Brigaden in der DDR


Seminararbeit, 2000

11 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Brigaden in der DDR
2.1 Die Entstehungsgeschichte der Brigaden
2.1.1 Die Entstehung der Arbeitsbrigaden 1950/51
2.1.2 Die Entstehung der sozialistischen Brigaden 1959/60
2.2 Die Rolle der Brigaden innerhalb des Betriebes
2.2.1 Das Spannungsverhältnis zwischen Meister und Brigadier
2.2.2 Das Brigadetagebuch
2.3 Das Wirken der Brigade nach außen: Die „Patenschaftsverträge“

3. Bilanz

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Brigaden waren die Institutionen, die am längsten neben und unterhalb von Partei und Gewerkschaft vom Anfang bis zum Ende der DDR existierten“.1 Diese Beschreibung vermittelt einen ersten Eindruck von dem, um was es hier in dieser Arbeit geht. Die Brigaden waren die in der DDR am weitesten verbreitete Organisationsform der kleinsten Arbeitsgruppe in den Betrieben und Verwaltungen. Das „Wörterbuch des Ökonomischen Sozialismus“ definierte eine Brigade als ein „Kollektiv von Werktätigen, das nach dem sozialistischen Prinzip der kameradschaftlichen, gegenseitigen Hilfe und Unterstützung arbeitet und unter Leitung des Brigadiers gemeinsam bestimmte Produktionsaufgaben „löst“, um „Höchstleistungen in der Produktion zu erzielen“ und Persönlichkeitsentwicklung“ der Brigademitglieder beizutragen.2

Das Thema Brigaden ist bisher wissenschaftlich kaum untersucht worden, lediglich einige wenige Autoren wagten sich bisher an diese Materie. Es fällt besonders auf, das erst sehr spät, nämlich erst in den 90er Jahren damit begonnen wurde, dieses Stück DDR-Geschichte und DDR-Alltag aufzuarbeiten. An erster Stelle sei hierbei Jörg Roesler genannt, eigentlich der einzige, der sich an eine umfassende Darstellung des Themas gewagt hat. Die Hälfte meiner verwendeten Literatur stammt von ihm und deshalb wird sein Name in nicht wenigen Fußnoten zu lesen sein. Desweiteren sei noch Rüdiger Soldt zu erwähnen, der am Beispiel des Kombinates „Schwarze Pumpe“ gezeigt hat, ob und wie weit die Brigadebewegung die Arbeiter beeinflußt hat. Alle Autoren haben sich zudem nur mit den Anfangsjahren der Brigade- geschichte bis Anfang der 60er beschäftigt. Alles was darüber hinaus zu erfahren war, habe ich den Gewerkschaftszeitschriften „Die Arbeit: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewerkschaften“ und „Arbeit und Arbeitsrecht“ der DDR entnommen im Zeitraum von Mitte der 60er bis Mitte der 80er Jahre.

Diese Hausarbeit ist im großen und ganzen in drei Teile aufgeteilt. Der erste Teil ist chronologisch aufgebaut und zeigt die Entstehungsgeschichte der Brigaden hauptsächlich in den 50er Jahren. Im zweiten Teil schließlich spielt die Rolle der Brigade innerhalb des Betriebes eine wichtige Rolle und wie sie sich in den betrieblichen Alltag eingegliedert hat. Der dritte Teil beschreibt das Wirken der Brigade außerhalb des Betriebes.

2. Brigaden in der DDR

2.1 Die Entstehungsgeschichte der Brigaden

2.1.1 Die Entstehungsgeschichte der Arbeitsbrigaden 1950/51

In der Industrie der DDR/SBZ entstanden die ersten Produktionsbrigaden nach sowjetischem Vorbild 1947/48. Bis Ende 1949 blieb ihre Bedeutung aber gering.

Im Dezember 1949 arbeiteten etwa 13 000 Arbeiter und Arbeiterinnen in etwa 1000 Brigaden, vor allem in der Textilindustrie. Im März 1950 faßte der Bundesvorstand des FDGB nach einer Reise einiger Vorstandsmitglieder in die Sowjetunion die sogenannten „Berliner Beschlüsse“: Arbeitsbrigaden sollten in möglichst großer Zahl in den volkseigenen Betrieben entstehen und als kleinste Produktionseinheit die aus dem Kapitalismus übernommenen Kolonnen ablösen.3 Am Anfang einer Brigade stand der Brigadevertrag. In diesem Gründungsdokument, das zwischen den Mitgliedern der zukünftigen Brigade und der Werkleitung geschlossen wurde, verpflichteten sich die Arbeiter zur Steigerung der Produktion und um verbesserte Qualität der Arbeit. Im Gegenzug verpflichtete sich die Werkleitung z.B. für einen kontinuierlichen Auftragsbestand zu sorgen, einen störungsfreien Produktionsablauf zu gewährleisten und herausragende Wettbewerbsleistungen besonders zu prämieren.4

An der Spitze einer Brigade stand der Brigadier. Eine Brigade umfaßte im Durchschnitt 10-20 Kollegen. Bildung und Auflösung von Brigaden erfolgte nach dem Freiwilligkeitsprinzip. Die Werkleitung war aber in der Regel durchaus in der Lage, auf Anzahl und Struktur der Brigaden im Betrieb Einfluß zu nehmen.5 Neben den Arbeitsbrigaden und den sozialistischen Brigaden, die ich später noch genauer betrachte, entstanden eine ganze Reihe von Spezialbrigaden. Frauenbrigaden, die häufig in der Textil-, und Chemieindustrie entstanden, sollten auf die besonderen Probleme der Frauenarbeit, die sich aus der Doppelbelastung durch Erwerbstätigkeit und Haushaltsführung ergaben, nach Möglichkeit Rücksicht nehmen. Sie wurden auch von einem weiblichen Brigadier geleitet.

Jugendbrigaden bestanden überwiegend aus Jugendlichen. In ihren Programmen spielten Ausbildung und Qualifizierung eine größere Rolle als in anderen Brigaden. Die Jugendbrigade „Nikolai Mamai“ des Elektrochemischen Kombinates Bitterfeld war die Vorzeigebrigade der DDR. Sie war die erste, die sich 1959 um den Titel einer sozialistische Brigade bewarb. Verwaltungsbrigaden wurden in der Regel in den kaufmännischen Abteilungen der Betriebe gebildet.6

Bis Ende 1950 erhöhte sich der Anteil der Arbeitsbrigaden auf 98 000 in allen Industriezweigen mit 663 000 Mitgliedern. Im März 1951 arbeiteten nach einer Zählung des FDGB 30,7% der Beschäftigten in Brigaden. Die Ereignisse um den 17. Juni brachten zwar einen beträchtlichen Rückgang aber in den folgenden Jahren wuchs die Zahl der Arbeitsbrigaden erneut stark an, und 1957 umfaßte sie 179 000 Brigaden mit 1,9 Mio. Mitgliedern.7

2.2.2 Die Entstehung der sozialistischen Brigaden 1959/60

Ende 1958 inszenierte der FDGB eine neue „höhere“ Form der Brigadebewegung: Die „Brigaden der sozialistischen Arbeit“. Ihre Mitglieder verpflichteten sich, nicht nur „sozialistisch“ zu arbeiten, sondern auch „sozialistisch zu leben und zu lernen“. Für die Mitglieder der sozialistischen Brigaden wurde der Bereich „kollektiven Lebens“ über die betriebliche Sphäre hinaus auf Weiterbildung und vor allem auf die Freizeitgestaltung ausgedehnt. Arbeitsbrigaden wurden nicht ohne weiteres zu „sozialistischen Brigaden“, und nur ein geringer Teil der um den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit“ sich bewerbenden Kollektive erhielt den Titel als Auszeichnung nach einem oder mehreren Jahren verliehen. Bis Mitte der 60er Jahre lag dieser Anteil bei weniger als 3 Prozent.8 Der Titel galt für ein Jahr und mußte jedes Jahr verteidigt und neu errungen werden. Hilfsmittel für die Erringung des Titels waren z.B. das Brigadetagebuch und auch außerbetriebliche Aktivitäten auf die ich noch näher eingehen werde. Die sozialistischen Brigaden waren also eine Weiterentwicklung der Arbeitsbrigaden und nicht etwa etwas völlig Neues.

2.2 Die Rolle der Brigade innerhalb des Betriebes

2.2.1 Das Spannungsverhältnis zwischen Meister und Brigadier

Die Stellung der Brigade im Betrieb war von Anfang an ambivalent gewesen. Die Brigade als kleinste Form des Arbeitskollektives stand immer im Gegensatz zum Meisterbereich des Betriebes. Es gab unterschiedliche Auffassungen über die Rolle der Brigade, war sie nun eigenständiges Element der Betriebsorganisation oder nur das Ergebnis einer Untergliederung des Meisterbereiches.9 Genauso büßte die Position des Brigadiers im Produktionsprozeß an Bedeutung ein. Der Brigadier konnte aufgrund der fehlenden kaufmännischen Ausbildung im Produktionsprozeß nicht mit dem Meister konkurrieren. Der Kompetenzgewinn des Meisters wurde in der „Verordnung über die Rechte und Pflichten der Meister“ vom Juni 1952 festgelegt:

„Der Meister bildet in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaftsorganisationen entsprechend dem technologischen Prozeß Arbeitsbrigaden und schlägt dem Abteilungsleiter oder Werkleiter die Brigadiers zur Bestätigung vor“.10 Die Brigadiere waren damit eindeutig dem Meister untergeordnet, seine Position wurde gestärkt. Diese Entscheidung war auch eine Schwächung des FDGB, der nun wesentliche Kompetenzen für die Gestaltung der Brigadebewegung an die staatliche Leitung des Werkes und damit der SED verloren hatte. Für sie war immer klar gewesen, daß der Meisterbereich der kleinste Produktionsabschnitt sei. Da es den Brigadieren leicht fiel, sich die Unterstützung ihrer Brigade zu sichern, waren Kompetenzgerangel und Konflikte an der Tagesordnung. So machten Brigadiere oft die Meister für die schlechte Arbeitsorganisation und Materialversorgung verantwortlich.11

Diese Verordnung von 1952 brachte aber nicht die gewünschte Ruhe und Ordnung in die Betriebe. Schon kurz nach dem Start der sozialistischen Brigaden Anfang der 60er Jahre kam es immer wieder zu Angriffen auf die Position des Meistern, als einzelne Brigaden versuchten, dem Meister vorbehaltene Entscheidungen, die Material- und Arbeitskräftenormung und Verbesserungsvorschläge, in die eigene Hand zu nehmen. Auch in diesem Fall griff die SED massiv ein. Ein Problem war auch die unterschiedliche Handhabung dieser Entwicklung durch die einzelnen Kombinate. So wurden Brigadieren zunehmen Leiteraufgaben übertragen, die oft der Funktion eines Meisters entsprachen. In einigen Kombinaten wies die betriebliche Arbeitsordnung leitende Kader nur bis zur Ebene des Meisters aus, während bei anderen Kombinaten Brigadiere mit als leitende Kader genannt wurden und die entsprechenden Forderungen zu erfüllen hatten. Hierin zeigt sich, das der Einsatz von Brigadieren und damit die Stellung der Brigaden im Betrieb nach recht unterschiedlichen Kriterien erfolgte und ihre Funktion nicht nur unterschiedlich, sondern oft auch subjektiv bestimmt wurde.12

2.2.2 Das Brigadetagebuch

Die Brigaden trugen auch zur Verhütung von innerbetrieblichen Konflikten bei.

Betriebsinterne Konflikte wurden geklärt und die innerbetriebliche Kommunikation wurde verbessert. Ein Kommunikationsmittel war das Brigadetagebuch. Während der Kampagne zur Gründung von „Brigaden der sozialistischen Arbeit“, wurde immer wieder auf die Führung eines Brigadetagebuches verwiesen. In ihm wurden Ereignisse aus dem Arbeitsleben und aus der Freizeit der Brigademitglieder nieder geschrieben. Brigadetagebücher sollten eine Chronik der Entwicklung des sozialistischen Arbeitens, Lernens und Lebens sein. Es wurde per Akklamation ein Tagebuchführer bestimmt, Tagebucheintragungen wurden vorher mit der gesamten Brigade besprochen.13

Das Führen eines Tagebuches war in den sozialistischen Betrieben weit verbreitet. Es war als Ausdruck kultureller Betätigung weitgehend akzeptiert. So kamen zwischen 1959 und 1970 im Durchschnitt jährlich 15.000 Tagebücher zustande.14 Sie hatten große Bedeutung für die Selbstverständigung der Brigaden über Geplantes und Erreichtes, über besonders Gelungenes und über Kritikwürdiges bei der Lösung der Planaufgaben im Wettbewerb und bei der Gestaltung des geistig-kulturellen Lebens. Die Tagebücher wurden in größeren Abständen der Werksleitung vorgelegt und diese gab dazu ihr Urteil ab. Dieser Vorgang war auch Teil des Auszeichnungsmodus zum Erwerb des Titels einer sozialistischen Brigade. Manche Brigadetagebücher waren deshalb auch nur „Pflichtübung“, „ weil das zur Erringung des Staatstitels gefordert wird“. Sie hatten mehr ein Bilderbuch- oder Fotoalben - Charakter. Enthusiasten führten bis zum Ende der DDR ein Brigadetagebuch.15

2.3 Das Wirken der Brigade nach außen: Die “Patenschaftsverträge“

Das Handeln und Wirken der Arbeitsbrigade war ganz allein auf den Betrieb beschränkt. Sie sollte helfen, die „Beziehungen kameradschaftlicher Zusammenarbeit und gegenseitiger Hilfe“ im Betrieb durchzusetzen. Die „politische Arbeit“ im Betrieb und auch außerhalb war ganz allein Sache der Partei- und Gewerkschafts- organisationen. Im Vergleich zur Arbeitsbrigade hatte die sozialistische Brigade sehr vielfältige Aufgaben. Das Motto „sozialistisch arbeiten, leben und lernen“ wies über die Arbeitssphäre und über den Betrieb hinaus. Die von den Brigaden ausgehenden Bemühungen um die Durchsetzung der sozialistischen Moral sollte eben nicht vor den Werkstoren haltmachen. Die Familien der Brigademitglieder, Ehepartner und Kinder waren in den Prozeß der Erziehung zum „sozialistischen Menschen“ einzubeziehen. Dazu gehörte es auch, daß die Brigaden ihre außerwirtschaftlichen und außerbetrieblichen Aktivitäten im Titelkampf ebenso abzurechnen hatten wie Erfolge bei der Materialeinsparung am Arbeitsplatz oder die Übernahme einer Gewerkschaftsfunktion im Betrieb.16

Solch eine außerbetriebliche Aktivität war die enge Zusammenarbeit mit den polytechnischen Oberschulen: Fast jede Brigade übernahm die Patenschaft über eine Klasse der nächstgelegenen Schule. Es sollte erreicht werde, daß jeder Schulklasse gleich zu Beginn des ersten Schuljahres eine Brigade zur Seite gestellt wird und das die beiden Partner bis zur Beendigung der Schulzeit, das sind in der Regel zehn Jahre, miteinander verbunden bleiben. Es wurden sog. Patenschaftsverträge geschlossen, die zunächst ein Schuljahr umfaßten. Bei der Verlängerung und Überarbeitung der Verträge konnte man dann jeweils auf die Spezifik der Lehrpläne und Altersstufen besser eingehen. Der Inhalt solcher Verträge war speziell auf die Förderung der Bildung, Erziehung und auf eine sinnvolle Freizeitgestaltung gerichtet. So wurden z.B. Gruppen-Nachmittage, Kulturveranstaltungen, Bildungs- und Heimatabende, Wanderungen aber auch Förderunterricht für leistungsschwache Schüler veranstaltet. Ein wichtiger Punkt war die Hilfe bei der Berufsfindung. Die Patenklassen kamen zu den Brigaden an die Arbeitsplätze, wo sie Perspektiven für ihre spätere Entwicklung aufgezeigt bekamen. Viele Schüler der Patenklassen wurden nach ihrer Schulzeit Lehrlinge in den Patenbrigaden.17 Die Brigaden engagierten sich außerdem für die Jugendweihe oder bei den LPG´s durch Erntehilfe auch auf der Grundlage von Patenschaftsverträgen. Die sozialistischen Brigaden hatten weniger eine wirtschaftliche Funktion sondern vielmehr eine politische Funktion, sie förderten die Systemstabilisierung.18

Aber nicht alle waren mit dieser Art der verordneten Freizeitgestaltung einverstanden. Diese außerbetrieblichen Aktivitäten gingen in der Regel von der eigentlich individuell gestaltbaren Freizeit ab. Es entstand eine Art von „gesellschaftlicher Kontrolle“ des Privatlebens der Arbeiter und ihrer Familien. Individuelle Gestaltungsmöglichkeiten im Freizeitbereich wurden eingeschränkt. Vielen ging die Brigadebewegung und ihre Einmischung und Ausdehnung auf das Privatleben einfach zu weit. So ist es auch nicht verwunderlich, daß trotz der ständigen Zunahme der Anzahl sozialistischer Brigaden in Industrie, Handel, Verkehr und Verwaltungen, wie sie in den sechziger und 70er Jahren zu beobachten war, nicht zu einer „flächendeckenden“ Einflußnahme der Brigaden auf Familie, Schule und Gemeinden führte, sondern daß,- mit Ausnahme des Schulbereichs- die außerbetrieblichen Aktivitäten der Mitglieder schließlich nur noch auf dem Papier standen.19

3. Bilanz

Über den Erfolg oder Mißerfolg der Brigadebewegung läßt sich nicht so ohne weiteres ein Urteil fällen. Hier muß man zwei verschiedene Aspekte beachten, den sozialen und den wirtschaftlichen Aspekt. Vom sozialen Aspekt her gesehen, war die Brigadebewegung ein Erfolg: Das soziale Umfeld, das die Brigaden geschaffen hatten, war ein wichtiger Teil ihres Erfolges. Teilnehmer einer sozialistischen Brigade zu sein bot gewisse materielle Vorteile: Prämien, die ausgeschüttet wurden, oder wie bei Produktionsbrigaden in die Brigadekasse wanderten und später für Brigadeveranstaltungen (Ausflüge) gemeinschaftlich verbraucht wurden.20 Mehr aber ging es um die Teilnahme an einigen Sozialleistungen des Betriebes wie Kindergärten, Kindergrippe und Ferieneinrichtungen, welche die Mitarbeiter mit ihren Familien nutzen konnten. Sozialleistungen standen zwar allen im Betrieb zur Verfügung, waren sie aber knapp, wurden Brigademitglieder bevorzugt gegenüber der normalen Belegschaft. Mitglieder von Frauenbrigaden hatten günstigere Aussichten auf einen Krippenplatz als andere weibliche Beschäftigte.21 Die größte Anziehungskraft der Brigade bestand vermutlich darin, das sie auch als ein kommunikatives Zentrum fungierte. An dieser Kommunikation konnten sich alle Brigademitglieder gleichberechtigt beteiligen. Mit der Zeit entstand ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das über viele Jahre gemeinsamer Arbeit geprägt wurde. Vielen Menschen gab das Sicherheit und Geborgenheit.22

Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen, war die Brigadebewegung eine Einrichtung, die zum Scheitern verurteilt war. Waren in den 50er Jahren die Arbeitsbrigaden auf ökonomischen Fortschritt und Erhöhung der Arbeits- produktivität angelegt, schienen mit dem Wettbewerb zur sozialistischen Brigade diese Ziele in den Hintergrund gerückt zu sein. Der „sozialistische Wettbewerb“ verkümmerte zum Selbstzweck; Leistungskriterien wurden geringgeachtet und nachlässig gehandhabt, ihre effektive Durchsetzung konnte nie erreicht werden. Die ständige Auseinandersetzung und Kompetenzgerangel zwischen Meister und Brigadier war nur ein Zeichen der Konzeptlosigkeit und verfehlter Planung. Die einst hochgelobten Jugendbrigaden verkamen zur Kaderschmiede des FDGB, sie waren nur noch ein Sammelbecken aus dem der FDJ, der FDGB und die SED ihr politisches Personal rekrutierten. Es war illusionär zu glauben, eine sozialistische Brigade könne mit bunten Brigadetagebüchern und einem Stapel Patenschafts- verträge imstande sein, eine die westlichen Leistungsstandards übertreffende Arbeitsproduktivität zu erreichen.23

Literaturverzeichnis

Enke, Otto: Keine Verlagerung der Verantwortung des Meisters, in: Die Arbeit: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewerkschaften (1974), Nr. 11, 335-337

Hammerschmidt, Gerhard: Zum Einfluß des Brigadetagebuches auf die Kollektiverziehung, in: Die Arbeit: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewerkschaften (1971), Nr. 6, 46-49

Herbst, Andreas/ Ranke, Winfried/ Winkler, Jürgen: So funktionierte die DDR. Reinbek 1994, Band 1

Hübner, Peter/ Klaus, Tenfelde (Hrsg): Arbeiter in der SBZ-DDR. Essen 1999

Lexikon des DDR-Sozialismus: das Staats- und Gesellschaftssystem der Deutschen Demokratischen Republik/ Rainer Eppelmann... (Hrsg.)

Paderborn 1997, Bd.1 A-M

Lind, Maria-Agnes: Wie bei uns die Patenschaftsarbeit zwischen Betrieb und Schule aussieht, in: Arbeit und Arbeitsrecht (1970), Nr. 4, 131-135

Parmalee, Patty Lee: Brigadeerfahrungen und ostdeutsche Identitäten,

in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 38 (1996), Nr.4, 70-86

Roesler, Jörg: Die Produktionsbrigaden in der Industrie der DDR. Zentrum der Arbeitswelt?, in: Hartmut Kaelble, Jürgen Kocka und Hartmut Zwahr (Hrsg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, 144-170

Roesler, Jörg: Zur Rolle der Arbeitsbrigaden in der betrieblichen Hierarchie der

VEB. Eine politik- und sozialgeschichtliche Betrachtung, in: Deutschlandarchiv 30 (1997), Nr.5, 737-750

Roesler, Jörg: Gewerkschaften und Brigadebewegung in der DDR,

in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 38 (1996), Nr.3, 3-26

Soldt, Rüdiger: Zum Beispiel Schwarze Pumpe: Arbeiterbrigaden in der DDR, in: Geschichte und Gesellschaft, 1/98, 88-109

[...]


1 Roesler, Jörg (1997), 737

2 Soldt, Rüdiger, 90

3 Roesler, Jörg (1994), 144

4 Roesler, Jörg (1994), 146

5 Roesler, Jörg (1997), 737

6 Roesler, Jörg (1994), 148f

7 Roesler, Jörg (1996), 5

8 Roesler, Jörg (1994), 145

9 Roesler, Jörg (1994), 154f

10 Roesler, Jörg (1997), 741f

11 Soldt, Rüdiger, 92

12 Enke, Otto, 335

13 Herbst, Andreas, 136

14 Roesler, Jörg, (1999), 416

15 Hammerschmidt, Gerhard, 46f

16 Roesler, Jörg (1994), 158

17 Lind, Maria-Agnes, 131f

18 Parmalee, Patty Lee, 79

19 Roesler, Jörg (1994), 159

20 Roesler, Jörg (1994), 160

21 Roesler, Jörg (1994), 162

22 Lexikon des DDR-Sozialismus..., 146

23 Herbst, Andreas, 133

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Brigaden in der DDR
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
Übung: Betriebe in der DDR seit den 1960er Jahren
Note
1,3
Autor
Jahr
2000
Seiten
11
Katalognummer
V100450
ISBN (eBook)
9783638988766
Dateigröße
344 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
10 Seiten
Schlagworte
Brigaden, Betriebe, Jahren
Arbeit zitieren
Torsten Böhm (Autor:in), 2000, Brigaden in der DDR, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100450

Kommentare

  • Gast am 28.11.2002

    Brigadetagebuch.

    Echt gelungene Arbeit !!! Ich sitz auch gerade an einem ähnlichen Thema und profitiere sehr von dieser vollwertigen Hausarbeit eines Leidensgenossen.

Blick ins Buch
Titel: Brigaden in der DDR



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