Die Flucht


Referat / Aufsatz (Schule), 2001

3 Seiten


Leseprobe


Die Flucht

Ich stehe am Fenster. Erste Sonnenstrahlen hüllen die Häuserfronten in ein mattes Gelb. Draußen ist es kalt und dichte Nebelschwaden hängen in der Luft - ein typischer Wintermorgen. Der Tag ist wie geschaffen für unsere geplante Befreiungsaktion. Während ich an einer Tasse heissen Tees nippe, denke ich noch einmal an mein gestriges Gespräch in Helles Wohnung: Er hatte alles bis aufs feinste geplant und vorbereitet. Nachdem er mich in seine Pläne eingeweiht hatte, sassen wir noch zusammen, tranken einige Tassen Kaffee und diskutierten über die Gefahr, die uns von Seiten der Nazis drohte. Er sagte, dass wir nicht lange warten dürfen, denn sobald die Nazis erstmal spitzgekriegt haben, welcher Vogel da in ihrem Käfig hockt, ist es zu spät für so etwas. Heute Abend ist es soweit. Wenn unsere Eltern wüssten, was wir vorhaben, hätten sie mich schon längst unter Hausarrest gestellt. Deshalb ist die Sache auch sehr vertraulich - schliesslich wollen wir doch nur das Beste für alle. Auch musste kurz leer schlucken, als Helle mir erklärte, was wir vorhaben, doch ich zweifelte nicht lange an seinen Plänen und willigte ein. Schliesslich ist jetzt eine gute Gelegenheit gekommen, ihm einmal zu helfen, da er mir schon einige Male den Kopf aus der Schlinge gezogen hat.

Ich gehe durch den Flur, um auf Mutters Wecker zu schauen. Halb elf ist es schon - am besten gehe ich gleich los. Nachdem ich Vater erklärt habe, ich ginge mit Helle zum Sportpalast und übernachte anschliessend bei ihm, ziehe ich meinen warmen Mantel an, lege den weissen Schal um und betrete das schmale Treppenhaus. Kurz danach stehe ich auf der dunklen Strasse. Noch einmal sehe ich mich um, ob die Luft rein ist ( also keine Nazis in der Nähe sind), und marschiere rasch die Gassen entlang. Die Sonne ist längst untergegangen und ein eisiger Wind bläst durch die Strassen, da kommt mir auch schon Helle entgegen. Glücklich darüber, dass es mit mir geklappt hat, begrüßt er mich. ..und Abmarsch! Entschlossen, aber dennoch mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, folge ich Helle durch enge Gassen und Seitenstrassen, bis er plötzlich vor einem alten Auto Halt macht. Er geht einige Schritte als würde er etwas suchen , während er unverständliche Zahlen murmelt .Er bleibt bei einer nahegelegenen Eiche stehen, greift in ein kleines Baumloch und hat einen Schlüssel in der Hand - mit einem Freund ausgemacht, erklärte er später. Ich staune immer noch, als Helle mich höflich bittet, bereits auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Helle nimmt Platz und startet den Motor, um die Fahrt zum Moabit, dem hiesigen Stadtgefängnis, in dem Heiner verweilt, zu beginnen . Helle blickt sich nun immer wieder aufmerksam um. Langsam und unauffällig steuert Helle den Wagen bis zum nahe gelegenen Fritz-Schloss-Park. Dort parkt er hinter Büschen ein, öffnet die Tür und lauscht. Alles still. Nur selten kommt ein Auto vorbei, Fussgänger sind keine zu sehen . Wir steigen aus. Zur Sicherheit lässt Helle die Türen des Wagens geöffnet, um im Notfall so schnell wie möglich fliehen zu können. Wir begeben uns zu einer Hausecke, die an den Park grenzt, um das Eingangsportal des Moabit genau beobachten zu können. Langsam steigt die Spannung. Nach ein paar kurzen Erklärungen reiche ich Helle die Taschenlampe, damit er Wachmann Kuno das Zeichen für die Flucht geben kann. Ich warte gespannt hinter der Hausecke, bis die Kirchenglocke Mitternacht schlägt.

Dong, dong, dong..., die Glocke hat schon drei Mal geschlagen. Helle macht Kuno mit der Taschenlampe verständlich, dass wir hier sind, bereit, die Befreiungsaktion zu starten. Schon wird die Türe geöffnet und Kuno tritt mit Heiner auf die Strasse. Die Alarm -sirene des Moabit heult auf. Verflucht ! Ein Schreck durchfährt mich. Irgend was ist schief gelaufen ! Auch die anderen sind erschrecken. Jetzt muss alles blitzschnell über die Bühne gehen. Heiner und Kuno eilen immer schneller die Strasse hinauf, um zu uns zu gelangen. Aber schon stürmen die Wachmänner aus der Eingangstür. Zu Fuss wären sie Heiner und Kuno nicht nachgekommen, deshalb verschwinden sie. „Wahrscheinlich, um ihren Dienstwagen im Hinterhof zu holen“, vermutet Helle . Heiner und Kuno sind inzwischen ausser Atem bei uns angekommen und rennen nun mit uns zum Auto. Aufatmend setzen wir uns, die Türen knallen und Helle gibt Gas. Mir ist, als seien nur drei Türen zugeschlagen worden. Erst jetzt bemerke ich, dass Kuno Probleme zu haben scheint, denn seine Hintertür hat sich verklemmt und ist noch nicht zu. Ich will ihm zu Hilfe kommen, doch Helle fährt eine derart enge Kurve, dass ich auf die andere Seite gedrückt werde. Plötzlich ruft Helle: „ Verflucht die Wachmänner ! Ich hatte richtig vermutet.“ Sie waren uns unauffällig, ohne Licht , gefolgt, da wir sehr langsam fuhren. Schon folgt die nächste Kurve, um die Wachmänner abzuhängen : Kuno und ich werden zurückgeworfen. Dabei prallt Kuno mit solcher Wucht gegen die Tür, dass sie sich öffnet und er auf die Strasse geschleudert wird. Auf der Stelle schreie ich Helle sofort zu, er solle sofort anhalten, Kuno sei aus dem Auto gefallen. Solche Schrecksekunden hatte ich noch nie erlebt. Durch die Rückscheibe sehe ich, wie Kuno blutüberströmt im Licht der Strassenlaternen auf dem Asphalt liegt. Helle will sofort umkehren, um ihn zu holen, als im selben Moment der Streifenwagen des Wachpersonals um die Ecke fährt und bei Kuno anhält. Da Helle nahe bei Kuno gehaltet hat, schiessen die Wachmänner nun wie verrückt auf unser Auto, um uns zum Stehen zu bringen und hindern uns damit, zu Kuno zurückzukehren. Unser Leben aufs Spiel zu setzen, wäre viel zu riskant. Dies würden mir das meine Eltern nie verzeihen. Aus diesem Grund müssen wir Kuno zurücklassen, auch wenn es uns schwer fällt.

Trotz dieses grossen Schockes für alle Beteiligten, fuhren wir weiter, um kurz vor dem Alexanderplatz die falschen Ausweise, die unter einer Brücke versteckt sind, zu holen und Heiners Klamotten in der Spree verschwinden zu lassen. Zehn Minuten später geht es wieder heimwärts. Während Heiner sich die Kleider, die unter dem Rücksitz des Autos versteckt waren, überstreift, diskutieren Helle und ich noch über Kuno, da unser aller Mitleid auf seiner Seite ist.

In dieser Nacht dachte ich noch sehr viel nach und kehrte tief in mich hinein. Ich freute mich darüber, dass ich endlich einmal helfen, zudem den Nazis einen Streich spielen und Heiner befreien konnte. Hauptsächlich beschäftigte mich jedoch der Vorfall von Kuno. Er liess alle Freuden versiegen. Wir konnten zwar Heiner retten, doch diesem jungen Mann wurde in jener Nacht sein Lebenstraum, im Ausland ein neues Leben zu beginnen, zunichte gemacht.

Michi Finsterwald

Ende der Leseprobe aus 3 Seiten

Details

Titel
Die Flucht
Autor
Jahr
2001
Seiten
3
Katalognummer
V100638
ISBN (eBook)
9783638990639
Dateigröße
355 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Flucht
Arbeit zitieren
Michi Finsterwald (Autor:in), 2001, Die Flucht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100638

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