Heide und Hakenkreuz - Vom Löns-Mythos bis Bergen-Belsen


Seminararbeit, 2000

19 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Der Löns-Mythos und der Nationalsozialismus
1. Löns als Symbolfigur des Dritten Reiches
2. Die Löns-Gebeine
3. Heutiger Nutzungskonflikt mit dem Militär

III. Bergen-Belsen
1. Das Lager bis 1944
2. Die Umwandlung des Lagers in ein Konzentrationslager 1944
3. Der Bergen-Belsen-Prozeß in der MTV-Halle Lüneburg

IV. Lüneburg im Dritten Reich
1. Lüneburg vor und nach der Machtergreifung
2. Lüneburg als Gau-Hauptstadt

V. Zusammenfassung

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Mit dem Begriff Lüneburger Heide verbinden heute viele Menschen ein ganz bestimmtes Landschaftsbild: rosarot blühende Heide, eine sanfte Hügellandschaft, lange Sandwege, Birkenalleen, Findlinge und Heidschnucken. Die von der Saale-Eiszeit geprägte Landschaft wird heute in fünf Areale unterteilt: Die Luheheide, die Ostheide, die Hohe Heide, das Uelzener Becken und die Südheide. Der vornehmlich, eiszeitlich bedingte, sandige Boden lässt nur wenig Nutzungsformen zu, welche durch anthropogene Eingriffe weiterhin eingeschränkt wurden.

Irrtümlicherweise wird immer wieder davon ausgegangen, dass die anspruc hslose Heidevegetation der natürlichen Vegetation des Gebietes entspricht. Tatsächlich handelt es sich bei der heute noch bestehenden Heide um künstlich erhaltene Relikte einer Kulturlandschaft, die durch die großflächige Vernichtung der natürlichen Waldgesellschaften erst entstehen konnte.

Vorliegende Arbeit versucht Einflüsse und Nachlässe des Dritten Reiches auf diese Kulturlandschaft zu erörtern. In diesem Zusammenhang lassen sich sicher viele Themenkreise behandeln, im Folgenden sind es derer drei. Betrachtet wird der Heide-Dichter Hermann Löns, der auch 20 Jahre nach seinem Tod von den Nationalsozialisten zum Nationalhelden stilisiert wird. Diese Stilisierung kulminiert in dem geplanten Staatsbegräbnis für Hermann Löns, welches zu einer absurden Anekdote wurde. Ferner wird die Geschichte des Konzentrationslagers Bergen-Belsen dargelegt, sowie der heute noch bestehende Konflikt den Landesverteidigung und Heimatschutz gegeneinander austragen. Die Bedeutung der Stadt Lüneburg im Dritten Reich bildet den Schlusspunkt der Arbeit.

II. Der Löns -Mythos und der Nationalsozialismus

1. Löns als Symbolfigur des Dritten Reiches

Löns wurde von der nationalsozialistischen Kulturpolitik zum Nationalhelden stilisiert. Es stellt sich die Frage, wie es dazu kam, dass Löns als „Vaterlandsbejaher“, als „nirgends bekämpfte(r) Dichter gerade völkischer Kreise“ und als „Künder des Reiches Adolf Hitler(s)“1 bezeichnet wurde. Zur Erklärung muss zunächst auf die Lönssche Biographie und auf die Lönsschen Werke eingegangen werden. Es lassen sich hier eindeutig Tendenzen aufweisen, die den Vorstellungen der Nationalsozialisten zugute kamen. Geboren in Westpreußen kam Löns 1891 nach Hannover. Er arbeitete zunächst als wechselhaft erfolgreicher Journalist, hatte aber auch den Wunsch als Schriftsteller anerkannt zu werden. In Hannover, wo Löns auch den Großteil seines Lebens verbrachte (1891 - 1907 und 1912 - 1914), führte er das Leben eines Bohemien; er war gut gekleidet und hatte Oscar Wilde zum Vorbild, man konnte ihn demnach durchaus als einen modernen Menschen bezeichnen. Nachdem 1909/1910 seine Tiererzählungen aus dem Band „Mümmelmann“ und die Bauernromane „Der letzte Hansbur“, „Dahinten in der Heide“ und „Der Wehrwolf“ erschienen, galt Löns als der Dichter der Heide. Die Heide diente Löns als Ort des Rückzugs aus der Stadt; im Zuge dessen stilisierte er sich selber zum ‚Jägerpoeten’. Die Lüneburger Heide war für Löns der Ort, an dem er seine Identität finden wollte. Löns schafft in seinen Werken ein Idealbild der „Heimat, die erfüllt ist von Liebe, Heimatglück und Harmonie mit der Natur und den Lesern in einem Überschwang von Gefühlen mitreißt“2. Obwohl Heimat eigentlich ein eher subjektiv bewerteter Begriff ist, gelingt es Löns eine Art ‚allgemeine Heimat’ zu schaffen, die bei vielen Menschen das gleiche Gefühl von Glück oder Identifikation hervorrief. Auffallend in Löns Werken ist die wiederholte Konzentration auf Kämpfen und Siegen bzw. auf stark und schwach und somit auf eindeutig sozialdarwinistische Tendenzen. Natur setzt Löns gleich mit Kampf. Dies wird in seinen Jäger-Erzählungen deutlich. Löns stilisiert den Heidebauern zum idealen deutschen Menschen. „Der Bauer ist das Volk, ist der Kulturträger, ist der Rasseerhalter“3. Dies rückt besonders, neben „dem blonden Mensch germanischer Prägung“4 in seinem Roman „Der Wehrwolf“ in den Vordergrund. Vor allem dieser Roman wurde zur politischen Propaganda missbraucht. Der erfolgreichste Roman Löns´ spielt zur Zeit des 30-jährigen Krieges und handelt von Heide-Bauern, die sich zu eine r Wehrorganisation zusammenschließen, um so gegen plündernde Soldaten vorzugehen. Sie wollen ihre Gemeinschaft verteidigen und greifen aus Notwehr zu den Waffen. Der Roman schließt mit einem Nachfahren des Protagonisten, der das Symbol für die Kontinuität germanischer Wehrkraft - einen Bleiknüppel - vererbt bekommt.

Ebenfalls von Wichtigkeit ist Löns Einsatz für den Naturschutz. Löns war Mitbegründer des „Heimatbundes Niedersachsen“ sowie im „Ausschuss für Heideforschung“. Naturschutz wurde zu Löns´ Zeit allerdings noch viel mehr mit Heimatschutz gleichgesetzt. Es ging eher um die Verschönerung der Landschaft als um die heutigen Probleme, wie Wasser- oder Luftverschmutzung. Für Löns ist Naturschutz mit Rasseschutz gleichzusetzen, für ihn ist Naturschutz „ein Kampf für die Gesunderhaltung des gesamten Volkes, ein Kampf für die Nation, für das Gedeihen der Rasse.“5 Gerade hierin sahen die Nationalsozialisten das propagandistische Mittel. Wenn Löns von Rasse spricht, meint er bestimmt nicht nur die Tierrassen, sondern überträgt dieses „auf die menschliche Gesellschaft und auf politische Systeme“6.

Das Wichtigste für die nationalsozialistische Propaganda war jedoch Löns` heldenhafter Tod, „das bedingungslose Opfer, was er zu Ehren des Vaterlandes, für Blut und Boden“7 gegeben hat; allem voraus die Tatsache, dass er sich freiwillig als Wehrdienstleistender meldete. Allerdings wurde das Vorbild Löns nicht erst von den Nationalsozialisten entdeckt. In den 20er Jahren fand die Konstatierung des Löns-Mythos schon den Anfang. Der Hauptteil der Lönsschen Sekundärliteratur wurde in diesen Jahren veröffentlicht, allerdings war sie oft zu unkritisch, kitschig und blauäugig. Es waren die 20er Jahre, in denen ein regelrechtes Löns- Merchandising entstand. Die Kommerzialisierung wurde deutlich in der Vermarktung von Löns-Gipsbüsten, Löns-Hüten und Löns-Gartenmöbeln. Ebenfalls in den 20er Jahren bildeten sich Löns-Vereine, zudem eine Löns-Gedächtnis-Stiftung. Weiterhin wurden Straßen nach dem Dichter benannt, sowie in der Nähe von Hermannsburg bei Celle ein Löns-Denkmal errichtet8. Ebenfalls in den 20ern wurde angeregt, was die Nationalsozialisten später in die Tat umzusetzen versuchten. Der Dichter sollte in seiner vermeintlichen Heimat beerdigt werden. Da seine Leiche aber in Loivre nicht gesondert aufgefunden wurde, war der Ort seines Grabes unbekannt, bis Nachforschungen 1933 ergaben, dass er in einem Massengrab bei Loivre ruhte. 1934 allerdings wurde bekannt, dass ein französischer Bauer das Grab Löns´ beim Pflügen auf seinem Acker gefunden hat. Der darauf folgende, geradezu absurde Versuch von den Nationalsozialisten, die Gebeine als propagandistisches Mittel einzusetzen, wird später erörtert.

Der Journalist und Publizist Friedrich Castelle spielte bei der Lenkung des Löns-Mythos eine entscheidende Rolle. Er arbeitete seit Anfang der 20er Jahre systematisch daran Löns zur politischen Symbolfigur zu erheben. Er schaffte es ein ideales nationalsozialistisches Bild von Löns zu kreieren. So wurde Löns vom Erziehungsminister des 3. Re iches zum „Ahnherrn des Nationalsozialismus“9, oder weiterführend zum „Held unseres Dritten Reiches“10 ernannt. Diese Stilisierung findet ihren Höhepunkt in dem von Hitler angeordneten ‚Staatsbegräbnis für Hermann Löns’.

2. Die Löns-Gebeine

Löns ist als 48jähriger freiwillig in den Ersten Weltkrieg gezogen und dort am 26. September 1914 als „der wahrscheinlich am schlechtesten vorbereitete Soldat der deutschen Armee“11 bei Loivre im Sturmangriff gegen französische Alpenjäger gefallen.

Die Verantwortlichen des Dritten Reiches suchten nach „Symbolfiguren, die der geistigen und militärischen Aufrüstung im nationalsozialistischen Sinne dienlich sein konnten“12. Aufgrund vorangegangener Erläuterungen kamen sie auf Hermann Löns. Somit kam die Anregung auf, die, günstigerweise 1934 aufgefundenen Gebeine des Heimatdichters (immerhin knapp 20 Jahre nach seinem Tod), von Frankreich nach Deutschland zu überführen. Der Auftrag der Reichsregierung am 14. August 1934 lautete wie folgt: „Der Herr Reichskanzler hat nach einem Vortrag dahin entschieden, dass die Gebeine des Heimatdichters Hermann Löns aus Frankreich nach Deutschland überführt werden. Kosten für die Überführung und Beisetzung trägt der Staat. Mit der Vorbereitung und Durchführung ist von der Witwe Löns der Schriftsteller Dr. Castelle beauftragt worden. Als Ort der Beisetzung sind die Sieben Steinhäuser im Kreise Fallingbostel in Aussicht genommen.“13.

Die Sieben Steinhäuser sind berühmte, etwa viertausend Jahre alte Grabkammern. Etwa 2 Monate später musste festgestellt werden, dass dieser Bereich zum geplanten geheimen Truppenübungs- und Schießplatz Belsen gehören sollte und folglich nicht als Begräbnisstätte genutzt werden könne. Es entsprach nicht den nationalsozialistischen Vorstellungen, wenn das Grab des Helden der Öffentlichkeit nicht jederzeit zugängig sein konnte. Hier lassen sich schon die ersten Konflikte bezüglich der Nutzungsansprüche der Heide feststellen. Dass dieses Problem bis in unsere Zeit andauern sollte, war zu dem Zeitpunkt nicht abzusehen. Die für den 3. November vorgesehene Bestattung sollte nun unbedingt aufgeschoben werden, bis man sich auf einen alternativen Bestattungsort geeinigt hatte. Castelles Nachricht an das Düsseldorfer Beerdigungsunternehmen, das sich schon in Frankreich befand, erreichte dieses jedoch nicht (vermutlich hat der von Castelle beauftragte Zimmerkellner seinen Auftrag nicht ausgeführt). Folglich kamen die Gebeine am 2. November in Walsrode an. Es folgten Streitereien zwischen den Fallingbosteler Behörden, der NS-Bürokratie und den Verwandten Löns´. Kurzum wurden die Gebeine von SA-Beauftragten in einer Nacht- und Nebel-Aktion am 30. November aus der Fallingbosteler Friedhofskapelle entführt und an der Straße Soltau- Harburg im Bereich des Naturschutzgebietes Wilsede unwürdig begraben. Der Befehl wurde von Goebbels selber ausgesprochen, um die `Angelegenheit Löns´ in aller Stille zu bereinigen14. Im Folgenden wurde dieser Zwischenfall von der Wehrmacht als Anlass genutzt, „die SA auf ihren Platz zu verweisen“15. Als die Wehrmacht einen entsprechenden Versuch startete und bei Hitler um Genehmigung bat, die Gebeine mit militärischen Ehren im Tietlinger Wacholderhain bei Walsrode beisetzen zu lassen, erhielt sie ein Ja ohne Einwand. Daraus lässt sich nur schließen, dass Hitler vo n den Vorgängen nicht im geringsten in Kenntnis gesetzt war. Von Blomberg, der Beauftragte der Wehrmacht, wollte nun erreichen, dass die Gebeine vom selben SA-Trupp, der sie an der B3 begraben hat, auch nach Tietlingen exhumiert werden, um sie öffentlich zu demütigen. Weiterhin wollte er eine rein militärische Veranstaltung durchführen, da dies aber geradezu skandalös gewesen wäre, wurden Vertreter der Partei eingeladen, erschienen aber nicht. Während der Beerdigung wurden nur zwei braune Uniformen gesichtet, die eine trug Löns´ jüngerer Bruder Ernst Löns, die andere Friedrich Castelle. Interessant ist im Weiteren die Tatsache, dass das Gerücht aufkam, die SA plane, der Wehrmacht zuvorzukommen und die Gebeine vorher zu entfernen. Daraufhin wurden an der B3 Wachen aufgestellt, welche auch zum Einsatz kamen. Es tauchten tatsächlich zwei Lastwagen auf, die mit abgeschalteter Beleuchtung wieder abfuhren, als sie die Wache entdeckten. Obwohl die SA durch den Röhm-Putsch im Juli 1934 eigentlich schon von Hitler ent machtet wurde, bestanden die Differenzen zwischen der SA und der Wehrmacht unterschwellig weiter. In diesem Fall gelang es der Wehrmacht, der SA zu demonstrieren, dass sie mächtiger waren.

Nicht überraschend kamen nach der Beerdingung Zweifel auf, ob die umstrittenen Gebeine überhaupt die Lönsschen waren. Sie wurden nämlich nur anhand der Erkennungsmarke des Soldaten Löns´ identifiziert. Hierauf sind aber nicht alle Zahlen deutlich zu erkennen und die Regimentzugehörigkeit ist nicht klar zu entziffern. Auc h die Form der Marke lässt Zweifel aufkommen. Vor allem aber ist fraglich, wieso Löns die Marke überhaupt noch bei sich gehabt hat, denn eigentlich wurde er offiziell als gefallen vermerkt und dies geschieht nur sofern die Marke den Zuständigen vorliegt. Anderenfalls hätte er als vermisst gelten müssen. Womöglich waren die gefundenen Gebeine also gar nicht die Lönsschen. Es stellte sich also die Frage, ob die Überführung der Löns-Gebeine nicht nur als manipulierte Propaganda-Aktion dienen sollte.

3. Heutiger Nutzungskonflikt mit dem Militär

Der Militarismus der Nationalsozialisten hatte zur Konsequenz, dass in der heutigen Südheide der 300 km2 umfassende Truppenübungsplatz Bergen entstand. 1935 mussten dafür gleich 24 Ortschaften von allen Einwohnern verlassen werden16. Im Gegensatz zum Truppenübungsplatz bei Munster. Dieser wurde 1893 vom Kaiser angelegt. Die Gründe für die Standortwahl waren damals die schlechten Böden und die geringe Besiedlung. Die Nationalsozialisten hatten ferner den Plan auch das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide südlich von Harburg für ihre Zwecke inwertzusetzen; der Wilseder Berg sollte eine „gewaltige Festung (...) tragen (...). Fünf riesige steinerne Türme sollen eine Abwehrapparatur der Luftwaffe aufnehmen, zu deren technischer Bedienung über 200 Menschen ausersehen waren (...).“17 Durch großen persönlichen Einsatz und Beziehungen konnten diese Absichten jedoch vom Verein Naturschutzpark unterbunden werden. Der Bau der `Reichsautobahn´ entlang des Naturschutzgebietes, heute die A7 zwischen Hamburg und Hannover, konnte jedoch nicht verhindert werden.

Die drei heute noch bestehenden, in der Zentralheide konzentrierten, Truppenübungsplätze Bergen, Munster-Süd und Munster-Nord bilden zusammen mehr als die Hälfte aller deutschen militärischen Übungsflächen sowie das größte europäische Truppenübungsgebiet des westlichen Verteidigungsbündnisses. Es üben ständig bis zu 12.000 Soldaten. Bergen steht allen Nato-Truppen für Gefechtsübungen größerer Verbände zur Verfügung, Munster-Nord (17.000 ha) ist der Übungsplatz für gepanzerte Truppen, Munster-Süd (10.000 ha) dient als Schießübungsplatz. Unumgänglich ist also der Konflikt. Nicht nur Landschaftsschutz und Landesverteidigung stoßen hier aneinander. Auch die Heide als Erholungslandschaft mit ausgeprägter touristischer Infrastruktur befindet sich im Konflikt mit dem Militär. Die Belastungen heute sind weitreichend. Sie bestehen aus visuellen Störungen, Lärm durch Panzer- und Artillerieschießbetrieb (auch nachts) und Flugbetrieb, Staubentwicklung, Luftverschmutzung, Entzug wertvoller Flächen für den Naturschutz und die Erholung, Bodenerosion, Einschränkung der Funktionsfähigkeit von Wasser- und Landschaftsschutzgebieten, Bodenerschütterungen und damit Einsturzgefahr von Häusern und Störungen des zivilen Verkehrs (z.B. durch Straßenverschmutzung) bis hin zur Gefährdung durch Fehlschüsse.18

Aufgrund des „Soltau- Lüneburg-Abkommens“ im Jahre 1959 wurde auch der südliche Teil des Naturschutzparkes Lüneburger Heide militärisch genutzt. In diesem Abkommen wurden zwischen dem Vereinigten Königreich und der Bundesrepublik Deutschland zusätzlich zu den schon bestehenden Plätzen neue Flächen zur Durchführung von Manövern und Übungen festgelegt. Lösungsansätze sind zwar rar, Teilerfolge jedoch sichtbar so z.B. mit der Beendigung des militärischen Übungsbetriebes im Naturschutzgebiet in jüngster Zeit auf der Grundlage neuer vertraglicher Vereinbarungen. Ferner wurde erreicht, dass der Betrieb der Übungsplätze in der Hochsaison in den Sommermonaten eingeschränkt wurde

III. Bergen-Belsen

1. Das Lager bis 1944

Das ehemalige KZ Bergen-Belsen steht heute noch als Symbol der unmenschlichsten Vorgänge im nationalsozialistischen Konzentrationslagersystem. In Konzentrationslagern wurden seit der Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933 Gegner des Nationalsozialismus und Menschen, die zu Gegnern erklärt wurden inhaftiert und anfangs vereinzelt, später in Massen ermordet. Von den Nationalsozialisten wurden die KZ lediglich als Verwahrungs- und Erziehungslager bezeichnet. Menschen, „die sich als Schädlinge am deutschen Volkskörper erwiesen haben und deren Sinnesänderung insoweit aussichtslos erscheint“19 sollen hier festgehalten werden, um sie „vorübergehend unschädlich zu machen und sie zu brauchbaren Volksgenossen zu erziehen.“20

Das im Frühjahr 1943 errichtete Lager Bergen-Belsen, und damit das Jüngste, war zwar von Anfang an der Konzentrationslagerverwaltung unterstellt, innerhalb des Systems nahm es aber eine besondere Stellung ein. Es wurde zunächst als sogenanntes ‚Aufenthaltslager’ errichtet.

Es sollte lediglich dazu dienen wenige Tausend europäische Juden zu konzentrieren damit sie vor ihrer Auslieferung in die Vernichtungslager noch für eventuell auftauchende Austauschzwecke zur Verfügung zu stehen können21. Es handelte sich hierbei vornehmlich um Juden mit doppelter Staatsbürgerschaft, der deutschen, sowie der britischen oder amerikanischen. Diese konnten möglicherweise gegen Deutsche ausgetauscht werden, die sich im britischen oder amerikanischen Machtbereich befanden.

Das Areal, wo das Aufenthaltslager 1943 errichtet wurde hatte bereits eine eigene Geschichte. Es stand dort seit 1936 eine Barackensiedlung, die als Unterkunft für Bauarbeiter diente. Die Bauarbeiter waren eingesetzt worden um eine Kaserne auf dem dort entstehenden Truppenübungsplatz zu errichten. Ab 1938 dienten die Baracken als Arsenal für Waffen, Munition und Ausrüstung. Ab 1940 wurden dort französische und belgische Kriegsgefangene untergebracht, die das Lager ausbauen mussten. In dieser Zeit wurde das Lager auch zu einem Aufnahmelager für russische Kriegsgefangene. Bis November 1941 kamen ca. 20.000 russische Kriegsgefangene in das Lager. Bis zum Frühjahr 1942 sind ca. 18.000 Gefangene aufgrund von Fleckfieber, Ruhr, Typhus oder allgemeiner Schwäche und Erschöpfung gestorben. Am 10. Mai 1943 wurde die Bezeichnung „Zivilinterniertenlager Bergen-Belsen“ offiziell von der Konzentrationslagerverwaltung bestätigt. Im Juni jedoch wurde diese Bezeichnung in ‚Aufenthaltslager’ geändert, „da Zivilinterniertenlager gemäß der Genfer Konvention internationalen Kommissionen zur Besichtigung zugänglich sein müssen.“22. Da das Lager jedoch zunächst erweitert und wieder instand gesetzt werden musste, war eine sofortige Belegung des Lagers mit Austauschjuden nicht möglich. Die ersten Transporte, die also in Bergen-Belsen eintrafen, waren Gruppen von anderen Konzentrationslagerhäftlingen, die eingesetzt wurden um bauliche Tätigkeiten zu verrichten. Zwischen dem 7. Juli und dem 21. Oktober trafen die ersten Austauschjuden ein. 2500 polnische Juden, überwiegend mit lateinamerikanischer Staatsangehörigkeit. Es folgten weitere Transporte mit griechischen, palästinensischen, spanischen, holländischen (welche die zahlenmäßig größte Gruppe darstellte), italienischen, französischen, albanischen, jugoslawischen und ungarischen Juden. Durch die Einweisung dieser Gruppen stieg die Zahl der Gefangenen in jenem Lagerteil, in dem die eigentlichen Austauschjuden untergebracht waren, von 379 am 1. Januar 1944 auf rd. 4100 am 31. Juli 194423.

Letztlich konnte der Austauschplan der Nationalsozialisten nur in einem sehr geringen Umfang realisiert werden. Anstatt geplanten 30.000 Menschen sind nur 358 Juden durch Austausch in die Freiheit gelangt. Für den Großteil der Juden bedeutete der hoffnungsvolle Aufenthalt in Bergen-Belsen demnach nur eine Zwischenstation auf dem Weg ins Vernichtungslager.

Im Unterschied zu Konzentrationslagern lebten die Häftlinge nicht zusammen und den gleichen Lagerordnungen unterstellt, sondern es war in acht Lagerabteilungen untergliedert, welche durch hohe Stacheldrahtzäune voneinander abgegrenzt waren. Diese Ordnung verdeutlichte die verschiedenen Intentionen und Zwecke der Verantwortlichen. Im Häftlingslager war das Baukommando untergebracht. Das Häftlingslager, mit vorwiegend Russen und Polen, wurde von Anfang an wie eine Konzentrationslager verwaltet. Die Gefangenen mussten Sträflingskleidung tragen, wurden gezwungen hart zu arbeiten und wurden durch die SS misshandelt. Eine hohe Sterblichkeitsziffer war für dieses Lager bezeichnend. Nachdem es 40 russische Häftlingen gelungen war auszubrechen, wurde das Lager aufgelöst, allerdings auch aufgrund der Tatsache, dass die Verantwortlichen dieses Lager zu einem Aufnahmelager für erschöpfte und nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge aus anderen Konzentrationslagern umfunktionieren wollten, dem späteren ‚Erholungslager’. Im Neutralenlager gab es hingegen keinen Arbeitszwang. Hier lebten mehrere Hundert Juden mit Staatsangehörigkeit neutraler Staaten. Aufgrund von guten sanitären Verhältnissen und ausreichend Essen, waren die Umstände hier vergleichsweise gut.

Im Sonderlager waren ca. 350 polnische Juden gefangen, die nicht in Kontakt mit west- und südeuropäischen Juden treten sollten, um ihnen von den nationalsozialistischen Greueln in Polen und Russland zu erzählen. Aus diesem Grund durften sie auch nur interne Lagerarbeiten verrichten.

Das Ungarnlager wurde für die - überwiegend prominenten - ungarischen Juden errichtet, die im Rahmen der legendären Becher-Kastner-Aktion (auf diese kann hier nicht weiter eingegangen werden) mit dem Musterzug aus Budapest nach Bergen-Belsen kamen. Aus der ersten Gruppe der eingereisten Ungarn, 1683 an der Zahl, durften insgesamt 1365 Personen in die Schweiz ausreisen, nachdem Himmler gegen Geld und Waren mit ausländischen jüdischen Organisationen verhandelte. Auch in diesem Lager herrschten vergleichsweise erträgliche Zustände.

Das zahlenmäßig stärkste Sternlager erhielt seinen Namen aufgrund der Tatsache, dass alle hier lebenden Juden, vorne hmlich Holländer, einen Judenstern tragen mussten. Hier bestand Arbeitszwang, Männer und Frauen wurden getrennt, die Ernährung war schlecht und auch hier wurden Insassen von der SS misshandelt.

Wäre das Lager Bergen-Belsen in diesem Zustand geblieben, hätte es wohl kaum eine so traurige Berühmtheit erlangt.

2. Die Umwandlung des Lagers in ein Konzentrationslager 1944

Im Laufe des Jahres 1944 ging das Lager in eine zweite Periode über. Aufgrund der Tatsache, dass das Aufenthaltslager Bergen-Belsen zwar dem Konzentrationslagersystem unterstellt war, innerhalb diesem aber lediglich als ‚Aufenthaltslager’ fungierte, schenkten die Verantwortlichen ihm zunächst keine weitere Beachtung. Erst aufgrund der Tatsache, dass der Aufenthalt der Juden in Bergen-Belsen sich doch als längerfristig abzeichnete, wurde man auf Bergen-Belsen aufmerksam. Da hier aber aufgrund des bis dahin vorherrschenden Desinteresses weder erträgliche Wohnbereiche noch erträgliche sanitäre Anlagen bestanden und da Bergen-Belsen weitab von größeren Industriebetrieben lag, in der Häftlinge hätten Rüstungsarbeiten betreiben können, entschloss man sich dazu, zunächst nur aus dem ehemaligen Häftlingslager ein ‚Erholungslager’ zu machen und eben kein Arbeitslager. Dieses, „im zynischen Euphemismus des SS-Jargons“24 so bezeichnete, ‚Erholungslager’ diente der Aufnahme von arbeitsunfähigen, kranken Häftlingen aus anderen Konzentrationslagern. Von der ersten Lieferung von 1000, überwiegend an Tuberkulose erkrankten Häftlingen, erlebten nur 52 das Kriegsende.25

Bis zum Ende Januar 1945 wurden rund 4000 Gefangene in das ehemalige Häftlingslager eingeliefert, allerdings war die Sterblichkeitsrate so hoch, dass die durchschnittliche Belegung den Wert von 2000 nie überschritt.26 Es wird im Rückblick deutlich, dass die Lagerführung nie die Intention hatte, die Häftlinge wieder genesen zu lassen. Das interkardiale Einspritzen von Phenol, das sogenannte ‚Abspritzen’ von Häftlingen wurde geduldet, weder hygienische noch sanitäre Einrichtungen wurden verbessert, es gab zu wenig Ärzte und auch diese waren beeinflusst von SS-Methoden. Die Einrichtung des ‚Erholungslagers’ war nur ein Stadium auf dem Weg vom Aufenthaltslager zum Konzentrationslager. Ein weiterer Schritt war die Einführung von Frauenlagern im Sommer 1944. Die Zeltlager dienten zuerst als Durchgangslager für zahlreiche aus Polen eintreffende Frauentransporte. Ende Oktober/ Anfang November wurden die Zelte mit etwa 8000 Frauen aus dem KZ Auschwitz-Birkenau
belegt27 u.a. auch Anne Frank. Anne Frank ist Ende Oktober 1944 von Auschwitz nach Bergen-Belsen deportiert worden und im März 1945 an Typhus gestorben.

Die letzte vollzogene Maßnahme durch die Bergen-Belsen endgültig in ein Konzentrationslager umgewandelt wurde, war die Versetzung des SS-Hauptsturmführers Josef Kramer, der für seine Brutalität und Skrupellosigkeit bekannt war. Er gleichte die unterteilten Lager einander an, so hatten auch die immerhin noch 6000 Austauschjuden keine Privilegien mehr.

Im Folgenden nahm die Zahl der Gefangenen in unglaublichen Maße zu und Bergen-Belsen wurde zum letzten Auffanglager für beinahe alle anderen deutschen Konzentrationslager, da durch die Evakuierung von frontnahen Konzentrationslagern Zehntausende ins Innere des Reiches transportiert werden mussten und somit in Bergen-Belsen `entgelagert´ wurden, obwohl ihm doch jegliche Voraussetzungen fehlten. Je mehr das Reich schrumpfte, um so schneller erhöhte sich die Zahl der Gefangenen in Bergen-Belsen

Das Inferno von Bergen-Belsen begann. Bergen-Belsen wurde zur Stätte eines langsamen und grausamen Massensterbens. Die Hauptursachen des Sterbens waren Entkräftung, Kälte, Hunger, Durst, Seuchen wie Bauchtyphus und andere Magenkrankheiten, Tuberkulose, Ruhr und katastrophale hygienische Verhältnisse, welche die Krankheiten verstärkten. Zwischen Anfang Januar und Mitte April 1945 sind hier rd. 35.000 Häftlinge gestorben. Insgesamt sind in Bergen-Belsen 50.000 Menschen umgekommen.

3. Der Bergen-Belsen-Prozess in der MTV-Halle Lüneburg

Das unvorstellbare Bild, das sich den britischen Soldaten am 15. April 1945 bei der Befreiung des Lagers bot, lässt sich am besten anhand einer Äußerung eines Augenzeuges verdeutlichen: „Die Zustände im Lager waren wirklich unbeschreiblich. Kein Bericht, keine Fotografie kann den grauenhaften Anblick hinreichend wiedergeben. (...) An zahlreichen Stellen waren die Leichen zu Stapeln von unterschiedlicher Höhe aufgestapelt. (...) Überall im Lager verstreut lagen verwesende menschliche Körper. Die Gräben der Kanalisation waren mit Leichen gefüllt. In den Baracken selbst lagen zahllose Tote, manche sogar zusammen mit Lebenden auf einer einzigen Bettstelle. In der Nähe des Krematoriums sah man Spuren von hastig gefüllten Massengräbern. (...) In den Blocks, die am stärksten überfüllt waren, lebten 600 bis 1000 Menschen auf einem Raum, der normalerweise nur für 100 Platz geboten hätte (...)“28

Schon am 17. September desselben Jahres findet in der MTV-Halle Lüneburg als erster großer Kriegsverbrecherprozess die Verhandlung gegen die Wachmannschaften des jüngsten Konzentrationslagers Bergen-Belsen über 54 Tage statt.

Der Prozess stößt bei der internationalen Weltöffentlichkeit, besonders in den Siegerländern auf wesentlich mehr Interesse als in Deutschland. Die Öffentlichkeit in den Siegerländern ruft nach schnellster, exemplarischer Bestrafung der Schuldigen, so dass schon am 30. Mai 1945 die Ermittlungen aufgenommen werden. Die Anklage, sich stützend auf internationales Völkerrecht lautet: „Die Angeklagten haben die Gesetze des Rechts und des Krieges verletzt, eine Anzahl namentlich bekannte und zahlreiche ungenannte Angehörige alliierter Länder misshandelt und deren Tod verursacht.“29 In der Gruppe der 33 ehemaligen SS-Wachen sind 19 Frauen und elf Kapos (von der Lagerleitung ausgewählte Häftlinge mit Lagerfunktionen). Zwei SS-Männer, neun Aufseherinnen sowie acht Häftlingskapos erhalten Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr und lebenslänglich. Sieben SS-Männer, vier SS-Aufseherinnen und drei Kapos werden freigesprochen. Acht SS-Männer und drei SS-Aufseherinnen werden zum Tode verurteilt und wenig später in Hameln am Galgen hingerichtet. Unter den SS-Aufseherinnen befand sich auch die 22-jährige Irma Greese. Sie wird wie folgt beschrieben: „Am brutalsten ist Greese, höchstens 25 Jahre alt, aschblond und völlig arisch. Mit strengen Zügen und einer gewissen wilden Schönheit begabt, besitzt sie die grausamsten Augen und den strengsten Mund, den je eine Frau hatte.“30 Auf Irma Greese richtet sich während des Prozesses immer wieder das Augenmerk; sie wird von der internatio nalen Presse zum Prototyp der SS- Aufseherinnen erklärt. Auch heute noch ist „die Greese“ ein Begriff; das Klischee, was von ihr vertreten wird, wird heute in internationalen Brutal-Comics noch angewandt.

IV. Lüneburg im Dritten Reich

1. Lüneburg vor und nach der Machtergreifung

Das als „Stadt des Maßes und der Mitte“31 bezeichnete vorkriegszeitliche Lüneburg besaß 1933 31.309 Einwohner. Der Anteil der Protestanten im Stadtkreis Lüneburg lag 1925 bei 90,5%, wohingegen nur 4% Katholiken in Lüneburg lebten. Lüneburg blieb allgemein hinter der industriellen Entwicklung zurück und aus diesem Grund agrarisch geprägt. Mit 51,1% Erwerbstätigen im Primären Sektor liegt der Stadt- und Landkreis Lüneburg 1933 auf den vorderen Rängen. Eine weitere wichtige Entwicklung ist die Gesamtzahl der Beamten, die sich innerhalb von 70 Jahren von 1200 auf 8000 erhöht hat. 1932 liegt Lüneburg mit dieser Zahl 2,5fach bis dreifach über dem Bundesdurchschnitt.32 Politisch betrachtet war Lüneburg wechselseitig geprägt. Von 1919-1924 stellte die SPD die Mehrheit des Stadtparlaments, 1924-1929 zwei bürgerliche gemäßigt rechtsgerichtete Einheitslisten, bestehend aus Wirtschaftsblock und Einheitsliste, ab 1929 herrschte eine Gleichheit von SPD und Bürgerlisten vor.

Das erste Mal, dass Hitler Lüneburg besucht, ist 1932 im Rahmen seiner per Flugzeug abgewickelten Wahlkampagne. Er spricht auf dem MTV-Platz vor 20.000 Zuhörern. In einer Chronik der Stadt, die 1933 erschien, wird über Hitlers Besuch gejubelt: „...die wahrhaft großen Tage des sonnigen Hitler-Jahres“ werden gepriesen, Sozialdemokraten und Kommunisten werden als „...üble Häuflein von Männern, Frauen und Kindern“ bezeichnet. Die Rede Hitlers wurde mit einer „Freudenbotschaft“ verglichen, denn es wurde darin „...ein Gelöbnis ausgesprochen, tief heraus aus einem tatenfrohen, von heißer Liebe zum deutschen Vaterlande erfüllten Herzen.“33 Am Tag der Machtübernahme, der 1. Februar 1933, der Tag, an dem Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, findet in Lüneburg ein Fackelzug statt, der von 800 Stahlhelmern und SA-Männern begleitet wird. Es ertönten allerdings auch Gegenrufe. Bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 erreichen die Nationalsozialisten nämlich in Lüneburg nur 43,8% aller Stimmen, obwohl die KPD und die Sozialdemokraten schon unterdrückt sind. Offensichtlich ist also, dass nicht mal die Hälfte der Lüneburger am Ende der Weimarer Republik hinter den Nationalsozialisten steht. Der Aufstieg der NSDAP schien also auf den ersten Blick durchbrochen. Bei den Reichstagswahlen im Jahr 1930 war im Gegensatz dazu noch ein immenser Stimmenzuwachs zu verzeichnen. So wuchs der Stimmenanteil von der NSDAP von 187 (1928) auf 2.870 im Stadtkreis Lüneburg, im Landkreis von 119 auf 2.590 Stimmen. In den Jahren zuvor ist also aus der Kleine-Leute- Partei eine bürgerliche Mittelstandspartei geworden. Mitglieder waren: kleine und mittlere Beamte, selbständige Gewerbetreibende, vor allem kleine Ladengeschäftsinhaber und Handwerker, sowie zunehmend Angestellte und Vertreter.

Allerdings schon am 6. März 1933 dringen SA-Männer und Stahlhelmer in das Lüneburger Rathaus ein und hissen die Schwarz-Weiß-Rote Flagge. Am 12. März findet die letzte demokratische Wahl, die des Lüneburger Stadtparlaments, statt, bei der die Nationalsozialisten 14 Mandate erhalten, die SPD 9, die „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ 6, die KPD 2 und die Hannoversche Partei 1 Sitz. Im Vergleich zum 5. März hat die NSDAP in sieben Tagen einen erneuten Rückfall erlitten und zwar von 8448 auf 6828 Stimmen. Die Sozialdemokraten sind im Vergleich mit 564 Stimmen Verlust noch gut im Rennen. Allerdings hat die „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ einen Zuwachs von 2485 auf 3182 Stimmen zu verbuchen. Die Kampffront wurde als bürgerliche Not- und Kampfgemeinschaft 1931 gegründet um gegen die Misswirtschaft in Lüneburg anzugehen. Sie versuchte die rechtsbürgerlichen Parteien im Stadtparlament zu einer kompromissloseren Gangart gegenüber den Linken anzuspornen34. Die Kampffront brachte neuen, aggressiven Wind in die Lüneburger Kommunalpolitik ein. Mitglieder waren vornehmlich kleingewerbliche Handwerker. Die Kampffront entwickelte sich jedoch zu einer Tarnorganisation der NSDAP. Ab 1932 wurden auch regelmäßig Mitglieder der NSDAP zu den Versammlungen der Kampffront gebeten. Am 12.11.1932 allerdings führte Hitler seine Volksbefragung durch und tatsächlich stimmten 93,7% der Lüneburger mit einem für Hitler, wozu nicht zuletzt die Mobilisierungsversuche der Lüneburger Heimatpresse einen großen Teil zu beitrugen.

Nach der Machtübernahme folgten Berufsverbote für Leute die sich negativ über die Nationalsozialisten äußerten oder ihre Ideale nicht vertraten (z.B. im Schulunterricht). Verschiedene kleine Zwischenfälle traten auf: Franz Keding, Leiter der KPD-Kindergruppe wollte den Faschistengruß nicht nachmachen und wurde dafür verhaftet und später ins KZ gebracht. Der Führer eines Spielmannszuges wurde zum SA-Standartenführer zitiert, weil sein Spielmannszug in Fünferreihen marschierte und eine große Pauke mitgeführt wurde. Beides sei marxistisch. Am 2. Mai 1933 wurden in ganz Deutschland alle Häuser von Gewerkschaften besetzt, ihre Büros, die Gebäude ihrer Banken und Zeitungen. Führende Funktionäre werden auch in Lüneburg gefangen und in KZ´s gebracht35. Eine Lüneburgerin wurde sogar fünf Wochen lang mit einem Zettel „Todeskandidatin“ ins Gefängnis gesteckt, nur aufgrund der Beschuldigung sie habe in ihrer Garage Seife versteckt. Es herrschte Verrat und Denunziation vor.

2. Lüneburg als Gau-Hauptstadt

Am 1.April 1937 ist Lüneburg zur Gau-Hauptstadt erklärt worden. Der Grund für diese späte Ernennung ist die Tatsache, dass Harburg bei einer Gebietsreform an Groß-Hamburg angeschlossen wird und das Heide-Gebiet eine neue Hauptstadt benötigte. Gauleiter wird Otto Telschow, der seinen Sitz von Harburg nach Lüneburg verlegen lässt. Der Gau ist eine Gebietseinheit innerhalb der NSDAP. Die Einteilung wurde 1925 nach Gründung der NSDAP eingeführt. 1939 gab es im Reichsgebiet 41 Gaue, die alle eine Hauptstadt sowie besagten Gauleiter besaßen. Gauleiter waren Hitler direkt unterstellt und in seinem Namen handelnde Stellvertreter des Führers. Fast ausnahmslos waren die Gauleiter alte Mitglieder der NSDAP, die der Partei schon vor 1933 beigetreten waren. Telschow hat 1925 in Buchholz in der Nordheide die erste NSDAP-Gruppe des Heidebezirks gegründet. Telschow galt als trinksüchtig, dabei als willkürlich und ausfallend. Allerdings sagen Zeitzeugen Telschow habe eher „mäßigend gewirkt“ und „er riss (in nüchternem Zustand) niemandem den Kopf ab“36. Als sogenannter Gau-Hauptstellenleiter z.b.V. (zur besonderen Verwendung) ist Telschow SS-Sturmbannführer Hoffmann unterstellt, der eine wichtige Rolle spielte, aber sämtliche Erinnerungen an ihn sind verwischt. Die Gauleitung befand sich Am Sande (heute Commerzbank Lüneburg), später in der Schießgrabenstraße.

Lüneburg hatte demnach, was den Heidebezirk angeht, während des Krieges überregionale Bedeutung. Nach dem Krieg erreichte Lüneburg einerseits internationale Berühmtheit durch den Bergen-Belsen Prozess, andererseits durch die Tatsache, dass sich Himmler am 23. Mai 1945 im Gebäude der Uelzener Straße 31a umbrachte. Das Erkerzimmer dort war Vernehmungsraum des Security Force Headquarters of the British Army of Occupation. In dieses Zimmer kommen alle, die im britisch-besetzten Gebiet verdächtigt werden Kriegsverbrechen begangen zu haben. Nach Versteck- und Fluchtversuchen wird er am 21. Mai von einer Streife verhaftet. Himmler war der mächtigste Mann nach Hitler, er war der Schreibtischtäter, der jegliches Geschehen in den Konzentrationslagern zu ve rantworten hatte, bis er auf eine, in seinem Mund versteckte, Kapsel Zyankali biss.

V. Zusammenfassung

Wie zu erkennen war, hat die Lüneburger Heide mit der Gau-Hauptstadt Lüneburg nicht nur während des Krieges für Aufsehen gesorgt, sondern auch noch einige Zeit nach Beendigung des Krieges. Es war offensichtlich, wie sehr die landschaftliche Prägung der Heide auch die Geschichte beeinflusst. Es lässt sich eine bestimmte Linie feststellen, nach der bestimmte Probleme wiederholt auftauchen. Das ist einerseits der Nutzungskonflikt mit dem Militär, der in den 30er Jahren schon seine Anfänge fand. Andererseits ist es die Tatsache, dass die Region Lüneburger Heide eine strukturschwache Region ist, mit schlechten Böden und geringer Besiedlung, sowie kaum Industrie. Aus diesem Grund wurde einerseits schon 1893 der Truppenübungsplatz Munster gegründet, und nur deswegen wurde Bergen-Belsen nicht zum Arbeitslager für Rüstungsarbeiten, sondern als ‚Erholungslager’ genutzt.

Stolze Heide-Bewohner behaupten, dass der Zweite Weltkrieg in ihrer Heide beendet wurde, obwohl es sich dabei lediglich um die Teilkapitulation aller deutschen Streitkräfte in Norddeutschland, Holland und Dänemark vor Feldmarschall Montgomery handelte. Die Kapitulationsurkunde wurde von Generaladmiral von Friedeburg am 4. Mai 1945 auf dem Timeloberg bei Wendisch-Evern unterzeichnet. Der Timeloberg wurde von den Briten nicht zufällig ausgewählt. Er war mit 79,1 Metern der höchste in der Umgebung und um den Sieg auch wie einen Sieg aussehen zu lassen, entschied man sich für ihn. Heute ist der sogenannte „Victory-Hill“ nur schwer erkennbar. Die ursprünglich aufgestellten Gedenktafeln wurden wiederholt entwendet und nicht mehr erneuert. Ferner ist dieses Gebiet heute Truppenübungsplatz.

VI. Literaturverzeichnis

- Bartsch, Elisabeth, Kammer, Hilde: Nationalsozialismus: Begriffe aus der Zeit der Gewaltherrschaft 1933 - 1945. Hamburg 1992
- Brockhoff, Horst; Wiese, Gisela; Wiese, Rolf (Hrsg.): Ja, grün ist die Heide...Aspekte einer besonderen Landschaft. Ehestorf 1998
- Brosius, Dieter u.a.: Schriftenreihe der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung: Landschaften Niedersachsens und ihre Probleme - Die Lüneburger Heide. Hannover 1984
- Dupke, T.: Mythos Löns - Heimat, Volk und Natur im Werk von Hermann Löns. Wiesbaden 1993
- Kolb, Eberhard: Bergen-Belsen 1943 - 1945. Göttingen 1996
- Lüneburger Arbeitskreis „Machtergreifung“ (Hg.): Heimat, Heide, Hakenkreuz. Lüneburgs Weg ins Dritte Reich. Hamburg 1984
- Merian Lüneburger Heide, 33. Jg., März 1980
- Plate, Herbert: Hermann Löns - seine Heide. Hannover 1987
- Pless, Helmut C.: Lüneburg 45 - Nordost-Niedersachsen zwischen Krieg und Frieden. Lüneburg 1976
- Reinecke, Wilhelm: Geschichte der Stadt Lüneburg. Lüneburg 1933
- Saft, Ulrich: Krieg in der Heimat. Das bittere Ende zwischen Weser und Elbe. 3. Aufl. Hannover 1990

[...]


1 Brockhoff, H., Wiese, G., Wiese, R.(Hrsg.): Ja, grün ist die Heide...Aspekte einer besonderen Landschaft. Ehestorf 1998. S.257

2 a.a.O., S.252

3 a.a.O., S.255

4 a.a.O., S.256

5 Brockhoff, H., Wiese, G., Wiese, R.(Hrsg.): Ja, grün ist die Heide...Aspekte einer besonderen Landschaft. Ehestorf 1998, S.256

6 ebd.

7 Dupke, T.: Mythos Löns - Heimat, Volk und Natur im Werk von Hermann Löns. Wiesbaden 1993. S. 33

8 vgl. a.a.O., S.34 ff.

9 Brockhoff, H., Wiese, G., Wiese, R.(Hrsg.): Ja, grün ist die Heide...Aspekte einer besonderen Landschaft. Ehestorf 1998. S.259.

10 ebd.

11 Plate, Herbert: Hermann Löns - seine Heide. Hannover 1987. S.115

12 a.a.O., S.127

13 a.a.O., S.115

14 vgl. Dupke, T.: Mythos Löns - Heimat, Volk und Natur im Werk von Hermann Löns. Wiesbaden 1993. S.30

15 Plate, Herbert: Hermann Löns - seine Heide. Hannover 1987. S.137

16 vgl. Pless, H.: Wieviel Auslauf braucht ein Panzer?, In: Merian Lüneburger Heide, 33. Jg., März 1980. S.136

17 Brockhoff, H., Wiese, G., Wiese, R.(Hrsg.): Ja, grün ist die Heide...Aspekte einer besonderen Landschaft. Ehestorf 1998. S.228

18 vgl. Mantey, H.: Die heutigen raumstrukturellen Probleme. In: Schriftenreihe der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Folge 3, Hannover 1984. S.94

19 Bartsch, E., Kammer, H.: Nationalsozialismus: Begriffe aus der Zeit der Gewaltherrschaft 1933 - 1945. Hamburg 1992. S.111

20 ebd.

21 vgl. Kolb, E.: Bergen-Belsen 1943 - 1945. Göttingen 1996. S.21

22 a.a.O., S.26

23 vgl. a.a.O., S.29

24 Kolb, E.: Bergen-Belsen 1943 - 1945. Göttingen 1996. S.36

25 vgl. ebd.

26 vgl. a.a.O., S.37

27 vgl. Pless, H.: Lüneburg 45 - Nordost-Niedersachsen zwischen Krieg und Frieden. Lüneburg 1976. S.172

28 a.a.O., S. 176 ff.

29 Pless, H.: Lüneburg 45 - Nordost-Niedersachsen zwischen Krieg und Frieden. Lüneburg 1976. S. 176 ff.

30 a.a.O., S. 175

31 Siekmann, F.: Lüneburg - Maß und Mitte, In: Lüneburger Arbeitskreis „Machtergreifung“ (Hg.): Heimat, Heide, Hakenkreuz. Lüneburgs Weg ins Dritte Reich. Hamburg 1984. S.10

32 Siekmann, F.: Lüneburg - Maß und Mitte, In: Lüneburger Arbeitskreis „Machtergreifung“ (Hg.): Heimat, Heide, Hakenkreuz. Lüneburgs Weg ins Dritte Reich. Hamburg 1984. S.12

33 Reinecke, W.: Geschichte der Stadt Lüneburg. Lüneburg 1933. S.588 ff. 15

34 vgl. Stegmann, D.: Bürgertum und Politik in der Weltwirtschaftskrise. In: Lüneburger Arbeitskreis „Machtergreifung“ (Hg.): Heimat, Heide, Hakenkreuz. Lüneburgs Weg ins Dritte Reich. Hamburg 1984. S.25

35 vgl. Asmussen, P. u. Hummel, W.: Widerstand und Verfolgung, In: Lüneburger Arbeitskreis „Machtergreifung“ (Hg.): Heimat, Heide, Hakenkreuz. Lüneburgs Weg ins Dritte Reich. Hamburg 1984. S.189 ff.

36 Pless, H.: Lüneburg 45 - Nordost-Niedersachsen zwischen Krieg und Frieden. Lüneburg 1976. S.18 17

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Heide und Hakenkreuz - Vom Löns-Mythos bis Bergen-Belsen
Hochschule
Universität Lüneburg
Autor
Jahr
2000
Seiten
19
Katalognummer
V100342
ISBN (eBook)
9783638987707
Dateigröße
379 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Heide, Hakenkreuz, Löns-Mythos, Bergen-Belsen
Arbeit zitieren
Katja Williams (Autor:in), 2000, Heide und Hakenkreuz - Vom Löns-Mythos bis Bergen-Belsen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100342

Kommentare

  • Gast am 1.6.2005

    Roter Antifamüll á la Süddeutsche etc..

    Schade, daß das seriöse Anliegen vieler Bürger die Hitlerzeit aufzuarbeiten immer wieder zu rotfaschistoider Propaganda mißbraucht wird.
    Wehret den Anfängen gilt auch für die in diesem Aufsatz erkennnbaren totalitären Denkansätze.
    Man erinnere sich an Kurt Schumachers Aussage: wenn man an der Oberfläche der roten Genossen kratzt, wird braune Farbe erkennbar.

    Mit freundlichen Grüßen
    K. Kachelmann

Blick ins Buch
Titel: Heide und Hakenkreuz - Vom Löns-Mythos bis Bergen-Belsen



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