Ambulante Behandlung von Spielern


Ausarbeitung, 1999

13 Seiten


Leseprobe


Ambulante Behandlung von Spielern

1. Zum pathologischen Spielen

Bis 1964 wurde in Lehrbüchern der Psychiatrie sowie in Fachzeitschriften die Spielsucht als nichtstoffgebundene Form der Suchtkrankheit, eine Gewohnheitssucht, erwähnt. Dabei war der Aspekt der psychischen Abhängigkeit im Vordergrund; das Nichtaufhörenkönnen war eine wesentliche Äußerung der Süchtigkeit.

Durch die Neufassung des Suchtbegriffs durch die WHO 1964 fanden die nichtstoffgebundenen Süchte keine Aufnahme mehr in den Katalog der „Typen von Drogenabhängigkeit“. Die körperliche Abhängigkeit von Substanzen wurde überbetont. 1980 wurde das Glücksspiel als eigenständige Krankheit in das Handbuch der psychischen Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (DSM-III) aufgenommen, 1987 in der erweiterten Fassung DSM-III R1. Außerdem ist Pathologisches Spielen im Klassifikationssystem der Krankheiten und Todesursachen der WHO unter ICD 10 -F63 verzeichnet. Nach DSM-III R wird Pathologisches Glücksspiel bzw.Spielen als Störung der Impulskontrolle definiert. Kriterien hierfür sind (symptomatologische Gemeinsamkeiten mit stoffgebundenen Süchten wie) u.a. häufige gedankliche Beschäftigung mit Glücksspiel, Steigerung der Einsätze und Spiellänge, Reizbarkeit und Unruhe beim Nichtspielen, wiederholte Verluste und Zurückgewinnungsversuche, Wiederholte Versuche der Einstellung, Unfähigkeit zur Abstinenz, Vernachlässigung sozialer und beruflicher Verpflichtungen, Fortsetzung des Spielens trotz Schulden etc. Die Diagnose pathologisches Spielen wird gestellt wenn mindestens vier der Kriterien zutreffen.

1.1 Pathologisches Spielen in Deutschland

Die Zahl der pathologischen Spieler in Deutschland wird im Durchschnitt mit 1000000 angegeben (je nach Quelle zwischen 20000 und 500000). Die überwiegende Zahl dieser Spieler (lt. Kellermann gar 90%) hat Probleme mit sogenannten „Unterhaltungsautomaten mit Gewinnmöglichkeit“, die sich in vielen Gaststätten und Spielhallen finden und rein rechtlich gar nicht zum Glücksspiel gezählt werden. Die Anzahl dieser problematischen Automatenspieler hat sich seit 1982, wo das Problem erstmals zutage trat, bis in die 90er Jahre jährlich erhöht. Erst seit einigen Jahren ist ein Rückgang zu verzeichnen. Die Attraktivität dieser Geldspielautomaten wurde durch Einführung der Risikotasten verstärkt, wodurch theoretisch ein Gewinn von 30 (jetzt 40) Pfennigen auf mehrere hundert Mark erhöht werden kann. Diese Risikotasten suggerieren dem Spieler eine aktive Eingriffsmöglichkeit in den Spielprozeß. Außerdem täuschen ausgeklügelte Lichteffekte und Töne eine ständige Nähe zu größeren Gewinnchancen vor. Pro Automat -Automatenspieler benützen meist mehrere Geldspielautomaten gleichzeitig- liegt der durchschnittliche Verlust bei ca. 48.-DM pro Stunde.

Neben den Automatenspielern gibt es noch eine immer noch beachtliche Anzahl von pathologischen Spielern, die sogenannte risikointensive Spielarten bevorzugen. Diese finden sich in Spielcasinos (Roulette, einarmige Banditen...) oder im illegalen Zockermillieu. Hierbei sind die Verlustmöglichkeiten und der dadurch mögliche Schaden noch weit größer. Diese Spieler geraten auch schneller in eine Beschaffungskriminalität.

1.2 Der Personenkreis der Spieler

Die überwiegende Mehrzahl der pathologischen Spieler sind Männer aus differierender Schichtzugehörigkeit, d.h. aus verschiedenen Berufsklassen. Die meisten sind Arbeiter und Angestellte (je ca. 30%), Auszubildende oder Erwerbslose (je ca. 11.5%), der Rest sind Sonstige wie Studenten oder Selbständige. Der Familienstand ist bei diesen: ledig (60,7%),verheiratet/zusammenlebend (23,8%), geschieden (11,5%) oder verheiratet/getrennt (4%).

Ansonsten ist die Gruppe der Spieler keine einheitliche Gruppe, sondern es handelt sich beim Spielen (lt. Caspari im Jahrbuch Sucht ‘94) um ein Symptom verschiedenartiger Grundstörungen. Unter klinisch-psychiatrischen Gesichtspunkten hat die Universitäts- Nervenklinik-Psychiatrie in Homburg an der Saar drei verschiedene Typen von exzessiven Spielern unterschieden:

1. Spieler mit schweren psychiatrischen Grundkrankheiten wie Schizophrenie, affektive Psychosen und hirnorganischen Beeinträchtigungen.
2. Patienten mit ausgeprägten zwischenmenschlichen, zumeist partnerschaftlichen Konflikten.
3. Spieler mit Persönlichkeitsstörungen.

Nach einer Befragung von Düffort (1989) sind folgende Problemfelder von den Spielern genannt worden (Mehrfachnennung möglich), wobei aber nicht zu klären ist, inwieweit sie Ursache oder Folge des pathologischen Spielens sind:

- Kommunikation/Partnerschaft 74,2%
- Schule/Beruf 42,7%
- Eltern-/Kindkonflikte 27,4%

Depressionen/Angst 27%

2. Behandlung von pathologischen Spielern

2.1 Sucht- oder Neurosenmodell

Ob pathologisches Glücksspielen als Ausdruck/Symptom einer neurotischen Störung (Neurosenmodell) oder als Spiel sucht (Suchtmodell) gesehen wird, ist nicht nur von theoretischem Interesse sondern vor allem für die Behandlung von großer Bedeutung. Beide Modelle indizieren sowohl inhaltliche wie kostentechnisch unterschiedliche Vorgehensweisen. Unter Fachleuten läuft schon seit einiger Zeit ein großer Streit über die beiden Modelle.

Experten, die Glücksspiel als Symptom einer neurotischen Störung im Sinne eines Zwanges sehen sind z.B. I. Hand (Professor für Psychiatrie an der Nervenklink des Universitäts- Krankenhaus Eppendorf, Hamburg). Diese befürchten bei einem Suchtmodell in bezug auf das Glücksspiel eine unspezifische Ausdehnung des Suchtbegriffs. Süchtiges Verhalten als Symptom kann sich nach ihrer Meinung auf dem Nährboden jeder psychischen Erkrankung ansiedeln2.

Experten, die pathologische Glücksspieler als Suchtkranke bezeichnen, sind z.B. G. Meyer (Dipl.Psycholge und wissensch. Mitarbeiter an der Universität Bremen) und B. Kellermann (Psychiater am Allgemeinen Krankenhaus Ochsenzoll, Hamburg). Eine grundsätzliche Unterscheidung von substanzgebundenen (stofflichen) und nicht substanzgebundenen Suchtformen halten sie für künstlich und nicht den klinischen Erfahrungen entsprechend. Das Suchtmittel (z.B. Alkohol, Automatenspiel) ist nur Mittel zum Zweck um einen bestimmten psychischen Zustand der Betäubung hervorzurufen, von dem man dann abhängig ist. Glücksspiel -wie jede andere Form der Suchtkrankung auch- sowohl Symptom einer zugrunde liegenden neurotischen Störung im weiten Sinne alsauch eigenständige Krankheit mit eigenen Verlaufsgesetzen. Die Abstinenz ist vorangiges Behandlungsziel.

Inhaltlich besteht eine größere Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Therapieansätzen, als es die Kontroverse um das Behandlungsziel der Abstinenz vermuten läßt. Beide Seiten gehen jedoch beim pathologischen Spielen von einer eigenständigen psychiatrischen Erkrankung und einer Behandlungsbedürftigkeit derselben aus. Als Indikation für die Aufnahme einer therapeutischen Behandlung von pathologischen Glücksspielern gilt das Ausmaß an selbstschädigendem Verhalten -erkennbar als Leidensdruck- des Betroffenen.

2.2.Verschiedene Therapieansätze bei der Behandlung von pathologischen Spielen

Bis in die 60er Jahre hinein wurden pathologische Spieler fast ausschließlich mittels psychoanalytisch orientierter Therapien behandelt. Man ging davon aus, daß, wenn intrapsychische Konflikte bewußt gemacht und die Ursachen der Krankheitsentwicklung aufgezeigt worden sind, die Spielsymptomatik quasi automatisch verschwindet. Das Spielen wurde nur oberflächlich in die Behandlung einbezogen. Therapiegruppen, Selbsthilfegruppen mit professioneller Anleitung und nichtangeleitete Im Bereich der verhaltenstherapeutischen Techniken wurde zunächst die Aversionstherapie eingesetzt, deren Wirkung darauf beruht, daß unerwünschte Verhaltensweisen seltener auftreten, wenn man sie mit negativen Reizen koppelt (z.B. schmerzhafte Elektroschocks während des Spielens). Derartige Techniken kommen wegen insgesamt unbefriedigenden Ergebnissen heutzutage kaum noch zur Anwendung. Effektiver haben sich da schon eher die imagin ä re Desensibilisierung erwiesen, bei der sich der Spieler lustbetonte Reize vorstellen soll, die er dann mit gegenläufigen Vorstellungen wie beispielsweise der Langeweile verknüpft. Selbstkontrolltechniken sollen den Spieler befähigen, das Spielverhalten nach seiner Wahl zu stoppen oder zu kontrollieren. Die finanziellen Mittel sollen hierbei durch nahestehende Bezugspersonen oder Verträge mit dem Therapeuten kontrolliert werden und alternative Verhaltensweisen zum Glücksspiel aufgebaut werden. Gegenüber den vorhergehenden verhaltenstherapeutischen Verfahren bezieht die systemisch-strategische Verhaltenstherapie individuelle und umweltbezogene Funktionalitäten des exzessiven Spielverhaltens mit ein. Die Hauptaufgabe besteht in der Aufdeckung der auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen und Funktionen. Wesentliche Therapieinhalte sind das Aufdecken der nichtbewußten Spielintensionen unter Einbeziehung der persönlichen und beruflichen Lebensführung, individuelle Analyse und Therapie der Paarbeziehungen, Förderung sozialer Kompetenzen, das Erlernen von Verarbeitungsmechanismen für private und berufliche Verlustsituationen sowie die erneute Analyse von Rückfällen. Von dieser Therapieform, die auf ein ausdrückliches Abstinenzgebot verzichtet, profitieren am ehesten Spieler mit zwar problematischen aber noch nicht süchtigen Spielverhalten. Kognitive Therapien versuchen, die Gedankenmuster und Glaubensätze von Spielern zu modifizieren, die Entscheidungsfreiheit und Selbstverantwortung zu stärken, um sie zu befähigen, das Spielverhalten zu begrenzen oder einzustellen. Den irrationalen Kontrollüberzeugungen werden beispielsweise die Realitäten des Glücksspiel gegenübergestellt. Auf gestörte Partnerbeziehungen als Begleit- oder ursächliches Problem ist die Paartherapie ausgerichtet, um das Mißtrauen des Partners abzubauen und ihm stattdessen unterstützende Maßnahmen zu übertragen, die Kommunikation zu verbessern sowie die Funktion des Spielens in der Beziehung aufzuzeigen. Es erfolgte auch schon vereinzelt eine medikamentöse Behandlung von Spielern mit Lithium, das eine antriebssenkende Wirkung hat, sowie mit Clomipramine, das die Wirkung von Serotonin blockiert.

Die ambulante und stationäre Suchttherapie integriert Elemente der verschiedenen Methoden, allerdings unter weitgehender Vernachlässigung der theoretischen Grundlagen. Entscheidend dafür, ob ein Spieler eine ambulante oder stationäre Therapie aufnehmen sollte, ist allein der Schweregrad der zugrundeliegenden Persönlichkeitsstörung.

2.3 Die ambulante Behandlung von pathologischen Spielern in Suchtberatungsstellen

3 Von der ersten, oft schwierigen Kontaktaufnahme bis hin zur umfassenden Entwöhnungsbehandlung decken die Sucht- und Familienberatungsstellen in Zusammenarbeit mit den Selbsthilfegruppen den größten Behandlungsbedarf ab. Ca. 13% der deutschen Suchtberatungsstellen bieten auch Gruppen für Spieler an, die neben Einzel- ,Paar- und Familienberatung die wichtigste Behandlungsform ist. Die Ambulante Spielerbehandlung der Suchtberatungsstellen basiert überwiegend auf dem Suchtmodell. Dies bedeutet:

- Abstinenz als Therapieziel anzustreben,
- das Symptomverhalten dementsprechend in die Behandlung einzubeziehen,
- Leitgedanken der Anonymen Spieler mit in die Therapie aufzunehmen,
- je nach individuellem Störungsbild Ursachen der Suchtentwicklung und psychosoziale Folgen der Erkrankung aufzuarbeiten.
- Zunächst steht das Symptom (Spielverhalten) und dessen unmittelbare Folgen im Vordergrund der therapeutischen Aufmerksamkeit und eine Abstinenz wird als Idealfall angestrebt, um dann im Folgenden besser die Störungen aufarbeiten zu können, die der Krankheitsentwicklung zugrundeliegen.

Das Klientel der Beratungsstelle verteilte sich laut Düffort (1989)(Mehrfachnennung möglich):

- Gruppen 64,3%
- Beratung 27,9%
- Einzeltherapie 17,2%
- Information 10%
- Familientherapie 3,7%

Der ambulante Versorgungsbereich hat in der Behandlung von pathologischen Spielern folgende Aufgaben:

- Erste Kontaktaufnahme mit den Patienten, Erfassung und Diagnosestellung. Dabei sollte insbesondere auf Mehrfachabhängigkeiten geachtet werden. In die Erfassung des Patienten werden die Angehörigen, soziale Dienste der Betriebe, Selbsthilfeorganisationen sowie überweisende Ärzte und Sozialarbeiter einbezogen.

Unterstützung bei der Schuldenerfassung und -regulierung bzw. Vermittlung der Klienten an kompetente Beratungseinrichtungen.

- Ambulante Entwöhnungsbehandlung ohne Einschaltung einer stationären Behandlungsphase.

- Vorbereitung einer stationären Behandlung. Informationen über das Krankheitsbild des pathologischen Glücksspielers, die sozialen und kriminogenen Folgen. Förderung der Motivation zu einer umfassenden Behandlung.

- Betreuung während der stationären Behandlung. Hilfe bei der Wiedereingliederung und Nachsorge nach Entlassung aus der stationären Behandlung.

Die Behandlungsmaßnahmen sollten sich richten nach:

a) Ausmaß und Intensität des Spielverhaltens,
b) Vorhandensein und Art von begleitenden psychischen Störungen oder sog. Grundstörungen,
c) der aktuellen psychosozialen Situation des Patienten (familiäre und berufliche Situation, Verschuldung).

Eine ambulante Beratung und Behandlung erscheint dann angebracht, wenn die Symptomatik noch wenig verfestigt ist, wenn keine schwere psychiatrische Grunderkrankung oder ausgeprägte Persönlichkeitsstörung vorliegt und wenn die soziale Situation relativ gesichert ist. Dies dürfte beispielsweise gegeben sein, wenn das Spielen im Rahmen einer akuten psychosozialen Konfliktsituation aufgetreten ist. Ambulante Behandlungen haben gegenüber stationären folgende Vorteile:

- Der Patient bleibt in seinem sozialen Umfeld, kann, was besonders bei jungen Spielern wichtig ist, eine begonnene Ausbildung weiterführen, einer Berufstätigkeit nachgehen und in seiner Familie integriert bleiben.
- Suchtfördernde oder auslösende Faktoren des alltäglichen Lebens, die zu einer Rückfallgefährdung beitragen, gehen unmittelbar in die Therapie ein und die Beratungsstelle kann z.B. familientherapeutische Maßnahmen effektiver planen und durchführen.
- Die in der Therapie gewonnenen Einsichten und Verhaltensweisen sind ohne zeitliche Verzögerung umsetzbar, und ihre Bewährung findet dabei unter realistischen Umweltbedingungen statt.
- Probleme der Wiedereingliederung in die Primär- und Sekundärgruppen entfallen, wie dies nach stationären Aufenthalten der Fall ist, ebenso die Schwierigkeit der Ablösung aus stationären Einrichtungen.
- Insbesondere berufliche und familiäre Umstände können ausschlaggebend dafür sein, daß ein stationärer Aufenthalt zunächst nicht in Betracht kommt.

2.3.1 Kontaktaufnahme mit der Beratungsstelle

Die von den Spielern mit Abstand am häufigsten genannten Gründe für ihre Kontaktaufnahme mit der Beratungsstelle sind finanzielle Gründe, weshalb mit dem Spielen aufgehört werden will. Sie haben meist Schulden von wenigen Tausend Mark bis zu Privat und Kreditschulden von über Hunderttausend Mark. Weitere Gründe sind Probleme mit dem sozialen Umfeld, z.B. droht der Partner mit Trennung. Andere Gründe sind, daß die Spieler endlich wieder Geld für kleinere Anschaffungen zur Verfügung haben und den Beschaffungsstreß des nötigen Spielgeldes in der Kontrollverlustphase loswerden wollen. Die Erwartung vieler Spieler an die Beratungsstelle ist eine schnelle und positive Veränderung ihrer Situation, was aufgrund der Struktur des Glücksspiels und der langfristigen Belastungen durch Schulden nicht so schnell möglich ist. Meist befinden sich die Spieler schon in einem fortgeschrittenem Stadium des pathologischen Spielens, wenn der Leidensdruck so groß ist, daß sie oder ein Angehöriger4 sich an die Beratungsstelle wenden. Dabei gilt auch hier: je früher der Krankheitsverlauf zu unterbrechen ist, desto größer sind die Erfolgsaussichten der Therapie. Der Grund für die Verspätung der meisten Hilfsmaßnahmen ist der Mangel an Wissen über diese Form von psychosozial recht unauffälligem Suchtverhalten in weiten Teilen der Bevölkerung. Vom ersten Herantasten bis zu konkreten Behandlungsschritten können Tage, Wochen, wenn nicht Jahre vergehen.

Die Bereitschaft oder der Wunsch mit dem Spielen aufhören zu wollen ist zunächst ausreichend für ein Behandlungsangebot.

2.3.1.1 Das Erstgespräch

Zunächst prüft der Berater der Beratungsstelle, ob er die Kompetenz hat, in dem jeweiligen Falle tätig zu werden. Bei suizidalen Tendenzen ist das nicht der Fall und es wird nach alternativen Möglichkeiten geschaut. Es wird mit Fachärzten und stationären Einrichtungen enger Kontakt gehalten. Bei Zuständigkeit wird als nächstes geprüft, ob ein aktueller Problemdruck vorliegt: z.B. hat die Familie den Räumungsbefehl in der Tasche, läuft Strom oder Gas noch und ähnliche Dinge der Existenzsicherung. Konkrete Maßnahmen, Schuldnerberatung etc. werden eingeleitet, die Notsituation zu beheben. Dann werden Behandlungsmöglichkeiten vorgestellt wie angeleiteten Gruppen auch für Paare oder zunächst Einzelgesprächen, wenn es nötig ist. Wichtig ist, daß das Erstgespräch so verläuft, daß die Unsicherheit des Klienten reduziert wird und das Wiederkommen attraktiver wird als das Wegbleiben.

2.3.2 Weitere Phasen der ambulanten Behandlung

Es bedarf eines erfahrenen und geschulten Therapeuten, um in der Anfangsphase einen tragfähigen Kontakt zum Klienten aufzubauen. Der Therapeut sollte den Klienten nicht wegen fehlender Motivation ablehnen, sondern ihn zu einer Therapie motivieren. Der Klient soll in einer einfühlenden und verstehenden, d.h. auch vorwurfsfreien Atmosphäre sein eigenes Verhalten ohne Selbstbetrug wahrnehmen und mitteilen. Starke bisher nicht geäußerte Scham- und Schuldgefühle können erstmals in der angstfreien Situation im Rahmen der Beratung oder in der Gruppe ausgesprochen werden. Die starke soziale Isolation, in der sich der Pathologische Spieler befindet, kann jetzt allmählich abgebaut werden. Im Gegensatz zur stationären Behandlung kann es in der ambulanten Therapie erheblich schwieriger sein, Spielabstinenz zu erreichen. Rückfälle können gerade in der ersten Phase nicht ausgeschlossen werden und es kann zu erheblichen Abbruchraten kommen. Es ist ersteinmal notwendig, aktuelle, drückende finanzielle Probleme unter Kontrolle zu bekommen. Dazu sollte sich der Klient selbständig an Beratungstellen oder Institutionen zur Schuldenregulierung wenden. Den Spielern wird auch nahegelegt, sorgfältig und gewissenhaft eine Liste über Schulden, unbezahlte Rechnungen, die notwendigen finanziellen Mittel für den Lebensunterhalt und das verfügbare Einkommen zu erstellen. Drückende finanzielle Belastungen führen oft dazu, daß der Spieler wieder in seine Traumwelt flüchtet, mit einem großen Gewinn alle seine Sorgen los zu sein.

Hochverschuldete Spieler finden sich auch oft nur schwer damit ab, daß sie sich nun mit einem Existenzminimum zu begnügen haben. Es ist manchmal auch ratsam, das mitzuführende Geld auf einen Tagesbedarf einzuschränken, da höhere Geldsummen eine erheblichen Spielanreiz auslösen können. Neben einer allgemeinen Anamnese sollte eine spezielle über den bisherigen Spielverlauf, bzw. das Spielverhalten erstellt werden wie Anfang des Spielens, Häufigkeit, Zeitaufwand, Spieleinsatz- und Schuldenhöhe, Selbstregulierungsversuche etc., damit immer wiederkehrende Abläufe deutlich gemacht werden können. Diese Zusammenhänge sollen in der Therapie bewußt gemacht werden und durch alternative Verhaltensweisen ersetzt werden. Es soll gelernt werden, psychische Spannungen anders als durch Spielen abzubauen. Geistige Anregungen sollen vermittelt werden und eine sinnvolle Freizeitgestaltung ermöglicht werden. Rückfälle sollen sorgfältig analysiert und aufgearbeitet werden, zumal die Gefahr besteht, daß die Klienten in einer solchen Situation, wo sie häufig mit depressiven Verstimmungen reagieren, wieder in den alten Teufelskreis der Abhängigkeit zurückkehren.

Scheitern alle ambulanten Bemühungen, das Suchtverhalten des pathologischen Glücksspielers zu stoppen und grundlegende Veränderungen zu erzielen, ist eine stationäre Entwöhnungsbehandlung angebracht (z.B. bei starken psychischen oder psychiatrischen Problemen). zur Beantragung der Kosten für stationäre Therapien fertigen Beratungsstellen Sozialberichte an, die sie häufig noch durch ärztliche Gutachten ergänzen. Diese Soziaberichte entsprechen weitgehend solchen, die auch bei einer stofflichen Sucht eines Patienten angefertigt werden.

Neben Vermittlung einer stationären Therapie hat die ambulante Beratungsstelle die Aufgabe den Spieler in dieser Zeit zu begleiten und bei der notwendigen Reintegration und Nachsorge tätig zu sein.

2.3.2.1 Ambulante Behandlung in der Gruppe

Es lassen sich drei Arten von Gruppen unterscheiden: Therapiegruppen, Selbsthilfegruppen mit professioneller Anleitung und nichtangeleitete Selbsthilfegruppen. Während die beiden ersten an die Beratungsstellen angegliedert sind, arbeiten nichtangeleitete Selbsthilfegruppen weitgehend unabhängig von den Beratungsstellen und teilen sich wiederum in Gruppen auf, die den Anonymen Spielern angehören oder unabhängig von diesen vorgehen. Außerdem werden pathologische Spieler zeitweise auch in Alkoholikergruppen integriert, besonders dann wenn neben der Spielproblematik eine stoffliche Abhängigkeit vorliegt.

Mindestens vier interessierte Spieler sind zur Bildung einer Gruppe ratsam. Es gibt Therapiegruppen und professionell angeleitete Selbsthilfegruppen ausschließlich für Spieler aber auch gemischte Gruppen für Spieler und deren Angehörige5.

Die Gruppe bietet im Gegensatz zum Einzelgespräch vielfältige Identifikationsmöglichkeiten mit anderen Spielern. Das Erlebnis in der Gruppe ist für sie eine besonders nachhaltige Erfahrung, da sie ihre Spielsucht bis dahin häufig als individuelles Schicksal begriffen haben. Der Austausch von Erfahrungen kann erheblich angstreduzierend wirken, depressive Verstimmungen mindern und Verletzungen des eigenen Selbstwertgefühles reduzieren helfen. Andere Suchtkranke geben Hilfestellung, sich zu öffnen und negative Gefühle auszusprechen. Schon länger abstinente Spieler können als Vorbild dienen und wichtige Hinweise darüber geben, wie sie Selbstkontrollmechanismen entwickelt, rückfallgefährdende Situationen bewältigt und alternative Verhaltensweisen zum Spielen aufgebaut haben. Die gemeinsame Identifikation mit der Krankheit und die daraus folgende Konsequenz der Spielabstinenz ist möglicherweise der wichtigste therapeutische Faktor der Gruppenarbeit. Es wird aber häufig von Beratungsstellen berichtet, das eine hohe Fluktuation die Gruppenprozesse in der Behandlung pathologischer Glückspieler stört. Aus diesem Grunde wurden verschiedene Wege gegangen, um dieses Problem zu entschärfen. Eine Möglichkeit ist die Schaffung von offenen und geschlossenen Gruppen. Während die geschlossene Gruppe sowohl formell alsauch inhaltlich klar strukturiert ist und Kontinuität sowie Verbindlichkeit bei den Teilnehmern voraussetzt, dient die offene Gruppe dem Ziel, den Einstieg in die ambulante Therapie zu erleichtern (Abbau von Schwellenangst), die eigentlichen Therapiegruppen vor Fluktuation zu schützen und ein Beisammensein in einer angstfreien, aufgelockerten Atmosphäre zu gewährleisten. Der zeitliche Rahmen ist hier erweitert, der Klient muß hier nicht pünktlich sein. Es werden Getränke gereicht und auch belanglose Gespräche ermöglicht. Obwohl in dieser weniger strukturierten Gruppe, auch Motivations - oder Vorbereitungsgruppen genannt, ebenfalls eine regelmäßige Teilnahme erwünscht ist, wird Fernbleiben nicht so streng thematisiert oder bearbeitet wie in der geschlossenen Gruppen. Dabei findet auch in der offenen Gruppe punktuell intensivere Therapie statt. Das nicht klar umgrenzte zeitliche und thematische Setting findet guten Anklang. Es ist ein geringeres Angstniveau zu verzeichnen und es finden auch weniger Abbrüche statt. Oft erstreckt sich die Teilnahme an diesen Gruppen auf mehrere Monate bevor der Klient in eine geschlossene oder feste Therapiegruppe geht.

2.3.2.2 Anlaufstellen für pathologische Spieler

Eine weitere Möglichkeit niedrigschwelliger Herangehensweise an Spieler und eine sinnvolle Ergänzung der Beratungsstellenarbeit sind Anlaufstellen. Diese können beispielsweise in Form eines Cafés angeboten werden. Solche Anlaufstellen können Bereiche abdecken, wozu eine Beratungsstelle nicht in der Lage ist. Dazu gehören folgende Probleme:

1. Bei einer Krisenstimmung in den Abendstunden (z.B. wenn der Spieler einmal wieder alles verspielt hat) kann eine Anlaufstelle, die mit dem Problem des Spielers vertraut ist ihn auffangen.
2. Gegen die Vereinzelung des Spielers kann eine Anlaufstelle eine glücksspielfreie zentrale Begegnungsstätte sein.
3. Spielern fällt es oft schwer eine Beratungsstelle aufzusuchen, weil sie mit einer solchen keine Vorerfahrung haben. Hier ist es gut, wenn es innerhalb des Gesamtangebots ein niedrigschwelliges Angebot gibt.
4. Spieler haben nach jahrelangem Spielen oft große Schwierigkeiten die freigewordene Zeit konstruktiv zu nutzen. Hier können unterstützende Angebote gemacht werden, um die verlorengegangene Fähigkeit wieder oder neu zu erlernen.
5. Für Spieler und deren Angehörige ist es schwierig, Räumlichkeiten für eigene Aktivitäten wie Gruppenabende zu finden. Außerdem braucht auch die Beratungsstelle einen Ort, wo sie außerhalb der Institution neben den Therapiegruppen Informationsabende anbieten kann. Dies alles und noch mehr, was zu einer sinnvollen, praktischen Arbeit gehört, kann eine solche Anlaufstelle bieten.

In Berlin sind mit einer solchen Anlaufstelle in Form eines Cafés (Café Beispiellos) gute Erfahrungen gemacht worden. Ein solches Projekt kann dann ausgeführt werden, wenn die Beratungsstelle über eine langjährige Erfahrung in der Arbeit mit Spielern verfügt und das Einzugsgebiet eine genügend große Anzahl von Spielern erwarten läßt.

Literatur:

BRAKHOFF, Jutta (Hrg.): Glück-Spiel-Sucht. Beratung und Behandlung von Glücksspielern (Beiträge v. B.Kellermann, R. Düffort usw.). Lambertus, Freiburg im Breisgau 2. unveränd. Aufl. 1990.

CASPARI, Dieter in Jahrbuch Sucht ‘94 der Deutschen Hauptstelle für Suchtgefahren. Neuland, Geesthacht 1993.

MEYER, Gerhard/ BACHMANN, Meinholf: Glücksspiel- Wenn der Traum vom Glück zum Alptraum wird. Springer Verlag Berlin Heidelberg 1993.

SCHILLING, F./ HAASE, H./ BÖNNER,K.-H. (Hrg.): Spielen an Automaten. Ergebnisse, Analysen, Kontroversen (Beiträge von B.Kellermann, I. Hand usw.). Hänsel-Hohenhausen, Egelsbach 1995.

[...]


1 Im Internet bin ich sogar schon auf die Aufnahme des Pathologischen Spielens unter DSM IV gestoßen.

2 Die von der Gauselmann-Gruppe (Merkur-Münzspiele) ins Leben gerufene Informationsgemeinschaft Münzspiel vertritt die These, daß es sich um problematisches Spielverhalten seelisch gestörter Menschen und nicht um eine Spielsucht handelt.

3 Den Ausführungen liegen Informationen der Spielerberatungsstellen Herford und Unna sowie der Beratungsstelle Jugend-Drogen-Süchte des Caritasverbades Berlin zugrunde.

4 Im Regelfall (ca.80%) meldet sich nicht der Spieler selbst sondern Partnerinnen, Angehörige, andere Einrichtungen, Krankenhäuser, Sozialstellen von Betrieben, die Probleme mit den Spielern haben. Die Angehörigen sind als CO-Abhängige (sich zu sorgen, zu behüten, zu bemuttern) in die Spielerkarriere mit eingebunden

5 Aufgrund in der Regel mangelnden Kenntnisse über Suchtstrukturen neigen Angehörige von Spielern allerdings dazu, bereits bei kurzfristig erfolgreichen Vereinbarungen mit dem Betroffenen, oder weil sich nicht sofort etwas ändert, abzubrechen.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Ambulante Behandlung von Spielern
Autor
Jahr
1999
Seiten
13
Katalognummer
V100801
ISBN (eBook)
9783638992244
Dateigröße
355 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ambulante, Behandlung, Spielern
Arbeit zitieren
Hans-Jürgen Lötzerich (Autor:in), 1999, Ambulante Behandlung von Spielern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100801

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