Vertrauen. Definition, Theorien und Entwicklung


Hausarbeit, 2000

8 Seiten


Leseprobe


Vertrauen

1. Einleitung

Vertrauen als eine Form sozialer Einstellung ist eine zentrale Voraussetzung in der Beziehungsgestaltung zwischen Menschen. Denn in allen Bereichen, in denen man Menschen vorfindet, zum Beispiel in der Arbeitswelt, in der Freizeit etc. würde ohne Vertrauen nichts funktionieren. Die Welt ist viel zu komplex, so dass man nie in der Lage wäre sein Leben zu meistern, ohne sich überhaupt nur einmal auf andere Menschen verlassen zu müssen. Gerade weil Vertrauen eine so wichtige Komponente im Leben der Menschen spielt, versucht die Wissenschaft dieses Phänomen näher zu beleuchten.

Die vorliegende Arbeit wird hierbei auf die Merkmale und die Definition von Vertrauen eingehen. Zwei, in der Vertrauensforschung wichtige Vertrauenstheorien , ein Überblick über die Entwicklung von Vertrauen sowie eine interessante Studie zum Vertrauenserwerb im Kindesalter werden vorgestellt. Auf die Frage, wie man Vertrauen wissenschaftlich erfasst, wird hier nur kurz eingegangen.

2. Merkmale zwischenmenschlichen Vertrauens

In der Wissenschaft wird der Begriff „Vertrauen“ in generalisiertes und spezifisches Vertrauen unterteilt. Das generalisierte Vertrauen ist mit übergreifendem Vertrauen gleichzusetzen, wobei spezifisches Vertrauen jenes ist, welches man einer bestimmten Person entgegenbringt (u.a. Buck & Bierhoff, 1986). Es besteht die Annahme, dass der Aufbau des spezifischen Vertrauens erleichert wird, wenn generalisiertes Vertrauen als Basis vorhanden ist. Diese Unterteilung des Begriffes „Vertrauen“ spielt auch für die Erfassung von Vertrauen in Fragebögen eine Rolle.

Der Risikofaktor ist ein weiteres Merkmal des Vertrauens. Wenn sich Vertrauen zwischen Interaktionspartnern entwickelt, bzw. es auch schon vorhanden ist, besteht immer die Möglichkeit, dass das Vertrauen von einem Partner missbraucht wird. Somit stellt eine Vertrauenshandlung auch immer ein Wagnis dar (Rempel & Holmes, 1986). Golembiewski & McConkie (1975) gehen davon aus, dass die positiven Folgen, wenn man jemandem vertraut oft geringer sind als die negativen Konsequenzen, die eintreten können, wenn das Vertrauen missbraucht wird.

Die Reziprozität interpersonalen Vertrauens ist ebenfalls ein wichtiges Merkmal. Gouldner

(1984) nimmt an, dass innerhalb der Gesellschaft eine Norm der Reziprozität herrscht. Auf den Begriff des Vertrauens bezogen, bedeutet dies, dass Menschen, die eine Vorleistung, d.h. eine vertrauensfördernde Verhaltensweise erbracht haben, erwarten, dass der Partner dies erwidert. Um die eigene Vertrauenswürdigkeit zu beweisen, investiert man also zuerst. Je höher die eigene Investitionsbereitschaft ist, um so eher kann auch Vertrauen erzielt werden. Es kann allerdings auch zu einer reziproken Eskalation von Vertrauen kommen. Dies geschieht dadurch, wenn sich der eine Partner verpflichtet fühlt auf das ihm entgegengebrachte Vertrauen ebenfalls mit Vertrauenshandlungen zu reagieren (Schneider, 1976).

Ein weiterer wichtiger Faktor in Bezug auf Vertrauen ist die Zeit. Neubauer (1991) und Scantoni (1979) betonen hierbei die Bedeutung der vergangenen Erfahrungen mit dem jeweiligen Partner, die als Grundlage für ein Vertrauensverhältnis betrachtet werden. Vertrauen kann so also erst nach einer gewissen Zeit auch wirklich stabil werden. Dennoch ist der erste Eindruck im Hinblick auf die Vertrauensbildung einer bestimmten Person gegenüber nicht zu unterschätzen, da hier bereits im Anfangsstadium aufgrund von Sympathie bzw. Antipathie vertrauensfördernde bzw. -hemmende Prozesse ausgelöst werden.

3. Definition von Vertrauen

Die Schwierigkeit, die beim Definieren des Begriffes „Vertrauen“ besteht, ist, dass sich Vertrauen auf alle möglichen Bereiche beziehen kann. Man kann Vertrauen in Menschen, in Parteien, in politische Systeme etc. haben. Dadurch ist das Bedeutungsfeld dieses Begriffes sehr ausgeweitet und es ist schwer eine allgemein gültige Definition zu finden. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird die Qualität einer persönlichen Beziehung mit dem Begriff „Vertrauen“ bezeichnet. In der Wissenschaft allerdings gibt es unzählige Definitionen. Im Folgenden stelle ich drei verschiedene Definitionen vor, um zu zeigen, wie unterschiedlich Wissenschaftler an den Begriff herangingen.

Schottlaender (1957): „ Vertrauen resultiert aus bisheriger Erfahrung und der Hoffnung auf das Gute im Menschen.“

Jackson (1980): „ Vertrauen ist der Glaube, daß der andere für einen irgendwann das tut, was man für ihn getan hat.“

Deutsch (1962): „Vertrauensvolles Verhalten weist Verhaltensweisen auf, die (a) die

eigene Verwundbarkeit steigern, (b) gegenüber einer Person erfolgen, die nicht der persönlichen Kontrolle unterliegt, und (c) in einer Situation gewählt werden, in der der Schaden, den man möglicherweise erleidet, größer ist als der Nutzen, den man aus dem Verhalten ziehen kann.“

Doch trotz dieser Vielzahl an Definitionen lassen sich vier zentrale Punkte des Vertrauens ableiten (Schlenker et. al., 1973):

1) Der Aspekt der Ungewissheit
2) Das Vorhandensein eines Risikos
3) Die mangelnde Beeinflussung des Schicksals
4) Die Zeitperspektive

Es ist zusätzlich zu sagen, dass nach Luhmann Vertrauen und Selbstvertrauen sehr stark zusammenhängen. Luhmann (1973, S.77) argumentiert hier: „daß Menschen vertrauensbereit sind, wenn sie über innere Sicherheit verfügen, d.h. wenn ihnen eine Art Selbstsicherheit innewohnt, die sie befähigt, etwaigen Vertrauensenttäuschungen mit Fassung entgegenzusehen ...“. Selbstvertrauen wäre somit eine vertrauensfördernde Bedingung.

4. Vertrauenstheorien

4.1. Der soziologische Ansatz Luhmanns (1989)

Die Funktion des Vertrauens liegt nach Luhmann darin, dass dies ein Mechanismus zur effektiveren Bewältigung der vielen Anforderungen ist, die ständig von der Umwelt an das Individuum gestellt werden. Vertrauen reguliert in diesem Sinn die soziale Wahrnehmung. Für Luhmann ist Vertrauen eine „Form der Reduktion sozialer Komplexität“. Die Reduktion besteht hier darin, dass in zwischenmenschlichen Beziehungen gewisse Entwicklungsalternativen einer Person ausgeschlossen bzw. als sehr gering wahrscheinlich angesehen werden. Somit wird die eigene Handlungsplanung nicht blockiert.

Als eine vertrauensfördernde Komponente sieht Luhmann den Zeitfaktor, der nötig ist, damit sich Vertrauen zwischen zwei Menschen entwickeln kann. Eine Beziehungsstruktur, in der beide Partner etwas voneinander abhängig sind, wird ebenfalls als vertrauensfördernd angesehen.

Vertrauen ist ebenfalls wichtig für das Funktionieren sozialer Systeme. Luhmann (1989, S.40f) sagt hierzu: „Vertrauen ist nicht das einzige Fundament der Welt, aber eine sehr komplexe und doch strukturierte Weltvorstellung ist ohne eine ziemlich komplexe Gesellschaft und diese ohne Vertrauen nicht zu konstituieren.“

Als Kritikpunkte an Luhmanns Theorie sind zu nennen:

1) Es werden keine Aussagen über Entstehung, Verlauf und Auswirkungen von Vertrauen gemacht.
2) Außerdem basiert Luhmanns Ansatz auf keiner ausreichenden empirischen Fundierung.

4.2. Der psychoanalytische Ansatz Eriksons (1966)

Erikson sieht Vertrauen hauptsächlich als Ergebnis frühkindlicher Entwicklung und der Ausgangspunkt seiner Theorie hierbei ist das Ur-Vertrauen bzw. das Ur-Missvertrauen des Kindes gegenüber der Mutter. Der Aufbau des Ur-Vertrauens bzw. des Ur-Missvertrauens findet ca. im ersten Lebensjahr des Kindes statt und wird auch als erste psychosoziale Krise bezeichnet. Die Erfahrungen, die das Kind in dieser Phase macht sind in der Regel noch unbewusst.

Die Art, wie das Kind mit dieser ersten Krise zurechtkommt und das Vertrauen bzw. Missvertrauen, das daraus resultiert, beeinflussen dessen künftige Beziehungen zu späteren Partnern, wie z.B. Lehrern, Freunden etc. (s.a. Imber, 1973).

Erikson sagt, dass das Gefühl des Ur-Vertrauens die zeitlich erste und auch wichtigste Komponente der gesunden Persönlichkeit ist. Das Kind lernt hier praktisch sich auf die Mutter verlassen zu können. Die Tatsache, dass das Kind hier noch keine zeitliche Vorstellung besitzt, ist prägend für den Entwicklungsprozess. Zum Beispiel kann das Kind nicht abschätzen, ob die Mutter wiederkommt, wenn sie das Kind mal kurz verlassen hat. Das Kind befindet sich also in einer Ungewissheit unter der es Vertrauen aufbauen muss.

Diese erste Krise kann positiv bewältigt werden, aber das Kind kann sich auch dadurch überfordert fühlen.

Bei mangelder Bewältigung können im Erwachsenenalter Pessimismus gegenüber der sozialen Umwelt, und in Abhängigkeit von Kultur und Persönlichkeit auch pathologische Verhaltensweisen auftreten. Doch auch Suchtverhalten, Habgier und Selbstbetrug können die Folge sein.

Erikson nimmt an, dass sich das Ur-Vertrauen bzw. das Ur-Missvertrauen auf sämtliche Lebensbereiche einer Person auswirken.

Einige Wissenschaftler kritisieren an Eriksons Theorie, dass den kognitiven Variablen, wie Denken und Urteilen für den Entwicklungsprozess zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Weiterhin kann man Eriksons Theorie nicht mit einer Verhaltenstheorie gleichsetzen, da sie sich vorwiegend nur auf innerpsychische Vorgänge bezieht. Auch hat Eriksons Theorie die Vertrauensforschung zwar bereichert, doch ihre Bedeutung als eigenständige Theorie ist eher gering, da sie empirisch nicht ausreichend belegt ist.

5. Erfassung von Vertrauen

Zwei typische Wege um Vertrauen zu erfassen sind zum einen Fragebögen und Experimente, wobei der erstere der wichtigste ist. An Hand von verschiedenen Fragebogentypen kann man entweder generalisiertes oder spezifisches Vertrauen erfassen.

Bei Experimenten wird oft kooperatives Verhalten mit Vertrauen gleichgesetzt. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Gefangenen-Dilemma-Spiel, welches im Petermann, F. (1992) Psychologie des Vertrauens ausführlich beschrieben wird.

Doch das Problem das es bei Experimenten gibt, ist, dass sie sich nur selten auf Situationen übertragen lassen, in denen auch im Alltag Vertrauen gezeigt wird.

6. Entwicklung von Vertrauen

Die Entwicklung von Vertrauen wurde vorwiegend von Selman untersucht. Er fand heraus, dass sich die Entwicklung von Vertrauen in fünf Stufen untergliedert. In jeder dieser fünf Stufen wird Vertrauen nach unterschiedlichen Kriterien bewertet.

In der Stufe 0, zu der die 3- bis 5jährigen gehören, erfolgt die Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit durch die Wahrnehmung der körperlichen Fähigkeiten des anderen.

Die Stufe 1 beschreibt die Entwicklung von Vertrauen bei den 5- bis 11jährigen. Hier besteht die Grundlage der Vertrauensbildung in den wahrgenommenen Absichten des Interaktionspartners. Die Bereitschaft des anderen, was er für einen selbst tun würde, spielt hier eine große Rolle.

Auf der 2. Stufe der Vertrauensentwicklung spielt der Aspekt der Gegenseitigkeit eine bedeutsame Rolle. Hier geht es darum, dass ein fairer Austausch stattfindet. Diese Stufe schließt das Alter 7-14 Jahre ein.

Stufe 3, die vom 12. Lebensjahr bis ins Erwachsenenalter reicht, spiegelt wider, dass man hier an eine beständige Freundschaft glaubt, in der die Partner in guten und auch schlechten Situationen zueinander halten.

Die Stufe 4 schließlich umfasst das Jugend- oder Erwachsenenalter. Die Bedeutung des Vertrauens in einer Beziehung liegt auf dieser Stufe darin, dass man die Fähigkeit besitzt für Veränderung und Wachstum offen zu sein. Dies geschieht dadurch, dass man an die Stabilität einer Beziehung glaubt. Die Komponente des Selbstvertrauens wird auch auf dieser Stufe sehr wichtig.

Diese Stufenunterteilung von Selman et al. (1977) zeigt, dass echtes vertrauensvolles Verhalten erst in Stufe 2 vorliegt. Die nachfolgenden Stufen führen dann noch zu einer Ausreifung des Vertrauens.

6.1. Studie zum Vertrauenserwerb im Kindesalter

Rotenberg (1980) führte eine Untersuchung durch, in der es darum ging, herauszufinden aufgrund welcher Kriterien Kinder eine Person als vertrauenswürdig ansehen. Er untersuchte dafür 48 Kinder, die er in 3 Altersgruppen von 6, 8 und 10 Jahren unterteilte. In jeder Gruppe befanden sich nun also 16 Kinder, in denen jeweils der gleiche Anteil von Mädchen und Jungen vorhanden war.

Rotenbergs Annahme hierzu war, dass Kinder Vertrauen abhängig von ihrem Alter unterschiedlich einschätzen.

Um nun herauszufinden ob er mit seiner Annahme richtig lag, wurden den Kindern zwei Typen von Geschichten vorgelesen. Im ersten Typ der Geschichten wurde das Verhalten des Interaktionspartners verändert. Die Grundgeschichte handelt davon, dass zwei Kinder vom Spielen kommen. Das ältere Kind versprach dann dem jüngeren, dessen Mantel auf den Haken zu hängen oder den Ball vom Schrank zu holen. In der einen Version der Geschichte hielt das Kind das Versprechen und in der zweiten Version tat es das nicht. Im zweiten Typ der Geschichten wurde dann das Versprechen variiert. Hier war die Geschichte, dass versprochen wurde das Spielzimmer entweder ganz, ein wenig oder gar nicht aufzuräumen. Es wurden also insgesamt fünf Geschichten erzählt. Für diese Geschichten sollten die Kinder die Vertrauenswürdigkeit des Handelnden einschätzen und diese Entscheidung sollten sie auch begründen. Zum Schluss sollten die Kinder noch sagen, welchem der fünf Akteure in den Geschichten sie ihr Lieblingsspielzeug geben würden.

Als Ergebnis ließ sich feststellen, dass der helfende Akteur aus der Typ 1 - Geschichte von allen Kindern die höchsten Vertrauenswerte bekommen hat. Bei der Geschichte des Types 2 gaben die 8- und 10jährigen der Person die höchsten Vertrauenswerte, die ihr Versprechen hielt. Die 6jährigen bewerteten allerdings die Person am vertrauenswürdigsten, die am meisten versprochen hatte. Bei der Entscheidung, wem die Kinder ihr Lieblingsspielzeug geben würden, kam heraus, dass nur 50% der 6jährigen es dem Akteur geben würden, der sein Versprechen gehalten hat. Bei den 8- und 10jährigen waren es jedoch 100%. Die Schlussfolgerung hieraus ist nun, dass jüngere Kinder (Vorschulalter) Vertrauen an der Absicht des Interaktionspartners beurteilen.

7. Literaturangaben:

Petermann, F. (1992) Psychologie des Vertrauens. 2. Aufl. München: Quintessenz-Verlag

Schweer, K.W. (1996) Vertrauen in der pädagogischen Beziehung. Verlag Hans Huber

Ende der Leseprobe aus 8 Seiten

Details

Titel
Vertrauen. Definition, Theorien und Entwicklung
Hochschule
Universität Potsdam
Autor
Jahr
2000
Seiten
8
Katalognummer
V101291
ISBN (eBook)
9783638997089
Dateigröße
339 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
beleuchtet die theoretischen Aspekte dieses Konstruktes näher
Schlagworte
Vertrauen
Arbeit zitieren
Jeannette Schmidke (Autor:in), 2000, Vertrauen. Definition, Theorien und Entwicklung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101291

Kommentare

  • Gast am 24.8.2019

    Guten Tag Frau Schmidke
    Sie haben in Ihrer Arbeit Niklas Luhmann zitiert aus dem Jahr 1989. Ich möchte gerne wissen, aus welchem Werk diese Zitate stammen? Ich schreibe selber eine Arbeit zum Thema Vertrauen und möchte dem gerne nachgehen.

    Freundliche Grüsse
    Liv

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Titel: Vertrauen. Definition, Theorien und Entwicklung



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