Psychische Probleme bei HIV und AIDS


Script, 2001

14 Pages


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Medizinisches Grundwissen über HIV/AIDS

3. Die hochaktive antiretroviale Therapie
3.1. Die Entscheidung zur HAART - Vor- und Nachteile
3.2. Die Anforderungen der HAART an den Patienten
3.3. Grundängste eines HIV-Positiven und ihr Zusammenhang mit der HAART
3.4. Positive Lebenseinstellungen trotz HIV

4. Schluss

5. Literaturliste

6. Anlagen
6.1. Verlauf einer HIV-Infektion
6.2. Tagesablauf einer HIV-positiven Frau
6.3. Auszug aus einer E-Mail eines HIV-Positiven

1.Einleitung

Wenn sich ein Mensch mit HIV infiziert, dann stürzt auf einen Schlag eine Vielzahl von Problemen auf ihn ein. Neben der bekannten medizinischen Brisanz - es sind trotz jahrelanger Forschung noch längst keine Heilungschancen in Sicht -, gibt es auch erhebliche Komplikationen im psychologischen Bereich. Diese alle zu nennen würde den Rahmen dieser Facharbeit erheblich sprengen, weshalb ich mich im folgenden lediglich auf zwei Aspekte konzentrieren möchte:

Zum einen auf die Probleme, welche die HochAktive AntiRetroviale Therapie (HAART) mit sich bringt und zum anderen auf deren Auswirkungen auf die ohnehin schon vorhandenen Grundängste der Erkrankten.

Ich habe diese beiden Aspekt ausgewählt, weil sie erstens sehr spezifisch nur auf HIV- Infizierte zutreffen (die Problematik HAART), zweitens weil ich auf Dinge hinweisen möchte, die einem gar nicht klar werden, wenn man sich nur oberflächlich mit dem Thema AIDS beschäftigt. Nur die wenigsten wissen, welchen Aufwand es macht mit HIV zu leben und sind überrascht, wie komplex die Problematik ist. Auch die Berichterstattungen der Medien sind sehr oberflächlich und beschränken sich meist auf die Fakten. Der einzelne Mensch selber bleibt zu oft aussen vor, was dazu führt, dass die Angst der Bevölkerung vor AIDS immer größer wird, ohne dass man wirklich weiß wie es ist mit dieser Krankheit zu leben. Aus diesem Grund habe ich mich bemüht einen persönlichen Kontakt zu Betroffenen (per E-Mail) herzustellen und mich mit Hilfe sehr spezieller Literatur informiert, die eigentlich für HIV-Positive geschrieben ist.

Als weitern Punkt möchte ich erwähnen, dass es neben dem Leiden auch durchaus Menschen mit HIV und AIDS gibt, die eine positive Lebenseinstellung haben und sich keineswegs aufgeben.

Mein Hauptbeweggrund ist aber der, dass ich die Probleme ansprechen möchte, die gerade von den Betroffenen selbst als die am schwer-wiegendsten genannt wurden. In den folgenden Kapiteln dieser Arbeit möchte ich zuerst einen kleinen medizinischen Überblick über den aktuellen Wissenstand bezüglich HIV und AIDS geben. Anschließend werde ich das Schwerpunktthema ansprechen, wobei zunächst der Entschluß zu einer Therapie im Vordergrund stehen wird, hinführend zu den Problemen der HAART und enden im Bereich der Grundängste eines HIV-Positiven.

Eine Schwierigkeit bei der Bearbeitung dieses Themas stellt sicherlich die enge Verschachtelung von medizinischen und psychologischen Aspekten dar. Obwohl es schier unmöglich ist, die Medizin ganz außen vor zu lassen, möchte ich mich soweit es geht davon lösen und sie größtenteils ausser Acht lassen. Das anschließende Kapitel sollte demnach alle wichtigen Punkte erklären.

2. Medizinisches Grundwissen über HIV / AIDS

Wenn man sich mit dem Thema HIV und AIDS beschäftigt, ist es unausweichlich sich zuvor einen kurzen Überblick über die medizinischen und biologischen Gegebenheiten zu verschaffen.

Sobald eine Infektion mit dem HI-Virus stattgefunden hat, nistet es sich im Körper ein. Nach einiger Zeit (der sogenannten Latenzzeit, die je nach Patient bis zu 20 Jahre andauern kann) beginnt das HIV die CD4-Zellen des Immunsystems als Wirtstellen zu benutzen und sich mit ihrer Hilfe zu vermehren (Replikation). Nach diesem sehr komplexen Vorgang zerstört das Virus seine Wirtszelle und schwächt so das menschliche Immunsystem. Um das Fortschreiten einer HIV-Infektion beobachten und einschätzen zu können, bedient man sich der Hilfe von zwei Meßgrößen: Zum einen die Viruslast und zum anderen die CD4- Zellzahl im Blut. Auf diese beiden Werte gestützt, trifft der behandelnde Arzt die Entscheidung, ob eine hochaktive antiretroviale Therapie im aktuellen Krankheitsstadium sinnvoll ist. Ausserdem wird berücksichtigt, ob es sich um eine symptomatische oder asypmtomatische HIV-Infektion handelt, also ob es körperliche Beschwerden von Seiten des Patienten gibt.

Des weiteren bestimmt man den Gesundheitszustand eines HIV Infizierten (unter anderem) ebenfalls unter Berücksichtigung der oben genannten Blutwerte. Es gibt bestimmt Richtwerte bezüglich der Viruslast und der CD4-Zellzahl eines Patienten. Werden diese Richtwerte unter- bzw. überschritten, spricht man von AIDS im Vollbild, während zuvor ,,nur" eine HIV- Infektion vorgelegen hat. Diese Unterscheidung zwischen HIV und AIDS ist von großer Bedeutung für das Leben eines Infizierten und sollte deshalb beachtet werden. Ist AIDS bei einem Menschen voll ausgebrochen, so treten opportunistische Infektionen auf. Dies sind Krankheitsbilder, die bei einem gesunden Menschen nicht ausbrechen würde, da ein intaktes Immunsystem spielend mit ihnen fertig würde. So trägt z.b. jeder Mensch Viren des Kaposi-Krebses in sich, jedoch bricht dieser Krebs normalerweise nicht aus. Das Kaposi- Sarkom ist unter AIDS-Kranken dagegen eine sehr weit verbreitete Krankheit. Mit Hilfe der eben schon erwähnten HAART, bei der drei oder mehr Medikamente gegen das HI-Virus kombiniert werden (deshalb spricht man auch von einer Kombinationstherapie), ist es heutzutage möglich, den Immunstatus eines HIV-Positiven über einen langen Zeitraum hinweg aufrecht zu erhalten. Folglich gibt es viele Langzeitüberlebende mit HIV, die jedoch keineswegs geheilt sind. Der Ausbruch von AIDS wird lediglich verzögert und sobald sich Resistenzen gegen die Medikamente gebildet haben, verlieren diese ihre Wirkung. Ausserdem ist das Leben mit der HAART alles andere als beschwerdefrei: Als Preis für ein längeres Leben muss eine große Anzahl Tabletten täglich unter genauster Einhaltung der Einnahmeregeln geschluckt werden und ein großer Prozentsatz der Patienten bricht die Therapie wegen unerträglichen Nebenwirkungen ab.

3. Die hochaktive antiretroviale Therapie

3.1. Die Entscheidung zur HAART - Vor- und Nachteile

Obwohl es aus medizinischer Sicht oft unstrittig ist, dass der Beginn mit der HAART relativ früh geschehen sollte, gibt es nach wie vor eine Vielzahl an Infizierten, die sich - scheinbar gegen alle Vernunft - gegen eine Therapie entscheiden und sich damit nicht selten den Zorn der Ärzte zuziehen, die dafür wenig Verständnis aufbringen.

Trotzdem ist dieses Verhalten bei genauerem Hinsehen gar nicht mehr so abwegig und wird verständlich, wenn man sich mit den Argumenten, die gegen eine Kombinationstherapie sprechen, intensiv auseinander setzt.

Viele Menschen scheuen sich davor Medikamente zu nehmen, weil sie dann gezwungen sind sich einzugestehen, dass sie krank sind. Denn unter normalen Umständen leben viele Betroffene auch ohne Therapie mehrere Jahre lang beschwerdefrei. Sobald aber mit der HAART begonnen wurde, sind starke Nebenwirkungen an der Tagesordnung. Ausserdem ist das Behandlungsschema von so großer Komplexität, dass der gesamte Tagesablauf danach ausgerichtet werden muss. So ist es auch fast unmöglich eine HIV- Infektion während der HAART geheim zu halten, da sehr regelmäßig Tabletten eingenommen werden müssen, ohne Rücksicht darauf, wo man sich gerade befindet.

Des weiteren schreckt viele Patienten ab, dass die Medikamenteneinnahme üblicherweise auf unbegrenzte Zeit angesetzt wird, weil man eine Resistenzenbildung durch Abbruch der Therapie unbedingt vermeiden will.

All diese Dinge schränken die Lebensqualität eines AIDS-Patienten enorm ein. Allerdings ist keinesfalls von der Hand zu weisen, dass die antiretroviale Therapie auch Vorteile hat, die wiederum das Leben verbessern können. So werden gesundheitliche Einschränkungen oft gelindert, bzw. sogar behoben, und vor allem ist eine deutliche Verlängerung des Lebens zu erwarten, das heisst der Ausbruch von AIDS wird um Jahre herausgezögert. Zusätzlich wird das Risiko gesenkt, dass sich durch fehlerhafte Replikation resistente Virusstämme bilden, da man die Vervielfältigung des HIVs so weit wie möglich ganz unterbinden will.

Es mag bisher den Anschein haben, dass all diese positiven Aspekte der HAART nur medizinisch begründet sind. Jedoch empfinden einige Patienten die Kombinationstherapie regelrecht als Befreiung: Sie haben nun die Möglichkeit, den Kampf gegen das Virus von innen nach aussen zu verlagern, können aktiv etwas dagegen tun und sind nun nicht mehr alleine für ihren Immunstatus verantwortlich.

Bei all diesen Argumenten - die Liste könnte noch beliebig fortgesetzt werden - muss letzten Endes aber doch jeder Betroffene individuell für sich entscheiden, welcher Weg der richtige ist. Und das oft unabhängig von dem, was die Ärzte sagen. Denn zum einen ist der Einfluß der Psyche auf das menschliche Immunsystem mittlerweile erwiesen, zum anderen ist die HAART nur unter vollster Mitarbeit des Patienten erfolgreich. Und diese Mitarbeit ist nur dann gewährleistet, wenn man hinter dem steht was man tut, also nicht nur überredet oder gar unter Druck gesetzt wurde.

3.2. Die Anforderungen der HAART an den Patienten

Diese eben angesprochene Mitarbeit des Patienten bezeichnet man allgemein mit dem Begriff der ,,Compliance" (übersetzt: Therapietreue). Hier geht es vor allem darum, die verordneten Medikamente vorschriftsmäßig und kontinuierlich einzunehmen. Auf den ersten Blick scheint das nicht viel zu sein, jedoch ist es oft fast unmöglich, ein so komplexes Behandlungsschema, wie es bei HIV vorliegt, in den Alltag zu integrieren.1.

Allgemein kann man sagen, dass 20 - 80% der Patienten nicht therapietreu sind, obwohl für fast alle eine 100%ige Compliance realisierbar wäre.

Doch viele Menschen sind nicht mutwillig non-compliant. Oft wissen sie einfach nicht richtig über die Therapie bescheid, fühlen sich vernachlässigt vom Arzt und beginnen deshalb auf eigene Faust zu experimentieren, um selbst herauszufinden, was für ihre Gesundheit am Besten ist. So werden Tabletten abgesetzt, wenn man glaubt sie nicht mehr zu benötigen, da man keinerlei Symptome verspürt, oder man beendet die Einnahme, weil (nach subjektiver Sicht) keine Besserung eingetreten ist.

Generell ist die Therapiemotivation um so geringer, desto länger die Krankheit - und damit auch die Behandlung - andauert. Ein Sachverhalt, der ja gerade bei HIV in hohem Maße gegeben ist.

Auch die Tatsache, dass AIDS unheilbar ist, nimmt einen negativen Einfluß auf das Compliance-Verhalten der Infizierten: Die Medikamenteneinnahme wird nicht so genau genommen, ,,weil man ja eh nie wieder ganz gesund wird".

Weitere Aspekte sind sicherlich die Angst vor Medikamentenabhängigkeit und der Wunsch, die Kontrolle über sein Leben und seinen Körper wieder zurückzugewinnen. Insgesamt erhofft man sich ohne HAART eine höhere Lebensqualität, denn ganz ohne Frage gibt es einen entscheidenden Punkt, weshalb es bei HIV so schwer ist sich durchzuringen, die Tabletten einzunehmen: Es gibt Nebenwirkungen, die in fast allen Fällen als nahezu unerträglich geschildert werden. Letzten Endes fühlt man sich mit der Therapie schlechter als zuvor, hat wohlmöglich unter Durchfall, Übelkeit, Haarausfall, Schlafstörungen, Hautausschlägen, Impotenz, Neuropathien2 und vielem mehr zu leiden. Dazu kommen nicht ungefährliche Veränderungen des Blutbildes, Leber- und Nieren-Schädigungen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Es werden also neben den Tabletten der Kombinationstherapie noch Unmengen an Medikamenten geschluckt, die einzig und allein zur Linderung der Nebenwirkungen eingesetzt werden. Und das Ganze tagtäglich. Mit dem Erfolg, dass der Arzt dem Patienten eines Tages mitteilt, seine Viruslast wäre unter die Nachweisgrenze gesunken - doch fühlt dieser sich körperlich trotzdem nicht besser. Und dafür dieser Aufwand? Ein Leben lang? Anderseits ist da die Angst vor dem Ausbruch von AIDS. Also nimmt man die Tabletten besser doch. Auch wenn sie nicht schmecken und man sich mittlerweile vor ihnen ekelt. Aber immerhin retten sie einem das Leben, ermöglichen eigentlich ja doch einige schöne Tage.

Früher wurde Compliance als alleinige Sache des Patienten gesehen. Das hat sich mittlerweile glücklicherweise geändert. So weiß man heute, dass beide Seiten - Arzt und Patient - berücksichtigt werden müssen. Eine Verbesserung der Compliance ist nachweislich ,,durch die Anpassung der Therapie an die individuellen Voraussetzungen des Infizierten"3 möglich. Darunter versteht man z.b. die berufliche Situation und die gesamte Einstellung des Patienten zur HAART, also Faktoren, die einen unmittelbaren Einfluß auf die Möglichkeiten einer Behandlung nehmen. Des weiteren wird immeröfter auch die Kompetenz des Arztes angesprochen, der in der Lage sein muss, das Behandlungsschema verständlich zu vermitteln und unbedingt alle Entscheidungen des Erkrankten - auch medizinisch unvernünftige - zu respektieren hat. Es ist wichtig, dass er die Fähigkeit hat, sich in die Situation des Betroffenen hineinzufühlen, um ein vertrauensvolles Verhältnis auszubauen, so dass gemeinsam die optimale Therapie gefunden werden kann.

3.3. Grundängste eines HIV-Positiven und ihr Zusammenhang mit der HAART

Neben den genannten Problemen mit der Kombinations-Therapie ist ein HIV-Patient noch zusätzlichen psychischen Belastungen ausgesetzt. Er kommt nicht daran vorbei, sich mit der Krankheit und dem damit verbundenen Leiden auseinanderzusetzen, da er sich bewußt ist, dass AIDS im Vollbild unweigerlich auch bei ihm ausbrechen wird. Vielen Erkrankten ist der Verlauf dieser Erkrankung sehr gut bekannt, da sie bereits Freunde durch AIDS verloren haben, die sie entweder durch die homosexuelle Szene oder durch Selbsthilfegruppen kennen gelernt haben. Dieses Wissen, wie schlimm es einmal kommen wird, macht ihnen das Leben nicht leichter. Von etlichen Betroffenen weiß man, dass sie sich vor allem nachts mit Todesängsten auseinandersetzen müssen, wochenlang nicht schlafen können, weil der Gedanke an das Leid - und vor allem an den Tod - sie nicht loslässt. ,,AIDS ist eine Attacke auf ihre Lebenszuversicht"4. Es stellt sich für sie die Frage, ob es überhaupt noch lohnt, etwas Neues zu beginnen, da der Gedanke an den Tod alles andere überschattet. Auch wenn mittlerweile ein Großteil der Infizierten zu Langzeitüberlebenden geworden ist, so ist doch gerade die Phase kurz nach dem Erhalt des positiven Testergebnisses oft von Zweifeln und Ängsten geprägt. Weil man im ersten Augenblick AIDS = Tod setzt, vielleicht nicht auf dem aktuellen Wissensstand ist und Anfangs erst einmal unter Schock steht. Später treten diese Probleme in den Hintergrund, doch eröffnen sich dem Betroffenen sogleich wieder neue Konflikte, die er letztlich allein bewältigen muss. Man sieht sich mit einer Dauerfrustration konfrontiert. Kann die Krankheit niemals ganz vergessen. Bei der kleinsten Erkältung der Gedanke: ,,Das ist AIDS!", bei einem vergessenen Termin die Angst, an der typischen AIDS-Demenz zu leiden.

Dann die Erfahrung von Abhängigkeiten, sobald körperliche Einschränkungen auftreten und man bei einigen Dingen Hilfe von Familie, Freunden oder gar professionellen Pflegekräften benötigt.

Man weiß, dass AIDS nicht nur mit Schmerz und Tod im Zusammenhang steht, sondern auch, dass es für viele aussenstehende Menschen schwer oder unangenehm ist, sich mit Kranken zu befassen. Sie spüren ihre Hilflosigkeit und empfinden es als Belastung, jemanden leiden zu sehen. Das spürt auch der Erkrankte.

So steht oft die Angst vor der Isolation im Vordergrund, wenn der Betroffene keine Bezugsperson hat, von der er weiss, dass sie ihm bedingungslos beistehen wird. Berichten zufolge sind die Bindungen und Freundschaften in der homo-sexuellen Szene nicht sehr intensiv und aufgrund der immer noch mit Vorurteilen behafteten Lebensweise, die ein großer Teil der Bevölkerung ablehnt, brechen die Familien von schwulen Männern nicht selten den Kontakt ab. Was bleibt ist die Einsamkeit.

Führt man sich all diese Tatsachen vor Augen, so wird die (soziale) Problematik von HIV und AIDS sehr gut deutlich. Um wieder auf die hochaktive antiretroviale Therapie zu sprechen zu kommen, so werden diese Probleme durch die HAART verstärkt.

Das Abhängigkeitsgefühl vergrößert sich, da man zusätzlich auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen ist und aufgrund dieser Medikamente wird jeder Infizierte, der einer Kombinationstherapie zugestimmt hat, täglich mehrfach, eigentlich durchgehend, direkt mit AIDS konfrontiert. Es ist so gut wie unmöglich, sich einfach mal eine Pause zu gönnen, zu versuchen das HI-Virus zu vergessen. Denn zehn Minuten später wird man mit großer Wahrscheinlichkeit aufs neue an die nächste Medikamenteneinnahme erinnert werden. Es gibt ausserdem noch ein ganz entscheidendes Problem, mit dem Menschen mit HIV und AIDS kämpfen müssen. Sobald sie mit der HAART begonnen haben sind sie - unter der Voraussetzung, dass sie compliant sind - gezwungen, zu ihrer Infektion zu stehen, sieöffentlich zu zugeben. Besonders in den Risikogruppen (homosexuelle Männer und Drogenabhängige) ist es so gut wie unmöglich die HAART geheim zuhalten: ,,Zum Beispiel wenn wir im Freundeskreis zum Essen eingeladen sind und eine Person kann regelmäßig zu einem bestimmten Zeitpunkt nichts essen. Wem das in Schwulenkreisen nicht auffällt und der daraus keine Rückschlüsse zieht, der ist blind. Da sind es eben bestimmte Medikamente, man kann bei diesen halt zwei Stunden vorher und eine Stunde nachher nichts essen. Jedem, der ein geübtes Auge hat, fällt das auf."5

Man geht also das Risiko ein, dass jeder, der sich etwas mit dem Thema auskennt, sofort merkt was los ist. Doch gerade bei einer Erkrankung wie AIDS möchten viele Menschen das nicht. Zum einen wegen der schon genannten Ängste und zum anderen, da HIV hauptsächlich sexuell, bei schwulen Männern gewöhnlich über Analverkehr, übertragen wird. Also ein Tabuthema, das mit bestimmten Klischees behaftet ist. So kann sich jeder infizierte Mann sicher sein, dass er von Außenstehenden aufgrund seiner Infektion bestimmt als homosexuell eingestuft wird. Bedenkt man welche Folgen dies gesellschaftlich für den Betroffenen hat, so versteht man, warum viele Menschen nicht zu ihrer Infektion stehen. Und sich vielleicht auch deshalb gegen eine medikamentöse Therapie entscheiden.

3.4. Positive Lebenseinstellungen trotz HIV

Doch bei all diesen Aspekten sollte man auf keinen Fall denken, dass alle Infizierten ihr Leben lang unter Depressionen leiden und die Lebenszuversicht völlig verloren haben. Es gibt durchaus viele Menschen mit HIV, die nach wie vor ihre positive Lebenseinstellung beibehalten haben und täglich gegen das Virus kämpfen. Sie sind dankbar, dass sie mit Hilfe der neuen Medikamente noch einen gewissen Zeitraum am Leben bleiben werden und die verbleibende Zeit noch sinnvoll, z.b. mit ihrer Familie, nutzen können. Sie sehen es als Chance, dass aus dem Todesurteil lebenslänglich geworden ist und geben die Hoffnung nicht auf, dass in absehbarer Zeit neue Erkenntnisse gemacht werden, welche ihnen das Leben erleichtern. Sie leben einfach wie jeder andere Mensch auch:

,,George hat auch das Gefühl, voll im Leben zu stehen und dass das Leben selbst ihn lebendig hält. Am wichtigsten ist für ihn zur Zeit seine spirituelle Ausrichtung und Gesundheit, und dafür liest er sehr viel. George läuft auch jeden zweiten Tag, nicht nur um sich körperlich fit zu halten, sondern um aus dem Kreislauf der Krankheit auszubrechen. Er meditiert beim Laufen. Außerdem arbeitet er in der Shanti Foundation und hat einen Vollzeitjob als Kellner. (...) ,,Ich werde doch an so was nicht sterben. Ich bin fest entschlossen, das fünf oder sechs Jahre zu überstehen, und in der Zwischenzeit warte ich, wie jeder hier in Kalifornien, die Erdbeben ab."6

Anteilmäßig gesehen gibt es auch nur recht wenige Betroffene, die sich wirklich zu einer Psychotherapie entschließen, weil sie mit ihrer Situation nicht mehr umgehen können. Und diejenigen, die es tun, sind oft schon zuvor psychisch stark angegriffen gewesen. Die meisten Menschen suchen eher Beistand in Selbsthilfegruppen, weil sie sich dort verstanden fühlen und ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln können, welches für Aussenstehende nur sehr schwer nachzuvollziehen ist. Denn sie sind nicht direkt betroffen und haben diese Erfahrungen nicht.

4. Schluss

Zusammenfassend kann man sagen, dass Menschen mit HIV und AIDS großen psychischen Problemen ausgesetzt sind, die sie nicht selten alleine bewältigen müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass es trotz der hohen Aktualität nur verhältnismäßig wenige Ärzte gibt, die nicht nur vom fachlichen Wissen her kompetent sind, sondern die auch genügend Verständnis für den Patienten aufbringen, ihn als vollwertig ansehen und respektieren. Ein weiterer Punkt ist, dass unter den Ärzten selbst oft eine sehr große Uneinigkeit herrscht.7 Wie kann da der Patienten wissen, welche die richtige Entscheidung ist?

Auch im Bereich der hochaktiven antiretrovialen Therapie sind neue Erkenntnisse und Entwicklungen unbedingt nötig, welche die Lebensqualität der Betroffenen nachhaltig verbessern könnten, wie z.b. durch eine deutlich geringere Tablettenzahl und vor allem eine bessere Verträglichkeit.

Bezogen auf den sozialen Aspekt ist es sehr wichtig, dass Organisationen wie die Deutsche AIDS-Hilfe auch in Zukunft ihre Aufklärungsarbeit weiterverfolgen und den Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Denn noch immer ist die Ausgrenzung HIV-Positiver als problematisch zu bewerten und es wird ein langer Weg sein, alle Vorurteile und Ängste der Bevölkerung abzubauen.

In dieser Arbeit habe ich mich insgesamt auf die AIDS-Problematik in Westeuropa beschränkt. Doch ist es sicher erwähnenswert, dass heutzutage ca. 63% der HIV-Infizierten allein in Schwarzafrika leben. Auch in Süd- und Südostasien nimmt die Zahl der Neuinfektionen von Jahr zu Jahr zu. Und diesen Menschen geht es meist weitaus schlechter, denn sie haben aus finanziellen Gründen oft keinen Zugang zu Medikamenten. Dieser kurze Einblick sollte zeigen, wie vielseitig das Gesicht von AIDS in der Realität ist. Und wenn uns die Probleme der hier lebenden Infizierten schon als riesig erscheinen, dann sollten wir uns Gedanken darüber machen, wie es einem AIDS-Kranken in Ruanda oder Bombay wohl ergeht.

5. Literaturliste

- Christlicher AIDS-Hilfsdienst e.V. [Hrsg.]: Lasst mich nicht fallen (1994)
- Deutsche AIDS-Hilfe e.V. [Hrsg.]: AIDS-Forum DAH Band XXXVII; Compliance und antiretroviale Therapie (Dezember 1999)
- Hay, Louise L.: Das Aids-Buch ; Umkehr zur Liebe Rückkehr zum Leben (3. Auflage 1996)
- Salzburger Nachrichten vom 06.08.1998
- Selbsthilfe HIV und AIDS Frankfurt am Main e.V. [Hrsg.]: Im Puls Nummer 3; Menschen mit HIV und AIDS erzählen (1.Auflage, 1999)
- Wießner, Peter [Hrsg.]: AIDS-Forum DAH Band XXXII; Neurologische und psychiatrische Probleme bei HIV und AIDS (Juli 1998)
- http://www.aidsfinder.org
- http://www.egroups.de
- http://www.hiv.ch/rubriken/ordner/ord.htm
- http://www.hivnachrichten.com
- http://www.libertylife.at
- http://hivinfo.de

6. Anlagen

6.1. Verlauf einer HIV-Infektion (Erläuterung der Skizze)

Zwischen8 der Infektion mit dem Virus und dem Stadium AIDS liegt eine variable Zeitspanne, im Durchschnitt etwa zehn Jahre. Etwa zwei bis drei Wochen nach der Infektion kommt es zum Auftreten eines grippeähnlichen Krankheitsbildes, das zwei bis vier Wochen andauert. Dann ist der Infizierte eine Zeit beschwerdefrei, gefolgt von einer Phase, in der typische, aber nicht lebensbedrohliche Krankheiten auftreten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Erst das Endstadium AIDS ist von lebensbedrohlichen Krankheiten und Tumoren gekennzeichnet.

6.2. Tagesablauf einer HIV-Positiven Frau

,,Wenn morgens um sieben Uhr 9 der Wecker klingelt, nehme ich als erstes vier Tabletten Videx, auf nüchternen Magen. Zum Frühstück um acht folgen zwei Crixivan, vier Fortovase und vier Tabletten gegen Medikamentenneben- wirkungen. Gegen elf Uhr nehme ich dann sechs Rescriptor und eine Zerit (wirkt besser wenn sie nicht zum Essen genommen wird, verträgt sich aber nicht recht mit dem in Videx enthaltenen Puffer). Etwa eine Stunde später esse ich im Kreis meiner Kollegen zu Mittag, obwohl dieser Zeitpunkt hinsichtlich der Tabletteneinnahme ungünstig ist: Um sechzehn Uhr sind nämlich wieder zwei Crixivan und vier Fortovase in Verbindung mit einer Mahlzeit einzunehmen. Gegen dreiundzwanzig Uhr schließlich nehme ich noch einmal sechs Rescriptor und eine Zerit. Zwischen 23 und 24 Uhr, also direkt vor dem Einschlafen, folgen noch einmal zwei Crixivan und vier Fortovase zusammen mit einer Mahlzeit sowie wiederum vier Tabletten gegen Medikamentennebenwirkungen: Im Normalfall sind das also insgesamt 44 Tabletten am Tag, ohne dass "etwas Besonderes ist"."

6.3. Auszug aus einer E-Mail eines HIV-Positiven

,,Als ich das Testergebnis bekam, waren da natürlich die Ängste im Vordergrund: Wie lange wird ich wohl noch leben? Wie wird sich in den nächsten Jahren mein Sexualleben verändern? Hat es überhaupt noch einen Sinn, in die Schule zu gehen und später zu studieren? Wie reagiert die Umwelt auf mich? Heute, knapp 1 ½ Jahren nach dem Ergebnis, haben sich die meisten Ängste gelegt. Ich gehe recht offen mit meiner Infektion um und habe - für mich - gemerkt, dass ein Großteil ganz gut damit umgehen kann.

Wenn Du Dich mit HIV und AIDS schon länger beschäftigst, wird Dir nicht entgangen sein, dass es Medikamente gibt, die das Voranschreiten der Krankheit eindämmen. Für mich das größte Problem, da die Nebenwirkungen der Medikamente nicht unerheblich sind. Oft kommen Gedanken wie: Ich bin Untertan der Pillen (manchmal auch) Testkaninchen der Ärzte. Manchmal gibt es Tage, wo ich einfach überhaupt keine Lust habe, die Tabletten zu schlucken. Es Ekel hervorruft."

[...]


1 Zur Veranschaulichung liegt als Anlage der Tagesablauf einer Betroffenen bei, die sehr ausführlich berichtet, wann und wie sie die benötigten Tabletten einzunehmen hat.

2 Neuropathien sind Nervenschädigungen, die normalerweise mit großen Schmerzen verbunden sind und teilweise bis zur Bettlägerigkeit führen können.

3 Aus: AIDS-Forum XXXVII S.69; Stephan Mühlig/Franz Petermann: Compliance zwischen Therapiegehorsam und Therapiepartnerschaft

4 Aus: AIDS-Forum XXXVII S.123; Rolf Erdorf: Compliance aus der Sicht eines Betroffenen

5 Aus: ImPuls Nummer 3 Menschen mit HIV und AIDS erzählen; Selbsthilfe HIV und AIDS Frankfurt am Main e.V. [Hrsg.] S.89f

6 Aus: Louise L. Hay: Umkehr zu Liebe - Rückkehr zum Leben S.33

7 Aus: www.hivnachrichten.com; Harald Krutiak: Zur sozialen Wahrnehmung von HIV in der Post-Vancouver Ära

8 Skizze und Text sind entnommen aus: Lasst mich nicht fallen. Christlicher AIDSHilfsdienst e.V. [Hrsg.] S.89

9 Aus: AIDS-Forum Band XXXVII Compliance und antiretroviale Therapie; Marie Werner: Leben mit der antiretrovialen Therapie aus weiblicher Sicht (S.129f)

Excerpt out of 14 pages

Details

Title
Psychische Probleme bei HIV und AIDS
Author
Year
2001
Pages
14
Catalog Number
V100009
ISBN (eBook)
9783638984416
File size
452 KB
Language
German
Keywords
Psychische, Probleme, AIDS
Quote paper
Julia Susek (Author), 2001, Psychische Probleme bei HIV und AIDS, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100009

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