Zu den Erlebnisfeldern einer Kanutour


Seminararbeit, 2000

17 Seiten


Leseprobe


Zu den Erlebnisfeldern einer Kanutour

1. Einführung

„ Kinder brauchen das Abenteuer, das richtige Abenteuer, indem ihnen durch entsprechende Spiel- , Frei- , Erlebnis- und Erfahrungsr ä ume ein intensives Sich - selbst - Erleben erm ö glicht wird. Daran kann und wird ihr Selbstbewu ß tsein, ihr Selbstvertrauen und ihr Selbstwertgef ü hl wachsen k ö nnen. “ ( LANG, 78 )

Zahlreiche Schriften zur Erlebnispädagogik, wie zum Beispiel die Bestandsaufnahmen zur Erlebnispädagogik von Jörg Ziegenspeck 1992 oder von Anette Reiners 1995, stellen die Suche von Kindern und Jugendlichen nach Abenteuern und Erlebnissen fest und beschreiben diese (vgl. ZIEGENSPECK, vgl. REINERS ).

Dieses Bedürfnis und die intensive Suche von Kindern und Jugendlichen nach Abenteuern konnte ich erst kürzlich im August 2000 als Leiter eines Freizeitangebot des Jugendwerkes der Arbeiterwohlfahrt selbst feststellen. Die Ferienfreizeit fand in Schweden in einem Gebiet, das etwa 30 km südöstlich von Götheburg liegt, statt und beinhaltete neben einer Woche Blockhausaufenthalt auch eine einwöchige Kanutour durch die Seen und Flüsse. Schon bei der Anmeldung und bei Vorgesprächen mit den Kindern und Jugendlichen wurde klar, warum sie sich anstatt einem Badeurlaub in der Südsee mit Sonnenbad und Stranddisco für unser Angebot entschieden hatten, und sich trotz erwartungsgemäßer Strapazen darauf freuten: Sie suchten das Abenteuer. Sie wollten die körperliche Anstrengung auf sich nehmen und auch bewältigen, die Landschaft und Natur genießen, gemeinsam mit anderen am Lagerfeuer sitzen und grillen, endlich einmal draußen schlafen... Und : Sie wollten etwas Besonderes, und nicht Alltägliches erleben und etwas Unvergeßliches zu erzählen haben.

Um diesen hohen Erwartungen gerecht zu werden, war es geradezu ein Muß, die Erlebnis- pädagogischen Elemente, die solch eine Unternehmung bietet zu nutzen; dies auch im Hinblick auf den pädagogischen Auftrag des Jugendwerkes der Arbeiterwohlfahrt, nach dem Freizeiten so gestaltet sein sollen, daß ihre Leitsätze verwirklicht werden ( z. B. Freiräume für alle Teilnehmer schaffen; die Persönlichkeit der Teilnehmer ernst nehmen und einbeziehen;

Selbstbestimmung im Rahmen der organisatorischen Möglichkeit der Gruppe gewähren und fördern; verantwortungsbewußten Umgang mit Natur und Umwelt vermitteln; dabei helfen eigene Grenzen kennen zu lernen und zu überwinden; Möglichkeit für nicht alltägliche Erlebnisse schaffen; u.a.) (vgl. BUNDESJUGENDWERK DER ARBEITERWOHLFAHRT ).

Ziel dieser Seminararbeit ist es einige erlebnispädagogischen Felder, die so eine Kanutour bietet, näher zu erläutern und darzustellen. Denn diese Felder enthalten das notwendige Potential, um Möglichkeiten für Erlebnisse zu schaffen. Damit können sie innerhalb eines derartigen Ferienangebotes dazu beitragen, den Wunsch der Jugendlichen nach Abenteuern zu erfüllen.

Zudem können diese Erlebnisfelder im Rahmen von erlebnispädagogischer Arbeit genutzt und auf bestimmte pädagogische Zielsetzungen hin gebraucht werden. Deswegen ist es nötig, sie auf ihre innewohnenden Strukturen, Möglichkeiten und Gefahren für die pädagogische Bemühungen genau zu untersuchen, womit diese Arbeit ebenfalls einen Beitrag leisten will.

2. Zum Bedürfnis nach Erlebnissen

Der anerkannte Soziologe GERHARD SCHULZE stellt 1992 in seinem Werk „Die Erlebnisgesellschaft“ (SCHULZE) eine zunehmenden Erlebnisorientierung unserer Gesellschaft fest. Die Dinge und Dienstleistungen würden in zunehmendem Maße durch ihren Erlebnisgehalt definiert, wobei er auf die dadurch immer deutlicher werdende Welt des Scheins und des damit verbundenem Enttäuschungsrisikos verweist. Dieses Streben nach besonderen Ereignissen betrifft natürlich gerade unsere Kinder und Jugendlichen, denn sie sind ja der Teil unserer Gesellschaft, der sich nach ihr orientiert, ausrichtet und in sie hineinwachsen will. (vgl. KEGAN ).

Daß das Abenteuer nicht nur deshalb heutzutage „eine der Jugend besonders adäquate Lebensform“ (THIERSCH, 47) darstellt und daß Kinder und Jugendliche Abenteuer und Erlebnisse brauchen und suchen (vgl. LANG ), weil es zu ihrem entwicklungsspezifischen Stand gehört und in ihrem Leben und Erleben einen hohen Stellenwert einnimmt, stützt sich auf Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie. Denn in dieser Zeit öffnet sich der Heranwachsende für seine Umwelt, er will sich mit anderen messen, um zu erfahren welchen Stellenwert er in der Welt einnimmt, was er kann und wo seine Grenzen sind. Außerdem versucht er die Welt durch ihre Extreme und Superlative zu ergründen und zu erfahren. Eigene Erlebnisse spielen hierbei eine große Rolle (vgl. KEGAN ).

Die Welt stellt sich für unsere Kinder und Jugendlichen durch die sich immer erweiternden Kommunikationstechnologien, der Medienflut und des Konsumverhaltens der Gesellschaft in zunehmendem Maße komplexer und komplizierter dar; das Leben bietet scheinbar unendliche Möglichkeiten, wirkliche Freiräume sind jedoch immer schwerer zu erschließen ( vgl. GERGEN ). „Kind - Sein ist deshalb schwieriger geworden, weil die Welt für Kinder in wachsendem Maße komplexer wird, weil die Manipulationen, die auf Kinder wirken, massiver und gleichzeitig auch subtiler werden, weil die Räume und ursprünglichen Erfahrungsfelder, die ihnen zur Verfügung stehen, ärmer werden. Die dadurch an sie gestellten Anforderungen werden größer und die Orientierung in dieser Welt für sie schwieriger“ (LANG, 78 ).

Aus Diesen Gründen resultiert das starke Bedürfnis und die Suche unser Kinder und Jugend- lichen nach eigenen Erlebnissen und unvermittelten Abenteuern in allen Variationen, die unsere heutige Lebenswelt bietet oder vermeintlich bieten könnte ( vgl. THIERSCH )

3. Zum Verständnis sinnvoller Erlebnispädagogik

Dieses Bedürfnis nach eigenem Erleben greift die Erlebnispädagogik auf und stellt es in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen. Dabei ist sie sich in weiten Teilen sehr bewußt, daß Erlebnisse stets individueller Natur sind. Prinzipiell erlebt der Einzelne ständig etwas, Reize strömen auf ihn ein, ob nun bewußt oder unbewußt. Erleben bzw ein Erlebnis haben kann deshalb nur bedeuten, daß Inhalte, die als bedeutsam angesehen werden zu mehr oder weniger intensiven Eindrücken verarbeitet werden. Jeder erlebt etwas anderes und erlebt auch andersartig, Erleben hängt sehr stark mit der Biographie des Einzelnen zusammen. Sie ist der Ausgangs- und Bezugspunkt und bestimmt demnach den Wert und die Qualität des Erlebnisses für den Einzelnen. Damit sind Erlebnisse nicht planbar und entziehen sich weitestgehend pädagogischer Berechnung und Verfügbarkeit ( vgl. REINERS, vgl. OELKERS ).

Ziel sinnvoller erlebnispädagogischer Arbeit kann es also nur sein möglichst breit gefächerte Erfahrungsräume und Anregungen zur Verarbeitung von individuell Erlebtem bereitzustellen, um die Möglichkeit für Erlebnisse anzubieten. „Abenteuer - / Erlebnispädagogik setzt auf Ereignis und Handeln. Das verführt dazu, den Akt selbst, die Unmittelbarkeit des Geschehens schon als Erfolg zu buchen; das Ereignis Abenteuer, so könnte man zugespitzt formulieren, gilt schon als pädagogisch gelungene Veranstaltung“ (THIERSCH, 49). Daneben sieht Thiersch noch eine weitere Aufgabe der Erlebnispädagogik, wobei er diese aber nicht als das entscheidende Kriterium für die Legitimation von Angeboten der Erlebnispädagogik verstanden wissen will. Er stellt fest, daß die abenteuerlichen Erlebnisse sich von alltäglichem Geschehen soweit abheben, daß die im Abenteuer erworbenen Fähigkeiten, um sie im Alltag anwenden zu können, dafür erst transferiert werden müßten (vgl. THIERSCH ). Andere Vertreter der Erlebnispädagogik fordern aber geradezu Erlebnisse im Hinblick auf eine spezielle pädagogische Zielsetzung hin anzubahnen bzw passende Felder dafür bereit zu stellen.

Werner Michl betont in seinen Darlegungen zur Erlebnispädagogik die Wichtigkeit der Verarbeitung von Erlebtem, damit dieses überhaupt zu einem Erlebnis werden kann: Die Reflexion spielt hierbei eine große Rolle, vor allem im Hinblick auf metaphorisches Lernen ( vgl. MICHL ). „Von metaphorischem Lernen kann gesprochen werden, wenn in einer zum Alltag analogen Situation Lernerfahrungen gesammelt werden, die Chancen zur Verhaltensänderung im Alltagsleben bieten. Metaphorisches Lernen kann entweder während der Aktivität mit Hilfe von Reflexionen stattfinden“ (REINERS, 22).

Dementsprechend will Erlebnispädagogik den Heranwachsenden mit nicht alltäglichen Situationen und Problemen konfrontieren, in denen ein großes Potential für Erlebnisse und vorhanden ist und er an persönliche Grenzen führende Erfahrungen machen kann. Diese ausgewählten Situationen sollen für ihn neu sein, unbekannte Problemlösestrategien bzw Handlungsweisen beinhalten und ihn ansprechen. Dabei sollen sie intrapsychische Spannungszustände produzieren und gleichzeitig mit Bekanntem assoziiert werden können. Durch Reflexion besteht die Möglichkeit nach Bewertung und Eingliederung in den bisherigen Erfahrungshorizont, womit persönliche Weiterentwicklung stattfinden kann (vgl. VERNOOIJ ). Annette Reiners sieht dadurch noch, wie sie es ausgedrückt hat „Chancen zur Orientierung und Selbstbestimmung sowie Möglichkeiten Identität, Gruppengefühl, Einfühlungsvermögen, Hilfsbereitschaft etc. zu erfahren (..., zudem ) kann die Erlebnispädagogik durch ihre Nähe zur Natur zu einem bewußten Umgang mit der Umwelt erziehen und ökologisch- praktische Fertigkeiten lehren“ (REINERS, 9).

Was ist nun der Kern einer Erlebnisp ä gogik, um diesem hohen Anspr ü chen zu nachzukommen ?

Gerhard Schad bestimmt in der Darlegung seines erlebnispädagogischen Konzeptes „Die Veränderung der Wahrnehmung“ (SCHAD, 27) die Essenz von sinnvoller Erlebnispädagogik in 4 Kernbereichen: „Berührt - Sein (...,) Vergegenwärtigung ( ,) Bewegung (...und) Veränderung“.(SCHAD, 23).

Den ersten wesentlichen Bestandteil nennt Schad Ber ü hrt - Sein, womit er einerseits den Kontakt mit den Dingen, Gegenständen, Elementen und Menschen meint, die auf das Individuum einwirken und ansprechen. Hierbei spielt die Erfahrung durch die Sinne und mit ihnen eine wichtige Rolle, denn durch sie stellt der Einzelne Verbindung von seinem inneren Bewußtsein und Weltbild mit der Umwelt her. Die Sinne liefern dem Selbst also die Daten über die Welt, die immer neu mit dem eigenen Selbstverständnis und Verständnis von der Welt überprüft und angeglichen werden (vgl. KEGAN ). „Insofern ist Erlebnispädagogik Selbsterfahrung. Diese Selbsterfahrung wird für die Persönlichkeitsentwicklung doch erst dann von fundamentaler Bedeutung, wenn das Ber ü hrtsein zum Anger ü hrtsein wird, d. h. wenn persönlich Bedeutendes berührt wird“ (SCHAD, 24).

Mit diesem Anger ü hrtsein verweist Gerhard Schad auf die Kategorie des individuellen Sinns. Wenn ein Ereignis als für die Persönlichkeit bedeutendes wahrgenommen wird, drückt sich das in elementaren menschlichen Gefühlsreaktionen, wie zum Beispiel Freude, Schmerz, Angst etc., aus (vgl. SCHAD).

Das Merkmal der Vergegenw ä rtigung kann gerade durch die Erlebnispädagogischen Medien evoziert werden. Sie fordern die gesamte Konzentration und Aufmerksamkeit für die Situation und den Augenblick des Geschehens. Erleben bezieht sich stets auf die Gegenwart und findet immer im gegenwärtigen Augenblick statt, womit dieser ins Bewußtsein rückt. Dieser gegenwärtige Augenblick gestaltet sich für jeden Menschen individuell verschieden. Der Einzelne hat eine ihm eigene Biographie und steht an einem bestimmten Punkt seiner Entwicklung. Außerdem befindet er sich ja zu diesem Zeitpunkt in ganz speziellen und für ihn spezifischen Verhältnissen, die seine momentane Situation bestimmen.

Das Merkmal der Vergegenw ä rtigung meint genau diese Realisierung und das Gewahrwerden der individuell verschiedenen Situation zum momentanen Zeitpunkt (vgl. SCHAD ).

Mit Bewegung kennzeichnet Schad ein weiteres Merkmal von Erlebnispädagogik, das er das augenfälligste nennt. Er meint damit die Bewegung von Körper und Geist durch Erlebnis- pädagogisches Handeln. Bewegung setzt Raum, den wir uns durch Bewegung erschließen und Zeit in Beziehung und umfaßt hier stets ausgiebige körperliche Betätigung und Ruhephasen in ausgewogenem Verhältnis. Im Erleben offenbart sich ein Verständnis von Zeit, da Erleben immer auch ein Zeiterleben beinhaltet. In der Bewegung und Ruhelosigkeit wird deutlich, daß Zeit keine objektive Größe ist, sondern je nach Situation unterschiedlich empfunden werden kann.

Der Zusammenhang zwischen körperlicher Bewegung und geistiger Beweglichkeit ist aus der Entwicklungspsychologie bekannt und hat großen Anteil an der Bildung des Bewußtseins, vor allem auch des Selbstbewußtseins (vgl. PAULUS ). „In der Erlebnispädagogik spielen daher die Bewegungsformen des Geistes In Verbindung des Körpers eine große Rolle: Initiative ergreifen, sich in Bewegung versetzen, Entscheidungen treffen, die situative Urteilsfähigkeit sind daher Ziele des Erfahrungslernens“ (SCHAD, 26).

Dem vierten Merkmal guter Erlebnispädagogik, der Ver ä nderung ist zu eigen, daß es ihren Verlauf und nicht das meßbare Ergebnis meint. Dabei ist Veränderung hier in zweifacher Hinsicht relevant. Einmal stellt das Individuum fest, daß es verändert wird. Das Leben ist ein Prozeß und ständiger Entwicklung und Veränderung unterworfen. Diese ist abhängig von den Bedingungen und Umstände mit denen wir leben und die zwangsläufig beeinflussen. Gerade bei Erlebnispädagogischer Betätigung wird das bewußt, denn die Situation und Problemstellung verlangt angemessene Anpassung und spezifisches Handeln. Zum anderen ergibt sich aber auch die Erkenntnis, daß durch eigenes Handeln Veränderung der Situation hervorgerufen werden kann. Der Einzelne kann in gewissem Rahmen aktiv am Geschehen teilnehmen und es mitgestalten. Dadurch werden Grenzen und Möglichkeiten bewußt, man kann lernen Situationen wie sie sind und wie man sie sich wünscht einzuschätzen und die Veränderung realistisch einstufen. „Erlebnispädagogische Maßnahmen stellen häufig sehr gute Möglichkeiten bereit, mit dem eigenen Wollen Lernerfahrungen machen zu können. Oft genug erfordert eine Situation eine Entscheidung vom Einzelnen, es entsteht unausweichlicher Handlungsdruck“ (SCHAD, 27).

Diese Grundüberlegungen zu sinnvoller Erlebnispädagogik dienen Gerhard Schad dazu, sein „Konzept der Wahrnehmungsveränderung“ (SCHAD, 27) zu kreieren. Es verwendet Methoden des Erfahrungslernens und bemüht sich darum, die Kraft des Erlebens zu nutzen. Die Wahrnehmung mit ihren aufnehmenden und verarbeitenden Prozesse nimmt darin eine zentrale Rolle ein. Die Kompetenz der Handlung mit Initiativkraft und Entwicklung von individueller Sinngebung ist aber genauso von Bedeutung ( vgl. SCHAD ).

Auch wenn in der Erlebnispädagogik versucht wird mit dem Erleben zu arbeiten und das Erlebnis im Mittelpunkt ihrer Bemühungen steht, entzieht sich aus den oben angeführten Gründen das Erleben einer Planbarkeit. Pädagogische Bemühungen in dieser Richtung können dementsprechend nur einen Versuch darstellen einen Rahmen und Bedingungen zu schaffen in denen ein reichhaltiges Potential an Erlebnismöglichkeiten und Erfahrungsräumen vorhanden ist und für das Individuum relevant werden kann. Dieser bereitgestellte Rahmen ist in guter Erlebnispädagogischer Arbeit auf seine Strukturen und Eigenheiten durchdacht und wird sich nach der jeweiligen pädagogischen Zielsetzungvon ausrichten und genutzt werden.

Auf einige potentiellen Erlebnisfelder einer Kanutour möchte ich im folgenden Kapitel verweisen und sie durch meine eigenen Erfahrungen mit ihnen näher erläutern.

4. Zu den möglichen Erlebnisfeldern einer Kanutour

4.1. Zum Erlebnisfeld Schweden

Schweden: Ein Land, das doppelt so groß ist, wie die Bundesrepublik Deutschland, sich aber auf diese Fläche nur eine Bevölkerungsgröße wie etwa die in Baden- Würtemberg verteilt. Das Land wird bestimmt durch Wald, Seen und Flüße. Ein anderes Land, andere Sprache, fremde Mentalität und Naturgegebenheiten als unsere Gruppe gewohnt war. Der Abstand zum alltäglichen Leben und Erleben wird deutlich. Die gesamte Umgebung ist andersartig und zeigt sich auch so. Die Häuser, wenn man auf sie trifft, sind in Holzbauweise und stehen einfach so im Wald, mit gebührendem Abstand zum nächsten Hof. Es gibt eben nicht an jeder Ecke einen Supermarkt oder ein Restaurant. Und eben in diesem Land galt es zurechtzukommen, seine individuellen Bedürfnisse anzupassen und eine Freizeit zu erleben. Durch diese anfängliche Befremdlichkeit und Andersartigkeit wird der Abstand von zuhause sehr deutlich, man wird aus der Routine gerissen, Gewohntes und gewohnte Verhaltensweisen können in einem neuen Licht erscheinen, das Land selbst kann zu einem neuartigen Erlebnis werden, oder den Rahmen für mögliche Erlebnisse setzen.

4.2. Zum Erlebnisfeld Kanufahren

Auf unserer Tour durch Flüsse und Seen in Südschweden hatten wir nur zwei verschiedene Fortbewegungsmittel zur Verfügung. Das waren 8 Zweierkanus, ein Dreierkanu und die eigenen Füße.

Die Kanus waren mit drei mehr oder weniger schweren Tonnen beladen, in denen sich unser Kochgeräte, Werkzeuge, Lebensmittelvorrat für eine Woche, Zelte und Reisegepäck der Teilnehmer befanden. In den einzelnen Kanus war man also auf das jeweilige Geschick und die Kraft seines Partners angewiesen und mußte damit zurechtkommen. Der hintere Kanut hatte die Steueraufgabe, wozu der vordere eigentlich keinen großartigen Einfluß nehmen konnte und nur an einer zügigen Fortbewegung mithelfen und wegen der besseren Sichtweise auf eventuelle Steine, Felsen, Gestrüpp und Holzstämmen im Wasser hinweisen konnte. Somit bildeten die beiden Kanuten ein Team, in dem Vertrauen und gegenseitige Hilfe unabdingbar waren. Man saß nicht nur sprichwörtlich gesehen tatsächlich in einem Boot. Während die Steuerung an den ersten beiden Tagen bei einigen noch sehr gewagt und chaotisch anmutete, besserte sich das Geschick darin zunehmend. Kanufahren kann sehr kraftraubend sein und den Einzelnen an seine individuellen körperlichen Grenzen und seine Leistungsfähigkeit verweisen. Die Fortbewegung im Wasser mit all seinen Facetten von Strömung, Gegenwind, hervorragenden Steinen über die man das Boot eventuell auch ziehen muß, behinderndes Schilf, durch das man fahren muß, herabhängenden Ästen von Bäumen und nicht zuletzt die anderen Boote, die einem in die Quere kommen können fordern ihren Tribut an Kraft und Geschick des Teams.

Auf der Tour mußten auch Umtragestellen gemeistert werden, um unpassierbaren Stellen mit dem Boot ( gefährliche Passagen; Stauwehr; etc.. ) zu meistern und weiterzukommen. Dabei wurde schnell bewußt, wie schwer Boot und Gepäck eigentlich ist, denn im Wasser ist die Fortbewegung davon im Gegensatz dazu sehr leicht. Die Boote mußten in gemeinsamer Arbeit aus dem Wasser geholt werden, dazu waren oft viele Hände notwendig. Die Gruppe mußte zusammenhalten und gemeinsam anpacken, denn einem Team allein war es gar nicht möglich sein Boot allein umzutragen. Die Notwendigkeit von gegenseitiger Hilfe kann somit ins Bewußtsein rücken, zudem kann es eben auch Spaß machen, den anderen weiterzuhelfen. Verschiedenste Techniken wurden entwickelt, wie das Herausholen und das Einsetzen des Bootes wohl am besten und leichtesten zu bewerkstelligen sei, der mitgeführte Umtragewagen des Kanus am jeweiligen Kanu angebracht werden kann, und wie man das Kanu mit Umtragewagen am besten über Waldboden und Steine manövriert.

Um den Mitgliedern ein reiches Erfahrungspotential mit den anderen aus der Gruppe zu vermitteln, wurden die Teams der einzelnen Kanus täglich neu gewechselt.

Somit erfährt kann man sehr viel über sich und andere, vor allem wie man mit dem anderen beim Kanufahren zurecht kommt, wie man sich auf den wechselnden Partner immer wieder neu einstellt und wie das klappt, welche Position im Boot man mit den verschiedenen Partnern am liebsten einnimmt und wie es dem anderen ergeht, was der für Stärken und Schwächen hat...

Im Vergleich mit anderen Teams kann man Schlußfolgerungen auf sein eigenes Team und damit auch auf sich selber und seinen jeweiligen Partner werfen. Indem man Erfahrungen und Tipps austauscht kann man sich gegenseitig helfen. Dieser Erfahrungsaustausch wurde von unserer Gruppe als sehr wichtig empfunden und eifrig wahrgenommen.

Beim Kanufahren befindet man sich sehr nah am Wasser, es spritzt vom Paddel, man muß ab und an ins Wasser steigen, um das Boot über Steine im Bachbeet zu befördern, man fährt in dem Medium Wasser durch Schilf und unter Bäumen hindurch. Die Sichtweise der natürlichen Umgebung ist vom Blickwinkel im Kanu eine ganz andere und ungewohnte. Landschaft und Gegenstände ziehen mehr oder weniger schnell an einem vorbei. Der Blick gestaltet sich vom Seeufer oder von der Seemitte ganz anders. Bei der Fortbewegung verschmilzt man zum Teil ganz mit dem Kanu, auf das man angewiesen ist, denn man kann nicht zu jeder Zeit aussteigen; Bewegung und Bewegungsempfinden können ganz anders werden.

Insgesamt also gute Vorraussetzungen für eine mögliche Anbahnung zur Veränderung der Wahrnehmung und erlebnispädagogischer Arbeit.

4.3. Zum Erlebnisfeld Gruppe

Unsere Gruppe umfaßte 19 Mitglieder aus den unterschiedlichsten Gebieten aus Unterfranken. Die Mitglieder kannten sich vor der Tour eigentlich nicht, auch wenn vier davon auf die gleiche Schule gehen und sich auf dem Pausenhof schon begegnet waren. Das Klientel umfaßte Haupt-, Real- und GymnasialschülerInnen, der Jüngste war 12 , der Älteste 17 Jahre alt und nicht nur deshalb waren die Weltanschauungen, Interessen und Hobbys zum Teil sehr unterschiedlich.

Die einen begeisterte sich für die Computerwelt, andere für sportliche Aktivitäten, wieder andere für alternative Musik oder Discothekenbesuch, noch andere zeigten sogar politisches Angagement... eine sehr heterogene Gruppe also, die eines jedoch verband. Sie wollten auf Freizeit mit der Arbeiterwohlfahrt fahren und hatten sich für unsere Kanufreizeit in Schweden entschieden; auch wenn der Einzelne das sicher bewußter gemacht hatte, als der andere und zum Teil auch differenzierte Vorstellungen über den genauen Verlauf darüber in den Köpfen waren.

Diese heterogene Gruppe mußte mit sich und ihren verschiedenen Talenten und Charakteren zurecht kommen und die Anstrengungen, die eine solche Tour fordert gemeinsam bewältigen; dabei ist es eben nötig sich zu vertragen und gegenseitig zu helfen. Es galt nämlich wichtige Angelegenheiten, die alle betrafen gemeinsam zu meistern. So mußte die jeweilige Tourdistanz und das nächliche Lager geplant werden und bestimmte Aufgaben innerhalb der Gruppe verteilt werden ( zum Beispiel: Essen kochen, Zelte aufstellen, Kanus vertäuen, Zelte aufbauen, Latrine bauen, Feuerholz besorgen, Regenschutzplane aufspannen, etc...).

Die Freizeit umfaßte insgesamt 16 Tage und das sind Tage fern von der Sicherheit der Freunde, der Familie und den gewohnten Abläufen des Alltags. Vom Einzelnen fordert das einen gewissen Grad an Akzeptanz, Toleranz, Offenheit und Verständnis dem anderen gegenüber. Das ständig neue Bemühung notwendig, bietet aber eben auch die Chance, neue und ganz unterschiedliche Menschen und Interessen kennen zu lernen und eventuell, was vorkam, neue Freunde zu finden. Der Einzelne erfährt aber nicht nur etwas über andere Jugendliche, wie sie leben, was sie so tun und was für Probleme sie eventuell haben, sondern er erfährt auch etwas über seine eigene Person. Denn er merkt ja wie er bei den anderen ankommt, was die für gut oder eher negativ an einem empfinden. Er kann seine Stärken und Schwächen kennenlernen und sich selber ganz neu erfahren.

Bei einer Gruppe von 19 Mitgliedern entwickelt sich in 16 Tagen natürlich ein dynamisches Beziehungsgeflecht, die einen finden sich schnell zusammen, bei anderen dauert es etwas länger, Sympathien ändern sich, in bestimmten Bereichen steht man in Konkurrenz mit dem anderen. Es gilt sich zu behaupten und seinen Rang in der Gruppe zu finden.

Dies alles zu erfahren bestimmt das Erlebnisfeld der Gruppe, einzelne Mitglieder, wie auch die konkrete Gruppe kann so zu einem richtigen Erlebnis werden.

4.4. Zum Erlebnisfeld Lagerfeuer

Am Abend eines anstrengenden Kanutages freute sich die Gruppe stets auf das Lagerfeuer. Es bildete nicht nur den örtlichen Mittelpunkt der abendlichen Freizeitgestaltung. Es spendete Licht, Wärme und eine gewisse Geborgenheit für die Gruppe, zudem konnten nasse Kleidungsstücke und Schuhe endlich getrocknet werden. Zu einem Lagerfeuer braucht man allerdings richtiges Feuerholz, das nicht zu naß und eventuell noch grün war. Dieses mußte aus dem Wald besorgt und mit dem Beil in passende Größe gehackt werden. Das Hacken machte dem größten Teil der Gruppe, vor allem den Jungen, sehr viel Spaß, das Sammeln jedoch wurde zunehmend als lästige Aufgabe empfunden. Hier hieß es Gruppengeist und Verantwortung zu beweisen, wenn man mit der Aufgabe betraut war. Denn Holz sammelt man am besten bei Helligkeit und der Vorrat sollte nachts nicht ausgehen. Dennoch war es immer wieder ein spannendes Unterfangen, das Feuer zu entzünden. Hier konnte der Einzelne sein Geschick beweisen oder ganz neue Erfahrungen sammeln. Ein großer Holzstoß, mit womöglich dicken Ästen, die dazu noch nass sind, brennt nicht so einfach an, beziehungsweise gar nicht, auch wenn man noch so viel Papier verwendet und pustet. Das Feueranmachen und auch das Nachheizen mußte also erst gelernt werden, auch welches Holz dazu am Besten zu verwenden ist. Für fast alle war das ein ganz großes Erlebnis und eine neue Erfahrungswelt, wie aus einem kleinen Flämmchen dann ein großes wärmendes Lagerfeuer wird und das auch gar nicht so raucht. Viele kannten Lagerfeuer nur mit trockenen Holzscheiten von Erwachsenen entzündet oder gar aus dem Fernsehen. In unserem Fall galt es mit den Bedingungen des freien Waldes zurechtzukommen, sie waren selbst dafür verantwortlich, und es wurde als überaus wichtig empfunden, ein Lagerfeuer zu haben. Interessant auch zu sehen, wie sich ein Feuer mit der Zeit verändert, wie die Glut mit ihrer magischen Ausstrahlung einen in ihren Bann zieht, oder wie ein geschickt angelegtes Lagerfeuer Wind und Regen standhalten kann. Auch das Feuerlöschen und das einfache Wiederanheizen am nächsten morgen zum aufwärmen nach kalter Nacht wurde sicherlich für die meisten zu einem Erlebnis. In einem Fall wurde versucht das Feuer auszupinkeln, das Feuer schien aus zu sein und rauchte nur noch, man konnte zu einem nächtlichen Bad übergehen. Beim Zurückkehren wurde man allerdings gewahr, daß das Feuer in vorheriger Stärke brannte.

Zunächst war man erschreckt, denn es hätte ja etwas passieren können, dann war man jedoch froh, daß man sich nach dem doch etwas frischen Bad wärmen konnte. Feuer spendet Wärme, es verbrennt aber auch. Und diese Erfahrung mußten auch einige machen, als sie ihre Schuhe und T - Shirts möglichst schnell trocknen wollten, deshalb sehr nah ans Feuer legten und diese dadurch versengten bzw. verbrannten.

4.5. Zum Erlebnisfeld Versorgung

Das Erlebnisfeld Versorgung zeigte sich in zweierlei Hinsicht.

Einerseits galt es den mitgeführten Reiseproviant richtig einzuteilen und mit der Vorauswahl an Lebensmitteln durch die Betreuer zurechtzukommen. Durch die vorhandenen Möglichkeiten mußte das Kontingent und die Produktbreite sehr beschränkt bleiben. Die Gruppe konnte wegen Stauraumgründen nur einen Gaskocher mit zwei Kochstellen und drei Töpfe mit sich führen, dazu eingeschränktes Küchengerät; die Lebensmittelauswahl mußte sich dementsprechend gestalten, ein möglichst geringes Gewicht haben und wenig Platz in den Tonnen verbrauchen. Zudem mußten sie viele Zusammenstellungsmöglichkeiten beinhalten, um eine gesunde, abwechslungsreiche und sättigende Nahrung zu gewährleisten. Durch den Aufenthalt in der freien Natur und die körperliche Belastung durch das Kanufahren steigert sich der Appetit von Jugendlichen enorm und kann aus eigener Erfahrung um weit das doppelte anwachsen.

Die Einkaufsmöglichkeiten auf der Tour waren sehr begrenzt. Natürlich konnte man auch einmal ein kleines Dorf oder ein Gehöft anfahren und frische Lebensmitteln, wie Milch einkaufen, doch das erforderte Initiative und körperlichen Einsatz. Eine ungewohnte Situation für unsere Gruppe, die es gewohnt ist zu nahezu jeder Zeit und nach Lust und Laune einkaufen zu können oder sich einfach im Vorratsraum und Kühlschrank der Eltern bedienen zu können.

Nachdem der Schokoladenvorrat zu schnell aufgebraucht war, die Lust darauf aber zu verschwinden immer größer wurde, erklärten sich ein vier Jungs bereit die zusätzlichen vier Stunden Kanufahrt zum nächsten Dorf, wo vermutet wurde, daß es dort einen Laden gibt und der außerdem noch geöffnet hat, auf sich zu nehmen und die Gruppe mit der begehrten Süßigkeit zu versorgen. Die Aktion war erfolgreich und die Jungs galten als wahre Helden, auch wenn sie am Abend ziemlich schnell in ihren Zelten, welche die Gruppe für sie aufgestellt hatte, verschwanden.

Die Bedingungen für die Versorgung unterschieden sich also enorm von den gewohnten und mit diesen galt es zurecht zu kommen. Vorräte mußten wohl überlegt eingeteilt werden und durften eben nicht nach Lust in einem Essen verbraten werden, um die Versorgung auch an den nächsten Tagen geschmacklich und essenstauglich zu gewährleisten. Die Überlegung zum Beispiel, ob die Spaghettisoße nun mit den letzten Gemüsedosen und Kräuterresten zu versehen sei, weil man enorme Lust darauf hat und einen gewaltigen Hunger, stößt sich schnell an dem Gedanken, daß man dann am nächsten Tag nur puren Kartoffelbrei bekäme; und weil man eigentlich gar keinen Kartoffelbrei mag...

Bei der Versorgung zeigt sich aber auch noch eine andere Erlebnismöglichkeit. Die Speisen mußten ja erst zubereitet und bei warmen Mahlzeiten gekocht werden. Hier konnte der Einzelne von dem Erfahrungsbereich aus der eigenen Familie zehren und sein Geschick und Wissen zeigen. Es mußten neben den Überlegungen zum Vorrat und zukünftigen Speisen Absprachen und Kompromisse in Bezug auf Zubereitung und Rezept gefunden werden, die Geschmäcker sind ja bekanntlich sehr verschieden. Außerdem eröffnete sich für diejenigen, die noch nie, beziehungsweise selten am heimatlichen Herd selten gekocht oder geholfen hatten, eine völlig neue Welt und Erfahrungsmöglichkeit. So wurde beim Kochen oft heiß diskutiert, sich gegenseitig beraten und geholfen. Wie schneidet man nun am besten die Zwiebeln, was gehört eigentlich in eine Tomatensoße, wieviel Reis brauchen wir eigentlich für 19 stark hungrige Kanufahrer, wieviel Schärfe braucht das Essen wirklich, damit alle damit zufrieden sind

Sicherlich kann dieser Bereich, der ja täglich einen bestimmten Zeitaufwand bedeutet für den Einzelnen ein notwendiges Übel sein. Während die einen im Kochteam von etwa 4 Mitgliedern nach anstrengender Kanufahrt noch schnitten, rührten und kochten, konnten andere vielleicht schon nach dem Zeltaufbau relaxen oder etwas spielen. Die Erfahrung aus unserer Gruppe zeigte jedoch, daß diese Aufgabe von den meisten zumindest gern und mit Begeisterung wahrgenommen wurde und auch einen großen Anteil an den Gesprächen nahm. Die Speisen wurden oft unter größten Bemühungen hergestellt, voller stolz präsentiert und fanden oft auch dementsprechend die Beachtung und das Lob der Gruppe.

In einem Fall wurde auch versucht zu Angeln und die Gruppe mit frischem Fisch zu versorgen. Obwohl sich die Angler sehr bemühten und stundenlang ausharrten, wurden die fachmännischen Bemühungen nur mit einem sehr kleinen Hecht belohnt, der dann auf einem heißen Stein gebraten wurde. Der glückliche Angler teilte seinen Fang mit der Gruppe und auch wenn jeder nur eine Messerspitze davon kosten konnte, ist dieses Essen in vielen Köpfen der Jugendlichen sicherlich als Erlebnis verbucht worden.

Bei dem gesamten Erlebnisfeld rückt der Stellenwert von Leibversorgung und seine verschiedenen Möglichkeiten sehr stark ins Bewußtsein. Hier heißt es Eigenverantwortung und Verantwortung gegenüber den Mitgliedern der Gruppe zu zeigen und auch wahrzunehmen. Und eben diese Situation kann die Wahrnehmung hinsichtlich Konsumverhalten und Essenslust schärfen und auch verändern; die Versorgung und jede einzelne Mahlzeit kann zu einem richtigen Erlebnis werden

4.6. Zum Erlebnisfeld Latrine

Beim täglichen Bau einer Latrine zeigte sich für unsere Gruppe überraschenderweise ein sehr breites Erlebnisfeld. Schon am ersten Tag wurde uns bewußt, daß es sinnvoll für die Gruppe und die Natur ist, eine gemeinsame Latrine zu haben. Es war unangenehm beim Spielen und herumstreunen in der Gegend Exkremente anzutreffen, beim Toilettengang unabsichtlich überrascht zu werden und die Natur durch herumliegendes Toilettenpapier zu belasten. Deswegen gab es den Gruppenbeschluß die Lagereinrichtung mit Zelten, Kochstelle und Wetterschutzplatz durch Aufspannen einer Plane durch eine etwas weiter abgelegene Latrine zu erweitern. Für diese Aufgabe sollten sich immer zumindest zwei Freiwillige finden. Erstaunlich wie sich durch Gruppendynamik diese Arbeit für die Gruppe zu einer immer begehrteren entwickelte. Zunächst empfand man diese als eine lästige und eben nötige, und dementsprechend war die Motivation dafür auch sehr gering. Doch das änderte sich jedesmal aufs neue: Man wollte den Latrinebau vom Vortag übertreffen und diese noch schöner, technisch durchdachter und kreativer Gestalten, ein richtiger Wettbewerb entstand. War die Latrine vom zweiten Tag noch ein einfaches Loch mit einem kleinen Erdhaufen und Spaten daneben, steigerte sich die Ausführung zu einem richtigen Luxusklosette. Es besaß neben einer Schranke und einem drei Meter hohen Mast, an dem man eine Fahne mit dem Schriftzug Besetzt aufziehen konnte, damit der nächste Anwärter schon von weitem Bescheid wußte und abwarten konnte auch einen Aschenbecher aus wohl ausgesuchten Steinen. Die Toillette hatte einen mit den Händen leicht zu erreichenden Ständer aus einer lustigen Astgabel, eine Sitzgelegenheit aus einem dicken Stamm, der mit Blattwerk gepolstert war und Löcher, in die man die Füße stellen konnte. Das ganze war mit Schnitzereien, hübschen Steinen, Blättern und Blumen verziert, auch für die Toilettenlektüre war gesorgt. Dieses kreative und durchdachte Werk beanspruchte fast fünf Stunden Arbeitszeit und die vier Baumeister waren sehr stolz darauf; die Anerkennung und das Lob der Gruppe war obligatorisch.

Auch an diesem Beispiel sieht man, wie aus einem für eine Kanutour notwendigen Übel, nämlich dem Bau einer Gruppenlatrine ein richtiges Erlebnis werden kann. Die eigene intensive Beschäftigung mit Planung, Bau und kreativem Gestalten läßt die Zeit vergessen und einfach Spaß haben.

Eigeninitiative und selbständiges Handeln wird durch das Ergebnis belohnt; fürsorglich hat man etwas für das Wohl der Gemeinschaft getan und sich in der Arbeit selbst verwirklicht. Kompromisse mit den anderen Latrinebauern mußten gefunden werden, außerdem mußte man sich auf das Material das vorhanden war realistischerweise beschränken.

4.7. Zum Erlebnisfeld Natur

In dieser Woche fern ab von Zivilisation und der gewohnten Sicherheit durch Infrastruktur, Geräten und Einrichtungen des Alltags der Jugendlichen empfand man sich ganz der Natur ausgeliefert. Man mußte mit den Bedingungen der Natur mit ihrem Rhythmus und Gegebenheiten zurechtkommen. Nur wenige technische Gerätschaften waren im Reisegepäck, wie etwa Taschenlampen, so daß man das Gegebene akzeptieren und damit zurechtkommen mußte. So war man bei der Tourplanung, die stets gemeinsam nach Absprache vorgenommen wurde, von Wetter und Befindlichkeit der Gruppe abhängig. Natur wurde zeitweise hautnah erlebt. Man kann sich nachts zwar in sein Zelt zurückziehen, die nächtlichen Geräusche kann man jedoch nicht abstellen. Auch der Einbruch der Dunkelheit muß akzeptiert werden , die Tourlänge muß sich danach richten, denn das Lager mußte zuvor noch aufgebaut werden. Will man eine längere Strecke zurücklegen, muß man zum Teil sehr früh aufstehen und ausgeruht sein. Das Wetter entzieht sich ebenfalls jeglichem Einfluß. Wie mühsam kann es auf einmal sein einen geeigneten Lagerplatz zu erreichen, wenn Gegenwind oder Regen aufkommt, und im Gegensatz dazu wie angenehm, wenn die Sonne wieder scheint und man einfach nur so drauflospaddeln will. Die Nähe des Wassers und des Waldes in all ihren Facetten ist unumgänglich, sie sind ständiger Begleiter und bilden die Umwelt der Kanuten; dieser Umstand und die Atmosphäre kann man nicht verdrängen; auch das Zeitempfinden wird dadurch beeinflußt. Bei einem anstrengenden Stück harter Ruder- oder Umtragearbeit kann einem viel zu lange dauern; hat man einen schönen Ausblick, vergeht die Zeit vielleicht viel zu schnell, oder einzelne Augenblicke bleiben in starker Erinnerung und erscheinen als zeitlose Bilder.

Insgesamt ist auf so einer Tour die Umgebung in so vielen Bereichen mit Elementen angereichert, durch die man leicht berührt, wie auch angerührt werden kann, ja man kann sich diesem gar nicht wirklich entziehen.

5. Schlußbemerkungen

Alles in allem war unsere Freizeit eine gelungene. Die Jugendlichen waren mit ihrer Wahl sehr zufrieden, hatten reichhaltige Erlebnisse und machten neue Erfahrungen, die sie begeisterten. Auch wenn die Tour zum Teil oder einzelne Arbeiten für die Gruppe sehr anstrengend waren, es zeitweise kleine Streitereien gab, blieb die Tour insgesamt in sehr guter Erinnerung, was ich bei einem Nachtreffen unserer Gruppe im November 2000 feststellen konnte. Nach einer reichhaltigen Brotzeit und Anschauen einer Photokollage unserer Freizeit flammte der erreichte Gruppengeist wieder auf, es wurde erzählt, gelacht und Erinnerungen ausgetauscht.

Das Kanufahren in Schweden hat ihnen sehr viel Freude bereitet und sie hatten Abenteuer erlebt.

6. Literaturverzeichnis

BUNDESJUGENDWERK DER ARBEITERWOHLFAHRT: „Jugendwerk der Arbeiterwohlfahrt“. Bonn, 1995.

GERGEN, K. J.: „Das übersättigte Selbst : Identitätsprobleme im heutigen Leben“. Heidelberg, 1996.

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Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Zu den Erlebnisfeldern einer Kanutour
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Veranstaltung
Seminar
Autor
Jahr
2000
Seiten
17
Katalognummer
V100786
ISBN (eBook)
9783638992091
Dateigröße
366 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Seminararbeit zur Erlebnispädagogik mit eigenem Bericht
Schlagworte
Erlebnisfeldern, Kanutour, Seminar
Arbeit zitieren
Markus Wengler (Autor:in), 2000, Zu den Erlebnisfeldern einer Kanutour, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100786

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