Die Besetzung des Rheinlandes 1918-1930 Auswirkungen auf Deutschland und Wiesbaden


Facharbeit (Schule), 2000

18 Seiten, Note: 15 Punkte


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Historischer Hintergrund
1.1. Vom Weltkrieg zum Waffenstillstand
1.2. Waffenstillstand
1.3. Versailler Vertrag
a) Die Interessen der Alliierten
b) Die Inhalte des Versailler Vertrags
c) Reaktionen auf den Versailler Vertrag

2. Die Besetzung des Rheinlandes
2.1. Der Einmarsch der Truppen
2.2. Auswirkungen der Besetzung
2.3. Veränderungen der Besatzungsverhältnisse

3. Wiesbaden während der Rheinlandbesetzung
3.1. Wiesbaden vor und während des Ersten Weltkriegs
3.2. Die ersten Jahre unter französischer Besatzung
3.3. Separatistische Bewegungen in Wiesbaden
3.4. Die Verlegung des britischen Hauptquartiers nach Wiesbaden
3.5. Die Verlegung der IRKO nach Wiesbaden und Abzug der Besatzungstruppen

4. Quellenverzeichnis

1. Historischer Hintergrund

1.1. Vom Krieg zum Waffenstillstand

Im Herbst des Jahres 1918 war der Erste Weltkrieg bereits in sein fünftes Jahr getreten. Die anfänglichen Erwartungen eines schnellen Sieges des Deutschen Reiches hatten sich schon bald in den Schützengräben Nordwest- und Westfrankreichs zerschlagen. Viele erfolglose Offensiven auf beiden Seiten hatten das Leben von Millionen Soldaten gekostet, jedoch nicht zu einer Entscheidung für die Alliierten oder für die Mittelmächte geführt. Die Voraussetzungen für einen deutschen Sieg hatten sich aber nach der gescheiterten Sommeroffensive erheblich verschlechtert. Obwohl Russland im Osten besiegt war, konnte die Verlegung zahlreicher Truppenverbände an die Westfront nicht zu einer Entscheidung führen. Auf Grund des Kriegseintrittes der Amerikaner 1917 und der zermürbenden Blockade, war es dem Deutschen Reich nicht mehr möglich den angestrebten und so lange propagierten „Siegfrieden“ zu erreichen. Als dann die Alliierten zur Gegenoffensive ansetzten und mit der erstmals im großen Stile eingesetzten Panzerwaffe die deutsche Front im August 1918 bei Amiens durchbrachen, war die Niederlage des Kaiserreiches besiegelt. Eine weitere erfolgreiche alliierte Offensive Ende September, die Kapitulation Bulgariens am 25.9. und der sich abzeichnende Zusammenbruch Österreich-Ungarns verschärften die militärische Lage weiter. Während in Berlin ein Demokratisierungprozess einsetzte und eine parlamentarische Regierung aus MSPD, der liberalen Fortschrittspartei und des Zentrums unter Leitung des Reichskanzlers Prinz Max von Baden die Macht übernahm, drängte die Oberste Heeresleitung den neuen Reichskanzler zu einem Waffenstillstandsgesuch. In einem Notenwechsel Anfang Oktober mit dem amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson wurden die Voraussetzungen für einen Waffenstillstand erläutert. Die neue Regierung hoffte den Krieg auf der Basis der „14 Punkte“ zu beenden, so dass es zu einem milden Friedensschluss für das Deutsche Reich kommen würde. Die Forderungen Wilsons erwiesen sich als schärfer als von der deutschen Seite erwartet und beinhalteten neben der Räumung der besetzten Gebiete, der Einstellung des U-Boot-Krieges und einem Ende der deutschen Feindseligkeiten auch eine demokratische Verfassungsreform. Am 22. Oktober trat schließlich der Reichstag zusammen um über eine solche Reform zu beraten und am 28. Oktober trat diese schließlich in Kraft. Mit ihr hatte sich das Deutsche Reich in eine parlamentarisch-demokratische Monarchie verwandelt und die wichtigsten Voraussetzungen für einen Waffenstillstand erfüllt. Am 6. November reiste eine deutsche Delegation unter Leitung des Zentrumpolitikers Matthias Erzberger nach Compiègne ab um dort über einen Waffenstillstand zu verhandeln.

1.2. Waffenstillstand

Trotz des Durchbruchs bei Amiens, dem beständigen Vorrücken der alliierten Truppen und den massenhaften Auflösungserscheinungen an der Front, leistete das sich zurückziehende deutsche Heer nach wie vor Widerstand. Da jedoch sogar die Oberste Heeresleitung unter Ludendorff und Hindenburg die Aussichtslosigkeit der militärischen Lage eingestehen musste, war von vornherein klar, dass die Bedingungen der Alliierten für einen Waffenstillstand, so hart sie auch sein mochten, angenommen werden mussten. Am 8. November überreichte der alliierte Oberkommandierende Marschall Foch die Waffenstillstandsbedingungen an Matthias Erzberger. Dieser versuchte die harten Auflagen noch zu erleichtern, hatte allerdings keinen durchschlagenden Erfolg. Er musste das Abkommen mangels Alternativen am 11. November unterzeichnen, und der Waffenstillstand trat noch am gleichen Tag in Kraft. Der Erste Weltkrieg hatte also nach über vier Jahren, dem Verlust von Millionen Menschenleben und der Zerstörung weiter Landstriche in Frankreich und Belgien ein Ende gefunden. Das Waffenstillstandsabkommen kann durchaus als Vorläufer des späteren Friedensvertrags angesehen werden, kommen doch in ihm viele Punkte vor, die später wieder aufgegriffen wurden. So wurde dem französischen Sicherheitsbedürfnis Rechnung getragen, indem das deutsche Heer nicht nur die besetzten Gebiete im Westen sowie das gesamte linke Rheinufer räumen musste, sondern indem darüber hinaus das linken Rheinufer und die drei Brückenköpfe Köln, Koblenz und Mainz von alliierten Truppen besetzt wurden, so dass der Rhein unter militärischen Kontrolle der Alliierten stand. Des weiteren wurde verlangt, dass das Deutsche Reich seine U-Boote, die Hochseeflotte und große Teile des Kriegsmaterials auslieferte. Die Idee der Reparationen wurde ebenfalls aufgegriffen, da die Abgabe von Lokomotiven, Eisenbahnwaggons und Kraftwagen nicht nur unter militärischen Gesichtspunkten zu betrachten sind, sondern von den Alliierten als erste Leistung einer später festzulegenden Wiedergutmachung für die entstanden Schäden in Belgien und Frankreich angesehen wurden. Die Angst der Bevölkerung in Frankreich und Großbritannien, dass das Deutsche Reich die erwarteten Gebietsabtrennungen im Westen durch Annexionen im Osten mehr als ausgleichen könnte und somit die Opfer des Krieges umsonst gewesen wären, wurde durch die Aufhebung der Friedensverträge von Brest-Litovsk mit Russland und von Bukarest mit Rumänien zerstreut. Außerdem sollte das Ostheer zu einem späteren Zeitpunkt hinter die deutschen Grenzen von 1914 zurückgezogen werden, jedoch vorerst als Verteidigung gegen die Rote Armee insbesondere im Baltikum stationiert bleiben. Wirtschaftlich wurde das Deutsche Reich durch die Aufrechterhaltung der Seeblockade noch nicht entlastet, was vor allem die hungernde Bevölkerung traf. Darüber hinaus mussten alle alliierten Kriegsgefangenen freigelassen und zurückgeführt werden, ohne dass die deutschen Kriegsgefangenen bereits freikamen. Unter diesen Voraussetzungen trafen die Siegermächte am 18. Januar 1919 in Paris zusammen um die Friedensverträge für die Besiegten festzulegen.

1.3. Versailler Vertrag

a) Die Interessen der Alliierten

Obwohl die Alliierten durchaus unterschiedliche Ansichten über die Härte und die Bedingungen eines Friedensschlusses mit Deutschland hatten, bemühten sie sich doch öffentlich eine einheitliche Stellung zu beziehen. Unabhängig von Wilsons 14 Punkten verfolgten besonders Frankreich mit seinem Ministerpräsidenten Georges Clemenceau, aber auch Großbritannien, vertreten durch den Premierminister Lloyd George, ihre eigenen Interessen und Forderungen . Besonders scharfe Forderungen kamen aus Frankreich. Die französische Öffentlichkeit forderte einen harten Frieden für das besiegte Deutschland, da für sie die großen Verluste des Krieges nur durch einen glorreichen und umfassenden Sieg gerechtfertigt schienen. Die Mehrheit der politischen Kräfte Frankreichs war für die Abtrennung des gesamten Rheinlandes von Deutschland. Somit hätte die französische Ostgrenze bis an den Rhein verlagert oder doch zumindest die Schaffung von selbstständigen Staaten auf der linken Rheinseite, die sich an Frankreich orientiert sollten ( eine besonders von Marschall Foch unterstützte Idee ), gefördert werden können. Das Minimalziel der französischen Außenpolitik war der Rückerwerb Elsaß-Lothringens ( der auch von allen anderen Alliierten als legitimer Anspruch unterstützt wurde) , die militärische Kontrolle des Rheins und substantielle Garantien um die territoriale Integrität Frankreichs zu gewährleisten. Des weiteren strebten die Franzosen die Annexion des Saarlandes und die wirtschaftliche Kontrolle des Ruhrgebiets durch den Völkerbund an. Diesen Überlegungen lagen die Einschätzungen zu Grunde, dass Frankreich nur im Moment, nicht jedoch langfristig dem deutschen Wirtschaftspotential überlegen sei, zu Grunde. Deshalb sollte Deutschland dauerhaft und nachhaltig geschwächt und ein französisches Hegemonialsystem geschaffen werden. Daraus folgten die Forderungen nach umfangreichen Gebietsabtrennungen im Westen und Osten, drastischen Rüstungsbeschränkungen und weitreichenden Reparationen. Darüber hinaus wollte Frankreich ein Bündnissystem in Ostmitteleuropa ( „cordon sanitaire“ ) etablieren und Deutschland an einer Expansion in diese Richtung hindern. Besonders Polen war ein wichtiger Pfeiler dieses Bündnissystems, kam ihm doch sowohl die Rolle als Bollwerk gegen deutsche Aggressionen nach Osten, als auch gegen den Bolschewismus aus der Sowjetunion zu. Eine Minderheit im französischen Außenministerium setzte sich sogar für die Aufteilung des Deutschen Reiches in machtlose Kleinstaaten ein. Schnell wurde deutlich, dass nicht alle französischen Forderungen von den Briten und Amerikanern unterstützt werden würden. Wilson und Lloyd George lehnten die Forderungen nach einem unabhängigen, an Frankreich angelehnten Rheinlandes ab, da sie diese -wohl zu recht- als „mehr oder weniger verschleierte Annexion des linken Rheinufers“ sahen1. Clemenceau gab nach weiteren Verhandlungen seine Maximalforderungen auf, da er nicht den Bruch mit den USA und Großbritannien riskieren wollte. Da Großbritannien, neben der Auslieferung der deutschen Handelsflotte, seine Kriegsziele schon im Waffenstillstandsabkommen erfüllt sah und an der Erhaltung eines relativen Gleichgewichts interessiert war, agierte es zumeist neben Amerika als Bremser der französischen Forderungen.

b) Inhalte des Versailler Vertrages

So kam es in den strittigen Fragen um das Rheinland und das Saargebiet zu Kompromissen. Das Saarland wurde für 15 Jahre vom Völkerbund verwaltet, während es wirtschaftlich zu Frankreich gehörte um nach Ablauf dieser Zeit selbst entscheiden zu können, ob es zu Frankreich oder Deutschland gehören, oder ob es vielleicht einen Autonomiestatus zugestanden bekommen sollte. Das linke Rheinland sollte mit seinen Brückenköpfen Köln, Koblenz und Mainz ( zu dem auch die Stadt Wiesbaden gehörte ) auf 15 Jahre besetzt bleiben und das rechte Rheinufer auf einer Breite von 50 Kilometern entmilitarisiert werden. Das besetzte Rheinland wurde in drei Zonen aufgeteilt, die bei Erfüllung der Vertragsbedingungen durch Deutschland nach einer Frist von 5 ( Gebiet um den Brückenkopf Köln ), 10 ( Gebiet um den Brückenkopf Koblenz ) und 15 Jahren ( Gebiet um den Brückenkopf Mainz und das bis dahin noch besetzte Hinterland ) geräumt werden sollten. Um Frankreichs Sicherheitsbedürfnis gegenüber Deutschland noch weiter zu befriedigen wurde ein Garantievertrag von Großbritannien und den USA geschlossen, der Frankreich militärischen Beistand bei einer deutschen Rheinüberschreitung zugestand. Dieser Vertrag wurde jedoch vom amerikanischen Kongress nicht ratifiziert und wurde somit völkerrechtlich nicht gültig. Elsaß-Lothringen wurde wie vereinbart ohne Abstimmung an Frankreich zurückgegeben. Weitere Punkte des Versailler Vertrages, die für diese Arbeit keine größere Relevanz besitzen, waren folgende: Das Deutsche Reich verlor Eupen-Malmedy an Belgien, Nordschleswig an Dänemark, Posen, Westpreußen und Ost-Oberschlesien an Polen, das Memelland an Litauen, das Hultschiner Ländchen an die Tschechoslowakei und das Danziger Gebiet an die unter Völerkbundaufsicht stehende Freie Stadt Danzig. Die deutschen Kolonien wurden vom Völkerbund als Mandatsgebiete an die Siegermächte verteilt und die deutsche Handelsflotte musste zum größten Teil abgetreten werden. Weitere Einschnitte in die deutsche Souveränität bestanden in der Beschränkung des Heeres auf 100.000 Mann, dem Verbot der allgemeinen Wehrpflicht, der eingeschränkten Lufthoheit, der Internationalisierung der großen Flüsse, dem Verbot einer Vereinigung mit Österreich, dem Verbot aller schweren Waffen ( Artillerie, Panzer, Kampfflugzeuge, U-Boote und Großkampfschiffe ) und der Kontrolle durch eine alliierte Kommission. Deutschland wurde beschuldigt mit seinen Verbündeten die alleinige Schuld am Ersten Weltkrieg zu tragen und sollte deshalb Reparationen in noch nicht bestimmter Höhe leisten. Als die Bedingungen ausgehandelt waren, wurde der Entwurf am 7. Mai 1919 der deutschen Delegation überreicht. Nach verschiedenen Notenwechseln, die eine Erleichterung für Deutschland herbeiführen sollten ( im Endeffekt ohne Erfolg ), Provokationen von deutscher Seite, dem Rücktritt der deutschen Regierung und ultimativen Forderungen der Alliierten den Vertrag anzunehmen, ratifizierte die Nationalversammlung den Vertrag am 23. Juni mit großer Mehrheit, da es keine Möglichkeiten gab die Bedingungen noch zu erleichtern oder den bewaffneten Widerstand aufzunehmen. Am 28. Juni wurde der Vertrag im Spiegelsaal von Versailles unterschrieben und trat zum 10. Januar 1920 in Kraft.

c) Reaktionen auf den Versailler Vertrag

Die Reaktionen auf den Pariser Friedensschluss waren unterschiedlich. Die Deutschen empfanden den Vertrag als Diktatfrieden der Alliierten und fühlten sich ungerecht behandelt. Auch die fehlende Kenntnis über die wahren deutschen Kriegsziele und die immer wieder geweckte Hoffnung einen milden Verständigungsfrieden schließen zu können, ließen keine öffentlich Diskussion über die Verhältnissmäßigkeit der alliierten Auflagen zu. So kam es dazu, dass alle politischen Kräfte die Revision des Versailler Vertrags anstrebten. Auch bei den Alliierten, insbesondere in Großbritannien und in den USA kam die Frage auf, ob nicht dieser Friedensschluss schon einen neuen europäischen Konflikt beinhalte. Die Engländer wollten Deutschland als wichtigen Handelspartner nicht zu sehr schwächen und hinderten die Franzosen an der Durchsetzung noch härter Bedingungen. Die Amerikaner lehnten den Vertrag ab, da er auch die Etablierung des Völkerbundes vorsah, der vom amerikanischen Kongress abgelehnt wurde und schlossen später mit Deutschland einen Separatfrieden.

In Frankreich jedoch gab es auch Stimmen, die den Frieden als zu nachgiebig empfanden. In Anbetracht der deutschen Überlegenheit wollten sie den Sieg dazu nutzen das Deutsche Reich noch stärker zu schwächen und ihren Einfluss auf das Rheinland zu vergrößern. Der Wunsch nach Abspaltung des linksrheinischen Gebietes von Deutschland und nach wirtschaftlicher Kontrolle der Industrie an Rhein und Ruhr, führte auch in Frankreich zu Forderungen nach Revision des Versailler Vertrages. Im Laufe der Rheinlandbesetzung zeigte sich noch öfters, dass die französische Politik sich nicht endgültig mit den Bestimmungen abgefunden hatte.

2. Die Besetzung des Rheinlandes

2.1. Der Einmarsch der Truppen

Der Erste Weltkrieg hatte von der Bevölkerung im gesamten Deutschen Reich große Opfer abverlangt. Durch die Seeblockade, Kriegswirtschaft und Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft war es zu Hungersnöten gekommen. Besonders im Westen des Reichs gab es Probleme mit der Lebensmittelversorgung, aber auch Brennstoffe waren Mangelware. Die Stimmung verschlechterte sich um so mehr, als die Menschen erfuhren, dass das deutsche Heer kapituliert hatte und der Krieg, der schon so oft beinahe gewonnen schien, nun endgültig verloren war. Ein weiterer Schock war es für die Menschen, als sie die sich zurückziehenden Einheiten durch ihre Städte kommen sahen und kurz danach, wie in den Waffenstillstandsbestimmungen festgelegt, die ersten alliierten Truppen Ende November/ Anfang Dezember einmarschierten. Das Besatzungsgebiet wurde in drei Zonen aufgeteilt, wobei die Briten die erste Zone mit dem Brückenkopf Köln, die Amerikaner die zweite Zone mit dem Brückenkopf Koblenz und die Franzosen mit den Belgiern die dritte Zone mit dem Brückenkopf Mainz besetzten. Die Interalliierte Rheinlandkommission ( IRKO ), die zur Verwaltung des Besatzungsgebietes geschaffen wurde, bezog ihren Sitz in Koblenz. Für die Einquartierung der Besatzungstruppen wurden zahlreiche öffentliche, wie auch private Gebäude beschlagnahmt. Soldaten der Alliierten wurden anfangs sowohl in Schulen, in denen deshalb für einige Zeit nicht unterrichtet werden konnte, als auch bei Privatpersonen einquartiert. Mit der Grenzziehung zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet gab es Probleme, so dass manche Einheiten entweder erst deutlich später in die für sie vorgesehenen Gebiete einmarschierten oder nach fälschlicher Besetzung wieder abrücken mussten. Ein besonderes Kuriosum bildete dabei der sogenannte „Freistaat Flaschenhals“ zwischen der amerikanischen Besatzungszone um Koblenz und der französischen um Mainz.2 Außerdem übernahmen die Alliierten die Kontrolle über die Zivilverwaltung in den besetzen Gebieten.

2.2. Auswirkungen der Besetzung

Der Einmarsch der alliierten Truppen bedeutete für die Bevölkerung eine weitere Verschlechterung ihrer Lage. Zum einen verschlimmerte sich die Lebensmittelversorgung in den besetzten Gebieten noch weiter, da viele Soldaten auf Bauernhöfen und Gehöften einquartiert wurden und sich dort mit Lebensmitteln versorgten, die dann auf den Märkten der Städte fehlten. Zum anderen kam es durch neue Erlasse der alliierten Verwaltungsbehörden besonders in den ersten Wochen und Monaten zu erheblichen Komplikationen im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben. Der Postverkehr zwischen unbesetztem und besetztem Gebiet war vorläufig abgeschnitten, da eine Postsperre verhängt wurde. Besonders der Verwaltungsbetrieb wurde dadurch gehemmt, denn manche unbesetzten Gemeinden gehörten zum Verwaltungsgebiet einer besetzten Stadt, so dass Rentner ihre Leistungen nicht bezahlt und Beamte ihr Gehalt nicht bekamen. Die Telefon- und Telegrammnutzung war vorübergehend verboten, der Reiseverkehr stark eingeschränkt, so dass man nur mit einem extra zu beantragenden Pass sich zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet bewegen konnte; es bestand eine Eisenbahngütersperre, wodurch keine Waren von der linken zur rechten Rheinseite per Zugverkehr befördert werden konnten und durch die unbedachte Grenzziehung wurden teilweise ganze Gemeinden von der Wasserversorgung abgeschnitten, da das zuständige Wasserwerk sich im unbesetzten Gebiet befand3. Von deutscher Seite wurde sogar vorgeschlagen die Besatzungszonen gegebenenfalls nach Osten auszudehnen, nur damit Bauern, deren Felder in den unbesetzten Gebieten lagen, diese auch bewirtschaften konnten, da sonst die Ernährung der Bevölkerung gefährdet sein würde. Es gab Klagen von der deutschen Bevölkerung über den rücksichtslosen Umgang amerikanischer und französischer Besatzungssoldaten mit landwirtschaftlichen Nutzflächen, sowie über unerlaubte Jagden, die die Ernährungslage vor allen der ländlichen Bevölkerung weiter verschärften. Anfang des Jahres 1919 wurde darüber hinaus die Grußpflicht deutscher Uniformierter gegenüber alliierten Offizieren verordnet. Gesetze, die vom Reich nach dem Waffenstillstand erlassen wurden, wurden in den besetzten Gebieten von den Alliierten als nicht rechtskräftig angesehen. Erst mit dem Inkraftreten des Versailler Vertrags am 10.1.1920 und der Rückkehr der Zivilverwaltung in deutsche Hände entspannte sich die Lage. Sie musste die Alliierten lediglich über Dinge der öffentlichen Ordnung informieren ( z.B. Streiks, politische Demonstrationen, Wahlen etc. ), zweimal im Monat einen Rechenschaftsbericht abliefern und den Wechsel von Beamten melden. Die Übernahme von Gesetzen für das besetzte Gebiet wurde von der IRKO geprüft. Ansonsten erwarteten die Alliierten von den deutschen Behörden deren Loyalität und drohten sonst mit Ausweisung aus dem besetzten Gebiet.

2.3. Veränderung der Besatzungsverhältnisse

Während das linksrheinische Gebiet und die Brückenköpfe besetzt waren, verschärfte sich die politische Lage in Deutschland. Besonders kritisch wurde die Situation in Berlin nach dem, im Endeffekt fehlgeschlagenen, rechten Kapp-Lüttwitz-Putsch im März 1920. Als Reaktion darauf bildeten sich im Ruhrgebiet bewaffnete Arbeiterverbände, die von der USPD und KPD unterstützt wurden. Diese vereinigten sich zur „Roten Ruhrarmee“, die das gesamte Ruhrgebiet unter ihre Kontrolle brachte. Die Reichsregierung verlor faktisch die Regierungsgewalt in diesem Gebiet und bat die IRKO um Erlaubnis die Reichswehr im Notgeld, bevor er am 25. Februar 1923 völkerrechtswidrig von den Franzosen besetzt wurde. Diese mussten jedoch am 16. November 1924 wieder abziehen und den „Freistaat Flaschenhals“ freigeben. ( siehe Broschüre Freistaat-Flaschenhals-Initiative ) entmilitarisierten Gebiet einzusetzen. Die Briten hielten die Bedrohung der inneren Ordnung Deutschlands für gegeben, das Ersuchen für angemessen und befürworteten es. Von Frankreich bekam die deutsche Regierung keine klare Antwort, so dass sie in Hoffnung auf Zustimmung die Reichswehr am 2. April 1920 in die neutrale Zone einrücken ließ und dort den Aufstand blutig niederschlug. Daraufhin stießen französische und belgische Besatzungstruppen über Darmstadt, Frankfurt und Offenbach bis nach Hanau in den Maingau vor und erwägten auch eine Besetzung des Ruhrgebiets. An der Frankfurter Hauptwache kam es zu blutigen Zusammenstößen mit der erregten Bevölkerung bei denen es zahlreiche Tote und Verletze gab. Dieses Ereignis verschärfte den Hass der Deutschen im besetzen Gebiet vor allem auf die Franzosen, wobei „insbesondere die farbigen Truppen der französischen Besatzungsarmee die Bevölkerung tief erregten“4. Diese mit der britischen Regierung nicht abgesprochene Aktion führte zu Spannungen innerhalb der Entente worauf sich die Soldaten im Mai aus dem Maingau wieder zurückzogen.

Anfang des Jahres 1921 einigten sich die Alliierten in Paris auf die Summe der von Deutschland zu bezahlenden Reparationen. Diese sollten 226 Milliarden Goldmark auf einen Zeitraum von 42 Jahren betragen, wobei Frankreich mit 52% mehr als die Hälfte bekommen sollte. Der Vorsitzende der alliierten Reparationskommission Raymond Poincaré ( späterer Ministerpräsident und Außenminister ) wollte damit Deutschland schwächen und die Nachkriegskrise in Frankreich entschärfen. Gleichzeitig zeigten die Sanktionen, die der Weimarer Republik auferlegt werden sollten, falls sie die Reparationen nicht bezahlen konnte ( Besetzung des Ruhrgebiets ), die revisionistischen Bestrebungen in der französischen Politik, die Grenze Frankreichs an den Rhein zu verlegen und das Ruhrgebiet wirtschaftlich zu kontrollieren. In Deutschland kam es zu einem Entrüstungssturm der Politiker und Wirtschaftsgrößen. Auf der Londoner Konferenz im Frühjahr 1921 lehnten die Alliierten einen deutschen Plan zur Zahlung von 50 Milliarden Goldmark ab und besetzten die „Sanktionsstädte“ Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort am 8. März. Damit war ein wichtiges Wirtschafts- und Verkehrszentrum für das Ruhrgebiet unter alliierter Kontrolle. Zusätzlich setzen die Franzosen eine Zollgrenze zwischen dem unbesetztem und besetztem Gebiet durch, so dass das Rheinland wirtschaftlich stärker an Frankreich gebunden und der Warenverkehr vom unbesetztem ins besetzte Gebiet weiter erschwert wurde. Am 5. Mai wurde der deutschen Regierung der Londoner Zahlungsplan übermittelt, der Reparationen in Höhe von 132 Milliarden Goldmark vorsah. Deutschland musste bis zum 12. Mai zustimmen, sonst wäre das Ruhrgebiet besetzt worden.

Zu einer besonderen Verschärfung des deutsch-alliierten Verhältnis kam es im Zuge der Ruhrbesetzung. Nachdem Deutschland mit den Reparationslieferungen von Kohle und Holz 1922 in Verzug geraten war, entschied die alliierte Reparationskommission eine Ingenieurskommision, bestehend aus Franzosen, Belgiern und Italienern, in das Ruhrgebiet zu schicken, mit der Aufgabe die Kohleproduktion zu kontrollieren. Für deren Schutz marschierten am 11. Januar 1923 fünf französische und eine belgische Divisionen in die entmilitarisierte Zone ein, besetzten Essen und Gelsenkirchen, später auch Bochum und Dortmund. Die Stärke der Besatzungstruppen, die ursprünglich auf 60.000 festgelegt war, vergrößerte sich im Laufe des Jahres auf ungefähr 100.000 Mann. Die Aktion besaß keinesfalls die uneingeschränkte Zustimmung der Alliierten. Großbritannien hatte für Deutschlands Probleme Verständnis und wollte die Verzögerung der Reparationsleistungen nicht als Anlass zur Besetzung des Ruhrgebiets nehmen. Die französische Politik wurde offiziell missbilligt und England beteiligte sich nicht an den Besatzungstruppen. Jedoch ließen die Briten es nicht zum Bruch mit Frankreich kommen und stellten den Truppen die Gleise und Transportmöglichkeiten des von ihnen besetzten Brückenkopfs Köln zum Einmarsch ins Ruhrgebiet zur Verfügung. Schärfer war die Reaktion der USA. Zwar intervenierten die Amerikaner nicht, jedoch zogen sie aus Protest der Ruhrbesetzung ihre Truppen aus dem Rheinland ab. Ihnen war die Gewaltpolitik der Franzosen schon lange zuwider und die Isolationisten im Kongress sahen den Einmarsch der französischen und belgischen Truppen als willkommenen Grund das amerikanische Engagement in Europa zu beenden. In Frankreich stieß die Ruhrbesetzung auf ein überwiegend positives Echo. Vor allen bei den rechten französischen Kräften sah man in dieser Maßnahme die letzte Chance den Versailler Vertrag doch noch in Frankreichs Interesse zu revidieren und den Einfluss auf die deutsche Kohle- und Stahlproduktion im Ruhrgebiet zu gewinnen. Wohl zu Recht sprach man nicht nur in Deutschland von einem Akt aktiver französischer Revisionspolitik.

In Deutschland begann ein Sturm der Entrüstung loszubrechen. Durch alle Parteien und Gesellschaftsschichten ging die Empörung über die „Gewaltpolitik Poincarés“5. Die deutsche Regierung rief am 19. Januar zum passiven Widerstand auf. Alle Arbeitnehmer sollten keine Befehle von französischer oder belgischer Seite entgegennehmen und nur für deutsche Interessen weiterarbeiten. Faktisch war der passive Widerstand ein Generalstreik, dem sich die Besatzer nur durch die Ausweisung von nahezu 147.000 Beamten, der Beschlagnahmung von Fabriken, dem Einsatz von Soldaten zur Förderung der Reparationsgüter und durch die weitere wirtschaftliche Abschnürung des Rheinlandes und des Ruhrgebietes vom Reich zu helfen wussten. Es kam jedoch ebenso zu einem aktiven Widerstand, der hauptsächlich von rechten Gruppierungen und ehemaligen Freikorpssoldaten geführt wurde. Diese Gruppen wurden auch von der Reichswehr heimlich mit Waffen unterstützt und sprengten französische Einrichtungen, Brücken und Gleise, auf denen die Reparationen abtransportiert wurden, töteten deutsche Kollaborateure und überfielen darüber hinaus französische Militärposten. Das Ziel durch den Widerstand gegen die Besetzung die Truppen zum Abzug zu zwingen scheiterte jedoch. Aber auch die französischen Bestrebungen mit Hilfe der Besetzung des Ruhrgebietes mehr Reparationslieferungen zu erhalten, erwiesen sich als fehlgeschlagen, da durch den passiven Widerstand die Lieferungen sogar deutlich unter das Volumen von Ende 1922 fielen, welches ja als Begründung für die Besetzung herhalten musste. Der passive Widerstand wurde vom neuen deutschen Reichskanzler Gustav Stresemann ( Deutsche Volkspartei ) am 16. September 1923 aufgehoben, nachdem er erkannt hatte, dass dieser nur in den wirtschaftlichen Ruin führte. Erst im Juli 1925 zogen die letzten französischen Truppen im Zuge der Vereinbarungen zum Dawes-Plan und zur Londoner Konferenz aus dem Ruhrgebiet und den „Sanktionsstädten“ Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort ab.

Als Anfang 1925 Gerüchte von alliierter Seite Berlin erreichten, dass die erste Besatzungszone um Köln nicht wie geplant zum 10. Januar 1925 geräumt werden sollte, da Deutschland gegen die Entwaffnungsbestimmungen des Versailler Vertrags verstoßen habe und das französische Sicherheitsproblem noch nicht gelöst sei, startete Stresemann, nun deutscher Außenminister, am 9. Februar eine diplomatische Offensive. Diese trug defensive Züge und schlug den Alliierten einen Garantiepakt vor, in der Hoffnung die deutsche Position zu stärken. So kam es im Oktober 1925 zu den Verträgen von Locarno. Deutschland, Frankreich und Belgien verzichteten auf eine gewalttätige Veränderung ihrer Grenzen, deren damaligen Verlauf Großbritannien und Italien garantieren sollten. Des weiteren schloss Deutschland Schiedsverträge mit Polen und der Tschechoslowakei, die jedoch keinen verbindlichen Charakter besaßen und somit eine Revision der Grenzen im Osten nicht ausschlossen. Die deutschen Erwartungen an Locarno waren vor allem die baldige Räumung des Rheinlandes und eine eventuell vorgezogene Abstimmung im Saargebiet. Die unmittelbaren Auswirkungen zeigten sich im Abzug der Besatzungstruppen aus der Kölner Zone zum Ende des Jahres 1925, in der Auflösung der interalliierten Militärkommission, die die deutsche Abrüstung überwachte, im Januar 1927, in der wirtschaftlichen Annäherung an Frankreich, in einer Reduktion der Besatzungstärke im Oktober 1927 und in einer allgemeinen außenpolitischen Entspannung. Stresemann und sein französischer Amtskollege Aristide Briand wurden für die Verträge von Locarno im Dezember 1926 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Im Zuge der Entspannung wurde Deutschland auch in den Völkerbund aufgenommen und bekam dort einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat6.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wahlplakat von Stresemanns DVP, das den Abzug der Franzosen im Zuge der Locarnoverträge, als Erfolg der DVP preist.

Am 17. September 1926 trafen sich deutsche und französische Außenpolitiker erneut um ernsthafte Verhandlungen über eine deutsch-französische Gesamtlösung zu führen. Sie sollte sowohl die Räumung des Rheinlandes, als auch die Abzahlung der deutschen Reparationen beinhalten. Jedoch scheiterten diese Bemühungen am Druck der französischen Öffentlichkeit, die sich gegen einen vorzeitigen Abzug der Besatzungstruppen aus dem Rheinland aussprach und an den amerikanischen Banken, die eine einmalige Abzahlung der deutschen Reparationen nicht unterstützen wollten.

Im September 1928 forderte die deutsche Delegation bei einer Völkerbundstagung in Genf erstmals die Rheinlandräumung ohne deutsche Gegenleistungen. Frankreich und Großbritannien hingegen wollten jeder Lösung der Rheinlandfrage nur in Kombination mit einer endgültigen Regelung der Reparationen zustimmen. Deshalb wurde Anfang 1929 eine unabhängige Finanzkommission eingesetzt, die auf der Basis des Dawes-Plan und der Locarnoverträge diese Probleme in Angriff nehmen sollte. So wurde im Mai 1929 der nach dem amerikanischen Wirtschaftsexperten Owen Young benannte Young-Plan entworfen, der bei einer internationalen Konferenz im August 1929 in Den Haag angenommen wurde. Er legte die endgültige Reparationssumme auf 112 Milliarden Goldmark fest, die in Jahresraten bis 1988 abgezahlt werden sollte. Die ausländischen Kontrollen in Deutschland sollten entfallen und die Weimarer Republik somit ihre wirtschafts- und finanzpolitische Souveränität wiedergewinnen. Am wichtigsten für die revisionistischen Bestrebungen Stresemanns war jedoch die Regelung, dass das Rheinland bis zum 30.6.1930 komplett geräumt werden sollte, also fünf Jahre vor der im Versailler Vertrag festgelegten Frist. Am 30. August 1929 räumten die Belgier und Briten die zweite Besatzungszone um Koblenz, was am 1. Dezember mit einem großen Staatsakt am Deutschen Eck gefeiert wurde. Nachdem der Young-Plan vom Reichstag im März 1930 ratifiziert wurde, erging am 20. Mai der Befehl an die Besatzungstruppen die dritte Zone zu räumen, so dass am 30. Juni die letzten französischen und belgischen Truppen aus der letzten Zone des beinahe zwölf Jahre lang besetzen Rheinland abzogen. Stresemann erlebte diesen Moment, der im ganzen Reich mit pompösen Befreiungsfeiern begangen wurde nicht mehr. Er war am 3. Oktober 1929 gestorben. Das Rheinland galt nun als entmilitarisiertes Gebiet, bis 1936 Hitler deutsche Truppen dort einmarschieren ließ.

3. Wiesbaden während der Rheinlandbesetzung

3.1. Wiesbaden vor und während des Ersten Weltkriegs

Die Stadt Wiesbaden war am Anfang des 20. Jahrhunderts eine aufstrebende Kurstadt im Deutschen Kaiserreich mit internationalem Ruf. Sie war eine der Lieblingsstädte des Kaisers Wilhelm II., und durch eine große Anzahl von dort lebenden Millionären und wohlhabenden Pensionären waren Steueraufkommen und Konsumkraft auf einem sehr hohen Niveau.

Während Landwirtschaft und Industrie vor den Eingemeindungen von 1926/287 kaum eine wirtschaftlich Rolle spielten, konnte die Stadt sehr gut von Kurbetrieb, Fremdenverkehr und Bauhandwerk leben. Der Erste Weltkrieg traf Wiesbaden sehr schwer. Da es zum Bereich der Festung Mainz gehörte, mussten alle Ausländer aus neutralen oder feindlichen Staaten ausreisen. Statt wohlhabender Kurgäste kamen nun verwundete und kranke Soldaten, für deren Versorgung Wiesbaden gut ausgerüstet war. Dies führte zu einem wirtschaftlichen Rückschritt, der die Bevölkerung hart traf. Während im letzten Friedensjahr 1913 noch 192.108 Fremde die Stadt besucht hatten, waren es 1919 nur noch 67.712; der kriegsbedingte Ausfall wird auf 450.000 Fremde geschätzt8. Ein Fliegerangriff am 23. Oktober 1918, der 13 Tote forderte und der kurz darauf beschlossene Waffenstillstand traumatisierte die Bevölkerung, die lange an einen Sieg Deutschlands geglaubt hatte. Der Haushalt der Stadt war durch den Krieg und den damit verbundenen Rückgang im Fremdenverkehr schwer belastet worden, da auch viele freiwillig erbrachte Leistungen der Stadt nicht vom Reich zurückbezahlt wurden.

Nach den Waffenstillstandsabkommen vom 11. November 1918 gehörte Wiesbaden als Bestandteil der Festung Mainz und somit im Einzugsgebiet des Brückenkopfes Mainz liegend zum besetzten Gebiet. Am 13. Dezember marschierten die ersten französischen Truppen in Wiesbaden ein.

3.2. Die ersten Jahre unter französischer Besatzung

Die Besetzung Wiesbadens durch das 30. Französische Armeekorps hatte ähnliche Folgen wie in den anderen Teilen des besetzten Gebietes. Die französischen Truppenverbände wurden in Sälen und Baracken untergebracht, die französischen Behörden, die vorerst den Verwaltungsbetrieb regelten, beschlagnahmten wichtige Hotels und Privatgebäude. Im Zuge der Beschlagnahmungen, der auch sieben Schulgebäude zum Opfer fielen, verschärfte sich auch die Wohnungsnot. Für die deutsche Bevölkerung war besonders der Anblick von farbigen Truppen im Regierungsbezirk Wiesbaden ungewohnt und rief ungeahnte Ängste hervor9. Im Dezember gab es einige Probleme mit den Restriktionen und Auflagen der neuen Verwaltung. Der Wiesbadener Magistrat beanstandete am 24.12.1918 die Versorgungsprobleme, den Mangel an Kohle und anderen Brennstoffen sowie die Belastungen, die mit der Einquartierung der Besatzungstruppen einher gingen. Grund für die angespannte Versorgungslage war die Forderung der Franzosen, dass für den Transport von Lebensmitteln zur Versorgung Wiesbadens zuerst eine Erlaubnis eingeholt werden musste. Außerdem verhinderte eine Eisenbahngütersperre für Warenlieferungen von der linken zur rechten Rheinseite die Versorgung der Stadt mit Braunkohle, die bereits in einem Güterzug am Kölner Bahnhof bereit stand. Der Postverkehr zwischen St. Goarshausen und Wiesbaden war durch die Zugehörigkeit von St. Goarshausen zum unbesetztem Gebiet abgeschnitten und konnte nur mit, von den Franzosen zu erlaubenden, Botendiensten wieder aufgenommen werden. Polizisten bekamen nur bei Anfrage beim zuständigen Lieutnant-Colonel Pineau („Administrateur du District de Wiesbaden“ ) Waffen ausgehändigt, während es Jägern und Förstern grundsätzlich verboten wurde Gewehre zu tragen, was die Versorgungslage der Stadt weiter verschlechterte, da so kein Wild geschossen werden konnte. Darüber hinaus führten die Franzosen eine Grußpflicht für die gesamte männliche Bevölkerung über 12 Jahren gegenüber Offizieren der Alliierten ein, was die Kurstadt für deutsche Gäste weiter unattraktiv machte. Überhaupt war die Abneigung der Bevölkerung des unbesetzten Deutschlands sehr groß in das, von dem einstigen „Erbfeind“, besetzte Gebiet zu reisen. Eine Denkschrift des Wiesbadener Magistrats kurz vor Jahreswechsel verdeutlicht die angespannte wirtschaftliche Situation der Kurstadt. In ihr wurden die Franzosen auf die „untrennbare Verknüpfung“ des besetzten Gebietes mit dem Reich hingewiesen und es wurde angemerkt, dass sich die schlechte Lage auch auf die Franzosen negativ auswirken würde10. Auch im Januar 1919 rissen die Beschwerden über die französischen Reglementierungen und die Bitten einer Lockerung der strengen Auflagen nicht ab. Die Zahl der Arbeitslosen war mit 3854 ( 8.2.1919 ) extrem hoch und die Wiesbadener Handelskammer erwartete 1400 weitere, falls die Einschränkungen im wirtschaftlichen Leben nicht sofort aufhörten. Besonders die Einstellung des Zugverkehrs zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet, das Verbot von Kapital-, geschäftlichen Fernsprech- wie auch Reiseverkehr wären die Hauptgründe für den wirtschaftliche Niedergang. Außerdem wurde gefordert wenigstens Kranke aus den unbesetzten Gebieten zur Kur einreisen zu lassen, damit die verbliebenen Arbeitsplätze gesichert werden könnten. Am 22.Juni verhängten die französischen Besatzungsbehörden eine allgemeine Verkehrssperre zum unbesetztem Gebiet, was den Oberbürgermeister Glässing zu einem offiziellen Protest fünf Tage später veranlasste, in dem er erneut vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch Wiesbadens warnte. Dieses Ersuchen war jedoch ohne Erfolg und da Glässing bei den Franzosen auf Grund seiner unkooperativen Art nicht beliebt war, wurde er Anfang November 1919 abgesetzt und aus dem besetzten Gebiet ausgewiesen. Auch in Wiesbaden entspannte sich die unübersichtliche Lage erst nach Rückkehr der Zivilverwaltung in Hände der deutschen Behörden mit dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages.

Während der Besetzung des Maingaus im Frühjahr 1920, gegen die auch die Wiesbadener Bevölkerung protestierte, wurde der Belagerungszustand für Wiesbaden ausgerufen. Die öffentliche Ordnung musste erneut durch die Aufstockung der Polizeikräfte gewahrt werden, als am 8. September 1920 Wiesbaden von Marschall Foch und dem französischen Präsidenten Millerand besucht wurde. Obwohl sich die wirtschaftliche Situation noch einmal verschlechterte, als im April 1921 die „Rheinzollgrenze“ geschaffen wurde, so war dieses und das darauffolgende Jahr von einem „Zwischenhoch“ im Kurbetrieb geprägt. Die Franzosen fühlten sich in Wiesbaden sehr wohl und so stieg die Anzahl der ausländischen Gäste um 50%. Wiesbadens Schönheit wurde von französischer Seite gelobt und eine Pariser Zeitung schrieb: „Im Frühling 1921 war das ganze offizielle Paris nicht mehr in Paris, sondern in Wiesbaden“11.

Politisch rückte Wiesbaden im Herbst 1921 durch das „Wiesbadener Abkommen“ in den Mittelpunkt. Der deutsche Außenminister Dr. Rathenau und der französische Industrielle und Finanzmann Loucheur führten Verhandlungen über die Erleichterung der deutschen Repartationslast durch größere Sachlieferungen. Politisch war das Abkommen jedoch ein Fehlschlag, da die angestrebte Räumung der besetzten „Sanktionsstädte“ Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort nicht erreicht wurde.

Der Ruhrkampf im Jahr 1923 hatte sowohl politische als auch wirtschaftliche Auswirkungen auf Wiesbaden. Die kurze Blüte des Kurbetriebs nahm ein jähes Ende, da durch neuerliche Grenzsperren, Beschränkungen im Eisenbahnverkehr, Passzwänge, lästige Kontrollen und Schikanen der französischen Behörden vor allem zahlungskräftige amerikanische und britische Gäste abgeschreckt wurden, während durch die Inflation die Zahl der deutschen Kurgäste zurückging. Nach Einmarsch der französischen und belgischen Truppen ins Ruhrgebiet kam es am 23. Januar zu Protestkundgebungen der gesamten Wiesbadener Arbeitnehmer- und Arbeitgeberschaft gegen die neuerliche Besetzung deutscher Gebiete. Die französischen Behörden verboten darauf das Erscheinen der „Neuen Wiesbadener Zeitung“, die antifranzösiche Artikel druckte, auf insgesamt 18 Tage im Januar und Februar. Der Regierungspräsident Konrad Haenisch wurde ebenso wie der Bürgermeister Travers wegen fehlender Kooperationsbereitschaft mit den Franzosen abgesetzt und aus dem besetzten Gebiet verwiesen. Trotz des Protests der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung ließen sich diese Beschlüsse nicht ändern. Nachdem Anfang März der vorläufig eingestellte Eisenbahnverkehr unter französischer Regie wieder aufgenommen wurde, kam es Mitte April zu massenhaften Ausweisungen von Bahnarbeitern und Zollbeamten, die eine Zusammenarbeit mit den Franzosen wegen des passiven Widerstands verweigerten. Aus gleichem Grund wurden im Mai die Fabrikanlagen von der Firma Kalle&Co in Biebrich durch die französische Gendarmerie besetzt, da sich die Firma weigerte Farbstoffe nach Frankreich und Belgien zu liefern. Im Zuge der Spannungen durch den Ruhrkampf kam es auch zu erneuten Problemen mit den Separatisten.

3.3. Separatistische Bewegungen in Wiesbaden

Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem Einmarsch alliierter Truppen ins Rheinland erhielt eine Bewegung Zulauf, die einen unabhängigen, an Frankreich angelehnten Staat im Westen Deutschlands schaffen wollte, die sogenannte Rheinische Republik. Traditionell engere Verbindungen der westdeutschen Staaten mit Frankreich vor allem zur Zeit Napoleons und des Rheinbunds wurden als historische Vorläufer eines solchen Staates gesehen, und von französischer Seite wurde diese Betrachtungsweise wohlwollend gefördert. Frankreich sah in den Bestrebungen zur Ausrufung eines rheinischen Staates die Möglichkeit eine von Außen nicht durchzusetzende Abspaltung des Rheinlandes doch noch durch Unterstützung der Separatisten zu erreichen. Einer der wichtigsten Verfechter dieser Idee war der Wiesbadener Staatsanwalt Dr. Dorten. Obwohl die Bevölkerung der Idee eines pro- französischen rheinischen Staates ablehnend gegenüberstand, wurde am 2. Juni 1919 die Rheinische Republik in Wiesbaden proklamiert. Koblenz sollte Sitz der Regierung und eines Parlamentes werden; Wiesbaden war als vorläufiger Tagungsort gedacht. Die Ausrufung stieß jedoch auf breite Ablehnung quer durch alle Bevölkerungsschichten. Sowohl die Wiesbadener Arbeiterschaft, wie auch die Beamten, der Magistrat, der Oberbürgermeister Glässing und alle politischen Parteien außer dem Zentrum protestierten gegen diese Proklamation und erklärten, dass sie sich nicht der separatistischen Regierung unterstellen würden. Auch das Zentrum lehnte die Idee der Rheinischen Republik nach eingehenden Beratungen am 4.Juni ab. Der Administrator des Bezirks Wiesbaden, Pineau, versuchte den Oberbürgermeister zur Änderung seiner Meinung zu bringen, scheiterte jedoch dabei. Zwar hatten die französischen Behörden verlauten lassen, dass die Befürworter einer Rheinischen Republik „eine sehr große Stimmenmehrheit“12 hätten, jedoch scheiterte der Versuch eine Regierung Dorten zu etablieren schon am 5. Juni. Daraufhin erklärte die französische Armee, dass sie die Gegner und Befürworter der Rheinischen Republik „mit strenger Neutralität“13 beobachten würde.

Im Jahr 1923 kam es zu einem weiterem Versuch der Separatisten, im Zuge der Krise, die durch die Ruhrbesetzung ausgelöst wurde, erneut die Rheinische Republik zu verkünden. Am 23. September duldeten und schützten die französischen Besatzungstruppen eine Kundgebung der „Rheinischen Volksvereinigung“ vor dem Kurhaus. Im ganzen besetzten Gebiet kam es in diesem Monat zu ähnlichen Kundgebungen der separatistischen Bewegungen, die zu Straßenschlachten mit Gegnern der Rheinischen Republik führten und 400 Verletzte forderten. Am 23. Oktober eskalierte die Lage in Wiesbaden. Bewaffnete Separatisten stürmten und besetzten das Rathaus, das Regierungsgebäude und das Landeshaus. Die französischen Truppen und Gendarmen unterstützten die Separatisten diesmal eindeutig, wenn auch nicht offiziell, und entwaffneten kurzfristig die Wiesbadener Polizei, die somit nicht gegen die Separatisten vorgehen konnte. Die Gewerk- schaften riefen sofort den Generalstreik als Protest gegen die gewalttätige Besetzung dieser Regierungsstellen aus und es kam zu spontanen Demonstrationen, die von französischer 17 Tote, sowie über Kavallerie aufgelöst wurden14. Daraufhin wurde ein weiteres französisches Regiment nach Wiesbaden verlegt. Obwohl die französischen Truppen Weisungen erhielten die Separatisten Französische Panzer während der Separatisten-Unruhen vor dem Wiesbadener Rathaus.

zu schützen und zu begünstigen, so dass diese zum Beispiel aus französischen Feldküchen verpflegt wurden, konnte die Regierungsgewalt erneut nicht übernommen werden. Alle Parteien, diesmal einschließlich dem Zentrum, hatten ihre Ablehnung gegenüber der Rheinischen Republik klar verkündet. Nachdem die Franzosen auf Druck der IRKO ihre Unterstützung für die Separatisten einstellen mussten, zogen im Januar 1924 die letzten Anhänger der „Rheinischen Volksvereinigung“ aus den besetzten Gebäuden ab und emigrierten zum großen Teil nach Frankreich.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.4. Die Verlegung des britischen Hauptquartiers nach Wiesbaden

Als Anfang des Jahres 1925 der Abzug der Briten aus der ersten Besatzungszone anstand, wurde über die Verlegung des britischen Hauptquartiers sowohl in der Presse als auch in Regierungsschreiben lange diskutiert. Während die Verhandlungen über den Abzug der britischen Truppen aus Köln ein internationales Politikum waren, interessierte es die regionalen Zeitungen und die Verwaltungsstellen in Wiesbaden viel mehr, ob die britische Besatzung in die dritte Zone mit dem Schwerpunkt auf Wiesbaden verlegt werden sollte oder ob die Briten nach Koblenz ziehen würden und dafür die IRKO nach Wiesbaden käme. Schon im Januar 1925 wünschte sich der Magistrat der Stadt Wiesbaden, dass der gesamte Brückenkopf Mainz englisch besetzt werden sollte, da man sich mehr Kurgäste für Wiesbaden aber auch für Langenschwalbach erhoffte. Man erinnerte sich an die vielen amerikanischen und englischen Kurgäste, die vor dem Krieg ein zahlungskräftiges Publikum dargestellt hatten und auf Grund der Besetzung Wiesbadens durch die Franzosen nur noch in geringer Zahl die Stadt besuchten. Außerdem ging auch die Zahl der französischen Kurgäste zurück, da für diese Wiesbaden wegen des schlechten Kurses des französischen Francs zu teuer wurde. Die Briten riefen eine Kommission ins Leben, die die Attraktivität der möglichen Standorte für das britische Hauptquartier ( Wiesbaden, Koblenz und Trier ) klären sollte. Im Zuge dieser Untersuchung besuchte der kommandierende General der britischen Rheinarmee im Februar 1925 Wiesbaden. Die Informationen, welche die Presse erhielt, waren sehr dürftig und die Gerüchte über die Verlegung des britischen Hauptquartiers oder der IRKO nach Wiesbaden wechselten oft. Der Wiesbadener Magistrat bat im Sommer 1925 das Reichsaußenministerium für die Verlegung der britischen Truppen nach Wiesbaden, aber gegen Wiesbaden als Sitz der IRKO zu votieren. Da man in ganz Deutschland etwas Negatives mit der IRKO verband, fürchtete Wiesbaden, dass eine Verlegung dem Kurbetrieb weiter schaden und die „katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse“15 noch verschlimmern würde. Das Ansehen der Briten hingegen war höher, da sie zum Beispiel nicht an der Ruhrbesetzung teilgenommen hatten und als befreundetes Volk der Deutschen galten. Im August verdichteten sich die Gerüchte, dass Wiesbaden Standort der britischen Truppen werden sollte, worauf die Franzosen eine „Gegenpropaganda“ lancierten, in der sie die wirtschaftlichen Verhältnisse für die Briten als unattraktiv darstellten16. Ende Oktober wurde die Räumung Kölns amtlich bestätigt und der Befehl erteilt, dass die Truppen bis Anfang 1926 Köln verlassen und nach Wiesbaden verlegt werden sollten. Der britischen Besatzungsarmee wurden die Kreise Wiesbaden-Stadt, Wiesbaden-Land, Rheingau und Untertaunus zugeteilt, in die sie mit ca.

10.000 Mann einrücken sollten, wobei Wiesbaden als Mittelpunkt der britischen Zivilverwaltung gedacht war. Die französischen Truppen sollten sich nach Mainz, Kreuznach und Bingen zurückziehen; das 30. Armeekorps wurde von Wiesbaden nach Kreuznach verlegt. Zwar wurde in der Presse eine deutliche Reduktion der Besatzungstruppen gefordert, jedoch lobten die liberaleren Zeitungen den Abzug einer ganzen französischen Division aus dem Rheinland und den Stellenabbau der IRKO, die in Koblenz blieb. Die Verträge von Locarno wurden von der Rheinischen Volkszeitung als Fortschritt gewertet. Am 4. Dezember erreichten die ersten Briten als „Quartiermacher“ Wiesbaden und erörterten mit der Stadt einige Problempunkte, wie zum Beispiel die Regelung von Beschlagnahmungen und die Festlegung der Garnisonsstandorte für die rund 6.000 Mann starken Besatzungstruppen17. Generell herrschte ein positives Klima und man schloss sowohl Kompromisse bei der Nutzung des städtischen Krankenhauses, als auch bei der Beschlagnahmung von Villen, die auf Grund der schlechten wirtschaftlichen Lage zumeist freiwillig gegen eine Entschädigungszahlung abgegeben wurden. Nachdem letzte Probleme mit den abrückenden französischen Truppen, von denen einige einzelne Soldaten Wiesbaden nicht verlasse wollten, gelöst waren, wurde die Stadt am 30.12.1925 von den Franzosen an die Briten übergeben. Auch die britische Besatzungszeitung „Daily Telegraph“ siedelte nach Wiesbaden über und würdigte ebenfalls das angenehme Klima im Umgang mit den Wiesbadener Behörden, die durch „patience and diplomacy“ von der Notwendigkeit weiterer Beschlagnahmungen überzeugt werden konnten18. Es gab jedoch auch negative Kommentar bezüglich des Einzuges der Briten in Wiesbaden. Besonders die Rhein-Mainische-Volkszeitung und die Frankfurter Post zeigten sich von den neuen Besatzungsverhältnissen enttäuscht. Der erhoffte wirtschaftliche Aufschwung wäre nicht eingetreten, da sich die Briten weder als kauffreudig erwiesen hätten, noch würden sie Aufträge an deutsche Betriebe vergeben. Sehr bitter klangen Kommentare wie: „Das ganze englische Vorgehen gleicht auf ein Haar einer militärisch gedeckten Kolonie in einem Land farbiger Menschen, die man beherrscht und nach Möglichkeit ausbeutet, aber im übrigen meidet und keinesfalls durch passiven Geschäftsverkehr bereichert“ , „Es [Wiesbaden] wird systematisch als europäische Kolonie für englische Arbeitslose eingerichtet“ und „Die Weltkurstadt hat dem Geist von Locarno bis jetzt noch nicht das geringste zu danken.“19 Obwohl die Hoffnung auf Verbesserung der wirtschaftlichen Lage nach wie vor vorhanden war und der Abzug der Franzosen positiv gewertet wurde, konnte man auch lesen: „Armes, elendes, unterjochtes Volk, das einen Festtag feiert, weil die Hand, die es von nun an unterjochen wird etwas gepflegter ist.“20 Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die Stadt sehr wohl Vorteile von der britischen Besatzung und dem wirtschaftlichen Aufschwung hatte, denn der Kurbetrieb erholte sich wieder und erreichte 1927/28 einen Höhepunkt. Außerdem wurde durch die hohen Ansprüche der britischen Besatzer die Baubranche belebt, da für sie neue Gebäude oder Ersatzgebäude für beschlagnahmte Einrichtungen errichtet wurden. Die Wasser und Lichtwerke der Stadt hatten Großabnehmer und die Soldaten, Angehörigen und ausländische Besucher bescherten dem Einzelhandel nach Schätzungen von 1928 insgesamt Mehreinnahmen in Höhe von 5 Millionen Reichsmark.

3.5. Verlegung der IRKO nach Wiesbaden und Abzug der Besatzungstruppen

1928 kam es dann in Folge des angestrebten Abzuges der Besatzungstruppen aus dem Brückenkopf Koblenz zu einer erneuten öffentlichen Diskussion um die Verlegung der IRKO. Im Oktober kamen erste Gerüchte auf, dass die IRKO nach Wiesbaden, Mainz, Speyer oder Kreuznach verlegt werden sollte, wobei Wiesbaden jedoch als wahrscheinlichster Standort in Betracht kam. Dies löste bei den Wiesbadener Regierungsbehörden erneut Sorge um die Auswirkungen auf den Kurbetrieb aus. Auch der Allgemeine Deutsche Bäder-Verband ersuchte den Regierungspräsidenten in Wiesbaden eine Verlegung der IRKO nach Wiesbaden mit allen Mitteln abzuwenden, da für die Kurstadt überproportional große Nachteile erwartet wurden. Auch die Presse nahm die Gerüchte wieder auf und erinnerte an die französischen Repressionen in Wiesbaden. Es wurde jedoch die Hoffnung geäußert, dass weder die Briten noch die Stadtverwaltung eine Verlegung der IRKO zulassen würden. Zwar wurde betont, dass eine Verlegung der IRKO keine neuen Truppenstationierungen nach sich ziehen würde, jedoch zeigte sich die Presse mehr und mehr verbittert über die lang andauernde Besetzung der Kurstadt und ließ verlauten, dass „Wiesbaden ohne die Besatzung niemals so tief gesunken wäre“21. Nachdem das Thema für einige Monate an Brisanz verloren hatte, gewann es wieder an Aktualität, als der Abzug der Besatzungstruppen aus Koblenz im August 1929 unmittelbar bevorstand. Der Magistrat wandte sich diesmal direkt an das Auswärtige Amt in Berlin und an das Reichsministerium für die besetzten Gebiete mit der Bitte alle diplomatischen Mittel einzusetzen um eine Verlegung der IRKO nach Wiesbaden doch noch zu verhindern. Allerdings beschlossen die Alliierten im Spätsommer, dass Wiesbaden endgültig Standort der Kommission für die letzten Monate werden sollte. Im September 1929 wurde der Stadt mitgeteilt, dass als Begleitung der IRKO eine französische Ehrenwache mit einer Stärke von 300 Mann nach Wiesbaden einrücken sollte. Zusätzlich wurden noch einige Gendarmen zur Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung für die nach Wiesbaden beurlaubten Truppen angekündigt. Gleichzeitig sollten jedoch die britischen Soldaten abziehen und die IRKO darüber hinaus deutlich reduziert werden. Der französische Stab wurde um 60%, der belgische und britische um 95% ver Zivilbeamte in Wiesbaden arbeiten würden. Am 20.

November 1929 nahm dann die deutlich verkleinerte IRKO für die letzt Zeit im Hotel „Wilhelmina“ ihre Tätigkeit auf. Die britischen Truppen übergaben der französischen Ehrenwache am 12. Dezember das militärische Kommando. Nach der Ratifizierung des Young-Plans durch den deutschen Reichstag im März 1930 erging am 20. Mai der Befehl an die Besatzungs- truppen die letzte besetzte Zone zum 30. Juni zu räumen. An diesem Tag wurden die Fahnen Frankreichs, Großbritanniens und Belgiens vor dem Hotel „Wilhelmina“ eingeholt22. Die IRKO und das französische Ehrenbataillon verließen die Stadt am gleichen Tag. Somit waren die Besatzungstruppen fünf Jahre vor der im Versailler Vertrag beschlossenen Frist abgezogen, was um Mitternacht in Wiesbaden mit einer riesigen Befreiungsfeier begangen wurde. Drei Wochen später besuchte der Reichspräsident Hindenburg Wiesbaden, das nun wieder, nach elfeinhalb Jahren der Besatzung, eine freie Kurstadt war. Die Freude über den Abzug der Truppen wurde getrübt durch die wirtschaftlichen Probleme in Folge der Weltwirtschaftskrise, die auch Wiesbaden schwer traf. Es wurde deutlich, dass die „Rheinlandbefreiung“ keinesfalls einer Befreiung von wirtschaftlichen Problemen gleichkam. Vielmehr wurde klar, dass die Besatzungstruppen einen wichtigen Beitrag zum wirtschaftlichen Leben geleistet hatten und dass deren Abzug zu weiteren ökonomischen Nachteilen führte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Urteil über das Ende der Besatzungszeit fiel damals zwar eindeutig positiv aus, jedoch erkannte man später die Bedeutung der Anwesenheit von ausländischen Truppen für das wirtschaftliche Leben. Wiesbaden gehörte nun zur entmilitarisierten Zone des Rheinlandes, in das 1936 zum ersten Mal nach über siebzehn Jahren wieder deutsche Truppen einzogen. Durch die Niederlage Hitler-Deutschlands im zweiten Weltkrieg wurde Wiesbaden nicht einmal fünfzehn Jahre nach Abzug der Franzosen erneut besetzt. Diesmal marschierten amerikanische Soldaten in Wiesbaden ein und blieben später als Partner Deutschlands bis heute in Wiesbaden.

4. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Ungedruckte Quellen

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abteilung 405

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2. Gedruckte Quellen

Heinrich Klümpen, Deutsche Außenpolitik zwischen Versailles und Rapallo. Revisionismus oder Neuorientierung, Münster- Hamburg 1992

Bracher, Funke, Jacobsen ( Hrsg. ), Die Weimarer Republik 1918-1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Bonn 1987

Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik, München 1993

Hans Mommsen, Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar 1918-1933, Berlin 1989 Detlef Lehnert, Die Weimarer Republik, Stuttgart 1999

Herbert Müller-Werth, Geschichte und Kommunalpolitik der Stadt Wiesbaden unter besonderer Berücksichtigung der letzten 150 Jahre, Wiesbaden 1963

Karl Ernst Demandt, Geschichte des Landes Hessen, Kassel 1972

Peter Krüger, Die Außenpolitik der Republik von Weimar, Darmstadt 1985

Anton-Andreas Guha, Die Republik ging unter. 1915 bis 1933, in: Vorstand des SPDOrtsvereins Wiesbaden, 100 Jahre SPD Wiesbaden. 1867-1967, Frankfurt/M. 1967

Siegfried Weinsch ( Hrsg. ), Plakate als Spiegel der politischen Parteien in der Weimarer Republik, München 1996

Otto E. Fink, Wiesbadener Bildchronik 1866-1945, Wiesbaden 19??

[...]


1 Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik, München 1993, Seite 138

2 Da sich die halbkreisförmig gezogenen Brückenköpfe von Mainz und Koblenz bei Laufenselden im Taunus nur berührten, hinterließen sie einen freien Raum zwischen sich, der die Form eines Flaschenhalses beschrieb. Der „Freistaat Flaschenhals“ umfasste die Städte Lorch und Kaub, sowie die Gemeinden Lorchhausen, Sauerthal, Ransel, Wollmerschied, Welterod, Zorn, Strüth und Egenroth mit insgesamt rund 8.000 Einwohnern. Durch die abgeschnittene Verbindung zum unbesetzten Deutschland ( es gab weder Straßen-, Waren- oder Postverkehr ) blühte dort der Schmuggelhandel. Der seit dem 10. Januar 1919 existierende Freistaat druckte sogar sein eigenes

3 Hessisches Hauptstaatsarchiv, Abt. 405 Nr. 6167

4 Karl Demandt, Geschichte des Landes Hessen, Kassel 1972, Seite 589

5 Hans Mommsen, Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar, Berlin 1989, Se

6 Wahlplakat nebenan aus: Siegfried Weinsch, Plakate als Spiegel der politischen Parteien in der Weimarer Republik, München 1996. Text: „Dortmund ist frei, Rhein und Ruhr werden frei durch die Deutsche Volkspartei.“

7 Am 1. Oktober 1926 wurden die industriell bedeutenden Gemeinden Biebrich und Schierstein, sowie Sonnenberg mit insgesamt 30.676 Einwohner eingemeindet. 1928 kamen dann die eher agrarisch geprägten Orte Dotzheim, Frauenstein, Erbenheim, Bierstadt, Kloppenheim, Rambach, Heßloch, Igstadt und Georgenborn, das am 1. April 1939 wieder ausgemeindet wurde, zur Stadt Wiesbaden.

8 Herbert Müller-Werth, Geschichte und Kommunalpolitik der Stadt Wiesbaden, Wiesbaden 1963, Seite 136

9 Hessisches Hauptstaatsarchiv, Abt 405 Nr. 5232 Im Kreis Wiesbaden Stadt war ein Algerisches Schützenregiment mit ca. 700 Algeriern, ein Regiment mit 600 Tunesiern und 25 weiteren farbigen Soldaten, sowie eine Abteilung eines französischen Bataillons mit 105 Algeriern stationiert. Im gesamten Regierungsbezirk waren von den ca. 11.000 Soldaten etwa 5.150 nicht europäischer Herkunft. Am stärksten waren Algerier, Tunesier und Marokkaner, jedoch auch kleinere Volksstämme wie die Anamiten, Saniten und einige Indochinesen vertreten ( Dezember 1920 ). Im Winter war die Zahl der farbigen Truppen in der Regel geringer, da einige wegen des kühlen Klimas abgezogen wurden.

10 Hessisches Hauptstaatsarchiv, Abt 405 Nr. 6167 Konkret forderte der Magistrat die Verlängerung der Polizeistunde auf 22 Uhr, die Freigabe des Telefon-Telegramm- und Paketverkehrs, die Aufhebungen der Reisebeschränkungen eine Einwanderungserlaubnis für ehemalige Wiesbadener Bürger und eine Versammlungserlaubnis für Vereine und Parteien ( nach Absprache ). Darüber hinaus wurde vor der schlechten Ernährungs- und Brennstofflage, der Gefahr vor Epidemien und dem Zusammenbruch des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gewarnt.

11 Zitiert in Herbert Müller Werth, a.a.O., Seite 158

12 Zitiert in Herbert Müller-Werth, a.a.O., Seite 147

13 Zitiert in Herbert Müller Werth, a.a.O., Seite 148

14 Bild nebenan aus: Otto E. Fink, Wiesbadener Bilderchronik 1866-1945, Wiesbaden, Seite 135

15 Hessisches Hauptstaatsarchiv, Abteilung 405 Nr. 5426

16 „BZ am Mittag“ vom 17.8.1925 in Abteilung 405 Nr. 5426

17 Garnisonsstandorte der Briten wurden Wiesbaden, Biebrich, Dotzheim, Schierstein, Eltville, Geisenheim, Rüdesheim, Langenschwalbach, Idstein, Königsstein, Hofheim, Flörsheim, Hochheim, Bingen ( mit Hafen für die Rheinflotille ) und Ingelheim.

18 „Daily Telegraph“ vom 30.1.1926 in Abteilung 405 Nr. 5426

19 Rhein-Mainische-Volkszeitung vom 11.1.1926 in Abteilung 405 Nr. 5426

20 Frankfurter Post vom 2.2.1926 in Abteilung 405 Nr. 5426

21 Rheinische Volkszeitung vom 23.10.1928 in Abteilung 405 Nr. 5427 Die Trikolore wird am 30. Juni 1930 vom Hotel „Wilhel- mina“ ein letztes Mal eingeholt

22 Bild nebenan aus: Otto E. Fink, Wiesbadener Bildchronik 1866-1945, Wiesbaden, Seite 142

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Besetzung des Rheinlandes 1918-1930 Auswirkungen auf Deutschland und Wiesbaden
Note
15 Punkte
Autor
Jahr
2000
Seiten
18
Katalognummer
V100767
ISBN (eBook)
9783638991902
Dateigröße
661 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Da stecken ca. 60 Stunden Arbeit mit Forschung im Archiv etc. dahinter. Hoffe es hilft anderen sich Zeit zu sparen
Schlagworte
Weimarer Republik, Rheinlandbesetzung, Wiesbaden
Arbeit zitieren
Simon Oertel (Autor:in), 2000, Die Besetzung des Rheinlandes 1918-1930 Auswirkungen auf Deutschland und Wiesbaden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100767

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