ihre Rechte betrachteten) zur Wehr setzten.

Brown und Barakat nennen für die letzten Jahrzehnte des 19. und den Beginn des 20. Jh. ver- schiedene Aktionen kollektiven, spontanen Widerstands, die jeweils auf die Bewohner eines Dorfes beschränkt blieben. Diese umfaßten organisierte Arbeitsverweigerungen, Landbeset- zungen, die Zerstörung eines Deiches, der die Felder eines Dorfes von der Bewässerung ab- schnitt, sowie individuelle und kollektive Angriffe auf Großgrundbesitzer und ihre Interessens- verwalter und Angehörige der königlichen Familie. Häufig kam es dabei zu Auseinanderset- zungen mit der Polizei oder dem britischen Militär. In vielen Fällen wurden die Proteste von den Suiuh oder Umad der jeweiligen Dörfer angeleitet, auch die aktive Teilnahme von Frauen war dabei keine Seltenheit.54

Individuelle Angriffe auf Großgrundbesitzer waren jedoch, da diese oft in den Städten lebten eher selten im Gegensatz zu Angriffen auf die ländlichen Angestellten der „Absentees“ und der Agrargesellschaften. Russel schreibt dazu: „At one time most big agricultural estates in Egypt were run by a Greek nazir (superintendent): today I doubt if there are any left, they have all been either shot or frightened away. Even an Egyptian nazir takes severe risks when trying to enforce discipline on an estate by punishing or dismisssing a labourer for laziness or disobedience, often paying for it with his life.“55

Das Ereignis, das in diesem Zusammenhang am meisten Aufsehen erregte und häufig als „Wendepunkt“ in der Geschichte der ägyptischen Nationalbewegung gesehen wird, war der sogenannte Dinsawi- Zwischenfall im Jahr 1906. Die Bewohner des Dorfes Dinsawi hatten britische Soldaten angegriffen, die bei der Taubenjagd in der Nähe des Dorfes eine Bewohne- rin verwundet hatten; ein britischer Offizier wurde getötet. Die britischen Militärbehörden ver- hafteten daraufhin 59 Bewohner und stellten sie vor ein Militärtribunal, das vier von ihnen zum Tode, acht zu öffentlicher Auspeitschung und eine weitere Anzahl zu langen Haftstrafen, bis hin zu lebenslänglich, verurteilte.

Der städtischen Nationalbewegung, die dem Widerstand der Fallahin bis dahin ablehnend ge- genüberstand oder ihn ignorierte, gelang es, das Ereignis für ihre eigenen Zwecke zu nutzen, indem es die Bewohner von Dinsawi zu „Märtyrern“ für die nationale Sache stilisierte.56 Die Zeit der britischen Besatzung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs und die darauf folgen- den Revolten von 1919 war dennoch die längste Periode in der jüngeren ägyptischen Ge- schichte, in der es keine größeren ländlichen Revolten wie etwa die Mahdi- Revolten der 20er Jahre gab.

4. Die „ Nationale Revolution“ 1919 und die Revolten der Fallahin

4.1. Erster Weltkrieg und Protektorat

Die Einbeziehung Ägyptens in den Ersten Weltkrieg hatte Auswirkungen auf alle Teile der ä- gyptischen Gesellschaft, vor allem auf die Landbevölkerung. Die Integration des Landes in das kriegswirtschaftliche System Großbritanniens erforderte die direkte und unmittelbare Kontrolle seiner Ressourcen und die Unterordnung aller ökonomischen Aktivitäten unter das Ziel, den Krieg zu gewinnen. Während der Kriegsjahre wurde zu diesem Zweck die Autorität des kolonialen Staates bzw. der Machtanspruch Großbritanniens mit militärischen Mitteln in allen Teilen des Landes durchgesetzt, wobei die autochthonen Autoritäten und die ägyptische Verwaltung noch fester in den kolonialen Staat eingegliedert wurden.

Am 18. 10. 1914 wurde ein generelles Versammlungsverbot erlassen, und am 2. 11. 1914 verhängte General Sir John Maxwell, der Kommandeur der britischen Truppen in Ägypten, das Kriegsrecht. Am 18.12. 1914 wurde Ägypten offiziell britisches Mandat und die Koloni- alverwaltung erklärte den Khediven Abbas II, der sich zu dieser Zeit in Istanbul aufhielt, für abgesetzt.

Die schweren Lasten des Krieges, die vor allem die Fallahin zu tragen hatten, waren der unmittelbare Anlaß für die Rebellionen im Jahr 1919, die alle Teile des Landes erfassen sollten. Immer mehr Ägypter wurden zum Dienst in neu geschaffene Einheiten der britischen Armee, wie das „Egyptian Labour Corps“ ( ELC ) und das „Camel Transport Corps“ ( CTC ), gezwungen, die vor allem für logistische Aufgaben an der osmanischen Front eingesetzt wurden. Im Sommer 1917 wurde ein Komitee in der britischen Armee geschaffen, das sich mit der Koordination der Rekrutierungen befassen sollte. Für die Aushebung der Re- kruten mußten aber die Angestellten der ägyptischen Verwaltung die Verantwortung überneh- men, die jeweils vom Mudir einer Provinz über den Ma mur eines Markaz bis hin zum Umda eines Dorfes weitergegeben wurde.

In erster Linie waren es die Armen, die sich eine Bestechung des verantwortlichen Umdas nicht leisten konnten, die die Reihen des ELC und des CTC füllten. Etwa 500.000 Ägypter sollen gleichzeitig in diesen Einheiten gedient haben, ein Teil von ihnen auch in Frankreich. Al- lein zwischen März 1917 und Juni 1918 wurden über 320.000 Fallahin rekrutiert.57 Seit Ende des Jahres 1917 wurde zudem mit der Beschlagnahme von Zugtieren für die Armee begonnen, für die fixierte Preise gezahlt wurden, die weit unter dem tatsächlichen Wert lagen.

Die ökonomische Situation Ägyptens während des Krieges offenbarte die Probleme, die sich aus der Abhängigkeit vom Anbau und vom Export nur eines einzigen Agrarproduktes ergeben. Die britischen Behörden versuchten, den starken Schwankungen des Baumwollpreises mit dirigistischen Maßnahmen entgegenzusteuern, vor allem weil sie zunächst Versorgungsengpässe für die eigene Kriegswirtschaft befürchteten..

Eine im Jahr 1918 eingerichtete „Cotton Control Commission“ übernahm den Ankauf der gesamten Baumwollernte zu fixierten Preisen, ohne jedoch die starke Inflation zu berücksichtigen. Ähnlich arbeitete das ebenfalls 1918 geschaffene „Supplies Control Board“, in dessen Verantwortungsbereich die Registrierung aller Grundnahrungsmittel und ihr Ankauf zu festen Preisen lag. Diese Maßnahmen führten zu einer zusätzlichen Verelendung der Fallahin, die ohnehin bereits unter Verschuldung und Inflation zu leiden hatten.58

Während sich der Widerstand der Fallahin in den ersten Kriegsjahren noch vor allem auf indi- viduelle Verweigerung, wie z.B. Flucht vor Rekrutierungen beschränkte, kam es im weiteren Verlauf des Krieges auch zu kollektiven Gegenaktionen, die zu Zusammenstößen mit der Ar- mee führten.59 Auch Brigantengruppen traten aufgrund der sich zuspitzenden sozialen Verhält- nisse wieder stärker in Erscheinung, wobei eine Entwicklung weg von solchen Gruppen, die früher in einer „Symbiose“ mit den Dörfern existierten, hin zu „... autarken Banditengruppen, die auch ihre Heimatdörfer überfielen“, festzustellen ist.60 Auch die Zahl von Übergriffen auf Verwaltungsbeamte, Suyuh und Umad, die von der Kolonialverwaltung an sie delegierten Aufgaben mit Korruption, Willkür und Bereicherung verbanden und sich immer weiter von den Fallahin entfremdeten, nahm stark zu. Die britischen Behörden beantworteten die Unruhen auf dem Land und die nationalistische Agitation in den Städten mit verschärfter Repression. Allein im Jahr 1915 sollen etwa 100.000 Schußwaffen bei Razzien auf dem Land beschlagnahmt worden sein.61 Bis 1917 wurden 56 Personen nach Malta deportiert und 592 Personen in den Gefangenenlagern Dahla und Harga interniert, die meisten von ihnen nationalistische Politiker.62

4.2. Der Aufstand in den Metropolen

Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Ägypten gegründeten Parteien waren im allgemeinen nur Zusammenschlüsse von einigen wenigen europäisch geprägten, städtischen Intellektuellen. Als erste Partei europäischen Typs (mit formeller Mitgliedschaft, einem Parteiprogramm und ge- wählten Funktionären) gilt die 1907 gergündete Hizb al- Watani, deren Mitglieder und Symphatisanten vor allem Angehörige der städtischen Mittelschicht waren. Ebenso wie die 1907 gergründete Hizb al Umma, deren Gründer fast ausschließlich einflußreiche Großgrund- besitzer waren, sah sie ihr wichtigstes Ziel in der vollständigen Unabhängigkeit Ägyptens.

Die Hizb al- Umma wollte dieses Ziel u.a. mit der Hilfe des Osmanischen Sultans erreichen, indem sie an den Islam als ein „verbindendes Element“ appellierte, während die Hizb al- Wa- tani sowohl die Briten, als auch die Osmann und die Herrschaft des Khediven als Formen der Fremdherrschaft begriffen, die den „nationalen Interessen“ Ägyptens im Weg standen.63 Am 13.11.1918 ( dem Tag, der später als yaum al- gihad bezeichnet werden sollte) trafen sich die ehemaligen Mitglieder der Hizb al- Umma, Za d Zaglul, Ali Sa rawi und Abdal aziz Fahmi, mit dem britischen Hochkommissar Wingate, um ihm ihre Forderungen nach einer Beendigung des Protektorats und der vollständigen Unabhängigkeit des Landes zu unterbreiten, wobei sie weitgehende Zugeständnisse z. B. hinsichtlich der Kontrolle der Kanalzone durch Großbritan- nien machten.64 Der Anspruch der Delegation (Wafd) , die gesamte ägyptische Nation zu vertreten, sollte mit einer Unterschriftenkampagne (Taukilat) im gesamten Land untermauert werden. Um der verstärkten nationalistischen Agitation zu begenen, wurden Za d Zaglul und mehrere seiner Anhänger am 8. März 1919 nach Malta deportiert.

In Kairo und Alexandria wurde daraufhin eine Serie von Demonstrationen abgehalten, die vor allem in der ersten Phase maßgeblich von Anwälten und Studenten getragen und organisiert wurden. Streiks und Demonstrationen legten weite Teile der Infrastruktur lahm, so das städti- sche Transportwesen, Teile des öffentlichen Dienstes und die alexandriner Häfen. Eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung zu den Aktionen hatte die al- Azhar in Kairo inne, an der über Wochen hinweg täglich große Versammlungen abgehalten wurden, an denen jeweils bis zu 30.000 Menschen aller Schichten, Geschlechter und auch Religionen teilgenommen haben sollen.65

Die Bewegung hatte jedoch keinen einheitlichen Charakter, so daß es nicht zulässig wäre von einer „Nationalen Revolution“ zu sprechen. Zu unterschiedlich waren die beteiligten Schichten, ihre speziellen Forderungen und die Art, in der ihr Protest ausgedrückt wurde. So waren z.B. die Arbeitsniederlegungen und Sabotageaktionen der noch schwachen Ge- werkschaftsbewegung nur zum Teil nationalistisch motiviert. Vor allem soziale Forderungen, wie etwa die Einführung eines Achtstunden Tages standen hier im Vordergrund und konnten z.T. auch durchgesetzt werden.66

4.3. Die Revolten in den Provinzstädten und auf dem Land

Die Revolte breitete sich Mitte März 1919, ausgehend von den Metropolen Kairo und Ale- xandria über die Provinzstädte auf die Dörfer aus und erfaßte schnell das gesamte Land. Die britischen Behörden und die Führung der Nationalbewegung wurden von dem Außmaß der Rebellion überrascht. Die britische Armee, die sich zunächst vor allem auf den Schutz wichti- ger Stützpunkte und der Infrastruktur ( vor allem in der Kanalzone) beschränken mußte, verlor die Kontrolle über weite Teile Ägyptens.

Ungefähr 3000 Ägypter sollten im Verlauf der Ereignisse ums Leben kommen, wobei die britischen Angaben tiefer und die ägyptischen Angaben höher liegen. Weite Teile der Infrastruktur, wie der Eisenbahnlinien wurden im Verlauf des Aufstands zerstört, etwa 100 Dörfer wurden bei der Rückeroberung des ländlichen Raumes und durch kollektive Strafmaßnahmen der britischen Armee dem Erdboden gleich gemacht.

Zur Politisierung der Bevölkerung in den Provinzen trugen neben Rechtsanwälten und Journa- listen vor allem die Kairoer Studenten bei, insbesondere die Studenten der al- Azhar, von de- nen 30- 40% aus den Provinzen stammten. Britische Geheimdienstquellen drückten wiederholt ihre Besorgnis über die Anwesenheit von Studenten der Azhar auf dem Land aus, die die Be- völkerung über die Situation in Kairo informierten, Flugblätter verteilten und bei der Organisie- rung und Anleitung von Protesten mitwirkten. Die Schließung von Schulen und Universitäten aufgrund der Streiks im März hatte zur Folge, daß auch Studenten, die sich nicht an den Akti- vitäten beteiligten, in ihre Dörfer zurückkehrten und über die Situation in Kairo berichten konn- ten.67

Auch die Taukilat Kampagne im November 1918 hatte zu einer Mobilisierung beigetragen, auch wenn sich diese nicht explizit an die Fallahin, sondern vor allem an die Angehörigen der Affandiya und die Provinznotablen richtete. Die Ereignisse auf dem Land zeigen, daß es der Führung der Wafd nicht gelang, selbst wenn sie es versuchte, die Landbevölkerung im Sinne ihres Nationalismus zu mobilisieren.

So war es vermutlich auch nicht die Deportation von Sa d Zaglul nach Malta, sondern die Nachricht von den der Deportation folgenden blutigen Zusammenstößen in Kairo, die den unmittelbaren Anstoß für die Revolte in den Provinzen gab.

In den Tagen zwischen dem 10. und dem 15. März begannen in allen Provinzstädten des Lan- des Kundgebungen und Demonstrationen, die zunächst vor allem von Angehörigen der Affan- diya ( Angestellten, Anwälten, Kaufleuten), von örtlichen Notablen, sowie von Schülern und Studenten getragen wurden. Häufig wurden diese Demonstrationen von Studenten der al- Az- har angeführt, die aus Kairo fliehen mußten, um der Repression zu entgehen. Da viele von ih- nen Söhne von Notablen waren, konnten sie die Autorität ihrer traditionellen Stellung mit der Autorität eines Studenten an einer der wichtigsten Universitäten in der islamischen Welt ver- binden.

Je länger die Demonstrationen andauerten, desto öfter kam es zu Zusammenstößen mit dem britischen Militär und der Polizei. Es gab viele Tote auf Seiten der Demonstranten, wie z.B.in Buhaira und Zaqaziq am 16. 3. , in Rasid und Mansura am 18. 3., in Fayum am 19. 3. und in Port Said am 21. 3. .68

In manchen Provinzstädten und Dörfern setzte die Armee sogar Flugzeuge ein, um die Auf- ständischen zu bekämpfen, so in Asyut und in Qalyub, wo die Demonstranten die Eisenbahn- und Telegraphieverbindungen unterbrachen und die Zufahrtsstraßen zur Stadt blockierten.69 In Tanta griffen bereits am 12. März im Anschluß an eine Demonstration mehrere tausend Menschen den Bahnhof an, wobei es viele Tote auf ihrer Seite gab, als das britische Militär das Feuer eröffnete. Die Mehrzahl der Toten waren Studenten der Ahmadi Universität, viele der Toten stammten auch aus den umliegenden Dörfern, ein Umstand, der auf die Teilnahme der Fallahin an den Demonstrationen in der Stadt von Anfang an schließen läßt.70 Die Stadt Tanta, in der sich das Grab des berühmten Sufi Ahmad al- Badawi befindet, ist eines der wichtigsten Zentren in der Heiligenverehrung des Volksislam und hat u.a. aufgrund des jährli- chen Maulid eine große Anziehung auf die umliegenden Dörfer. Schulze vermutet deshalb, daß die Revolte in Tanta wegen der starken religiösen Tradition eher religiös als nationalistisch mo- tiviert war.71

In Tanta wurden auch die ersten Sabotageakte verübt, als die Fallahin in der Region am 12. März die Eisenbahnlinie nach Tala unterbrachen.

In mindestens 12 Provinzstädten kam es Mitte März zu der Bildung von Nationalen Kommittees, die sich aus den Vertretern der Affandiya, lokalen Notablen, darunter Saihs und zum Teil aus koptischen Geistlichen zusammensetzten.72 Die Komitees hatten weder einen einheitlichen Charakter, noch strebten sie in jedem Fall die gleichen Ziele an. Auch die Gruppe der Notablen trat keineswegs einheitlich auf, sondern ihre Vertreter wurden vielmehr von lokalen partikularen Interessen und Fehden bei der politischen Positionierung beeinflußt.

In einigen Städten, wie z.B. in Zifta und Zaqaziq, riefen die führenden Notablen der Komitees unabhängige Republiken aus, die sich jedoch nicht als dezidiert antiroyalistisch verstanden, sondern deren Ziel vor allem die vollständige Unabhängigkeit (Istiqlal tam) von Großbritannien war. Viele Notablen bevorzugten eher eine konstitutionelle Monarchie und einen nach den ständischen Prinzipien der alten ägyptischen Verfassung geordneten Staat.73 Ihr vorrangige Aufgabe bestand darin, angesichts des Zusammenbruchs der staatlichen Ord- nung Strukturen aufzubauen,die die alte soziale Ordnung vor möglichen Angriffen bewahren sollte. Vor allem versuchten sie „Ruhe und Ordnung“ aufrecht zu erhalten und die aufständi- schen Fallahin und Beduinen zu kontrollieren bzw. zu integrieren und sie vor eigenständigen Aktionen, die sich gegen das Leben und das Privateigentum der Notablen richteten, zurückzu- halten.74

Die Entwicklung in den Provinzstädten zeigt eindeutig eine Tendenz zur Dezentralisierung der Revolte, die sich auch in den Dörfern fortsetzte, so daß zumindest in diesem Stadium nicht mehr von einem „Nationalen Aufstand“ oder einer „Nationalen Revolution“ die Rede sein kann. Vielmehr wird deutlich, daß es sich um eine Vielzahl von lokalen und regionalen Revol- ten handelte, die in ihrer Motivation und Zielsetzung und der Wahl ihrer Mittel von lokalen Faktoren, wie dem unterschiedlichen Ausmaß der kolonialen Durchdringung, den Besitz - und Produktionsverhältnissen am Ort und nicht zuletzt auch von den historischen Widerstandstradi- tionen aus dem 19. Jh. abhingen.

Auf die Probleme der wissenschaftlichen Untersuchung von Bauernbewegungen und - protesten ist bereits oben hingewiesen worden. Besonders die Frage nach den Ursachen der Revolten bzw. der Motivation ihrer Teilnehmer und ihren Zielvorstellungen ist mangels schriftli- cher Tradition (Programme, Flugblätter, Memoiren, etc.) der Beteiligten selbst schwer zu be- antworten. Während britische Quellen sich vor allem entsetzt über den Ausbruch der Gewalt äußern, die Fallahin als Verbrecher und die Rebellionen als kriminell denunzieren,75 versuchen viele ägyptische und andere Autoren die Fallahin zum Objekt nationalistischer Wunschvorstel- lungen zu machen. Die oberflächlichste Analyse stammt von Nadav Safran, der behauptet „...The whole Nation, fellah and pasha, illiterate and educated, Muslims and Copts, men and woman stood behind Sa d Zaghlul, fighting with great courage and heavy sacrifice in apparent support of the Liberal Nationalist ideals he represented.“76

Selbst wenn die Rebellen auf dem Land Schlagwörter und Parolen der städtischen Nationalis- ten übernahmen, verbanden sie sehr wahrscheinlich damit andere Vorstellungen. Was bedeu- tete es für die Fallahin, wenn sie Forderungen nach „Freiheit“ (hurriya), „Gerechtigkeit“ ( adl) und „Unabhängigkeit“ (Istiqlal bzw, istiqlal tam) stellten ? In erster Linie verstanden sie darun- ter Unabhängigkeit und Freiheit von staatlichen Autoritäten und Zwangsinstrumenten, die ihr tägliches Leben bestimmten ,und nicht ausschließlich die Freiheit von der britischen Besatzung, die sich die Angehörigen der Affandiya zum Ziel gesetzt hatten. Für die Fallahin bedeutete „Freiheit“ und „Unabhängigkeit“ vor allem die Wiederherstellung der dörflichen Autonomie und erst an zweiter Stelle die Unabhängigkeit des Landes von ausländischen Mächten.

Widerstand gegen Kolonialismus und Kolonisierung bestand für die Fallahin nicht bloß in der Verteibung der britischen Armee, sondern beinhaltete auch die Zerstörung der Institutionen der kolonialen Gesellschaft und des Staates in ihrem unmittelbaren Umfeld, jener Institutionen, deren Übernahme die Wafd unter nationalen Vorzeichen anstrebte.77

Die unmittelbaren materiellen Ursachen für die Revolten auf dem Land lagen in der britischen Politik während des Ersten Weltkriegs und deren Folgen für die Fallahin: zunehmende Verschuldung, Verelendung und Hunger.78

Obwohl die Revolten in den Provinzen in den Tagen um den 15. März 1919 begannen, gehen die meisten Untersuchungen davon aus, daß es keine einheitliche Organisierung oder Koordi- nierung oder gar einen Aufruf zu einem landesweiten Aufstand gegeben hat.79 Dafür spricht, daß es kaum politische Organisationen auf dem Land gab, daß sich der Nationalismus vor allem auf städtische Schichten beschränkte und daß die nationalistischen Parteien auch nicht an einer Mobilisierung der Fallahin interessiert waren. Hinzu kam, daß seit dem 15. März sämtli- che Verbindungen von Kairo in die Provinzen unterbrochen waren, so daß selbst die Vertreter der Wafd und der politischen Parteien in Kairo nur fragmentarische Informationen über die Ereignisse in den Provinzen erhielten.

Der Organisationsrahmen der Aufständischen auf dem Land war vor allem die Dorfgemein- schaft und in größerem Rahmen der Zusammenschluß von Fallahin mehrerer Dörfer einer Re- gion zu gemeinsamen Aktionen. Aufgrund ungenügender Angaben der Quellen und in der Lite- ratur ist es nicht möglich, die Aufständischen näher zu identifizieren und differenzierte Angaben über die unterschiedliche Beteiligung von Landarbeitern, Pächtern oder kleinen Landbsitzern zu machen.. Auch das Ausmaß der Beteiligung von Frauen ist nicht näher untersucht worden.80 Angeführt wurden die Fallahin häufig von lokalen Notablen, in manchen Fällen auch von Stu- denten der al- Azhar oder von Angehörigen der dörflichen Verwaltung, wie z.B. von Polizis- ten, was ein Festhalten an den traditionellen dörflichen Autoritätsstrukturen beweist.81 Die Organisatoren und Anführer sind jedoch fast nirgendwo namentlich bekannt geworden.

Im Dorf Fariskur in der Provinz Daqahliya war es der stellvertretende Befehlshaber der Poli- zei, der die Fallahin mit Gewehren aus der Polizeistation bewaffnete und sie dazu aufrief, die Bahnlinie nach Dumyat zu zerstören.82 Im Dorf Minyat al- Qamh in der Provinz Sarqiya betei- ligte sich sogar die gesamte Polizeitruppe unter dem Befehl ihres Offiziers an der Rebellion. Nach einer Reihe von Demonstrationen und Plünderungen besetzten australische Truppen das Dorf und nahmen mehrere Gefangene. Daraufhin griffen die Fallahin des Dorfes gemeinsam mit den Polizisten den Bahnhof an und lieferten sich eine Schlacht mit den Soldaten, die von einem Militärflugzeug unterstützt wurden, um die Gefangenen wieder zu befreien.83

Die ersten Aktionen der Aufständischen richteten sich in den meisten Fällen gegen die Infra- struktur des Staates. Sie zerstörten Eisenbahnlinien und Bahnhöfe, Telefon- und Telegraphenli- nien, mit dem Ergebnis, daß die Verbindungen in weiten Teilen des Landes unterbrochen wur- den, diese Gebiete für die britische Armee und Vertreter der Zentralgewalt unkontrollierbar wurden und aufgegeben werden mußten. Den Fallahin gelang es so für kurze Zeit, die Auto- nomie der Dorfgemeinschaft gegenüber dem kolonialen Staat und seinen Vertretern wieder- herzustellen

Anders als in Kairo und Alexandria, wo sich Angehörige der griechische Minderheit, vor allem gewerkschaftlich organisierte Arbeiter, an Streiks und Demonstrationen beteiligten, wurden die Griechen in den Provinzen und ihr Eigentum zum Ziel der Angriffe der Fellahin. In fast allen Städten und Dörfern der Deltaregion und in Mittelägypten, in denen Griechen lebten, kam es zu Plünderungen griechischer Läden und zur Vertreibung der griechischen Bewohner, die of- fensichtlich von der Mehrheit der Bevölkerung als nicht zur Dorfgemeinschaft zugehörig be- trachtet wurden. Eine der Ursachen für die pogromartigen Ausschreitungen war sicherlich die Verschuldung der Fallahin gegenüber lokalen Geldverleihern und Zwischenhändlern von denen viele griechischer Herkunft waren.84

Ähnliche Erscheinungen gab es auch in Oberägypten,wo die Revolten des Landes auch auf die größeren Städte übergriffen. In Minya und Asyut plünderten die Fallahin, nachdem sie die Städte gestürmt hatten, sämtliche koptischen Geschäfte. Schulze erklärt diese Übergriffe nicht aus einer generellen religiös bestimmten Feindschaft gegenüber den Kopten, sondern aus dem grundsätzlichen Antagonismus zwischen der dörflichen und der städtischen, kolonialen Gesell- schaft, die in den oberägyptischen Städten von einer starken koptischen Minderheit dominiert sei. Dieser Gesellschaft, ihren Einrichtungen und Vertretern hätten die Angriffe gegolten und nicht den Kopten als Religionsgruppe, da die Kopten auf dem Land, die immerhin auch die Mehrheit der koptischen Bevölkerung stellen, nicht zum Ziel von Angriffen wurden.85

Ein weiteres Ziel der Aufständischen waren britische Soldaten sowie Einrichtungen, die in di- rektem Zusammenhang mit den Zwangsmaßnahmen der britischen Armee während des Ersten Weltkriegs standen. Depots, in denen beschlagnahmte Lebensmittel lagerten, wurden geplün- dert; Gefangene wurden befreit, wie z.B. in Manuf, wo der Markaz des Dorfes gestürmt und die dort gefangengehaltenen Fallahin, die für das Egyptian Labour Corps zwangsrekrutiert worden waren, befereit wurden.86

Der aufsehenerregendste Angriff auf britische Soldaten fand am 18. März in Dairut in Oberägypten statt. Die Bewohner des Dorfes hielten am Bahnhof einen Zug an, der aus Luxor kommend nach Kairo fahren sollte, und töteten acht britische Soldaten und Offiziere, unter ihnen den Inspektor für die Gefängnisse in Oberägypten.87

Auch im Bahnhof von Qalyub wurde ein Schnellzug, der auf dem Weg nach Kairo war, angegriffen und ein britischer Soldat erschlagen.88

Während sich die Rebellion im Allgemeinen kaum gegen die traditionellen Führungsschichten wandte, sondern, wie dargelegt im Gegenteil von diesen angeführt wurde, richtete sie sich doch in einigen Regionen nicht nur gegen die staatliche Zentralgewalt sondern auch gegen den staatlichen und privaten Großgrundbesitz der Notablen.

Die Führung der Wafd in Kairo und das städtische Bürgertum betrachteten die Gewaltakte und die Rebellionen in den Provinzen, auf die sie keinen Einfluß mehr nehmen konnten, mit Sorge und versuchten, sich von ihnen zu distanzieren:“ The Mass Participation of the 1919 Revolution frightened the wafd, for it represented the entry of groups who did not share their style or class.“89 Auch die in den Provinzstädten gegründeten Nationalen Komitees, die ange- sichts der sich auflösenden staatlichen Autorität versuchten, den gesellschaftlichen status quo zu bewahren, konnten nicht verhindern, daß die Fallahin den Charakter der Revolte von „... einer politischen Revolution gegen die [britische] Besetzung, in eine soziale Revolution...“90 verwandelten.

Dieser Aspekt der Revolten trat vor allem in den nördlichen Deltaprovinzen, Garbiya, Sarqiya und Daqahliya, in den Vordergrund, die im 19. Jh. als erste von der Umstrukturierung der Landwirtschaft zum Baumwollanbau betroffen wurden, in denen die Kolonialisierung am wei- testen fortgschritten war wo eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Großgrundbesitzungen ( ausländischen und ägyptischen) einer immer geringer werdenden Zahl von kleinen und mittleren Grundbesitzern gegenüberstand. Auch die traditionelle Stellung der Notablen war in diesen Region offenbar aufgrund der neuen Produktions- und Abhängigkeitsverhältnisse so ge- schwächt worden, daß sie kaum Einfluß auf die Fallahin nehmen konnten.

Die Rebellionen hatten hier den Charakter einer umfassenden sozialen Revolte angenommen, wobei die Organisierung und der Aktionsradius der Aufständischen wie überall lokal begrenzt blieben.

Die Rebellionen der aufständischen Fallahin verliefen in diesen Provinzen auch in den weiter oben beschriebenen Aktionsformen, wie Angriffen gegen die Infrastruktur und gegen die briti- sche Armee bzw. die Polizei, mit dem Ziel der Widerherstellung der Dorfautonomie. Darüber hinaus richteten sich aber vor allem gegen die großen staatlichen und privaten Domänen. Baumwollsilos, Getreidespeicher und Verwaltungsgebäude der Großgrundbesitzungen sowie auch lokale Filialien der Agrarbanken wurden geplündert und in Brand gesteckt, Maschinen (zum Entkernen und Packen der Baumwolle), Dampfpflüge und Bewässerungspumpen wurden zerstört.91

In der Provinz Daqahliya sollen sämtliche größeren Landgüter ( Izab) zerstört worden sein. Häufig kam es auch zu Landbesetzungen, da die Eigentümer der großen Landgüter ihren Be- sitzanspruch aufgrund der für sie unsicheren Lage nicht mehr durchsetzen konnten. So wurde z.B. zwischen Mansura und Simballawain eine Kanalbrücke zerstört, was die Überflutung von großen Baumwollplantagen zur Folge hatte. Die Fallahin der umliegenden Dörfer pflanzten daraufhin Reis auf diesen Feldern an, die einem Großgrundbesitzer gehörten.92 Auch in Oberägypten kam es zu Angriffen gegen Notable und ihr Eigentum, sowie zu teilweise bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Nationalen Komitees und auf- ständischen Fallahin. In Minya wurde das Nationalkomitee, das sich unter den Schutz von ägyptischen Truppen gestellt hatte, von den Aufständischen abgesetzt.93 In Asyut plünderten die aufständischen Fallahin, unterstützt von Beduinen, große Teile der Stadt und griffen auch die Vertreter des dortigen Nationalen Komiteees an. So versuchten sie den Sitz der Familie Sulaiman zu stürmen, die zu den reichsten Großgrundbesitzern der Umgebung gehörte und deren Angehöriger Muhammad Mahmud als Mitglied der Wafd nach Malta deportiert worden war.94

Trotz zahlreicher Beispiele für eine soziale Revolte in Oberägypten überwogen hier jedoch im allgemeinen die „antistaatlichen Tendenzen“ der Rebellionen. Man muß jedoch bedenken, daß die spezifischen Strukturen der unterschiedlichen Provinzen das Erscheinungsbild der Revolten beeinflußte, das auch hier in Oberägypten nicht einheitlich war. Die großen, ganze Regionen umfassenden Erhebungen gegen die Großgrundbesitzungen, wie im manchen Deltaprovinzen gab es in Oberägypten jedoch allen Anschein nach nicht.95 Im Gegensatz zu Schulze und Barakat bestreitet Nathan Brown m.E. zu unrecht die Relevanz der sozialen Rebellionen während der „Revolution“ von 1919 überhaupt. Diese sei häufig übertrieben worden. So hätten sich Angriffe auf Großgrundbesitzer vor allem gegen die Gegener der „Revolution“ gerichtet und seien nicht aus einer sozialen Motivation heraus entstanden.96

Der Aufstand wurde vor allem durch das brutale Vorgehen der britischen Armee niederge- schlagen. Trotz der erfolgten Zerstörungen der Infrastruktur und erbitterter Gegenwehr konnte die Armee innerhalb von wenigen Wochen Ägypten wieder unter ihre Kontrolle bringen. Eini- ge Gebiete wurden jedoch erst Mitte April zurückerobert, da jedes Dorf einzeln von britischen Truppen befriedet werden mußte. Dem Einsatz von Panzerzügen, Flugzeugen und sogar von Schiffen, die wegen der zerstörten Eisenbahnverbindungen auf dem Nil nach Oberägypten geschickt wurden, konnten die Fallahin nichts entgegensetzen. Auch die Verhängung schwerer kollektiver Strafen trug mit zur Beendigung der Revolten bei. So erließ die britische Armeefüh- rung, um der Zerstörung der Eisenbahnverbindungen und Bahnhöfe zu begegnen am 20. März einen Befehl, nachdem dasjenige Dorf, das dem Ort eines Überfalls am nächsten gelegen war, niederzubrennen sei.97

Auf politischer Ebene aber kam es zu einer Verständigung zwischen dem Vertreter Großbri- tanniens - dem am 21. März zum neuen High Commissioner ernannten General Allenby- und den Vertretern der Notablen und der Afandiya, in deren gemeinsamen Interesse es lag, „... die Staatlickeit des kolonialen Systems und seiner ökonomischen Ordnung zu bewahren...“98. Beide waren durch die sozialen und antistaatlichen Revolten auf dem Land in Gefahr geraten. Am 24. März veröffentlichten führende Notable des Landes, darunter der Saih der al- Azhar, der Mufti von Ägypten, der koptische Patriarch und führende Vertreter der Wafd eine Erklärung, in der sie zur Beendigung der Rebellion und zur Einhaltung der Gesetze aufriefen.99 Auch die Briten waren offensichtlich darum bemüht, der Wafd entgegenzukommen, so ordnete Allenby am 7. April an, daß die auf Malta Exilierten freizulassen seien.100

Nach der Rückeroberung des ländlichen Raumes durch die britische Armee gründetete die Wafd im Sommer desselben Jahres in allen Provinzen Regionalkomitees, die als Stützen im Kampf für ihre politischen Ziele, vor allem der Erlangung der Unabhängigkeit, dienen sollten. Eine Widerholung der unkontrollierbaren Ereignisse vom März 1919, die in vielem den Inte- ressen der die Wafd tragenden Klassen widersprach, sollte vermieden werden. Mit der Durchsetzung der ägyptischen, bürgerlichen, europäisch geprägten Eliten, die von den Briten schließlich als Verhandlungspartner akzeptiert wurden, begann „.. die eigentliche Moderne der ägyptischen Sozialgeschichte“. „ Vorraussetzung war die Ausschaltung letzter autochthoner Widerstandsformen, die noch das Bild der März- Revolte bestimmt hatten.“101

5. Schlußbetrachtung

Die Vorliegende Arbeit sollte die Ursachen und Hintergründe und die unterschiedlichen Er- scheinungsformen der Rebellion der ägyptischen Fallahin während der „Revolution“ von 1919 untersuchen. Dabei wurde zunächst der Prozeß der Kolonisierung der ägyptischen Agrarge- sellschaft, die in hohem Maße mit der Einführung des Anbaus von Baumwolle zu Beginn des 19. Jh. verbunden war, und die daraus entstandenen Konflikte mit dem kolonialen Staat dar- gestellt. Obwohl größere Bauernaufstände ( abgesehen von den Mahdi- Rebellionen in Ober- ägypten) aufgrund der zunehmenden Durchsetzungsfähigkeit des Zentralstaates eher selten waren, existierte zu jeder Zeit ein breites Repertoire von individuellen und kollektiven Wider- standsformen, mit denen sich die Fallahin gegen die Kolonisierung ihres Lebensumfeldes und die mit ihr verbundenen Eingriffe in ihre traditionellen Rechte zur Wehr setzten.

Hinsichtlich der Rebellionen im Jahr 1919 ist gezeigt worden, daß es keinen von einer zentra- len Instanz geplanten und koordinierten Aufstand gegen die britische Besatzung und für einen unabhängigen ägyptischen Nationalstaat gab.( Dies trifft zum Teil auch für die nur in ihren Grundzügen dargestellte Bewegung in den Metropolen zu.) Vielmehr existierte eine Vielzahl parallel verlaufender Revolten, die in ihrem Verlauf zwar einige Gemeinsamkeiten, aber auch starke Unterschiede aufwiesen. Der unmittelbare Hintergrund für die Gleichzeitigkeit der Re- volten und für ihren Ausbruch war die im Verlauf des Ersten Weltkrieges stattfindene Restau- ration des Kolonialismus, die alle Bereiche der ägyptischen Gesellschaft betraf, und deren Fol- gen vor allem die Fallahin zu tragen hatten. Das Ziel ihrer Revolten war nicht, wie bei den Füh- rern der nationalen Bewegung die Eroberung der Macht im kolonialen Staat, sondern die Zer- störung seiner Symbole und Institutionen, sowie die Vertreibung seiner Vertreter aus ihrem unmittelbaren Umfeld. In einigen Provinzen, in denen sich die Fallahin vor allem gegen die Großgrundbesitzer und ihr Eigentum wendeten, nahmen die Aufstände den Charakter einer umfassenden sozialen Revolte an. Die Führung der Aufständischen lag meistens in den Händen der lokalen Notablen sowie Angehöriger der dörflichen Verwaltungsebene, die anscheinend nicht als Vetreter des kolonialen Staates betrachtet oder angegriffen wurden.

Aufgrund des begrenzten Umfangs der Arbeit konnten einige Aspekte, die im Zusammenhang mit der Kolonisierung Ägyptens von Bedeutung sind, wie z.B. die strategischen und ökonomi- schen Interessen Frankreichs und Großbritanniens, die Schuldenkrise und die Zwangsverwal- tung des Landes durch die europäischen Mächte, nicht behandelt werden. Auch auf die Auf- stände der Beduinenstämme und ihre Beteiligung an den Rebellionen im Jahr 1919, konnte nicht eingegangen werden.

6.Quellen- und Literaturverzeichnis

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[...]


1 Die wichtigsten Arbeiten zu diesem Thema sind: Brown, Nathan, Peasant Politics in Modern Egypt. The Struggle against the State, New Haven, London 1990 ; Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin. Zum Konflikt zwischn der agrarisch- orientalischen Gesellschaft und dem kolonialen Staat in Ägypten 1820- 1919, Berlin 1981; Barakat, Ali , al- fallahun baina at- taura al- urabiya wa taura 1919, in: al- magalla at- ta rihiya al- misriya 22 /1975, S. 201 ff und als Vergleichsstudie der verschiedenen Länder des fruchtbaren Halbmonds und Ägyptens: Baer, Gabriel, Fellah and Townsman in the Middle East. Studies in Social History, London 1982 ; Burke, Edmund III, Changing Patterns of Peasant Politics in the Middle East, 1750- 1950, in: Kazemi, Farhad, Waterbury, John (Hrsg.), Peasant Politics in the modern Middle East, Miami 1991, S. 24 ff

2 Von diesen wurde aufgrund des eingegrenzten Themas der Arbeit nur ein Teil verwendet.

3 ar- Rafi i, Abdarrahman, taurat sanat 1919. Tarih misr al qaumi min 1914- 1921, Kairo 1955

4 Ruskay, John, Expanding Noninstitutional Mass Political Participation : The Role of Voluntary Groups in the Egyptian Revolution of 1919, Unveröffentl. Ph. Diss. , Columbia Universität 1977

5 Milner, Sir Alfred, England in Egypt, London 1899, S. 314 u. S. 317 Ähnlich abwertend äußert sich ein in Ägypten stationierter britischer Offizier in einem Brief aus dem Jahr 1916: „ I have never seen such funny people as the natives here. They are a low, thieving, lying set of ragamuffins, but most amusing.“ , Hopwood, Derek (Hrsg.), Tales of Empire. The British in the Middle East 1880- 1952, London 1989, S. 58

6 Vgl.: Cromer, The Earl of, Das heutige Ägypten, Bd. 1 u. 2, Berlin 1908, S. 185 ff ; Milner, Sir Alfred, a.a.O., S. 79 ; Ähnliche Auffassungen von den Leistungen britischer Kolonialpolitik existieren noch heute. Vgl.: Steele, David, Britain and Egypt 1882- 1914: The Containment of Islamic Nationalism, in: Wilson Keith M. (Hrsg.), Imperialism and Nationalism in the Middle East. The Anglo- Egyptian Experience 1882- 1982, London 1983

7 Schulze, Reinhard, Kolonisierung und Widerstand: Die ägyptischen Bauernrevolten von 1919, in: Schölch, Alexander, Mejcher, Helmut (Hrsg.), Die ägyptische Gesellschaft im 20. Jahrhundert, Hamburg 1992, S. 11 ff

8 Vgl.: Burke, Edmund III, a.a.O., S. 32

9 Vgl.: Baer, Gabriel, Studies in the Social History of Modern Egypt, Chicago, London 1969, S. 17

10 Arbeiten jüngeren Datums, wie z.B. von Kenneth Cuno relativieren einen großen Teil der Ergebnisse älterer Forschungen. So sei es eine starke Vereinfachung, den Begrifff „Subsistenzwirtschaft“ auf die agrarische Gesell- schaft des 18. Jh. zu übertragen. Eine marktorientierte Politik, sowie Marktbeziehungen auf dem Land hätten be- reits im 18. Jh. existiert und seien von Muhammad Ali nur vertieft, nicht jedoch neu eigeführt worden. Vgl.: Cuno, Kenneth M., The Pasha’s Peasants,. Society, and Economy in Lower Egypt, 1740- 1858, Cambridge 1992, S. 198/199

11 Auch diese Einschätzung wird in der moderneren Forschung, vor allem durch Cuno zum Teil in Frage gestellt. Obwohl der Staat bis zum Ende des 18. Jh. zumindest offziell im Besitz des gesamten Landes war, hätten die Mul- tazims für sich im Verlauf des 18. Jh.sehr weitgehende Rechte durchsetzen und behaupten können, die denen von Grundbesitzern sehr ähnlich gewesen wären, so daß die ursprüngliche Form dieses Systems nur noch in Ansätzen bestanden habe:“...multazims in Egypt succeeded in transforming their iltizams into a form of private property in land.“ Cuno, Kenneth M., The Origins of Private Ownership of Land in Egypt: A Reappraisal, in: IJMES 12/ 1980, S. 245, S. 251 Cuno widerspricht auch der Behauptung Ali Barakats, Muhammad Ali habe das Land in kleinen Parzellen an die Fallahin verteilt: „... to do so would have been to give land to families who lacked all of the resources needed to cultivate it and pay its tax, and thus hinder the growth of agriculture and revenues.“ ; Cuno, Kenneth M., The Pasha’s Peasants, a.a.O., S. 112 Vgl.: Barakat, Ali, al- fallhun , a.a.O., S. 202

12 Vgl.: Barakat, Ali, tatauwur al- milkiya az-zira iya fi misr 1813- 1914 wa ataruhu ala-l-haraka as- siyasiya, Kairo 1977, S.192 ff

13 Vgl.: Barakat, Ali, tatauwur al- milkiya az-zira iya, a.a.O., S. 233 ; Auf die unterschiedlichen Rechtstitel über Grund und Boden (z.B. Giflik, Masmuh, u.s.w.), ihre Verteilung und Besteuerung ( z.B. Haragiya oder UsuriyaLand) sowie ihre historische Entwicklung kann hier nicht detaillierter eingegangen werden.

14 Vgl.: Owen, E. R. J., Cotton and the Egyptian Economy, 1820- 1914, Oxford 1969, S. 40 ff

15 Vgl.: Owen, E. R., J., a.a.O., S. 65 ; Barakat, Ali, tatawur al- milkiya az- zira iya, a.a.O., S. 50 5

16 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S..33 ; Owen, E.R.J., S. 89 ff

17 Vgl.: Umar, Hasim Sa id, Qutun fi-l-iqtisad al-misr, Kairo 1970, S. 28

18 Vgl.: Barakat, Ali, tatawur al- milkiya az- zira iya, a.a.O., S. 191/192

19 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 38 6

20 Vgl.: Owen, E.R.J., a.a.O., S. 47 ; Richards, Alan, Egypts Agricultural Development 1800- 1980, Boulder 1982, S. 21

21 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 38 ff ;Milner, Sir Alfred, England in Egypt, London 1899, S. 248 ff

22 Vgl.: Brown, Nathan, a.a.O., S. 37

23 Vgl.: Barakat, Ali, tatawur al- milkiya az- zira iya, a.a.O., S. 32/33 ; Brown, Nathan, a.a.O., S. 73/74 ; Cuno, Kenneth M., The Pasha’s Peasants, a.a.O., S. 123 ; Richards, Alan, a.a.O., S. 22/23 ;

24 Vgl.: Brown, Nathan, a.a.O., S. 26 Das Flächenmaß Feddan ( im Folgenden abgekürzt als „ Fad.“) beschrieb eine Fläche, die abhängig von einer untergeordneten Maßeinheit während des 18., 19. und 20. Jh. ständig variierte. Während der Jahre 1813-1820 entsprach ein Fad. etwa 4416 m2 ; seit 1821 waren es etwa 4200 m2. Vgl.: Cuno, Kenneth, The Pasha’s Peasants, a.a.O., S. 209/210

25 Vgl.: Brown, Nathan, a.a.O., S. 36/37 Die Darstellung kann hie allerdings nur das grobe Schema der Entwicklung zeigen. Hinsichtlich der Verteilung von Grund und Boden existierten auch innerhalb einzelner Provinzen große regionale Unterschiede.

26 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 61

27 Vgl.: Schölch, Alexander, Die europäische Expansion und die Transformation Ägyptens 1760- 1922, in: Greve- meyer, Jan- Heeren (Hrsg.), Traditionelle Gesellschaften und europäischer Kolonialismus, Frankfurt/M 1981, S. 144

28 Brown, Nathan, a.a.O., S.34

29 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 102 ff

30 Die Begriffe Umda und Saih al- balad, die im 19. Jh. oft synonym verwendet wurden, werden in der englischen Literatur mit dem Ausdruck „Village Headman“ übersetzt.

31 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 98

32 Brown, Nathan, a.a.O., S. 9

33 Vgl.: Brown, Nathan, a.a.O., S. 86/87, S. 95 ff

34 Vgl.: Burke, Edmund III, a.a.O., S. 27

35 Vgl.: Baer, Gabriel, Fellah and Townsman in the Middle East, a.a.O., S. 256/257 11

36 Da sich die vermögenden Schichten freikaufen oder, bis zur Abschaffung der Sklaverei auch einen Sklaven als Ersatz stellen konnten, kann man mit recht von einer Bauernarmee sprechen. Der Dienst in der Armee war jedoch zunächst ein „Privileg“ der Muslime. Erst ab der Mitte des 19. Jh. wurde damit begonnen, auch Kopten zum Militär heranzuziehen.

37 Vgl.: Toldano, Ehud R., State and Society in mid- ninenteenth- century Egypt, Cambridge 1990, S. 185

38 Vgl.: Brown, Nathan, a.a.O., S. 73 ; Toledano, Ehud R., a.a.O., S. 186 ; Richards, Alan, a.a.O., S. 24

39 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fallahin, a.a.O., S. 89 12

40 Vgl.. Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 86

41 Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S.82

42 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 84 ; Zu den ökonomischen Strukturmerkmalen des oberägyptischen Raumes und der Bedeutung der Handels- und Pilgerrouten Vgl.:Lawson, Fred H., Rural Revolt and Provincial Society in Egypt, 1820- 1824, in: IJMES 13/ 1981, S. 131 ff

43 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 82 ; Baer, Gabriel, Studies in the Social History of modern Egypt, a.a.O., S. 96

44 Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S 82

45 Vgl.: Baer, Gabriel, Studies in the Social History of modern Egypt, a.a.O., S. 96/97

46 Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S 85

47 Vgl.: Baer, Gabriel, Studies in the Social History of modern Egypt, a.a.O., S. 97/98 ; Richards, Alan, a.a.O., S. 22/23 In der verwendeten Literatur besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß es sich bei den oberägyptischen Mahdi- bewegungen um sozial motivierte Revolten handelte, die vor allem von Bauern getragen wurden. Lediglich Law- son bestreitet dies: „... These revolts should instead be seen as revolts by village artisans and pieceworkers a- gainst the supervisors and merchants in whose hands the control of local sugar , wheat and cloth industries rested.“ Lawson, Fred H., a.a.O., S. 145

48 Waterfield, Gordon (Hrsg.), Letters from Egypt ( 1862- 1869) by Lady Duff Gordon, London 1969, S. 209

49 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 87 ; Baer, Gabriel, Studies in the Social History of modern Egypt, a.a.O., S. 95

50 Nathan Brown stellt die Relevanz dieser Revolten, deren Erscheinungsformen Landbesetzungen, Angriffe gegen Großgrundbesitzer, aber auch vereinzelt gegen Kopten und Juden waren, insgesamt in Frage. Im Gegensatz dazu argumentiert Ali Barakat, der sie in einem Aufsatz in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt und ihnen eine große Bedeutung beimißt. Vgl.: Brown, Nathan, a.a.O., S. 177 ff ; Barakat, Ali, al- fallahun , a.a.O., S. 213 ff ebenso in: Barakat, Ali, tatauwur al- milkiya az- zira iya, a.a.O., S.429 ff

51 Vgl.: Burke, Edmund III, a.a.O., S. 32/33

52 Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fallahin, a.a.O, S. 91 Thomas Russel, der als Polizeioffizier zu Beginn des 20. Jh. mit der Bekämpfung dieser Gruppen beauftragt worden war, nennt in seinen Memoiren mehrere Beispiele für Brigantengruppen, wie z.B eine in der Provinz Girga aktive Gruppe unter der Führung eines Mannes namens Abd al- Ati, der als erbitterter Gegner der reichen Großgrundbesitzerfamilien der Gegend gegolten haben soll. Eine andere Gruppe aus derselben Provinz, die von einem Bauern aus dem Dorf Nag Hammadi geführt und aus etwa 40 Fallahin bestand, soll vor allem Großgrundbesitzer entführt haben, um Lösegeld zu erpressen. Vgl.: Russel Pasha, Sir Thomas, a.a.O., S. 79/80 ; S. 80 ff

53 Vgl.: Barakat, Ali, al- milkiya az- zira iya, a.a.O., S. 458/459

54 Vgl.: Brown, Nathan, a.a.O., S. 129 ff ; Barakat, Ali, al- milkiya az- zira iya, a.a.O., S. 459/ 460

55 Russel Pasha, Sir Thomas, a.a.O., S. 33

56 Vgl.: Ruskay, John, a.a.O., S. 50/51 ; Schulze, Reinhard, die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 94 ff ; Barakat, Ali, al- fallahun, a.a.O., S. 227

57 Vgl.: Schulze, Reinhard, die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 121 Schulze, Reinhard, Kolonisierung und Widerstand, a.a.O., S. 38 ; Ruskay, John, a.a.O., S. 77 ff ; Deeb, Marius, Party Politics in Egypt: The Wafd and its Rivals, 1919- 1939, London 1973, S. 42

58 Vgl.: Schulze, Reinhard, die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 113 ff : Tignor, Robert L. , The Egyp- tian Revolution of 1919. New Directions in the Egyptian Economy, in: MES 12, 1976, S. 42 ff Auch britische Zeitgenossen berichten über die Forderungen der Armee nach Lebensmitteln, Transporttieren und Arbeitskräften während des Ersten Weltkrieges. So schreibt Symons: „ British, whether in civil or military com- mand lost all sense of deceny...“ Die Verelendung der Fallahin während des Krieges sei jedoch vor allem auf die Unfähigkeit der britischen Verwaltung zurückzuführen: „ There was no intention to oppress; yet there was oppression; there was no intention to be unjust; yet there was injustice...“ Symons, M. Travers, a.a.O., S. 80 ;Vgl.: Russel Pasha, Sir Thomas, a.a.O., S. 190 ff ;

59 Vgl.: Barakat, Ali, al- fallahun , a.a.O., S. 227/228

60 Schulze, Reinhard, Kolonisierung und Widerstand, a.a.O., S.38

61 Vgl.: Barakat, Ali, al- fallahun , a.a.O., S. 228

62 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 128

63 Zur Hizb al- Umma vgl.: Ruskay, John, a.a.O., S. 57/58 ; Zur Hizb al- Watani vgl.. Deeb, Marius, Party Politics in Egypt, a.a.O., S. 80 ff ; Ruskay, John, a.a.O., S. 59 ff

64 Vgl.: Deeb, Marius, Party Politics in Egypt, a.a.O., S. 39 ff, Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S.132/133

65 Vgl.: Ruskay, John, a.a.O., S. 90, S. 173 ff

66 „ That explosion unavoidably had a nationalist dimension, but its class dimension was more crucial and more pronounced than of any previous upsurge of the Egyptian labor movement.“ Beinin, Joel, Lockmann, Zachary, Workers on the Nile. Nationalism, Communism, Islam and the Egyptian Working Class, 1882- 1954, Princeton 1987, S. 110

67 Zu Rolle der Studenten Vgl.: Ruskay, John, a.a.O., S. 121/122, S. 177 ff

68 Zu den Revolten in den einzelnen Provinzstädten vgl.: ar- Rafi i, Abdarrahman, a.a.O., S.212ff ; Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin 1919, a.a.O., S. 150 ff

69 Vgl.: ar- Rafi i, Abdarrahman, a.a.O., I, S. 225

70 Vgl.: ar- Rafi i, Abdarrahman, a.a.O., I,S. 216

71 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 151/152

72 Vgl.: Deeb, Marius, The 1919 Popular Uprising, a.a.O., S. 106, S. 115 ; Deeb, Marius, Party Politics in Egypt, a.a.O., S. 44/45 ; Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 156 ff

73 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Revolte der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 161

74 Vgl.: Brown, Nathan, a.a.O., S. 207 ; So setzte das Nationalkommittee, das die „Republik von Zifta“ gegründet hatte, die unter ihrer Befehlsgewalt stehenden Polizeikräfte gegen die Fallahin der umliegenden Dörfer ein, die die Mudiriya und das Gefängnis der Stadt stürmen wollten um Gefangene zu befreien. Vgl.: Schulze, Reinhard Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 159 ; Barakat, Ali, al- fallahun , a.a.O., S. 234

75 So bezeichnet z.B. Thomas Russel, der das nationale Anliegen der Wafd trotz seiner Stellung als Kommandeur der Polizei in Kairo mit einer gewissen Symphatie betrachtet, die Aufständischen Fallahin nur als „murderous mobs“ und ihre Aktionen als „mad orgy of destruction“. Vgl.:Russel Pasha, Sir Thomas, a.a.O., S. 194 u. S. 199

76 Safran, Nadav, Egypt in Search of Political Community. An Analysis of the intellectual and political Evolution of Egypt, 1804- 1952, Cambridge Mass. 1961, S. 101

77 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin , a.a.O., S. 194 ;

78 Vgl.:Baer, Gabriel, Fellah and Townsman in the Middle East, a.a.O., S. 264 ; Baer, Gabriel, Studies in the Social History of Modern Egypt, a.a.O., S. 101 ; Deeb, Marius, Party Politics in Egypt, a.a.O., S. 42-44 ;Russel Pasha, Sir Thomas, a.a.O., S.190/191 ; Symons, M. Travers, a.a.O., S. 69 ff

79 Vgl.: ar- Rafi i, Abdarrahman, a.a.O., I, S. 192 ; Baer, Gabriel, Fellah and Townsman in the Middle East, a.a.O., S. 305 ; Schulze, Reinhard, Kolonisierung und Widerstand, a.a.O., S. 43 ; Deeb, Marius, Party Politics in Egypt, a.a.O., S. 44

80 Die Beteiligung von Frauen am dörflichen Widerstand im 19. Jh läßt die Vermutung zu, daß dies auch während der Revolten im Jahr 1919 der Fall war. Im Gegensatz zur Teilnahme von Frauen am Aufstand im ländlichen Raum, über die nichts bekannt ist, wurde den Demonstrationen von Frauen in Kairo große Aufmerksamkeit geschenkt. Diese wurden aber wahrscheinlich ausschließlich von Angehörigen der Oberschicht getragen, was man daraus schließen kann, daß zumindest eine dieser Demonstrationen mit Autos durchgeführt wurde. Vgl.: ar-Rafi i, Abdarrahman, a.a.O., I, S. 175 ff , S. 208 ; Russel Pasha, Sir Thomas, a.a.O., S. 207 ff

81 Vgl.: Deeb, Marius, Party Politics in Egypt, a.a.O., S. 44 ; Brown, Nathan, a.a.O., S. 209

82 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin , a.a.O., S. 170 26

83 Vgl.: Barakat, Ali, al- fallahun , a.a.O., S. 229 ; ar- Rafi i, Abdarrahman, a.a.O., S. 225

84 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 173 ; Schulze stützt seine Darstellung vor allem auf Akten des britischen Foreign Office. ar- Rafi i übergeht diesen Punkt in seiner ansonsten sehr detaillierten Darstellung.

85 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 185 ff ; Zur Beteiligung koptischer Fallahin an den Revolten des Jahres 1919 macht Schulze keine genaueren Angaben.

86 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 170

87 Vgl.: Barakat, Ali, al- fallahun , a.a.O., S. 231 ; ar- Rafi i, Abdarrahman, a.a.O., I, S. 230 ; Mehrer detaillierte Augenzeugenberichte von britischen Mitreisenden finden sich unter der Überschrift „ The great Train Massacre“ in: Hopwood, Derek (Hrsg.), a.a.O., S. 99 ff

88 Vgl.: Russel Pasha, Sir Thomas, a.a.O., S. 194

89 Ruskay, John, a.a.O., S. 147

90 Barakat, Ali, al- fallahun , a.a.O., S. 233

91 Vgl.: Baer, Gabriel, Fellah and Townsman in the Middle East, a.a.O., S. 296/297 ; Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 174 ff ; Brown, Nathan, a.a.O., S. 206 ff

92 Vgl.: Baer, Gabriel, Fellah and Townsman in the Middle East, a.a.O., S. 297 ; Schulze, Reinhard, Die Revolte der ägyptischen Fellahin 1919, a.a.O., S. 176

93 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 184 29

94 Vgl.: Barakat, Ali, al- fallahun , a.a.O., S. 236 ; Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O.,

S. 187/188 ; Nach Barakat belief sich die Größe des Grundbesitzes von Muhammad Mahmud Sulaiman 1914 auf 1508 Fad. und der beiden Söhne von Mahmud Pasa Sulaiman zusammen auf 2500 Fad. Vgl.: Barakat, Ali, tatauwur al- milkiya az-zira iya, a.a.O., S. 255

95 Vgl.: Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S.184, S. 190/191

96 „ The scattered attacks and noumerus threats represent not an embryonic social revolution or a general assault

on property but the harnessing of peasant grievances by the notables to serve nationalist ends“ , Brown, Nathan, a.a.O., S. 209 ; Vgl.: Brown, Nathan, a.a.O., S. 208/209

97 Vgl.: Barakat, Ali, al- fallahun , a.a.O., S. 232

98 Schulze, Reinhard, Kolonisierung und Widerstand, a.a.O., S. 53

99 Vgl.: ar- Rafi i, Abdarrahman, a.a.O., I , S. 248- 250

100 Vgl.: ar- Rafi i, Abdarrahman, a.a.O., II , S. 5

101 Schulze, Reinhard, Die Rebellion der ägyptischen Fellahin, a.a.O., S. 213 32

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Die Rolle der Fellahin in der "Ägyptischen Revolution" 1919
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Autor
Jahr
2001
Seiten
35
Katalognummer
V101415
ISBN (eBook)
9783638998321
Dateigröße
427 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rolle, Fellahin, Revolution
Arbeit zitieren
Gerline Wagner (Autor:in), 2001, Die Rolle der Fellahin in der "Ägyptischen Revolution" 1919, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101415

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